This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web
at |http : //books . google . com/
Digitized by
Google
4
Digitized by
Go
.tu \^io.'?r
i
IN COMMEMOR^VTION OOF THE VISIT OF
HIS ROYAI. HIGHKESS
PRINCE HENRY OF PBÜSSIA
MARCH SIXTH,l90i
ON BEIIALF OF HIS MAJEHTY
THE GEKMAN EMPEROR
ASSISTANT PROFES SrOR OV HISTORT
(2^
fP ^i?Z^
r
Digitized
dJGoogk
-**-
1
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Der
Oesterreichische Erbfolgekrieg
)
1740—1748.
I. Band,
1. Theil.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
/
Digitized by
Google
(Geschichte der Kämpfe Oesterreichs.)
KRIEGE
unter der Regierung der Kaiserin -Königin
Maria Theresia.
Im Auftrage des
K. und k. Cliefs des Generalstabes
herauggegeben von der
Direetion des k. und k. Kriegs-Arehivs.
Wien 1896.
Verlag von L. W. Seidel & Soh.n
K. und k. Uorbuohhliidler
Digitized by
Google
OESJEI^REICHISCHBR''- j
■ fi.^.V:
ERBFOLGE-
1740-1748.
Nach den Feld- Acten und anderen authentischen Quellen bearbeitet
in der
kriegsgesch.ich.tlich.en Abtheilung
des
XuAtXj-A- — K. und k. Kriegs -Archivs.
1. BA.1VI3
(MIT ACHT BEILAGEN).
Cc- r
Wien 1896.
Verlag von L. W. Seidel & Soh.n
K. und k. Uofbuckhlndlor.
Digitized by
Google
Harvard College Library
MAR 17 1908
Hohenzollern Collcction
Gift of A. C. Cooiidge
'^\rvA^ ^^ H-^ OJcU^J
Druck von Joief Boiler & Comp., Wien.
Digitized by GOOglC ^"^
Vorbemerkung.
Oesterreichischer Erbfolgokrieg. I. Bd.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
V^eine Excellenz der k. und k. Chef des Generalstabs, Feld-
^^ zeugmeister Freilierr v. Beck, hat in weiterer Entwicklung
der für die Darstellung der „Feldzüge des Prinzen Eugen von
Savoyen" bestimmend gewesenen Absichten nach Vollendung des,
dreiundzwanzig Kriegsjahre und siebenundsechzig Feldzüge auf den
verschiedenen Kriegs-Schauplätzen umfassenden Werkes, derDirection
des k. und k. Kriegs-Archivs den Auftrag ertheilt, durch die
kriegsgeschichtliche Abtheilung die Geschichte der „Kämpfe Oester-
reichs" fortzusetzen und hiebei zunächst zur Schilderung des
„Oesterreichischen Erbfolgekriegs 1740 — 1748" zu schreiten, den
Türkenkrieg 1737 — 1739 einer nachträglichen Bearbeitung vor-
behaltend. Mit dem vorliegenden ersten Bande hat die Direction
des k. und k. Kriegs-Archivs die Durchführung des erhaltenen
Auftrags begonnen.
Der Einheitlichkeit der ganzen Publication wegen, welche
nach weitem Plane angelegt, nach den Kämpfen aus der Regierungs-
zeit der Kaiserin und Königin Maria Theresia und des Kaisers
Joseph n., dann den Kriegen mit Frankreich und den kriegerischen
Ereignissen der Revolutionsjahre 1848 und 1849, den Anschluss an
die bereits bestehenden quellenmässigen Schilderungen der modernen
Kriege gewinnen soll, war es geboten, auch für den „Oesterreiclii-
schen Erbfolgekrieg" Form und Art der „Feldzüge des Prinzen
Eugen" thunlichst beizubehalten imd nur von der Beigabe um-
fangreicher Correspondenzen abzusehen, wie sie bei jenem Werke
mit Rücksicht auf die besonders hervortretende Persönlichkeit des
Prinzen geboten war.
1-
Digitized by
Google
IV
Der „Oestoireichische Erbfolgekrieg'' umfasst acht Kriegsjahre
und in denselben zweiundzwanzig Feldzüge in Selilesien imd Bölunen,
Bayern und dem Elsass, den Niederlanden und Italien.
AVas die Anordnung des Stoffes anbelangt, so werden, wie
bei den ,,reldztigen des Prinzen Eugen" die Artikel des ersten
Bandes die allgemeine Orientierung bezwecken, die folgenden Bände
aber dann den politischen und kriegerischen Ereignissen der Zeit
gewidmet sein. Die streng chronologische Eintheilung des AVerkes
,, Feldzüge des Prinzen Eugen'' wurde modificiert und mehr Gewicht
auf die Eintheilung nach Kriegs-Schauplätzen gelegt, wodurch die
Gliederung jedes Bandes in allzuviel gleichzeitige Feldzüge auf
den verschiedenen Kriegstheatem vermieden und die einzelnen
Bände zusammenhängender und einheitlicher in sich werden sollen.
Für die Mitarbeit an dem AVerke standen der Direction des
k. und k. Kriegs- Arcliivs noch einzelne, schon bei der Bearbeitung
der „Feldzüge des Prinzen Eugen" bewälute Officiere, sonst aber
wieder nur junge, für ilire Aufgabe begeisterte, arbeitslreudige,
aber noch uneq)robte Ki'äfte zur Verfügung.
Die unentbehrlich scheinende Schilderung der (iesammtlage
im Beginne der liegierungszeit Maria Theresia's forderte aber
in einzelnen wesentliclien und schwierigen Puncten, zunäclist der
Finanzlage und der ungarischen Verfassungsfrage, Kenntnisse und
Studien, welche höchstens von Fachgelelirten gefordert werden
konnten. Die Direction des k. und k. Kriegs-Arcliivs sah sich
daher veranlasst, über den Rahmen der bisherigen Mitarbeiterschaft
an den Publicationen hinauszugehen und für die genannten wich-
tigen Capitel des ersten Bandes die Mithilfe von Fachmäimern in
Ansj)ruch zu nehmen. Die Herren Hofrath und k. k. Professor Dr.
Adolf Beer in AVien und der kgl. img. Professor Dr. Marczali
in Budapest haben diese Mithilfe bereitwillig und in einer AV^eise
gewährt, für welche die Direction des k. und k. Kriegs-Arcliivs sich
zu besonderem' Danke verpflichtet fühlt.
Für das vorliegende AVerk wurde das (iuellenmaterial in erster
Linie in den Archiven und Archiv-Publicationen gesucht und die
Darstellung auf diese begründet. Zunäclist bot das eigene k. und k.
Kriegs- Archiv in seinen älteren, iiicht zur Publication gelangten
Elaboraten, in den Feld-Acten zum böhmisch -schlesischen, bay-
Digitized by
Google
erischen, niederländischen und italienischen KJriegs-Schauplatz für
den Krieg selbst, in seinen kriegswissenschaftlichen M6moires und
hofkriegsräthlichen Acten für das Wehrwesen reiche Quellen. Ihm
folgten die seither mit dem Kriegs-Archiv vereinigten historischen
Bestände der Registraturen der Corps- und früheren Territorial-
Commanden u. A. m.
Das zweite, noch bedeutendere Gebiet archivalischer Arbeit
eröflhete das k. und k. Haus-,' Hof- und Staats-Archiv mit Kriegs-
tmd politischen Acten, sowie gesammelten Correspondenzen, ferner
das k. und k. Hofkammer-Archiv (Reichs-Finanz) und das Arohiv
des k. k. Ministeriums des Innern mit den Actenbeständen der ehe-
maligen österreichischen und böhmischen Hofkanzlei, endlich die
Manuscripten- Sammlung der k. und k. Hof-Bibliothek.
Die weiteren noch benützten Staats- und Landes-Archive,
sowie das Archiv der bestandenen kgl. ungarischen und sieben-
bürgischen Hofkanzlei und das ungarische Landes- Archiv in Buda-
pest, die Archive der fürstlichen und gräflichen Familien Liechten-
stein, Schwarzenberg, Schaumburg-Lippe, Neipperg, Daun,
KhevenhüUer, Pälffy u. A., städtische Archive, sowie jene der
geistlichen Stifte Wilhering, Seitenstetten, Zwettl haben mit höchst
dankenswerther Bereitwilligkeit die erbetene Unterstützung gewährt.
Neben den österreichischen Archiven, deren Schätze dem Kriegs-
Archiv in der gewohnten, jede historische Arbeit so eifrig fördernden
Art geboten wurden, welche vor Allem dem in echt wissenschaft-
lichem, hochsinnigem Geiste gegebenen Beispiele des Directors des
k. und k. Haus-, Hof- und Staats-Archivs, dem Wirklichen Ge-
heimen Eathe Alfred Ritter v. Arne th, zu danken ist, wurden dem
k. und k. Kriegs-Archiv und seinen delegierten Officieren das kgl.
bayerische allgemeine Reichs-Archiv, das kgl. bayerische geheime
Staats- und das kgl. bayerische Kriegs-Archiv in München, das
Kreis- Archiv in Amberg, sowie das Archiv des Ministeriums des
Aeusseren in Paris, das „Depot de la guerre", die ,,Archives
nationales" und die „Bibliotheque nationale" mit ihrem reichen Mate-
riale in nicht genug anzuerkennender Weise zugänglich gemacht.
Der wenigstens für jenen Theil des „Oesterreichischen Erbfolge-
krieges", welcher als „schlesische Kriege" bezeichnet wird, wich-
tigsten Gruppe, den kgl. preussischen Archiven, gegenüber sah sich
die Direction des k. und k. KJriegs-Archivs bezüglich ihrer be-
Digitized by
Google
VI
sonderen und theilweise neuerlichen Durchforschung vor eine Frage
schuldiger Rücksicht gestellt.
Die Abtheilung für Kriegsgeschichte des Grossen Generalstabes
in Berlin hatte die Veröffentlichung ihres ausgezeichneten Werkes
„Die Kriege Friedrich^s des Grossen" begonnen. Es war hier wohl-
bekannt, dass hiefiir ausser dem Archiv des Grossen GeneraJstabes
und des kgl. Kriegs-Ministeriums aUe wichtigen Archive des
deutschen Reiches, soweit sie Material fiir die sohlesischen Kriege
boten, in eifriger, sachkundiger und gründlicher Weisö durchforscht
und die Ergebnisse in dem erwähnten Werke niedergelegt worden
waren. So gediegener archivalischer Arbeit der Abtheüung für Kriegs-
geschichte des Grossen Generalstabes in Berlin gewissermassen
noch einmal nachzugehen, erschien der Direotion des k. und k.
Kriegs-Archivs als ein Act unzulässigen Zweifels an einer mit
ausserordentlicher Hingabe, mit wissenschaftlichem Eifer und reichem
Talent geschehenen Leistung.
Sie verzichtete auf diesen Weg, indem sie willig imd mit der
Ueberzeugung, recht zu thun, dem preussischen Generalstabswerk,
als einem Ergebnisse correotester Forschung, unbedingt das volle
Gewicht einer Quelle erster Bedeutung zuerkannte.
Was die kgl. preussischen Staats-Archive anbelangt, so W6ir
in der „Politischen Correspondenz Friedrich des Grossen", in den
„Preussischen Staats-Sohriften" u. a. 0. das Archiv-Material der-
selben bereits in so ausreichender Art geboten, dass eine aber-
malige Durchforschung kaum Besseres zu erlangen vermocht haben
würde, insoweit überhaupt dem fremden Forscher noch mehr hätte
zugänglich gemacht werden können.
Die Direction des k. und k. Kriegs-Archivs hat sich daher
darauf beschränkt, nur in speciellen FäUen und Fragen die weitere
Unterstützung der preussischen Archive, sowie des kgl. sächsischen
Haupt-Staats-, dann des sächsischen Kriegs-Archivs in Anspruch zu
nehmen, welche dem vorliegenden Werke auch in förderlichster Weise
zu Theil geworden ist.
Ganz besonders aber muss hiebei das von wirklich kamerad-
schaftlichem Geiste erfüllte Entgegenkommen der Abtheilung für
Kriegsgeschichte, sowie des Archivs des Grossen Generalstabes in
Digitized by
Google
VII
Berlin hervorgehoben werden und gerade dem gegenseitigen Ein-
verständniss wird es wohl am meisten zu danken sein, wenn die
beiden Werke „Kriege Friedrich des Grossen" und der „Oester-
reichische Erbfolgekrieg", obgleich dieselbe Zeit und an bestimmter
Stelle dieselben Ereignisse behandelnd, dennoch jedes als ein
durchaus selbststäudiges erscheinen und auf verschiedenen Wegen
demselben Ziele zustreben können: eine historisch und militärisch hoch-
bedeutsame und folgenreiche Epoche im Lichte der Wahrheit, so-
weit sie zu erlangen und zu erkennen, zur Ehre der grossen
historischen Gestalten der kämpfenden Staaten, wie der treuen und
tapfem Heere und der opferwilligen Völker zu schildern und statt
aus ihnen eine Quelle ewigen Haders, fortwährender stiller Feind-
seligkeit, eine solche reichen Nutzens und gegenseitiger Werth-
schätzung zu machen för alle Zeit.
An gedruckten Quellen fallen für die Zeit zum Eingang und
während des österreichischen Erbfolgekrieges nebst den Original-
Staatsschriften jener Periode hauptsächlich in das Gewicht:
Ameth, „Maria Theresia's erste Regierungsjahre 1740 — 1748";
Friedrich H., „Histoire de mon temps"; „Preussische Staatsschriften
aus der Eegierungszeit König Friedrich H.", herausgegeben von
Droysen und Max Duncker, bearbeitet von Koser; „Politische
Correspondenz Friedrich des Grossen", herausgegeben von Sybel,
Droysen und Max Duncker; „Die Kriege Friedrich des Grossen",
herausgegeben vom Grossen Generalstab; Droysen, „Geschichte
der preussischen Politik"; Eanke, „Zwölf Bücher preussischer Ge-
schichte", die Correspondenzen und Memoiren von Belleisle,
Broglie, Coigny, Croy, Khevenhüller, Noailles, dann die Werke
von Arvers, Adolf Beer, Broglie, Buffa, Dove, Droysen, Max Duncker,
Carl V. Duncker, Förster, Grünhagen, die vorzüglichen Arbeiten
von Heigel, dann Jahns, Koser, Max Lehmann, Macaulay, Marczali,
Oncken, Orlich, Pajol, Eousset, Saluzzo, Schels, Schöning, Stenzel,
V. Taysen, Unzer, Weiss u. A. m.
Von diesen Werken trat in erste Linie das hervorragen^de
und wichtige Werk Alfred v. Arneth's „Maria Theresia's erste
Eegierungsjahre 1740 — 1748", hervorragend durch seine ganze
Fassung, wichtig vor Allem dadurch, dass dasselbe das einzige
grössere Werk über jene Epoche ist, in welchem auch die öster-
reichischen Quellen zur vollen Geltung gekommen sind.
Digitized by
Google
VIII
Dass nach der Art der benützten Hauptqnellen in den Dar-
stellungen der einen Seite der österreichische, in jenen der anderen
der preussische Standpunct mehr hervortritt, ist natürlich und dabei
wissenschaftlich gar nicht zu beklagen, insolange das aufrichtige
Streben mitwirkend bleibt, Gerechtigkeit walten zu lassen, die
eigenen Fehler und Schwächen nicht zu Terhehlen, die grossen
Eigenschaften des Gegners nicht hämisch zu verkleinern, die Erfolge
nicht zu übertreiben, die Motive nicht zu entstellen, der Wahrheit
zu dienen nach bestem Wissen und Gewissen.
Dieses Verdienst hat Arneth in hohem Grade. Bei aller,
einem ritterlich denkenden Manne so natürlichen Begeisterung für
jene unvergessliche königliche Frau, scheut er nirgends die Wahrheit,
er übt das hehre Amt des Geschichtschreibers: nach Recht zu
richten, Freimd imd Feind — in vornehmer Art., massvoll imd mit
eifrig erstrebter Objectivität. Auch hierin nimmt sein AVerk ohne
Frage den ersten Rang ein.
Sein AVerk wdrd noch als ein sicheres, vertrauenswürdiges,
fahrendes gelten, wenn die Masslosigkeiten so mancher heute noch
viel geltenden Gegner längst überall nach ihrem wirklichen AA^erthe
gewürdigt und nach überwundenem Hader ohne Dank zu den
Tendenz- und Streitschriften vergangener Tage und erledigter
Fragen gelegt sein werden.
In anderer Art treten unter den österreichischen Bearbeitungen
des Erbfolgekrieges die in der früheren „Oesterreichisch-militärischen
Zeitschrift" durch Schels publicierten hervor. Sie haben bis jetzt
für die Historiker zumeist als das bequemst gebotene Material zur
Darstellung der Kriegsereignisse gedient, sie gewannen durch den
militärischen Charakter des Autors, wie der Zeitschrift- eine gewisse
Authenticität und sie ersparten Vielen das mühsamere (Tcschäft der
eigenen archivalischen Forschung.
Die Arbeiten Schels' sind auch im Wesentlichen sehr
s(;hätzenswerth, aber sie sind durchaus nicht unbedingt zuverlässig.
Sie sind nicht einmal, wie seine Darstellungen aus dem spanischen
Successionskrieg, directe aus den Acten des Kriegs-Archivs ent-
nommen, sondern erst in zweiter Linie auf diese gegründet. In der
Hauptsache sind sie lediglich die AViedergabe jener auf Befehl
Kaiser Joseph II. durch den Feldzeugmeister Johann Georg (Irafen
Digitized by
Google
IX
Browne, einem entfernten Verwandten des berühmten Feldherm
der Kaiserin-Königin Maria Theresia, verfassten Bearbeitung
der Kriege der theresianischen Epoche, welche als „Browne' sches
Manuscript" im Besitze des k. und k. Kriegs-Archivs sich befindet.
Ein Theil der Aufsätze in der „Oesterreichisch-militärischen
Zeitschrift" stehen höher; es sind diejenigen, welche von dem seiner
Zeit als militärischer Schriftsteller rühmlichst bekannten, einstigen
Chef des Generalquartiermeister-Stabes Feldmarschall-Lieutenant
Grafen Rothkirch und Panthen mit unmittelbarer Benützung der
Original- Acten verfasst worden sind.
Von den zahlreichen Detail-Arbeiten, welche von österreichi-
scher Seite über Episoden und Theile de^ Erbfolgekrieges in Auf-
sätzen und Zeitschriften im Laufe der Zeit erschienen sind, wie
von den, durch die Direction des k. und k. Kriegs- Archivs in den
,, Mittheilungen" veröffentlichten «Vorarbeiten zum vorliegenden
"Werke, bei denen besonders auf die actenmässigen Darstellungen
Carl V. Duncker's über die Besitzergreifung von Schlesien und
den Beginn des Krieges hingewiesen werden darf, kann hier im
Allgemeinen abgesehen werden. Sie haben jedenfalls viele jener
Lücken auszufällen vermocht, welche auch eine emsige, allgemeine
Forschung nicht immer zu beseitigen oder zu vermeiden vermag
und es mindestens ermöglicht, die Schilderung der kriegerischen
Ereignisse in Verbindung mit den eigentlichen archivalischen und
gedruckten Hauptquellen aller betheiligten Parteien annähernd voll-
ständig zu gestalten.
Schwierigkeiten besonderer Art bot das Auffinden geeigneten
Quellenmateriales für das ziu* Zeit des Todes Carl VI. so arg zer-
rüttete „Wehrwesen Oesterreichs" und für die „Lineren Zustände
in den Erblanden, ihre Verfassung und Verwaltung". Für die
letztere Aufgabe sind in ganz hervorragender Weise die Andeu-
tungen imd Mittheihmgen der vortrefflichen „Oesterreichischen
Reichsgeschichte" von Prof. Dr. Alf ons Huber, dann die Arbeiten
Fellner's, Mischler's, Ulbrich's u. A. forderlich gewesen.
Von den bayerischen Quellen und quellenmässigen Bearbei-
tungen sind neben den Archiven, den Törring'schen und Secken-
dor ff 'sehen Schriften, den Comitial-Relationen aus dem bayerischen
allgemeinen Reichs- Archiv, sowie der Materialiensammlung T o e p f e r- s,
Digitized by
Google
die zum Theil im Besitz des bayerischen Kriegs- Archivs, zum Theil
in jenem des preussischen Generalstabs ist, die Publicationen
HeigeTs von ganz besonderem und hervorragendem Werthe.
Die Schriften Heigel's zeichnen sich durch die Ruhe der
Darstellung und ihre Objectivität aus und sind von wesentlichem
Belange ftir die Kenntniss der Lage und der Ereignisse im öster-
reichischen Erbfolgekriege.
Eine empfindliche Lücke verursacht das Fehlen der franzö-
sischen officiellen Quellen, wie sie durch Pelet für den spanischen
Successionskrieg nach der Bearbeitung des verdienstvollen de Vau It
herausgegeben wurden. Von de Vault liegt aber auch die Be-
arbeitung des österreichischen Erbfolgekrieges auf Grund der fran-
zösischen Feld-Acten fertig im Archiv des französischen Kriegs-
Ministeriums, der Zeit harrend, in der sie eine geschickte Hand,
wie Pelet und eine hochsinnige Auffassung an oberer Stelle der
Oeffentlichkeit und der wissenschaftlichen Benützung zuführt. Das
"Werk von Arvers über den Beginn des Krieges in Italien kann
kaum schon als Anfang einer solchen Publication angesehen werden.
Bezüglich der französischen, italienischen und spanischen
Quellen ist der Forscher daher fast allein auf die M6moiren-Literatur
und auf Sanmielwerke angewiesen, über die nur allenfalls des
Herzogs von Broglie neueste Schriften und Pajol „Les guerres
sous Louis XV.", wenn auch nicht über den Parteien stehend, sich
rühmlich herausheben.
Auch ein 1784 erschienenes Werk „Tableau de la guerre de
la Pragmatique-Sanction en Allemagne et en Italic", als dessen Ver-
fasser ein unbenannter„aide-de-camp-g6n6ral dans Farmöe d'Espagne"
angegeben ist, verdient Beachtung.
Von Italienern ist es Buffa, der mit „Carlo Emanuele IH.
di Savoia e diffesa deUe Alpi nella campagna del 1744" eine sehr
verdienstliche, mit grossem Verständniss gemachte Arbeit geliefert
hat. In der Vorrede bezeichnet der Verfasser als seine, allerdings
nicht ganz zuverlässigen, Quellen St. Simon, Minutoli, dann
d'Agliano (Memorie storiche sulle giierre del Piemonte del 1741
al 1747) und Domenico Carutti (Storia del regno di Carlo
Emanuele IH.).
Digitized by
Google
XI
Hieher gehören noch:
Moris, „Operations militaires dans les Alpes et les Apennins
pendant la guerre de la Succession d'Autriche 1742 — 1748^\ Der
Autor ist nicht Soldat. Was er bringt, ist italienischen Ursprungs.
Viel Neues bringt Moris nicht, so wenig, als Saluzzo, der in
seiner „Histoire militaire de Pi^mont" eine übrigens sehr fleissige
und gewissenhafte Arbeit bietet.
Im Allgemeinen ist der Krieg in Italien bis jetzt kriegswissen-
schaftlich, wie politisch sehr wenig berücksichtigt worden und ein-
gehendere Darstellungen mangeln gänzlich. Es erwies sich nicht
als ausftihrbar, auf ungewisse Vermuthung hin, eigens Officiere in
italienische oder spanische Archive zu entsenden, wie dies nach
München und Paris geboten erschien. Das gesammelte Material für
die Schilderung der Ereignisse auf dem italienischen Kriegs-Schau-
platze gestaltete sich daher weniger reichhaltig, als für die übrigen
Schauplätze des Erbfolgekrieges.
Von den preussischen Werken gebührt den Schriften des
Königs selbst unbedingt der Vorrang. Die Autorität des Verfassers,
der Freimuth und die Klarheit, welche diese Werke auszeichnen,
geben ihnen einen massgebenden Werth unter allen Umständen.
Bedeutsam vor Allem, weil immittelbarer entstanden, ist die im Druck
erschienene gesammelte ,, Politische Correspondenz König Friedrich
des Grossen".
Die „Politische Correspondenz" verdankt ihr Entstehen einem
hochsinnigen Impidse König Friedrich Wilhelm IV., der im Jalu-e
1840 der Akademie der Wissenschaften in Berlin den Auftrag er-
theilte, „die Schriften König Friedrich 11. vollständig zu sammeln
und nach den authentischen Texten zu pubücieren". Mit der Heraus-
gabe wurden J. G. Droysen, Max Duncker und Sybel betraut.
Nach Max Duncker muss Sybel, dessen Nachfolger in der
Direction der preussischen Archive, wohl als der leitende Geist bei
Herausgabe dieser, zunächst die politische Correspondenz des Königs
umfassenden Sammlung angesehen werden. Die Redaction der be-
deutsamen Veröffentlichung führte bei den hier zunächst in Be-
trachtung kommenden ersten Bänden Reinhold Koser.
Die „Politische Correspondenz" ist eine Piiblication eigener
Ai-t. Wenn die Thaten des Königs als Acte eines ungewöhnlichen.
Digitized by
Google
XII
nur sich selbst gehorchenden, kraftvollen Willens und in ihrem Er-
gebniss für das Wohl Preussens aufgefasst werden sollen, so bietet
die „Politische Correspondenz", nebst den vertrauten Briefen des
Königs, fast allein den leitenden Faden för König Friedrich ü.
Denken und Handeln, einseitigen principiellen Lobrednem legt sie
aber grosse Schwierigkeiten in den Weg.
So wie das Werk ist, muss es jedenfalls als ein in erster Linie
ausschlaggebendes bezeichnet werden, an des Königs eigenen Worten
lässt sich wenig deuteln. Trat aber das Werk mit dem Anspruch
an das Licht, als ein, mit geradezu gross gedachter Offenheit, der
Wissenschaft gewidmetes zu erscheinen — zweifellos der königliche
Gedanke in dem Unternehmen — so hat das Walten der Herausgeber
dasselbe mit einem leisen Makel verdunkelt: es scheinen Briefe
des Königs in demselben zu fehlen. Li seiner Vollständigkeit lag
die Vertrauenswürdigkeit, in, wenn selbst nur kleinen Lücken, liegt
ein Zweifel, ob es nicht noch grössere gebe. Schon Dove, „Zeit-
alter Friedrich des Grossen imd Joseph H." in seiner „Deutschen
Geschichte" erhebt dieses Bedenken und dass ihn Kos er in der
„Historischen Zeitschrift" (XVI. 1884), auf „eigene Nachforschungen"
verwies, die statt seiner und für seine besondere Aufgabe anzu-
stellen „die Herausgeber der ,, Politischen Correspondenz" nach
Zweck und Programm dieser Publication keine Veranlassung hatt-en",
beseitigt den Vorwurf nicht, es bestätigt die Thatsache. Für die
vorliegende Arbeit haben sich zunächst schon im ersten Bande
ähnliche Bedenken bezüglich der Correspondenz des Königs mit
dem Obersten Camas erhoben. Es scheinen wesentliche Lücken
vorhanden zu sein.
Wer ein Werk, wie diese „PoHtische Correspondenz", vor sich
hat, von dem soll nicht noch gefordert werden, dass er eine be-
sondere Forschung nach aus oder zu bestimmten Absichten nicht
aufgenommenen Schriftstücken unternehme. Erschien bei einem so
liberal gebotenen Werke, wie die „Politische Correspondenz", der
Lihalt gewisser Partien selbst den Herausgebern als zu difficil, so
liegt der Gedanke nahe, dass es Schriftstücke gebe, welche, wie
vorher der Oeffentlichkeit, so nun auch dem Forscher unzugänglich
bleiben würden.
Unter den sonstigen preussischen Geschichtswerken über die
Zeit der schlesischen Kriege tritt der preiLssisehe Grosse General-
Digitized by
Google
XIII
Stab mit seinen „Kriegen Friedrich des Grossen'* sichtlich immer
mehr in die vorderste Eeihe. Nicht nur die klare, sachliche
Schilderung des Krieges ist der glänzende Vorzug dieses Werkes,
soweit es bis jetzt vorUegt, sondern ganz besonders seine ganze
Art und Fassung. Die Abtheilung fiir Kriegsgeschichte des Grossen
Generalstabs hat den Beweis erbracht, dass der Euhm König
Friedrich 11. nicht abhängig gemacht werden müsse von der
grundsätzlichen Herabwürdigung seines Gegners Oesterreich, sondern
im selben Masse sich erhöhe, als auch diesem Gegner Achtung
und Gerechtigkeit erwiesen wird.
Ernste Hindemisse bieten dagegen die Werke der sonst
herrschend gewordenen Schule preussischer Geschichtschreibung.
In der Benützung der Schriften dieser Historiker liegt eine fast
unbesiegbare Schwierigkeit. Es scheint unmögHch, sie mit jener
ßuhe und jenem wissenschaftlichen Gewinn zu studieren, die von
Quellen erhoffi werden, die doch dazu dienen müssten, Ansichten
zu läutern, Gegensätze aufzuklären und damit zu mildem, den
Dingen von diesem oder jenem Gesichtspuncte aus, neue oder
richtigere Beleuchtung, den „Worten wieder ihre wahre Bedeutung"
zu geben. Der fast unabweisbare Zwang, das Bedürfniss, die beinahe
in jeder Zeile wiederkehrenden beweislosen Ausfälle zu widerlegen,
entfernt den Forscher unbedingt von seiner eigentlichen Aufgabe,
von ruliiger, objectiver Arbeit und fülirt zu polemischer Stimmung,
zu erregter Abwehr, statt zur sachgemässen, nützhchen Dar-
stellung des Geschehenen.
Es liegt in dem Programme des vorliegenden Werkes, überall,
soweit dies irgendwie möglich ist, in ruliiger, massvoller All
die Dinge und Personen zur Darstellung zu bringen. Diese Pflicht
müsste daher auch bei Besprechung der einschlägigen preussischen
Werke zur Geltung kommen, aber hier ist es, wo ihre Erfüllung
mindestens recht schwer wird. Die neuere, oder wenn die Zeichen
nicht trügen, mindestens „jüngstvergangene" preiissische historische
Schule kaim, gleichviel, welche die grössere oder geringere Be-
deutung ihrer Mitglieder, gleichviel auch, welche Zeit der Gegenstand
der Bearbeitung, sobald Oesterreich in Frage kommt, fast nur als ein
Gemeinsames betrachtet werden. Diese Gemeinsamkeit aber zeigt
sich überall in einer, über den positiven historischen Boden weit
hinausgehenden, fast krankhaften politischen Feindseligkeit gegen
Oesterreich, mit einem satten Grundton confessionellen Hasses.
Digitized by
Google
XIV
Zur Widerlegung der endlosen Beschuldigungen, welche gegen
Oesterreich und sein Kaiserhaus gerichtet worden und der Ent-
stellungen, welche auch die Geschichte der Zeit Maria Theresia's
und König Friedrich 11. erlitten hat, bedürfte es einer fast ebenso
umfangreichen Literatur.
Der Versuch allein, auf solche Geschichtsmache kritisierend
einzugehen, hat sofort ergeben, dass dies Citate und Beleuchtungen
derselben erfordern würde, welche den Ton eines Werkes, wie des
vorliegenden, wesenthch verändern müssten.
Mit der Geschichte des österreichischen Erbfolgekriegs be-
tritt man ein viel umstrittenes Gebiet und Neigungen, wie Ab-
neigungen, Stimmungen und Meinungen, Ueberzeugungen und
Vorurtheile jeder Art stossen auf demselben hart aufeinander. Wäre
es zum redlichen Bestreben der historischen Forschung geworden,
Wahrheit zu suchen und zu bieten statt Tendenz, so würde viel-
leicht jene Periode aUmählig in einem ruhigeren, abgeklärteren
Bilde den Nachkommen erscheinen können; sie würde hinaus-
gehoben sein über den Zank und Streit, ihre Geschichte wäre be-
freit von herausforderndem Uebermuth imd Ueberhebung der einen,
von Verbitterung der anderen Seite. Die Zeit würde ihre versöhnende
AVirkung ausgeübt haben, das Grosse in den handelnden Personen
würde allseitiger geschätzt und gewürdigt, ihre Schwächen und
Fehler milder beurtheilt werden.
Eine nicht leichte Aufgabe wurde für die bei diesem Werke
verwendeten Kräfte die Darstellung der dominierenden Persönlich-
keit König Friedrich IE. Es war unmöglich, ihn ganz nur im
Geiste der zeitgenössischen österreichischen Quellen zu schildern, denn
diese urtheilen begreiflicherweise hart über ihn imd sein Handeln.
Es war ebensowenig zulässig, modemer preussischer Dar-
stellung unbedingt zu folgen, denn diese hat die Gestalt des Königs
in eine Legende gehüllt, sie mit so viel eigenem Beiwerk, eigenen
Meinungen und Bestrebungen umgeben, dass die liistorische Ge-
stalt kaum mehr zu erkennen und zu verstehen ist.
Es blieb daher nur übrig, nach Mögliclikeit die competenteste
Quelle über Friedrich 11. sprechen zulassen: ihn selbst. AVo es,
besonders im politischen Theile, irgend möglich ist, wird daher der
Digitized by
Google
XV
König selbst zu Worte kommen müssen und es werden die öster-
reicliischen Quellen sogar eher zurückstehen gegen ihn, um der
Gefahr eigener Einseitigkeit, so viel dies sein kann, aus dem Wege
zu gehen.
Das vorliegende Werk wird zunächst nur eine militärische
„Geschichte des österreichischen Erbfolgekriegs'* sein, aber es soll
ihm das Recht gewahrt bleiben, unbeirrt durch aufgezwungene
Legenden und tonangebende Vertreter der landläufig gewordenen
Anschauungen über jene Zeit, eine eigene freie Meinung, gestützt
auf die wirklichen Quellen, auszusprechen. Eine Veranlassung, eine
besondere Parteistellung zu suchen, liegt keineswegs vor.
Die Archive in Oesterreich stehen jedem ernsten Forscher
weit oflfen, wir haben in Oesterreich nichts zu verhehlen und nichts
zu beschönigen. Wir wünschen nur, dass diese Quellen elirlich be-
nützt werden und dass die Wahrheit zu ihrem Rechte komme,
denn wir wissen, dass Oesterreich und sein Kaiserhaus in der un-
geschminkten AVahrheit allein ilu'e glänzende Rechtfertigung in der
Geschichte, ihre wirksamste Vertheidigung, ihren edelsten Ruhm
finden.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Inhalt.
OetterreiohlBoher Erbfol^ekiieg. I. Bd. II
Digitized by
Google
Digitized by
Google
I. Band:
1. TheiL
Seite
Yorbemerkung i
Die pragmatische Sanction i
Die herkömmliche Erbfolge 3
Pactum mutuae successionis 9
Das Entstehen der pragmatischen Sanction 14
Die Verhandlxmgen mit den Erblanden und Ungarn 26
Die Anerkennung der pragmatischen Sanction durch die fremden
Mächte und das Eeioh 45
Die Yeifassung und Yerwaltnng der deutschen Erblande^ der
Niederlande und der Besitzungen In Italien 57
Die österreichischen Erblande 65
Nieder-Oesterreich 76
Inner-Oesterreich 81
Ober- und Vorder-Oesterreich 91
Die böhmischen Erblande 103
Böhmen 106
Mähren 116
Schlesien 119
Die Niederlande 126
Die Besitzungen in Italien 135
Ungarn bei dem Tode Cail III. (Kaiser Carl YI.) i43
Das Inaugural-Diplom 147
Die königliche Gewalt 156
Verwaltung 161
Die Stände 169
Die Diät (Eeichstag) 176
Zustand des Landes 178
Gravamina, schwebende Fragen 181
Staatsmänner und Feldherren 190
Das Finanzwesen der Monarchie 197
Finanzlage beim Eegierungs- Antritt Carl YI 199
Einrichtung der Hofkammer 208
n*
Digitized by
Google
XX
Seite
Landeskammem 212
Cameral- Verwaltung in Ungarn 212
Staatshaushalt 213
Directe Steuern 290
Die indirecten Abgaben 252
Schulden 264
Ständische Aerarial- Schulden 264
Ausländische Schulden 270
Die Banco-Schulden 272
Schuldentilgung 287
Uebersicht der Bewilligungen der Erblande für Müitärzwecke 1716 bis
1739 294
Das Wehrwesen in Oesterreich 297
Die Heeresleitung 301
Der Allerhöchste Oberbefehl 801
Der Hof-Kriegsrath 306
Generale und Festungs-Commandanten 326
Das General-Kriegs-Commissariats-Amt 385
Das Obrist-Proviant-Amt 341
Das Obrist-Land- und Haus-Zeug-Amt 344
Das Fortifications-Zahl-Amt 348
Das Obrist-Schiff-Amt 348
Das General-Feld-Kriegs-Auditoriats-Amt 850
Die Generalität 351
Grosser und kleiner Generalstab 351
Die Truppen 357
Reductionen seit dem Frieden von Passarowitz 1718 .... 357
Die Reductions-Projecte der Jahre 1789 und 1740 360
Die Fusstruppen 372
Die regulären Infanterie-Begimenter 372
Das regulierte Tyroler Land-Bataillon 379
Ausrüstung, Bewaffnimg, Gebühren, Dienst 880
Gamisons- und Besatzungs-Truppen 392
Frei-Corps zu Fuss 395
Die Beiterei 398
Die Cürassiere und Dragoner 898
Die regulären Husaren-Begimenter 401
Die National-Milizen zu Pferde in Ungarn und Siebenbürgen 410
Die Frei-Corps zu Pferde 412
Innere Zustände und Schwierigkeiten bei den Truppen
um das Jahr 1740 413
Die Artillerie 480
Das Geschütz-Material 436
Specielle Corps 442
Ingenieure 442
Pontonniere und Kriegsbrückenwesen 444
Feld-Proviant-Fuhrwesen 447
Tschaikisten- und Donau-Flottille 451
Digitized by
Google
XXI
Seite
Sanitätswesen 452
Die Heeres-Ergänzung 469
Eintritt und Abgang von Officieren nnd Mannschaft .... 459
Pferdewesen 473
Mobilisierung 475
Die Verwaltung des Heeres 477
Geldbeschaffung und Cassawesen 477
Verpflegung der Truppen und deren Verrechnung 480
Die Grenzer 491
Die Landes-Aufgebote 602
Das Wehi-wesen fremder Staaten 517
Das Wehrwesen In Preussen 519
Aufbringung und Ergänzung des Heeres 626
Land-Miliz und Land-Regimenter 581
Das Canton-System 532
Beurlaubungs-System 535
Standesbewegung im Heere 588
Mobilmachung 540
Pferde-Aufbringung 541
Die Ausbildung der Truppen 542
Artillerie-, Ligenieur- und Befestigungs -Wesen . . . 651
Besoldung, Bekleidung, Bewaflnung, Verpflegung 556
Sanitätswesen 561
Rechtspflege 562
Stärke der Armee im Februar 1713, beziehungsweise Mai 1740 563
Feld-Truppen 563
Gamisons-Truppen 566
Weitere Vermehrung der Armee im Laufe des Jahres 1740 . 568
Die Führung des Heeres im Jahre 1740 674
Das Wehrwesen In Sachsen 582
Das Wehrwesen in Bayern 689
Militär-Behörden 590
Heeres-Ergänzung 691
Officiers-Nachwuchs 592
Enegs-Material 592
Verpflegung 593
Geld-Erfordemiss 593
Bemontierung und Ausrüstimg 594
Dienstvorschriften 596
Zustand der bayerischen Armee 595
Das Wehrwesen des deutschen Reichet und einiger Reiohs-Stlnde 597
Die Beichs-Armee 597
Die Truppen einiger bedeutenderer Reichsfarsten 600
Chur-Pfalz 601
Chur-Maynz 602
Chur-Cöln 602
Chur-Trier 602
Hessen-Darmstadt 602
Digitized by
Google
xxn
Seit«
Baden 603
Die sächsischen Herzogthümer 603
Geistliche Reichs-Stände 603
Das Wehrwesen in Hessen- Catsel 604
Behörden 604
Rahmen und Bestand 605
Versorgungswesen 606
Das Wehrwesen Dttnemarks 607
Geworhene Regimenter 607
Infanterie 607
Cavallerie 607
Artillerie 607
National-Regimenter 608
Das Wehrwesen Hannovers 609
Behörden 609
Rahmen, Bestand, Adjustierung und Bewaffiaung 609
Garden 609
Infanterie 610
Cavallerie 610
Artillerie 611
Ingenieure 6ll
Gesammtstärke des Heeres 6l2
Officiers-Corps 612
Unterofficiere 612
Ergänzung 618
Militär-Gerichtsbarkeit 613
AVaffen-Industrie 613
Geld- und Natural -Verpflegung 613
Transportwesen 614
Bemontierungswesen 616
Unterkunftswesen 616
Sanitätswesen 616
Versorgnngswesen 616
Bestehende Dienstvorschriften 616
Das Wehrwesen Englands 618
Landmacht. Stehendes Heer 618
Behörden 618
Ergänzung und Bestand 619
Die Truppen 619
Das Officiers-Corps 622
Unterofficiers-Corps 628
Militär-Gerichtsbarkeit 623
Waffen-Industrie 624
Geld- und Natural-Verpflegung 624
Transportwesen 626
Bemontierung 626
Unterkunftswesen 626
Versorgimgswesen 625
Digitized by
Google
xxin
Seite
Frei-Corps 626
See-Soldaten-Corps 626
Miliz 626
Schottische Kriegsverfassung 627
Die Seemacht 629
Veisorgungswesen 630
Das Wehrwesen Frankreichs 631
Aufbringung und Stärke des Heeres 631
Behörden, Befehlgebung und Militär-Hierarchie 634
Truppen 638
Maison du roi 638
Infanterie 639
Cavallerie 642
Frei-Corps ^ 644
Artillerie 644
Ingenieur- Corps 645
Trainwesen 646
Sanitätswesen 648
Verwaltung und Gebühren 648
Verpflegswesen 651
Beförderungen und Auszeichnungen 662
Versorgungswesen 653
Die Armee im Felde • 653
Zustände im französischen Heere 657
Seemacht 659
Das Wehrwesen Sardiniens 661
Das Wehrwesen Spaniens 663
Das Wehrwesen des Königreichs beider SicÜien 668
I. Band:
2. Theil.
Die Kriegführung zui* Zeit des österreichischen Erbfolge-
krieges 671
Die allgemeinen Grundsätze des Krieges 675
Das allgemeine Bild des Krieges 716
Tactische Grandzüge. Verpflegs-Sj'stem 722
Militärische und geographisch - statistische Schilderung der
Kriegs-Schanplätze 731
Der Kriegs-Schaupiatz in Nieder- und Ober-Oesterreich, Böhmen,
Sohlesien, Sachsen, Bayern 733
I. Das böhmischL-mährisclie Gebirgs-Systetn 734
Orographie, Bodenbedeckung, Gangbarkeit 735
Die Rand-Gebirge 735
Digitized by
Google
XXIV
Seite
Das Innere von Böhmen und Mähren 741
Das Wiener Becken 743
Hydrographie 743
Bodenproduction 746
Das Königreich Böhmen mit der Grafschaft Glatz . 748
Politische Verhältnisse 748
Wohnorte. Befestigungen und deren Bedeutung für die
damalige Kriegsepoche. Militärische Würdigung 749
Die Markgrafschaft Mähren 754
Politische Verhaltnisse 754
Wohnorte. Befestigungen und Bedeutung. Militärische
Würdigung 754
Das dem böhmisch-mährischen Gebirgs-Systeme
nördlich vorgelagerte Gebiet 756
Urographie. Bodenbedeckung. Allgemeine Gangbarkeit 756
Hydrographie 757
Das Churfürstenthum Sachsen 758
Politische Eintheilung 758
Bodenproduction 759
Wohnorte. Befestigungen und deren Bedeutung. Mili-
tärische Würdigung 760
Die preussische Mark Brandenburg 762
Schlesien 763
Bodengestaltung und Bodenbedeckung. Gangbarkeit . 763
Die Gewässer Schlesiens 764
Bodenproduction 765
Politische Verhältnisse 765
Wohnorte. Befestigungen und deren Zustand. Mili-
tärische Würdigung 766
IT. Das Donau-Thal 769
Bodengestaltung und Bodenbedeckung. Gangbarkeit . 769
Hydrographie 771
Bodenproduction 775
Das Churfürstenthum Bayern 776
Politische Verhältnisse 776
Wohnorte. Befestigungen imd deren Bedeutung . . . 777
Das Erzherzogthum Oesterreich 779
Militärische Würdigung 780
Verkehrs-System 783
Die grossen Verkehrsrouten 783
Das Strassenwesen 765
Wasserstrassen und Schilffabrt 787
Handel, Gewerbe und Industrie 788
Die oberdeutschen Reichsstädte 788
Die österreichischen Erblande 790
Preussen 795
Sachsen 795
Bayern 796
Digitized by
Google
XXV
Seite
Der Kriegs-Sohauplatz am Ober-Rhein und im Eitass 797
Die Bodenerhebungen und deren Einfluss auf die Operationen.
Gangbarkeit 797
Die Gewässer 801
Bodenproduction und Bodenbedeckung 805
Das Königreich Frankreich 807
Politische und culturelle Verhältnisse 807
Das Elsass 808
Das Herzogthum Lothringen 809
Das Römische Reich 809
Politische Zustände. Bevölkerung 809
Das Städtewesen 813
Befestigungen und deren Bedeutung für die damalige
Kriegsepoche 814
Der Kriegs-Schauplatz am mittleren Rhein bis zum Neckar süd-
wttrts und in den Niederlanden 821
Orographie. Bodenbedeckung. Gangbarkeit 822
a) Das Land östUch des Rheins 822
b) Das Land zwischen dem Rhein und der Mosel 828
c) Das Land zwischen der Mosel, dem Rheine
und der Maas 824
d) Das Land zwischen der Nordsee und der
Maas-Sambre Linie 826
Die Gewässer 826
Bodenproduction 834
Die Niederlande 836
Politische und culturelle Verhältnisse 836
Wegsamkeit. Strassenwesen 840
Die Wohnplätze und das Städtewesen 841
Die Befestigungen und ihre Bedeutung für die damalige
Kriegsepoche 842
Der Kriegs-Schauplatz in Italien 857
Die italienischen Staaten 857
Politische Verhältnisse 857
Das Gebiet der Alpen 861
Oro - hydrographische Gliederung. Bodenbedeclnmg.
Bodenproduction. Gangbarkeit. Militärische Wür-
digung 861
Die Verkehrswege zwischen Frankreich und Italien.
Alpen-Uebergänge 864
Die Apenninen-Landschaften 866
Oro - hydrographische Gliederung. Bodenbedeckung.
Bodenproduction. Gangbarkeit. MiHtärische "Wür-
digung 866
Die Apenninen-Uebergänge 871
Das oberitalienische Tiefland 873
Bodengestaltung und Bodenbedeckung. Gewässer. Boden-
cultur. Gangbarkeit. Militärische Würdigung . . 873
Oesterreiohischer Erbfolgekrieg. I. Bd. III
Digitized by
Google
XXVI
Seite
Die Befestigung und deren Bedeutung für die damalige
Kriegsepoche 880
Der Wiener Hof und die Lage der eoropfUschen Mächte . . 898
Der Wiener Hof 895
Frankreich und Spanien 906
Sardinien 919
Das Römische Reich 921
Bayern 923
Sachsen 981
Preussen 932
Die Ansprüche auf Jägemdorf 987
Die Ansprüche auf Brieg, Liegnitz und Wohlau . . . 941
Schwiebus 946
Die ersten Könige in Preussen 960
England und die Generalstaaten 984
Russland und Schweden 986
Die politische Yorbereitnng zum Kriege 991
Anhang.
I. Sanctio Pragmatica über die Erbfolge des Durchlauchtigsten Ertz-
Hauses Oesterreich. Wien, den 19. April 1713. (Nach dem Supplemen-
tum Codicis Austriaci, Seite 688, 68i) 1099
II. Pragmatische Sanction. Publication in den österreichischen Nieder-
landen vom Jahre 1724. (Aus: „Die Staats-Grundgesetze und die
damit in näherem Zusammenhange stehenden Gesetze etc." Offi-
cielle Handausgabe der österreichischen Gesetze und Verordnungen,
3. Heft, 5. Aufl. vom Jahre 1882) 1101
III. Geheime Instruction für den Obersten von Camas, welcher an
den Hof von Frankreich in der Eigenschaft eines ausserordent-
lichen Gesandten geht. Ruppin, den 11. Juni 1740. Polit. Corresp.
König Friedrich d. Gr. I. 4 1104
IV. Churbayerisches Protest-Decret. München, den 8. November 1740.
Königlich bayerisches allgemeines Reichs-Archiv. Acta über den
österreichischen Successionskrieg 1 1106
V, Die Ergebnisse der Rheinsberger-Rerathung. 29. October 1740.
PoHt. Corr. I. 199 1107
VI. Instruction für den Grafen Gotter, Obersthof marschall, bei seinem
Abgehen an den Wiener Hof als bevollmächtigter Minister. Berlin,
8. December 1740. Polit. Corresp. I. 192 IUI
Vn. Königliches Rescript, welches unterm 29. December 1740 nach
Regensburg abgegangen. K. und k. Kriegs-Archiv. Oesterreichischer
Successionskrieg 1740, Fase. XID. 7 1115
Vin. Entwurf eines Defensiv-Alliance- Vertrages zwischen dem Könige
von Frankreich und dem Könige von Preussen. (Dem Herrn
Digitized by
Google
xxvn
IX.
^ XI.
^xn.
^xnr.
Seite
V. Valory zugesandt am 4. Januar 1741). Staate-Archiv in Paris.
Berlin. Valory 1741. Nr. 116 1118
Musterungs-Instruction ,.In was vor dem gegenwärtigen System
von Anbeginn der Regimenter bis 1748 das Agendum eines Enegs-
Commissarius bei den Musterungen hauptsächlich bestanden ist'\
K, A. Kanzlei-Archiv, III. 9 1122
Dislocation der kaiserlichen Armee beim Tode Carl VI. (20. October)
1740 ♦
Die österreichischen Infanterie-Begimenter in den Jahren 1786 bis
1748
Die österreichischen Cavallerie-Regimenter in den Jahren 1786 bis
1748
Oesterreichische Artillerie- und Zeugsvorräthe in den festen Plätzen
der k. k. Erbländer mit Ausnahme von Luxemburg, Italien (ausser
Mantua), Süd-Tyrol, Inner- und Vorder- esterreich um das Jahr 1740
Stärke des brandenburgisch-preussischen Heeres im Februar 1713
und im Mai 1740 . •
Uebersich t der preussischen Infanterie-Regimenter im December 1740
Uebersicht der preussischen Cavallerie-Regimenter im Jahre 1740
Etat de toutes les troupes de Son Altesse i^lectorale de Saxe,
comme elles se trouvent effectivement complötes pour Fannie
Gourante 1741. 14. Acut. Paris, Ministerium des Aeussem. Volume
Saxe 1740. 23
XVni. Stand der französischen Armee im December 1740
''XIV.
^XV.
v^XVI.
rxvn.
t
td
S
Genealogische Tafeln.
Seite
• Das Haus Habsburg von Rudolph 1 4
' Oesterreich von Ferdinand 1 896
' Spanien aus dem Hause Bourbon • 909
Bayem-Oesterreich 927
'Sachsen-Polen 983
^Brandenburg 936
TMe Piasten zu Liegnitz, Brieg und Wohlau 941
'Das Haus Witteisbach 968
' Die Jülich-Berg'sche Erbfolge 968
'Bussland 987
'Schweden 990
Graphische Beilagen.
^ Tafel I: üebersichtskarte der Habsburgischen Länder zur Zeit des Todes
Carl VI., 1740, mit innerer Eintheilung. 1 : 3,500-000.
^ ,. II: Europa. Politische Uebersicht zur Zeit des Todes Carl VI. I:9,4ß0.000.
m*
Digitized by
Google
xxvin
^ Tafel III: Dislocationskarte der kaiserlichen Armee beim Tode Carl VL, der
preussisclien, bayerischen, dann sächsischen Armee vor dem Aus-
bruch des Krieges. 1 : 3,600.000.
^ ., IV: Oesterreichische Truppen.
^ „ V: Preussische und sächsische Truppen.
V „ VI: Französische, bayerische, piemontesische und englische Truppen.
V , VII: Hypsometrische Karte der Kriegs-Schauplätze. 1 : 1,500.000 in vier
Blättern.
^ ., VIII: üebersichtskarte von Schlesien. 1 : 900.000.
Digitized by
Google
Die pragmatische Sanction.
österreichischer Erbfolgekrieg:, I. Bd.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Die herkömmliche Erbfolge.
jjOanctio pragmatica'* pfleget in jure publico nichts Anderes
zu heissen, als eine solche Art eines Gesetzes, worinnen des Be-
herrschers oder Regenten Gerechtigkeit (Recht) und Befugniss ent-
halten ist." *) Die von Kaiser Carl VI. gegebene Sanctio pragmatica
ist ein solches Gesetz über die Ordnung der Erbfolge im erzherzog-
lichen Hause Oesterreich und über die Untheilbarkeit der König-
reiche und Länder, welche dem Scepter dieses Hauses unter-
worfen waren.
Die Bestimmungen über die Erbfolge sind ein aus der Macht-
vollkommenheit des Hauptes der Dynastie hervorgegangenes Haus-
gesetz, die Bestimmungen über die Untheilbarkeit und das gegen-
seitige Verhältniss der Länder zu einander und zum regierenden
Hause wurzeln in den mit den Ländern erfolgten Verhandlungen
und sind daher nicht in einer einzelnen Urkunde zu suchen; die
Verhandlungen mit den fremden Mächten, um Einsprachen und
Angriffen gegen die getroffenen Einrichtungen vorzubeugen, erweitem
die Zahl der zu dem ganzen Staatsacte gehörigen Documenta
Wenn auch in der Regel das ProtocoU über die feierHche
erste Erklärung der geplanten Erb-Ordnung vom 19. April 1713
als „Haupt-Listrument" bezeichnet zu werden pflegt, oder eine
einzelne Formulierung, wie jene vom' 6. December 1724 in den
Niederlanden publicierte, als „Pragmatische Sanction" in der
„Officiellen Handausgabe der österreichischen Gesetze und Verord-
nungen, ni. Heft, Staatsgrundgesetze", ihren Platz gefunden hat,
so ist unter „Pragmatische Sanction Kaiser Carl VT." doch stets
der ganze Complex der auf die Darlegung und Durchführung der
Willensmeinung dieses Kaisers in Bezug auf Erbfolge und Untrenn-
barkeit der Länder bezugnehmenden Verhandlungen, Verfügungen
und Urkunden zu verstehen.
*) Unumstössliche Ausführung und rechtliche Grund-Ursachen der best-
stabilierten Erbfolge in dem Allerhöchsten Erzhause Oesterreich etc. 1740.
Digitized by
Google
„Der Inbegriff dieser einzelnen Kundgebungen, der 2ustini-
mungs-Urkunden der Königreiche Tmd Erbländer, wonach diese
auf spontane Trennung verzichten, aber auch vom Throne herab
die Zusicherung erhielten, dass sie nicht mehr unter die Sprossen
des Hauses getheilt werden, ist die pragmatische Sanction". ')
Die pragmatische Sanction trägt daher nicht nur den Charakter
eines Hausgesetzes, sondern wegen der Feststellung der Verhältnisse
der Erb-Königreiche und Länder unter sich und mit Ungarn, sowie
der Dynastie zu allen diesen Gebieten, ebenso den eines Staats-
grundgesetzes imd zwar des wichtigsten von allen.
Die "Wechselverbindung und die Erneuerung der älteren Erb-
verträge zwischen Ungarn, Böhmen und Oesterreich, welche König
Wladislaw H. von Böhmen und Ungarn zur Stärkung imd Siche-
rung seiner ungarischen Lande gegen die Ttirkengefahr sowohl, als
zu seiner eigenen gegen die mächtige Partei des siebenbürgischen
Wojwoden Johann Zapolya, mit dem habsburgisohen Kaiserhause
angestrebt hatte, waren durch die Vereinbarung einer Doppelehe
zwischen den Enkeln Kaiser Maximilian L, den Kindern Philipp
des Schönen, Ferdinand und Maria, mit König Wladislaw II.
Kindern, Anna und Ludwig, 1521 zu Stande gekommen. Nach.
dem Tode dieses Ludwig H., 1526 in der Schlacht bei Mohics,
nach schweren Kämpfen mit den Türken und Johann Zapolya,
der die Königskrone an sich gerissen, hatte König Ferdinand !•
endlich seine durch die Ehe mit Anna erworbenen Rechte zu be-
haupten vermocht und war am 3. November 1527 in Stuhlweissen-
biu*g zum König von Ungarn gekrönt worden.
Damit erschienen nun Ungarn, wie Böhmen, mit jenen Theilen
des römischen Reichs in einer Hand vereinigt, welche als Erbbesitz
einer deutschen habsburgisohen Linie bei der Theilung des Reichs
zwischen Kaiser Carl V. und seinem jüngeren Bruder Ferdinand
von dem älteren, nun die spanische Linie darstellenden, Hause ab-
getrennt worden waren.
König Ferdinand I. wurde von den ungarischen Ständen
zwar wohl in Würdigung und Anerkennung seiner Anrechte auf
die Krone, aber doch freiwillig zimi Könige gewählt. Im Jahre
1547 gaben die Stände jedoch die feierliche Erklärung einer imlös-
baren Verbindung mit dem König, wie mit seinen Erben, also dem
Hause Habsburg, ab: cum sese Ordines et Status regni non solum
*) Mayer, „Die letzten Habsburger'*, U. 81.
Digitized by VjOOQIC
K«»ifp
Jolf,
^akeo, f^est. 1289.
'arrlcida.
in:
182.
iria
Ernst der Eiserne,
geaU 1424.
Albreoht VI.,
Friedrich von Tyrol,
gest. 1499.
Slgismund von Tyrol,
gest. 1493.
na,
sa-
Margaretha,
gest. 1590.
Isabella, Ferdinand I., Maria, Katharina,
st. 15^. Gemahl: Kaiser, gest. 15^, renn. gest. 1666. Oemahl : gest. 1577.
nig Christian II. von mit Anna von Böhmen König Lndwig II. von
Dänemark. nnd Ungarn. Ungarn.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Majestät! suae sed etiam suomm haeredum imperio et potestati in
omne tempus subdiderint." *)
Mit dieser Anerkennung war nicht das überkommene Recht
der Wahl aufgegeben, wohl aber die Wahl auf das Haus Habsburg
beschränkt und sonach sonstigen gefährlichen Aspirationen ein Ende
zu bereiten versucht worden. Das Erbrecht des Hauses und das
Wahlrecht der Stände waren jetzt gleichmässig vertreten in den
Bedingungen zur Erlangung der Königskrone. Es bestand die
zweifellose Absicht, diese beiden grundlegenden Bedingungen
beiderseits stets im Einklang zu erhalten, aber es war eine natür-
liche Erscheinung, dass von Seite der Dynastie doch stets das
Hauptgewicht mehr auf das Erbrecht, von Seite der ungarischen
Stände mehr auf das Wahlrecht gelegt wurde. Die Klrönung der
folgenden Könige: Maximilian, wie Rudolf (als Kaiser H.), er-
folgte indessen ohne eigentliche Wahl, doch wurde bei Maximilian
auch vom Kaiser Ferdinand I. „Zustimmung, Wissen und Ge-
nehmigung" als erforderlich anerkannt und so das Princip eines
Wahlrechts keineswegs verneint, bei Rudolf aber von den unga-
rischen Ständen die rechtzeitige Vornahme der Wahl sogar selbst ge-
fordert und selbe sonach zwar ebenfalls grundsätzlich vorbehalten,
thatsächlich aber nicht wirklich vorgenommen, sondern die Krönung
ohne solche durch einen eigenen Landtag vollzogen.
Die Umwälzung, welche der erzwiangene Verzicht Rudolf H.
hervorgerufen hatte, äusserte ihre tiefe Wirkung auch auf die
Thronfolge in Ungarn. Die Haltung des Erzherzogs Matthias hatte
nicht dazu beitragen können, seine Stellung den Ständen des unga-
rischen Reichs gegenüber zu stärken, er musste ihre Mitwirkung
bei seinen Bestrebimgen eher durch ein grosses Entgegenkommen
zu gewinnen trachten. So trat im Jahre 1608 das Erbrecht gegen
das Wahlrecht ganz zurück und König Matthias wurde vom unga-
rischen Landtag in aller Form gewählt. Die Versuche des Kaisers
Matthias, für seinen zum Nachfolger bestimmten Vetter Ferdinand
von der steyerischen Linie des Hauses Habsburg, wieder mehr das
Erbrecht geltend zu machen, misslangen ebenso. Die vereinbarte
Formel, dass Ferdinand von den ungarischen Ständen „nach ihrer
alten Gewohnheit und immer beobachteteten Freiheit" einstimmig
zum König gewählt worden sei, ^ verhüllte einigermassen die
schärfer gewordenen Q-egensätze der Anschauung,
*) Hub er, Oesterreichische Reichsgeschichte, 128, nach „Monum.
comitialia Hungariae". UI, 135, Art. 5.
*) Hub er, Oesterreichische Reichsgeschichte, 190.
Digitized by
Google
Auch Ferdinand lU., sein Sohn Ferdinand IV., der noch
vor dem Antritte der Nachfolge früh verstarb und sein zweiter
Sohn Leopold I. wurden „gewählt", wenn auch ohne Widerspruch.
Ein anerkanntes Recht der Erbfolge in Ungarn nach der Erst-
geburt bestand aber noch immer nicht wirklich, bindend war
höchstens nur die Wahl aus dem Hause Habsburg.
Es darf nicht unbeachtet bleiben, dass diese bald verhüllteren,
bald sichtbareren Verschiedenheiten in der Auffassimg ihre Wurzel
wohl am wenigsten in besondem dynastischen Zielen oder etwa in
ständischen Freiheitsbestrebungen fanden. Der Einfluss der äusseren
Verhältnisse musste wohl mehr in das Gewicht fallen. Ungarn,
dessen ständische Rechte so sehr vertheidigt wurden, war fast bis
an die Raab und Gran türkisch, mit unsäglicher Mühe hielten die
Habsburger den schmalen Streifen ungarischen Bodens fest, der
noch übrig geblieben war und unausgesetzt drohte die Gefahr, auch
dieses und noch mehr von der nächsten Osmanenwelle weggerissen
und vernichtet zu sehen. Dabei aber richtete sich der Wider-
stand der Ungarn dennoch keineswegs gegen das siegreiche Türken-
thum, sondern immer nur gegen den einzigen und natürlichen
Beschützer des Landes, den König und seine österreichische Macht.
Das konnte hier verstimmen, aber es fehlten allerdings auch noch
die grossen kriegerischen Erfolge auf dieser Seite, welche das
königliche Uebergewioht hätten wirklich begründen können.
Doch auch diese erschienen endlich unter der Regierung des
standhaften Leopold I. Mit dem grossen Siegestage von Wien
1683 begann jene Reihe glorreicher Kriege, in denen des Kaisers
Heeresmacht und — es war bedeutsam für die ganze Lage — nicht
die eigene Kraft Ungarn dem Türkenthum entriss und Land
und Volksthum vor sicherem Untergange retteten für die deutsche
Cultur und freies inneres Aufblühen. Das konnte nicht geschehen
ohne manchen schmerzenden Eingriff, das Osmanenthum und nicht
weniger die Reformation hatten tiefe Wurzeln im Wesen des unga-
rischen Volkes geschlagen, aus denen nur Feindseligkeit gegen die
deutsche und katholische Dynastie zu erwachsen vermochte. Auch
dieses wurde einigermassen überwunden imd im Gefühle der endlich
erfolgten Rettung und wiedergewonnenen Freiheit erhob der
Landtag 1687 im Artikel H das unbedingte erbliche Recht des
Mannesstammes des ganzen Hauses Habsburg, nach dem Range der
Erstgeburt, auf die Nachfolge an der ungarischen Krone zum
bindenden Gesetze. Nur wenn der Mannesstamm ganz erlösche,
sollten die Stände wieder das Recht der Wahl besitzen.
Digitized by
Google
Das Gesetz war gegeben, aber noch fehlte viel an dem Ge-
horsam, den es zu beanspruchen hatte. Noch konnte der furchtbare
Aufstand eines Rdkoczy, im Bunde mit Türken und Franzosen,
alle diese theuer errungenen Eechte mit frevelnder Hand in Frage
zu stellen versuchen, noch konnte Franz Riköczy, angeeifert
durch Frankreich, auf dem „blutigen" Landtag zu Önod am 9. Juni
1707 es wagen ^), das Haus Habsburg der Krone Ungarns für ver-
lustig zu erklären und einen fremden Fürsten als Throncandidaten
zu proclamieren. Aber auch dieser Aufetand erlosch endlich wieder
unter der Wucht kaiserlicher Waflfen und kluger Politik wirklich
patriotischer Männer. Der Vertrag von Szatmdr 1711; und die
Capitulation auf der Ebene von Nagy-Majteny ^ schlössen diese
tragische Episode in der Geschichte Ungarns.
Als Gemahl der Tochter König Wladislaw H. von Ungarn
und Böhmen, trat König Ferdinand I. nach dem Tode König
Ludwig n. von Ungarn bei Mohäos, auch die Eegierung der
böhmischen Lande, 1526, durch Wahl der böhmischen Stände
an. Dieses Wahlrecht wurde aber bald und in entschiedener Weise
in Frage gestellt. Schon 1545 liess Ferdinand I. die Erklärung
in die Landesgesetze eintragen, dass seine Gemahlin Anna, als
Schwester König Ludwig H., von den Ständen als „wahre Erbin
und Königin" anerkannt worden sei. 1647 gelang es, diese Er-
klärung wirklich bei den Ständen als rechtsgiltig durchzusetzen
und 1549 wurde des Königs ältester Sohn Maximilian von diesen
als König „angenommen"; in derselben Form dann auch dessen
Sohn Rudolf 1575 und ebenso willig nach der Abdankung
Rudolfs sein Bruder Matthias. Erst bei der 1617 von Kaiser
Matthias an die böhmischen Stände gerichteten Aufforderung, den
Erzherzog Ferdinand von Steyermark zimi König „anzunehmen,
auszurufen und zu krönen", wurde noch ein schwacher Versuch
gemacht, das Recht der freien Wahl zur Geltung zu bringen, doch
gelang der Versuch nicht.
Zwei Jahre später, 1619, nahmen die böhmischen Stände ein
freies Wahlrecht wieder in Anspruch, indem sie Ferdinand H. als
abgesetzt erklärten und den Churflirsten Friedrich von der Pfalz
zum König wählten. Das wax ein Act revolutionärer Gewalt und
ohne rechtliche Bedeutung.
*) Feldzüge des Prinzen Eugen, DC, 5.
*) Feldzüge des Prinzen Eugen, XIII, 485.
Digitized by
Google
8
Die Besiegimg dieses Aufstandes in der Schlacht am weissen
Berge führte dann zur völligen Annullierung des unhaltbar ge-
wordenen Wahlrechtes. Kaiser Ferdinand 11. beschränkte in der
„Vemewerten Landesordnung" 1627 das Wahlrecht lediglich auf
den Fall, wenn vom königlichen Hause „eine Mannes- oder Weibs-
person" nicht mehr vorhanden sei. Die Huldigung sollte immer
nur noch dem „Erbherm" geleistet werden und die Stände wurden
nicht mehr zu einer Wahl oder Annahme, sondern nur noch zur
Krönung berufen. ^)
Die althabsburgischen Stammlande am Ober-Rhein, im Breis-
gau, dem Elsass und der Schweiz, das spätere „Vorder-Oester-
reich", bildeten den Besitz des Hauses ziu: Zeit, als Kaiser Rudolf I.
durch den Sieg auf dem Marchfelde über Ottokar H. die alten
Reichslehen Oesterreich, Steyermark, Krain und die Portenau dem
Reiche wieder zurückgewann und sie durch die Belehnung seiner
Söhne mit denselben, dem habsburgischen Besitze zuflihrte. Im
Frieden mit Kaiser Ludwig dem Bayer wurde 1336 Kämthen,
durch Vertrag mit Tyrol 1363 diese geftirstete Ghtrfschaft, durch
Erb vergleich Krain und die windische Mark gewonnen. 1382 stellte
sich Triest unter den Schutz Herzog Alb recht HI. Aus diesen
„Erbländem" war bei dem Theilungsvertrag der deutschen und
spanischen Linie des Hauses Habsburg der Besitz der ersteren ge-
bildet worden. Li allen diesen Ländern galt das Erbrecht des
Hauses Habsburg ohne jede Beschränkung durch die Stände, aber
das Erstgeburtsrecht so wenig, wie die Untheilbarkeit waren ge-
setzlich sichergestellt.
Nach dem Tode Ferdinand L, 1564, hatten sich drei regie-
rende Linien des Hauses Habsburg in Oesterreich gebildet, nach
mehreren Veränderungen vermochte es erst nach Kaiser Matthias'
Tod, Ferdinand H. von der steyerischen Linie, alle österreichischen
Königreiche und Länder wieder in einer Hand zu vereinigen und
er suchte nun die weitere Untrennbarkeit durch ein Testament
sicherzustellen. Dennoch aber hielt selbst Kaiser Leopold L noch
nicht unbedingt an dem Gedanken der Untheilbarkeit des Gesammt-
besitzes der österreichischen Erblande fest. Dieser Gedanke fand
nur eine erhöhte Festigung durch jene Lösung der spanischen
Erbfolgefrage, welche durch die Abneigung der Seemächte, den
*) Hub er, Oesterreichische Keichsgeschichte, 181.
Digitized by
Google
gajazen habsburgischen Besitz der deutschen und der nun aus-
gestorbenen spanischen Linie etwa in derselben Hand wieder ver-
einigt zu sehen, nothwendig geworden war.
Der Ausgleich wurde darin gesucht, dass der älteste Sohn
des Kaisers, Joseph, römischer König, mit der Kaiserkrone die
deutschen Länder des Hauses erben und hiefur auf Spanien ver-
zichten, während der zweite Sohn, Carl, König von Spanien
werden sollte.
Ein besonderer Vertrag Kaiser Leopold L und seiner beiden
Söhne Joseph und Carl, das „Pactum mutuae successionis" vom
12. September 1703 regelte die Nachfolge. Es sollte das Recht der
Erstgeburt gelten, der Mannesstamm in Spanien, wie Oesterreich
der weiblichen Descendenz stets vorausgehen, beim Erlöschen des
Mannesstammes der einen Linie dessen Länder an den nächst-
berechtigten Agnaten der anderen Linie fallen. Es wäre also, im
Falle Carl ohne männliche Nachkommen in Spanien gestorben
wäre, Joseph dessen berechtigter Erbe gewesen, wie uingekehrt
Carl im gleichen Falle jener Josephs auch wirklich wurde.
Bezüglich der weiblichen Nachfolge, im Falle sowohl von
Joseph, wie von Carl keine männlichen Erben vorhanden sein würden,
wurde jene, später zu so viel Zweifeln und Anständen^) Veranlassung
gebende Bestimmung eingefügt, dass in dem Rechte auf den Ge-
sammtbesitz des Hauses die Töchter Joseph's den Vorrang vor den
Töchtern Carl's haben sollten.
Das „Pactum mutuae successionis".
(Vertrag betreffs wechselseitiger Erbfolge.)
(12. September 1703.) >)
„Wir, Leopold etc., thun kund und bezeugen zu künftigem
Gedächtniss, dass Wir, indem Wir heute zugleich mit Unserem
erstgeborenen Sohne, dem römischen Könige und Könige von
Ungarn Joseph Liebden, die durch den Tod des allerdurchlauch-
*) Siehe : Der Wiener Hof und die Lage der europäischen Mächte
(Bayern, Sachsen).
•) Codex Austriacas, 111,684. Bei Fournier, Zur Entstehimgsgeschichte
der pragmatischen Sanction. (Lateinisch.)
Der Vertrag ist bereits vorher publiciert bei Lamberty, Memoires pour
servir k ITiistoire du XYm. si^cle U, 518 und von dort in die deutsche
Sprache übersetzt bei Olenschlager, Geschichte des Interregni 1,5. (Frank-
furt 1742.) Der hier wiedergegebene Text ist eine neuerliche Uebersetzung
nach dem lateinischen Texte bei Fournier.
Digitized by
Google
10
tigsten und grossmächtigsten Königs Carl n. von Spanien höchst-
seligen Angedenkens Uns zugefallene spanische Monarchie auf
Unseren zweiten Sohn, den durchlauchtigsten Erzherzog, jetzt
König von Spanien und beider Indien, Carl DI. Liebden, über-
tragen, nichts so sehr wünschen, als dass zum Wohle des gesammten
christlichen Erdkreises die beständige Eintracht zwischen allen
ünsem Nachkommen beider von Unseren beiden Söhnen abstam-
menden Linien durch keine Streitigkeiten und Uneinigkeiten er-
schüttert, sondern immerwährend erhalten bleibe und dass Wir zur
Erreichung dieses heilsamsten Zieles es flir besonders nothwendig
erachtet haben, noch offener auszusprechen, was Unser aller Ge-
sinnung in Betreff* der wechselseitigen Erbfolge immer war tmd
noch ist und zu deren genauen Befolgimg Uns und Unsere Nach-
kommen strengstens zu verpflichten. Um dies zu thun, werden Wir
nicht so sehr die bisher in Spanien bestehende Erbfolgeordnung
ändern, sondern vielmehr die aus der freiwilligen Cedierung der
spanischen Monarchie, welche ihren Gesetzen gemäss nach Uns
Unserem erstgeborenen Sohne, dem römischen Könige Joseph
und seinen Nachkommen vor Unserem zweiten Sohne, dem Könige
Carl und seinen Nachkommen gebührt hätte, hervorgehende Aende-
rung einigermassen einschränken und die ganze Angelegenheit so
ordnen, dass Wir sowohl den gemeinsamen Wünschen Europas
Rechnung tragen, als auch durch eine nach beiden Seiten billige
Erbfolge die Nachkommen Unseres erstgeborenen Sohnes desto
leichter zur willigen Einhaltung derselben vermögen, daher beide
Linien enger vereinigen und endlich die bedeutendste Handhabe
oder Gelegenheit zur Erregung ähnlicher Uebel, wie solche früher
oft fast den ganzen Erdkreis erschütterten und auch jetzt erschüttern,
so viel an Uns liegt, von Grund aus beseitigen. Wir bestimmen
also gemäss der vollzogenen Cedienmg der spanischen Monarchie
und des in der Cession selbst als Hauptpunct angenommenen
Uebereinkommens, setzen fest und erklären mit Willen, Zustimmung
imd Genehmigung Unserer beiden Söhne es als ein mit Gottes
HiUe für alle Ewigkeit giltiges Gesetz, dass in den zum spanischen
Reiche gehörigen Königreichen und Provinzen, ebenso wie in Unseren
anderen Erbkönigreichen und Ländern das Erbrecht Unserer männ-
lichen, in männlicher Linie aus legitimer Ehe entsprossenen (nicht
der legitimierten) Nachkommen allen weiblichen und deren männ-
lichen und weiblichen Nachkommen, welcher Linie oder welches
Grades immer stets vorangehe imd imter den Nachfolgern stets das
Recht der Erstgeburt berücksichtigt werde, so dass in jenen
Digitized by
Google
11
Reichen, welche im Besitze Unseres erstgeborenen 8ohnes
Joseph verbleiben, die Söhne desselben, in jenen aber, welche
Unserem zweitgeborenen Sohne, dem König Carl, überlassen
wurden, seine männlichen Nachkommen zuerst zur Erbfolge kommen
und in dieser Weise in beiden Linien fort, so lange diu*ch Gottes
Gnade beiderseits in männlicher Linie aus einer legitimen Ehe
entsprossene männliche Nachkommen vorhanden sein werden. Wenn
aber, was Gott abwenden möge. Unser Sohn K^nig Carl rH.
Liebden entweder ohne männliche in legitimer Ehe erzeugte Kinder
sterben oder deren in männlicher Linie abstammende, eheliche
männliche Naxjhkommen aussterben sollten, ob nun weibliche
Descendenten oder deren Kinder männlichen oder weiblichen Ge-
schlechts vorhanden sind oder nicht, dann soll die gesammte
spanische Monarchie und aUe zu ihr gehörigen und ihr unter-
worfenen Königreiche und Provinzen an Uns und Unseren erst-
geborenen Sohn und dessen ihn tiberlebende eheliche (nicht legiti-
mierte) Kinder und Nachkommen, gemäss der in unserem Hause
eingeführten und jetzt von Neuem bestätigten Erbfolgeordnung
sofort zurückfallen, jedoch so, dass, wenn eheliche Töchter Unseres
Sohnes König Carl III. oder seiner Nachkommen vorhanden sein
sollten, flir diese auf jene Weise gesorgt werde, wie es bisher in
Unserem Hause Sitte war; aber auch ihnen soll ihr Recht, welches
nach dem Erlöschen Unseres Mannesstammes und der weiblichen
Nachkommenschaft Unseres erstgeborenen Sohnes, welche jenen
(d. L den weiblichen Nachkommen Carl HI.) überall und
immer vorangeht, nach dem Rechte der Erstgeburt irgend ein-
mal zur Geltung kommen könnte, gewahrt bleiben. Wenn es da-
gegen, was die göttliche Güte gleichfalls verhüten möge, geschehen
sollte, dass Unser erstgeborener Sohn, der römische König Joseph,
ohne in legitimer Ehe erzeugte Söhne sterben sollte, oder dass
unter seinen Nachkommen in männlicher Linie keine ehelichen
männlichen Descendenten vorhanden wären, dann soll Unser Sohn
König Carl oder seine in männlicher Linie abstammenden ehe-
lichen (nicht legitimierten) männlichen Nachkommen nach der
Ordnung der Erstgeburt auch in allen Unseren anderen Erbkönig-
reichen und Ländern, welche bis dahin im Besitze Unseres erst-
geborenen Sohnes oder seiner ehelichen männlichen Nachkommen
waren, nachfolgen und bezüglich der überlebenden Prin-
zessinnen wird das zu beobachten sein, was in dem vorerwähnten
Falle festgesetzt wiu-de, indem ihr Erbrecht und das ihrer männ-
lichen Nachkommen beider Linien in allen Uns und Unseren
Digitized by
Google
12
NacKkommen gehörigen Königreichen, Provinzen und Herrschaften,
jenem aller in männlicher Linie abstammenden ehelichen männlichen
Nachkommen beider Linien immer nachsteht. Dagegen aber soll
weder Unser Sohn, der König Carl, noch seine Kinder oder Nach-
kommen welcher Art immer, sei es unter dem Namen einer Apanage
oder Unterhalts, sei es unter irgend einem anderen Namen oder
Vorwand, irgend etwas von Uns oder Unserm erstgeborenen Sohne
oder seinen Niachfolgem verlangen oder beanspruchen können oder
dürfen, sondern sie sollen mit der grossartigen Cession und
Ueberlassung der spanischen Monarchie zufrieden sein
und sowohl der König Carl, wie auch die ihm folgenden Könige
für ihre Söhne und Brüder, Töchter und Söhne selbst sorgen.
Ebenso soU in Betreff Unseres Sohnes, des Königs Joseph und
seiner Nachkommen bezüglich der cedierten spanischen Monarchie
das eben Gesagte gelten, unbeschadet des dem heUigen römischen
Reiche und den römischen Kaisern und Königen auf die vom
Reiche abhängigen Provinzen und Gebiete zustehenden offen-
kundigen Rechtes. Dadurch aber soU kein anderer Vertrag, Ein-
richtung, Gesetz oder Gewohnheit Unseres Durchlauchtigsten Hauses
oder der demselben unterworfenen Königreiche oder Länder, inso-
fern sie Unserer heutigen Cession und den darin ausgesprochenen
dauernden imd nothwendigen Bedingungen nicht widerstreiten und
desshalb in dieser Richtung aufgehoben sind, in irgend einer Weise
aufgehoben sein, sondern in anderen Stücken soUen derlei Verträge,
Anordnungen, Gesetze und Gewohnheiten ihre voUe und ganze
Geltung durchaus beibehalten.
Zu grösserer Bekräftigung Alles dessen haben Wir zugleich
mit deni durchlauchtigsten römischen Könige Joseph diese vor-
liegende Urkunde zugleich mit dem Cessions-Listrumente als dem
wesentlichsten TheUe desselben eigenhändig unterschrieben etc. etc.
Gegeben in Gegenwart der vornehmsten Würdenträger Unseres
kaiserlichen Hofös u. s. w. in Wien, den 12. September 1703."^)
Die Ereignisse auf dem spanischen Kriegsschauplatze Hessen
bald die Hoffnung, dass es Carl gelingen werde, in Spanien eine
österreichische Secundogenitur aufrechtzuerhalten, sinken. Kaiser
Leopold L griff mit Rücksicht hierauf in seinem Testamente vom
26. AprU 1705 wieder auf die alte Theilungsgewohnheit zurück.
Er wies Carl, falls er aus Spanien vertrieben würde, Tyrol imd
*) Hieran schliesst sich die Zustimmtmg König Carl TTT.
Digitized by
Google
13
die Vorlande zu, unter Abhängigkeit von dem Träger der Kaiser-
krone und des grossen Hauptbesitzes der deutschen Linie.
Die Verhältnisse gestalteten sich aber wesentlich anders und
alle Vorsorgen hatten eigentlich eine falsche Richtung eingeschlagen.
Wie sich die Dinge wirklich herausbildeten, wurde nun erst recht
eine Neu-Ordnung der ganzen Erbfolgefrage erforderlich und Kaiser
Carl VI. konnte sich einer solchen, nachdem er als Nachfolger
seines rasch verstorbenen Bruders Joseph die römische Krone und
die österreichischen Königreiche und Länder, wie Ungarn über-
nommen hatte, nicht lange entziehen.
In dem Testamente Kaiser Leopold I. vom Jahre 1705 steht
auch von einem Vorrange der weiblichen Descendenz Joseph I. vor
jener CarFs schon nichts mehr. Es scheint dies nicht ganz zufällig
oder nur zur Vermeidung von Wiederholungen geschehen zu
sein. Der Kaiser rechnet hier bereits mit dem Verluste Spaniens.
,,So lang Unseres Erstgeboren Sohnes des Römischen Königs Liebden
Mannesstamm währet", soll Carl Tyrol und die Vorlande „für sich
und seinen Mannesstamm innehaben", sein Erbrecht für sich und
seinen Mannesstamm nach dem Aussterben des josephirdschen
Mannesstammes unverkürzt bleiben, „in jedwedem der beiden
unverhofften Fälle" aber dann die vorhandenen unversorgten
Töchter versorgt werden.
Wenn Carl das österreichische Erbe Joseph I. antrat, dann
waren die Töchter des Letzteren, Maria Josepha und Maria
Amalia, die „vorhandenen imversorgten Töchter'', weil auch
Lieopold I. dann nur noch eine directe weitere Erbfolge in der
carolinischen Linie vorausgesetzt haben kann.
Digitized by
Google
Das Entstellen der pragmatischen Sanction.
Als Kaiser Ferdinand m. 1657 starb und auch sein dritter
Sohn, der Hoch- und Deutschmeister Erzherzog C arl Joseph 1664 ihm
in das Grab folgte, ruhte der Bestand des habsburgischen Mannes-
stammes auf Kaiser Leopold I., Ferdinand's Nachfolger, allein.
Durch vierzehn Jahre, bis zur Geburt des Erzherzogs Joseph 1678,
aus dritter Ehe Leopold L erst, schwebte die Gefahr des Aus-
sterbens über dem kaiserlichen Hause- Und wiederum trat sie nahe,
als Kaiser Joseph L 1711 nach kurzer Krankheit starb und des
einzigen überlebenden männlichen Sprossen des Hauses, nunmehr
Kaiser Carl VI. Ehe noch kinderlos war. Wieder vergiengen fönf
Jahre in dieser steten Sorge.
Wie zu Kaiser Leopold's L Zeit, so musste auch jetzt der
Gedanke an eine weibliche Erbfolge ernster in das Auge gefasst
werden, aber Carl VI. zögerte mit Entschliessungen, die höchstens
zu Gunsten seiner beiden, noch im Kindesalter stehenden Nichten
Maria Josepha und Maria Amalia, der Töchter Kaiser
Joseph I. hätten gefasst werden können. Er hoffte auf eigene
Descendenz.
Diese jahrelang schwer empfundene Sorge um die Gestaltung
der Zukimft der Dynastie hatte aber auch den Ländern ihr weiteres
Schicksal nicht minder gefahrvoll erscheinen lassen. Nach dem
Aussterben des Hauses Habsburg im Mannesstamme war die Wahr-
scheinlichkeit eine fast greifbare, dass eine Auftheilung der Länder
an verschiedene Erben sich vollziehen werde. Eine Trennung der
Länder wäre nicht neu gewesen, aber sie ward früher wenig em-
pfunden, als die regierenden Linien doch alle demselben Hause
angehörten und die Hilfe der einen stets der anderen gewiss war.
Ein besonderes inneres Band verknüpfte die Länder nicht, sie er-
hielten sich ihre Eigenart Tind die Besonderheit ihrer Einrichtungen.
Digitized by
Google
15
Aber die iraohtentwicklung Frankreichs und der Pforte, die
stete Verbindung dieser beiden gefährlichen Mächte, die Umtriebe
derselben in Ungarn, das unaufhörliche Vordringen der Türken
gegen die deutschen Erblande hin, schufen eine Lage, die das
particularistische Interesse immer mehr zurücktreten machte gegen
das in der Noth erwachende Bedürfiiiss der Einigkeit und des
gegenseitigen Schutzes.
Eine rasche Wandlung war dies allerdings nicht und der
kleinliche Geist in den landständischen Vertretungen der Länder
haftete noch lange und tief trotz der aufsteigenden Gefahren. Aber
dennoch war die endliche gesetzliche Sicherung einer einheitlichen
Dynastie und der gegenseitigen Unterstützung der Länder, ihres
Zusammenbleibens also, nicht eine Frage nur eines dynastischen
bkteresses, sondern eine Lebensfrage auch für die Länder.
Sie musste früher oder später von einer dieser beiden Seiten
unbedingt aufgeworfen werden.
Beeilten sich aber die Landstände nicht, ihre Einigung herbei-
zuführen, so geschah dies auch nicht von Seite des kaiserlichen
Hauses. Auch hier waren noch manche Besorgnisse vor der Wieder-
kehr yon Zuständen zu überwinden, wie sie sich aus ständischen
Verbindungen und Einigungen zur Zeit des Kaisers Matthias
entwickelt hatten.
Die allgemeine Zustimmung zu der Einriohtxmg einer weiblichen
Erbfolge zu erlangen, schien dagegen nicht aussichtslos; in der
langdauemden Sorge über das Aussterben des Majinesstammes
hatte man sich in allen Ländern so ziemlich mit diesem Gedanken
vertraut gemacht. Li Böhmen war er ohnehin historisch begründet
und nicht gegen die Anschauungen des Landes, in Ungarn war
erst vor wenig Jahren die Türkenherrschaft zusammengebrochen
und auf den Trümmern, die sie in diesem Lande hinterlassen hatte,
wüthete wiederum jahrelange blutige Empörung, die auf Verdrängung
des Kaisers, des Befreiers vom Türkonjoch, abzielte imd den Wieder-
aufbau des Zerstörten, das iiihige Aufblühen des Landes noch für
langehin unmöglich machte. Es lässt sich fast sagen, dass unter
diesen Umständen in Ungarn manche Frage dem öffentlichen
Lateresse näher lag, als die weibliche Succession im regierenden
Hause.
War sonach in der eigentlichen dynastischen Frage eine be-
sondere Schwierigkeit kaum zu erwarten, so scheute man sich desto
mehr vor dem Aufrollen der staatsrechtlichen Fragen, vor dem
Versuche, Einigungen unter den Ländern herbeizuführen.
Digitized by
Google
16
Dennoch wurden für einzelne besonders gefährdete Länder
solche allmählich ein unabweisbares und dringendes Bedtirfhiss. Noch
standen die Türken an der Save, Theiss und Maros, jeder Augen-
blick, jede Wendung des Kriegsglücks in dem grossen Kampfe um
die spanische Erbfolge konnte ihre verheerenden Schaaren wieder
die Grenzländer überfluthen lassen ; die croatischen und slavonischen
Länder besonders hatten Ursache genug, der einzigen Hilfe sich
zu vergewissem, die ihnen in dem langen Eingen gegen das Bar-
barenthum zu Theil geworden und die auch ihre einzige Hoffnung
bilden konnte bei neuer Bedrohung: die deutschen und besonders
die innerösterreichischen Länder.
Die croatisch-slavonischen Stände erklärten daher im März 1712
aus eigenem Entschluss ihre Bereitwilligkeit, im Falle des Aus-
sterbens des habsburgischen Mannesstammes die Thronberechtigung
der weiblichen Descendenz anerkennen zu wollen, jedoch nur jener,
die das Erzherzogthum Oesterreich und die innerösterreichischen
Länder Steyermark, Kämthen und Krain besitzen und in Oesterreich
wirklich residieren werde.
Die Stände hatten damit einen Schritt gethan, welcher ihrer
Lage imd der praktischen Nothwendigkeit entsprach; eine De-
putation aus ihrer Mitte sollte den Beschluss dem Kaiser in Wien
selbst überbringen und ihn der Treue der Croaten und Slavonier fiir
das Haus Habsburg versichern.
Der Beschluss der croatisch-slavonischen Stände zielte in letzter
Linie auf eine völlige Vereinigung der Königreiche mit den inner-
österreichischen Landen ab. Die Steuer- und Menschenkraft dieser
Länder bot eine bereits reichlich erprobte Unterstützung für die
exponierten G-renzlande, während die staatsrechtliche Verbindung,
in der sie mit dem Königreiche Ungarn standen, unter den Ver-
hältnissen dieser Zeit für sie völlig werthlos war. Die bisherigen
Erfahrungen hatten bewiesen, dass die Ungarn immer eher bereit
waren, sich mit den Türken zu verbünden, als sie zu bekriegen.
Aber die Croaten verfolgten dabei doch auch noch weitere
Zwecke. Ihr Beschluss sollte zugleich überhaupt eine entschiedene
Demonstration gegen das Band sein, welches sie mit Ungarn ver-
knüpfte und eine Kundgebung zu Q-unsten eines eigenen freien
Wahlrechts, das ihnen doch nicht so unbedingt zuerkannt
werden konnte. Dem Einwurf, dass sie, als ein Theil Ungarns,
nicht berechtigt seien, aus eigenem Antrieb und für sich allein
über die Thronfolge zu beschliessen, antworteten sie in einer Adresse
an den Kaiser mit Entschiedenheit: „Wir sind, den Gesetzen nach.
Digitized by
Google
17
angegliederte Theile Ungarns, aber wir sind nicht seine Unter-
thanen und seit Alters her haben wir eigene, nicht ungmsche
Könige gehabt."^)
Ob die croatisch-slavonischen Stände einen ungarischen Protest
geradezu herauszufordern beabsichtigten, ist wohl nicht festzustellen,
dass aber ihr Schritt bei der so verschiedenen Denkungsweise der
Ungarn nicht ohne sofortige Beschwerde bleiben werde, erkannte
Kaiser Carl VI. wenigstens recht wohl.
' Für ihn wurde der Beschluss der Croaten eine directe Ver-
legenheit. Die ungarischen Stände tagten zur Zeit in Pressburg, Das
Vorhaben der Croaten erregte hier sofort die Gemüther lebhaft; über
die politische Tragweite, welche dasselbe gewinnen konnte,war Niemand
im Zweifel und ein entschiedenes Auftreten dagegen wurdebeschlossen.
Im Namen der Stände, wie im eigenen, wandte sich auch schon
am 10. April 1712 der Cardinal-Primas von Ungarn, der Herzog
von Sachsen-Zeitz an den Kaiser, um Einsprache gegen das
Vorgehen der Croaten und Slavonier zu erheben.
Dass der Kaiser dem Beschluss der Croaten ferne stand, wie
dieser Protest des ungarischen Primas voraussetzen zu müssen er-
klärte, war gewiss, das Anerbieten jedoch einfach abzuweisen oder
mit Stillschweigen zu übergehen, verbot doch die Staatsklugheit;
die gezeigten patriotischen Empfindungen der Croaten zu verletzen,
lag kein Grund vor. Den Schein einer Stellungnahme gegen
Ungarn wollte der Kaiser indessen auch nicht auf sich laden. Es
wurde also geplant, sich in der Frage zuerst mit einigen ungarischen
Dignitären zu besprechen, den Croaten aber sollte unter An-
erkennung ihrer Anhänglichkeit erklärt werden, dass es imvermeidlich
sei, „auch die Zustimmung der Ungarn zu dem, was sie beschlossen,
einzuholen". Es sei dies der einzige Weg, um die „altherkömmliche
enge Verknüpftmg der beiden Königreiche Ungarn und Croatien
im Interesse Beider" zu festigen.
Die Besprechung mit den ungarischen Vertrauensmännern fand
im Juli 1712 in einer Conferenz unter dem Präsidium des Palatins
Fürsten Paul Esterh&zy in Pressburg statt, zu welcher von
Wien der Geheime österreichische Hofkanzler Friedrich Freiherr
V. Seilern delegiert wurde. Seilern war stets für eine entschiedene
Inangriffnahme der Lösung der Successionsfrage gewesen, aber er
wollte, so wie der Kaiser selbst, die Angelegenheit stets nur als
*) Bidermann, Geschichte der Gesammtstaats-Idee, 11, Anmerkg. G4 zum
in. Ahschnitt. 229.
Österreichischer Erbfolgekrieg. I. Bd. o
Digitized by
Google
18
reine Interessenirage der Dynastie betrachtet wissen und sträubte
sich gegen das Hervorkehren der staatsrechtlichen Seite. Der Be-
schluss der croatisch-slavonischen Stände hatte nun aber gerade
diese Seite in den Vordergrund gebracht und ihre Behandlung im-
vermeidlich gemacht, die Ungarn aber fassten die Sache eigentlich
ausschliesslich vom staatsrechtlichen Standpuncte auf.
Für die Annähme der weiblichen Erbfolge fand Seilern im
Allgemeinen eine nicht gerade ungünstige Stimmung bei der Con-
ferenz, aber die ungarischen Magnaten stellten doch sofort Be-
dingungen, welche in Wien als unannehmbar und als eine kaum
verhüllte Ablehnung der geschehenen Proposition angesehen werden
mussten. Es wurde verlangt:
1. Gütliche Vereinigung der Herrschaftsansprüche der ge-
sammten weiblichen Deseendenz des Hauses in einer einzigen
Prinzessin, so zwar, dass der mit solcher Machtvollkommenheit aus-
gerüstete (weibliche) Thronfolger und jeder nach ihm alle Erblande
einschliesslich des Königreichs Bölmien mit Schlesien und Mähren
einheitlich und untheilbar (auch mit Ausschluss jeder Abtretung)
besitzen und beherrschen solle, gleichwie es bei Leopold I. und
Joseph I. der Fall gewesen und beim dermaligen Monarchen
(Carl VI.) abermals zutraf. Damit aber dieser unlösbare Zusammen-
hang ein desto gesicherterer sei, sollten die Erblande *) in Form eines
unter sich zu schliessenden Bündnisses vertragsmässig feststellen,
dass sie sämmtlich mu* unter Einem Herrscher aus der Mitte der
weiblichen Deseendenz beisammen bleiben, furderhin nur von Einem
regiert und verwaltet sein wollten. Grelegentlich dieses Bundes-
vertrags müsse auch gleich ermittelt werden, mit welchen Bei-
trägen jene Länder in Kriegs- und Friedenszeiten sowohl am
Unterhalt der in Ungarn liegenden Militärgamisonen, als auch an der
Erhaltung der Militärgrenze gegen die Türkei sich zu .betheiligen
bereit wären.
2. Baldige Vorlage des Bundes veitrages und der eben er-
wälinten Zusicherungen, dann der Verzichte der Thronanwärter
(zu Gunsten des einen Herrschers) an den ungarischen
Landtag.
3. Ausstellung eines unwiderruflichen Diplomes im Namen
der zur Thronfolge berufenen Prinzessin, womit die Stände Ungarns
und der Kebenländer über die Aufi'echterhaltung aller Gesetze, Rechte,
>) Hiebei sind aber die Länder der ungarischen Krone nicht mitzu-
verstehen.
Digitized by
Google
19
Freiheiten, Privilegien, Statuten und Rechtsgewohnheiten beruhigt
und namentlich versichert würden, dass das Königreich Ungarn
nie nach Massgabe der in den übrigen Erbländem bestehenden
Einrichtungen, sondern stets nur nach seinen eigenen, unter Mit-
wirkung des Landtages zu Stande zu bringenden Gesetzen regiert,
und verwaltet, auch dessen territoriale Integrität hergestellt und
fortan geachtet werde.
4. Anerkennung des Palatins als Desjenigen, der nach den
ungarischen G-esetzen allein befugt sei, während der Minderjährigkeit
des Thronfolgers die Regentschaft zu fuhren, so dass also namentlich
ein fremdländisches Ministerium hievon ausgeschlossen erscheint.
5. Weibliche Thronfolger dürfen nur im Einklang mit den
Wünschen aller Königreiche und Provinzen, sonach insbesondere
auch Ungarns und der Nebenländer sich vermählen." ^)
Für den Fall, dass der Aveibliche Thronfolger beim Regierungs-
antritt bereits verheirathet wäre, stellte die Palatinal-Conferenz unter
der Voraussetzung, dass der Gemahl der Königin sich zur katho-
lischen Religion bekenne, demselben königliche Ehren und den dem
König schuldigen Gehorsam, selbst die Königskrönung in Aussicht
Von Gegenleistungen für die übrigen Erbländer, von einer Ver-
pflichtung, auch für sie ebenso mit allen Mitteln einzustehen, wie
es von ihnen zu Gunsten Ungarns gefordert wurde, geschah keine
Erwähnung. Was also wirklich erfolgt war, bestand in einer das
freie Bestimmungsrecht der andern Erbländer tief verletzenden,
aber als Bedingung des Verbleibens unter derselben Dynastie mit
ihnen, sobald dieselbe durch einen weiblichen Regenten vertreten
sein würde, aufgestellten Forderung zu einer Einigung der nicht
ungarischen Erblande, zu ihrer Verpflichtung, Ungarn militärisch
und materiell zu unterstützen. Fiel hier die Rücksicht auf die Rechte
der Erblande in das Gewicht, so waren auch die beschränkenden
Forderungen an die Dynastie selbst nicht geeignet, ein Eingehen
auf die Absichten der Palatinal-Conferenz leichthin zu empfehlen.
Unter diesen Umständen berief der Kaiser am 18. Juli den
Hofkanzler wieder ab, „die Sache erscheine nicht spruchreif und
möge vertagt werden''.
Das Einbeziehen der staatsrechtlichen Frage hatte die An-
gelegenheit sehr compliciert und schwer lösbar gemacht. Die Be-
stimmung der einfachen Erbfolge-Ordnung in seinem Hause und
Besitz erachtete der Kaiser als eine nur von ihm allein abhängige
') Bidermann, Gescliichte der östeiT. Gesanuntstaats-Idee, II, 42.
2*
Digitized by
Google
Sache, als eine persönUclie Aufgabe des regierenden Herrn, welche
keinerlei Mithilfe und Bewilligung von Seite der Stände oder Länder
bedürfe. Hausgesetze zu erlassen oder vorhandene zu ändern, aufeu-
heben oder zu vervollständigen und zu erweitem, erschien ihm als eia
absolutes Recht des Familienhauptes und wenn er diese nothwendig
gewordene neue Nachfolgebestimmimg auf die älteren Hausverträge
zu stützen gedachte, so geschah dies nicht, weil er sich zu deren
Abänderung nicht als berechtigt ansah, sondern weil er sich in
seiner Rechtsanschauung einig wusste mit den leitenden Gedanken
und Grundsätzen jener älteren Familienbestimmungen.
Hausgesetze eines fürstlichen Hauses sind Ergebnisse von
Umständen und Verhältnissen, welche eine Regelung nothwendig
machen; sie sind nicht, wie die allgemeine staathche Gesetzgebung,
das Product eines stetig sich entwickelnden und fortschreitenden
Rechtslebens. Hausgesetze bedürfen daher einer Fundierung durch
früher schon bestehende besondere Rechtsacte nicht unbedingt, sie
können ebensowohl aus dem augenblicklichen Bedürfniss entstehen,
ohne danmi geringeren Werthes zu sein.
Es ist auch wirklich keineswegs nothwendig, die pragmatische
Sanction in einen directen Zusammenhang mit dem „Pactum mutuae
successionis'' von 1 703, mit dem Testamente L e o p o 1 d I. von 1 705 oder
dem Testaments-Entwurf Carl VI. von 1711 zu bringen. Die innere
Ueb ereinsti mmimg aller dieser Acte in Bezug auf die unbedingte
Anerkennimg des Thronfolgerechts des Mannesstammes des eigenen
Hauses und weiter in diesem, wie in etwa folgender weiblicher
Linie das Recht der Primogenitur, beweist nur die im Kaiserhause
vorhandene feststehende Ueberzeugung von der Richtigkeit und
Gerechtigkeit dieses Princips und von der Unzulässigkeit, fremde
oder neue Anspi*üche in die Thronfolgeordnung lüneinzutragen.
Diese Einheitlichkeit der Anschauung gibt der Sache ein mora-
lisches Gewicht, welches für ihre Würdigimg von besonderem
Belange ist.
Um nun die Angelegenheit aus dem gefahrdrohenden staats-
rechtlichen Fahrwasser entschieden und kurz in das sicherer er-
scheinende Geleise der dynastischen Hausgesotzgebung zu leiten,
entschloss sich Kaiser Carl VI. zu einer persönhchen Manifestation
am 19. April 1713. An diesem Tage fand eine feierHche Versammlung
aller Geheimen Räthe in der Geheimen Rathsstubo der Wiener Hofbiu'g
statt. Es waren anwesend : Feldmarschall und Hofkricgsrath-Präsident
Prinz Eugen von Savoyen; der Fürs terzbischof von Wien,
Digitized by
Google
21
Fürst Trautson; Fürst Schwarzenberg; der niederöster-
reichische Landmarscliall Graf Traun; der Obersthofmeister der
verwittweten Kaiserin E 1 e o n o r a, Graf T h u r n ; der Oberststall-
meister Graf D ietrichstein; der Obersthofkanzler Graf S e i 1 e r n ;
der Hofkammer-Präsident Graf Starhemberg; Graf Martinitz;
der Vice-Präsident des Hofkriegsrathes Graf Herberstein; der
Obersthofkanzler von Böhmen Graf S c h 1 i k ; Eeichs-Vice-Kanzler
Graf Schönborn; der Erzbischof von Valencia; der spanische
Geheim-Secretär Marchese Romeo; der Oberstkämmerer Graf
Sinzendorff; der Obersthofineister der verwittweten Kaiserin
Amalia, Graf Paar; der Vice-Präsident des Reichs-Hofrathes
Graf Philipp Ludwig Sinzendorff; der Judex curiae in Ungarn
Graf Nicolaus Pdlffy; der ungarische Kanzler Graf Nicolaus
lUeshdzy; der niederösterreichische Statthalter Graf K h e v e n -
h ü 1 1 e r ; Graf G alias; der Oberststallmeister der Kaiserin Amalia,
Graf Salm; der Siebenbtirgische Vice-Kanzler Graf K o r e i s ; als
Protokollführer fungierte Hofrath von Schickh.
Der Kaiser Hess das bisher geheim gehaltene „Pactum mutuae
successionis^' verlesen und fiigte dann bei :
„Es sei aus denen abgelesenen Instrumentis die richtige und
beschworene Disposition und das ewige Pactum mutuae successionis
zwischen beiden Joseph- und CaroKnischen Linien zu vernehmen
gewesen, dass daher nebst und zu denen von weiland Ihro kaiser-
Uchen Majestäten Leopoldo und Josephe höchstseligsten Ge-
dächtniss, Ihrer kaiserlichen Majestät (Carl) übertragenen Erb-
Königreiche und Länder nimmehr nach Absterben weiland Ihres
Herrn Bruders Majestät und Liebden ohne männliche Erben, auf
Ihro kaiserliche Majestät (Carl) auch alle dessen hinterlassene
Erbkönigreiche und Lande zufallen und sämmtlich bei Ihren ehe-
lichen männlichen Leibes-Erben nach dem jure primogeniturae, so
lange solche vorhanden, unzertheilt zu verbleiben haben, auf Ihres
männlichen Stammes Abgange aber, so Gott gnädig abwenden wolle,
auf ehelich hinterlassende Töchter, allezeitnachOrdnungund
Recht der Primogenitur, gleichmässig unzertheilt kommen;
ferner in Ermanglung oder Abgang des von Ihrer kais. Majestät (Carl)
herstammenden ehelichen Descendenten mann- und weiblichen Ge-
schlechtes dieses Erbrecht aller Erb- Königreiche und Lande unzer-
theüter auf Ihro Majestät Herrn Bruders Josephi kais. Majestät
und Liebden seligsten Gedächtnisses nachgelassene Frau Tochter
und deren eheliche Descendenten wiederum auf obige Weise nach
dem jure primogeniturae fallen, eben nach diesem Rechte und
Digitized by
Google
22
Ordnung auch ihren Frauen Erzherzoginnen all' andere Vorzüge
und Vorgänge gegenwärtig zustehen und gedeihen müssten." *)
Damit hielt der Kaiser die entscheidenden Grundsätze eben
jenes Familienvertrags vom 12. September 1703, den er eben hatte
publicieren lassen, aufrecht: 1. Die Primogenitur, 2. die Untheü-
barkeit der Länder, 3. das Nachfolgerecht der Frauen. Es muss in
das Auge gefasst werden, wie denn in dieser Zeit die Lage war
und wie sie sich in den Erwägungen des Kaisers ihm darstellen
musste.
Carl VI. war siebenundzwanzig Jahre alt, er hatte vor zwei
Jahren bereits Spanien und dort seine Gemahlin verlassen, welche
bis nun die Regierung und den Kampf für das Recht ihres Ge-
mahls an das spanische Erbe gefuhrt hatte imd gerade in diesen
Tagen rückkehrend, sich bereits in Mailand auf der Heimreise be-
fand. Noch war die Ehe kinderlos, aber es war kein Grund vor-
handen, nicht auf jene „ehelichen männlichen Leibes-Erben" zu
hoffen, denen das Gesammtreich auch weiterhin unzertheilt zu
verbleiben habe.
Es muss auch beachtet werden, dass Carl VI. noch nicht
auf die spanische Krone verzichtet hatte und dass er daher unter
den von Leopold I. und Joseph I. ihm „übertragenen Erb- König-
reichen und Ländern" den spanischen Besitz des Hauses versteht, „zu
denen'' nun auch nach J o s e p h I. ,,aUe dessen hinterlassene Erb-
Königreiche und Lande", also der österreichische Besitz des Hauses,
gefallen. Das Anrecht auf dieses Gesaromterbe wahrt er seinen
männlichen Descendenten, ganz im Sinne des Pactums, wie in dem
des Testaments Leopold L, welche zunächst die üntrennbarkeit
des österreicliischen Besitzes bestimmen, aber auch die Wieder-
vereinigung des ganzen habsburgischen Erbes, des spanischen, wie
des österreichischen, in Aussicht behalten hatten.
Für dieses Gesammterbe waren augenblicklich nur die Töchter
Joseph I. ganz entsprechend dem „Pactum", als erbberechtigt anzu-
sehen und Carl VI. wahrte das Piincip der Primogenitur auch hier
schärfstens, indem er in seiner Anrede nur von J o s e p li I. „nachge-
lassener Frau Tochter und deren ehelichen Descendenten" spricht, also
nur von der altem, zur Zeit vierzehnjährigen Maria Joseph a. Er
Hchliessfc damit jede neuerliche Tlieilung des Erbes aus, Spanien,
wie die österreicliischen Lande bildeten somit das Object des Erb-
anspniclis für diese Erzherzogin, \venn jetzt auch Kaiser Carl VI.
*) Anhang 1.
Digitized by
Google
23
starb. Dieser Anspruch trat zunächst zurück, sobald des Kaisers
Ehe einen männlichen Sprossen erblühen Hess, aber der Kaiser
handelte ganz im Sinne des Grundsatzes der Primogenitur, wenn
er auQh seine eigene etwaige weibliche Descendenz als die „nach
seines männlichen Stammes Abgang" zuerst erbberechtigte bezeichnet
und nun fiir diesen Fall die Tochter Joseph's in die zweite
Linie stellt.
Die Primogenitur eines Hauses wird gerechnet von den Kindern
des vorhandenen Familienhauptes ab nach der Reihe ihres Lebens-
alters, zuerst die männlichen, dann die weiblichen, die weiblichen
Kinder des verstorbenen Bruders gehören aber nicht in diese erst-
berechtigte Reihe.
Sobald die neue männliche Linie wirklich Besitz ergriff von
dem Erbe, eröflnete sie auch eine neue Rechtsnachfolgerschaft in
ihren eigenen Descendenten.
Der Anspruch der Erzherzogin Maria Josepha auf das
Gesammterbe blieb, wie ein neuerer österreichischer Historiker
überzeugend darlegt,^) nur dann ein die Rechte der etwaigen weib-
Uchen Descendenz CarTs überwiegender, wenn das Aussterbendes
Mannesstammes beider Linien in einem so engbegrenzten Zeitraum
erfolgte, dass eine Besitzergreifung des Gesammt-Erbes durch den
überlebenden Mannesstamm gar nicht verwirklicht werden konnte
und daher zum Antritte der Regierung des Gesammtbesitzes nur
die österreichischen und die spanischen Erzherzoginnen vorhanden
waren. Dies ist doch wohl allein als der Sinn der leopoldinischen
Verfügung und des „Pactum mutuae successionis" anzusehen.
Den österreichischen Prinzessinnen und Töchtern des älteren
Bruders, der eben zu Gunsten des jüngeren auf seine spanischen
Rechte verzichtete, — der Grund oder die äussere Not-h wendigkeit
ist dabei gleichgiltig — sollte in diesem kritischen Falle ein Vor-
recht vor den spanischen zustehen und sich nicht etwa in Spanien
eine abgetrennte Weiberlinie bilden. Sobald diese Gefahr drohte, sollte
auch in späterer Zeit, wann immer (semper) und in welchem Uni-
fang (ubivis) der Gesammtbesitz beider Linien zu erben sei, der
josephinische Zweig vorangehen.
Trat aber, wie es jetzt wirklich geschah, der eine Mannes-
stamm das Erbe des andern wirklich und thatsäclilich an, so wäre
es gegen den Begriff der Primogenitur und der direct(Mi Erbfolge
*) Bach mann, Die pragmatische Sanction und die Erbfolge-Verfügung
Kaiser Leopold L „Jurist. Vierteljahrschrift.", XXVL N. F. X.
Digitized by
Google
24
gewesen, wenn ein Zweifel darüber zu erheben wäre, dass unbe-
dingt die Nachkommen dieses überlebenden Mannesstammes, männ-
lich und dann weiblich, die nächsten weiteren Erben seien.
Als dann später sogar der spanische Anspruch ganz aufgegeben
werden musste, vereinfachte sich die Frage. Als es keine spanische
Erzherzogin mehr gab, konnte die Erbfolge überhaupt nur noch
in gerader Descendenz gedacht werden.
Dieser letztere Fall lag noch nicht vor dem Kaiser. Er hatte
mit seiner Erklärung der Sorge des Augenblicks genügt — bei
der herrschenden Pest dachte Jedermann an baldiges Sterben, —
aber für dringend hielt er die Sache keineswegs, er hoffte auf eigene
Kinder, auf männliche Sprossen vielleicht, mit deren Erscheinen
die ganze Successionsfrage erledigt sein musste. Es blieb — und
auch wieder nur bis zur Geburt eines männlichen Erben — nur
noch nothwendig, für die in Ungarn möglicherweise anstössige weib-
liche Erbfolge die ungarischen Stände ohne lästige Bedingungen
zu gewinnen, aber der Eifer für dieses Unternehmen war noch
gering und das Bedenken gross.
Die Anwesenheit der ungarischen und siebenbürgischen
Würdenträger bei dem Acte der kaiserlichen Erklärung vom
19. April 1713 erwies zur Genüge, dass hiermit das Hausgesetz, die
„pragmatische Sanction" auch für Ungarn und Siebenbürgen pu-
bliciert und giltig erscheinen sollte. Trotzdem nahm man in Ungarn
nicht die Miene an, als bestehe jener ausgesprochene Wille auch
fiir Ungarn.
Im Jahre 1714 fragten ungarische Herren beim Wiener Hofe
an, an wen die älteste Tochter Joseph L, die Erzherzogin Maria
Joseph a, verlobt worden würde und ob deren zukünftiger Gemahl
dann als König anzusehen sei?^)
Bei so zweifelhafter Stimmung vermochte man sich in Wien
nicht zu entschliessen, die Angelegenheit vor den ungarischen Land-
tagzubringen. Ein Beschluss der geheimen Conferenz vom 1 6. März 1714
beantragte daher eine weitere Vertagung und der Kaiser stimmte
dieser Meinung genie bei.-)
1) Mayer, Die letzten Habsburger, 11, 72.
^) Seilern hatte wohl dafür gestimmt, mit der Erbfolgefrage offen
hervorzutreten. Die weibliclie Erbfolge könne aucli in Ungarn keine anzu-
zweifelnde sein, es handle sich höchstens mn die Ordnung, in welcher die
Erzherzoginnen auf den ungarischen Thron Anspruch machen könnten.
Sinzendorff pflichtete ihm bei und wollte den Landtag schon fiir den
August einberufen wissen, Starhemberg aber bezweifelte eine günstige
Digitized by
Google
Mit dem Absolüusse des Krieges um das spanische Erbe waren
die Grundlagen des Pactum mutuae successionis hinfällig geworden,
wie nicht weniger jene des Testaments Leopold I. Wohl war
der vorher bedachte Fall eingetreten, dass Carl den spanischen
Besitz nicht zu behaupten vermöge, aber die Dinge hatten sich
auch nicht so gestaltet, dass Carl hätte eine Entschädigung im Besitze
Tyrols suchen müssen. Es gab thatsächlich und bald darnach auch
rechtlich nur noch das österreichische Erbe des Hauses und
dieses besass nun Carl zugleich mit der römischen Kaiserkrone.
Die Geburt eines Sohnes, des Erzherzogs Leopold, am
13. April 1716 schien auch alle Schwierigkeiten zu ebnen, der
erwartete männliche Erbe war vorhanden und die gerade Erbfolge
des den Kaiser Joseph I. überlebenden carohnischen Stammes
schien nun völlig gesichert.
Diese Hoffiiung zerstörte der frühe Tod des Prinzen am
4. November desselben Jahres.
Als nun am 13. Mai 1717 die Erzherzogin Maria Theresia,
ajn 14. September 1718 die Erzherzogin Maria Anna geboren
wurde, erwachte die alte Sorge wegen der weiblichen Sucoession
in ihrem vollen Umfange wieder, noch verschärft und erweitert
dadurch, dass der Kaiser jetzt für die Sicherung der Thronfolge
Stimmung in Ungarn für die Angelegenheit. „Die wenigsten Ungarn würden
sich mit dem Gedanken, dass eine Frau den Thron besteige, befreunden. Viele
hegten Sjonpathien für den Chui'fürsten von Sachsen, Andere fiir den von
Bayern, so dass der Kaiser Gefahr laufe, noch bei Lebzeiten in Ungarn
gleichsam des Thrones verlustig erklärt zu werden." Die Churfürsten würden
Veranlassung nehmen, sich schon jetzt mit einer zukünftigen Kaiser wähl zu
beschäftigen, wenn sie sähen, dass man an der Hoffiiung, es könne dem re-
gierenden Kaiser noch ein männHcher Erbe geboren werden, geradezu ver-
zweifle. Fürst Trautson sprach gleichfalls für die Verschiebung.
(Bidermann, Entstehen und Bedeutung der pragmat. Sanction. Zeitschrift
für das private und öflfentiiche Recht der Gegenwart. 1876. 11. Band.) Die
Conferenz beantragte mit Rücksicht darauf, „dass diese Nation, wenigst der
Adel durchgehends und unter diesem auch sogar ein E. k. Maj. jederzeit treu
Verbliebener nicht ausgenommen, sich ohne Verhalt verlauten lassen, dass
sie sich zwar endlich in dieses Begehren zu willigen äusserUch anstellen, im
Herzen aber, wie sie sagen, niemalen aufrichtig dazu bequemen würden,
sondern beständig einen König, nicht aber eine Königin haben wollten," die
Erbfolgefrage von dem Programme der nächsten Landtags-Verhandlungen ab-
zusetzen, „wie geneigt nun auch hiezu neben dem Königreich Croatien
die Städte in Ungarn und die von protestierender ReHgion sich bezeigen".
(H. H. und St. Arch. Diaetalia 1707—1749.) Bidermann, Entstehen und
Bedeutung der pragmat. Sanction. Zeitschrift für das private und öffentliche
Recht der Gegenwart. 1876. 11.)
Digitized by
Google
20
seiner eigenen Tochter zu sorgen hatte und dass nun sogar
streitige Ansprüche zu versöhnen, nothwendig werden konnte.
Von dieser Zeit an gehört die politische Thätigkeit Kaiser
Carl VI. fast ausschliesslich den Bemühungen um die allgemeine
Anerkennung der Nachfolge seiner Tochter Maria Theresia.
Die Verhandlungen mit den Erbländem und Ungarn.
Welche vorbereitenden und ausgleichenden Schritte in diesen
Jahren gethan wurden, lässt sich nicht genau erkennen. Aber schon
die Vermählung der eigentlich allein etwa in Frage kommenden
ältesten Tochter des Kaisei*s Joseph L, der Erzherzogin Maria
Josepha am 20. August 1719 mit dem Churprinzen Friedrich
Augus t von Sachsen, nachmaligem Chiuf Urs tenFriedrichAugustn.
und als König von Polen August HI., war von einer in herkömm-
licher Form ausgestellten vöUigen Renunciation der Erzherzogin
begleitet, nach der sie „kraft der im Jahre 1713 errichteten Erb-
folge-Ordnung allen ihren Rechten und Ansprüchen auf die öster-
reichischen Länder entsagte und zwar nicht nur zu Gunsten der
männlichen Erben Carl VI., sondern auch der weiblichen Descen-
denten und der nachmaligen Erben derselben". Auch Churprinz
Friedrich August stellte die gleiche Verzichtleistung aus und
der Vorgang wiederholte sich am 5. Oetober 1722, als sich die zweite,
für die Succession allerdings neben ihrer älteren Schwester nicht
Ln Betracht kommende Tochter Joseph I., die Erzherzogin Maria
Amalia mit dem Churprinzen Carl Albert von Bayern vermählte.
Damit war so ziemlich Alles, was im Rahmen eines Haus-
gesetzes und zu seiner Durclifülining geschehen konnte, erschöpft,
aber nun fehlte noch der zweite wichtige Punct, die Sicherung der
üntheilbarkeit der sämmtlichen Länder, jene der ungarischen Krone
mit inbegriflen. Dies gieng über das ,, Hausgesetz" hinaus, eine
solche Union war niu: durch die volle Zustimmimg aller König-
reiche und Länder zu erlangen und eine Regienings vorläge, welche
von der Geheimen österreichischen Hofkanzlei ausgieng und am
19. Januar 1720 an die böhmische, ungarische und sieb enbürgische
Hofkanzlei, an den Obersten Rath in den österreichischen Nieder-
landen und an den Obersten spanischen Rath versendet wurde,
sollte diese Action einleiten. Diese obersten Stellen erhielten damit
Auftrag, jene kaiserliche Erklärung vom 11). April 1713 nunmelir
den Ständen der betreffenden Länder vorzulegen. Li dieser Vorlage
ist neben der Thronfblgefrage als Zweck der pragmatischen Sanction
Digitized by
Google
27
nun auch die bleibende unaullösliohe Verbindmig der Königreiche
und Länder bezeichnet und damit die eigentlich staatsrechtliche
Seite der Frage in Erwägung gestellt. Von dieser Union, wurde
betont, hänge das Wohl der Länder und der Ruhestand der Völker,
Stände und Unterthanen ab.
„Der Kaiser wende sich an die Stände aller von ihm be-
herrschten Länder mit dem väterlichen Anliegen und mildesten
Befehle, dass sie diese seine Anordnungen pflichtschuldigst und
bereitwilligst als eine unabänderliche, fiir alle Zukunft geltende
Norm entgegennehmen, auf den öffentlichen Landtagen verkünden
und unter allen Umständen befolgen."
Es war damit jener Forderung der Palatinal-Conferenz vom
Jahre 1712 nach einer Einigung der nichtungarischen Länder ent-
sprochen, wohl aber mit der Hoffnung, dann auch die Annahme
der pragmatischen Sanction als ungarisches Staatsgrundgesetz ohne
weitere erhebliche Schwierigkeiten von den ungarischen Ständen
erlangen zu können.
Die Zustimmimgs-Erklärungen der Länder sollten von jedem
unmittelbar dem kaiserl. Hause gegenüber abgegeben werden, aber
keineswegs eine wechselseitige Angelobung stattfinden. Damit war
sowohl jener „Länder-Congress" vermieden, der in diesen Jahren
von einem nicht genannten Staatsmann in einer Schrift angeregt
wurde ^), um „auch den gemeinen Mann zu Wort kommen zu lassen'^
als auch der Eingriff in das Selbstbestinmiungsrecht der einzelnen
Erbländer, wie er in der Forderung der Palatinal-Conferenz vom
Jahre 1712 unzweifelhaft vorhanden war, glücklich umgangen.
Der Gedanke einer engeren Verbindung der Länder unter sich,
die naturgemäss dann doch auch zu einem „Länder-Congress" hätte
fuhren müssen, fand indessen doch noch eine Vertretung in der
Erklärung der niederösterreichischen Stände, bei denen auch unga-
rische Magnaten, der Judex curiafe Graf Nicolaus P&lffy, Graf
^) Niederösterr. Landes-Archiv, Handschrift Nr. 143. Bid ermann, Ge-
schichte der österr. Gesammtstaats-Idee, II, Anmerkungen zum III. Abschn.
48, weist auf die Möglichkeit hin, dass der Hofkammerrath v. Palm, jener
hochbedeutende Vertraute des Prinzen Eugen vonSavoyen um das Jahr 1719
oder 1720 der Verfasser sei. Wäi-e dies der FaU, so könnte bei der vertrauton
Verbindung Palm's mit dem Prinzen Eugen fast angenommen werden, dass
der Prinz diesem ersten Gedanken an eine gemeinsame Reichsvertretung
nicht ferne gestanden sei. In Bezug auf die Finanzverwaltvmg hatte Graf
Starhemberg übrigens schon im Jahre 1714 eine „Haupt-Einrichtungs-
Deputation", aus Delegierten aller Landtage, zu der auch „Vertreter des
gemeinen Mannes evociert werden" sollten, vorgeschlagen.
Digitized by
Google
28
Ludwig Batthydnyi und Marcus Graf Szobor als Landschafts-
Mitglieder mitstimmten. *)
Ein ausserordentlicher Landtag trat am 22. April 1720 zu-
sammen und am 30. April überbrachte eine Deputation desselben,
unter Führung des Landmarschalls Grafen Harrach, den Landtags-
beschluss dem Kaiser, „dass, wenn Ihre Römische Kaiserliche
Majestät ohne männliche Erben dereinst mit Tod abgienge, sämmt-
liche Erbkönigreiche und Lande auf Dero älteste Erzherzogin
Maria Theresia und Dero Erben gelangen sollten''. Aber die
Stände legten es des Kaisers „höchster und allerweisester Penetra-
tion weiters zu überlegen anheim", ob nicht, „da alle Erbkönig-
reiche und Lande, wie man nicht zweifelt, ihre unserer gleiche
einmüthigste und willfährigste Erklärung Ew. Kaiserl. Majestät
überreichet haben werden, auch eine solche Erbverbrüderung
weiters zu errichten wäre, dass solche Länder es nicht allein Ew.
Kaiserl. Majestät als Unserem und der ganzen Christenheit zeit-
lichem Oberhaupt angelobten, sondern dass ein Land das andere
zu dessen Manutenenz weiters animieren und auf allen, wider
bestes Verhoffen sich bezeigenden widrigen Fall, die allein zu Be-
hauptung der eingefiihrten Successions-Ordnung nöthige Assistenz
an einander auf das Allerverbindlichste versprächen, garantierten
und angelobten."' ^
Der Antrag entsprach einer aufrichtigen und loyalen Meinung,
denn die Stände bewiesen mit ihrem Wunsche nach einer Erb-
verbrüderung mit allen habsburgischen Ländern, bei denen hier
auch Ungarn mitgemeint und mitgezählt ist, eine bemerkenswerthe
Selbstlosigkeit.
Die Stimmung war sonst keine Ungarn sonderlich günstige
bei den Niederösterreichem gewesen imd die Klagen und Beschwerden
wegen Beeinträchtigung des Territoriums durch Abtrennung von
Herrschaften, welche als Pfandobjecte an die österreichischen
Fürsten gekommen, von den Ungarn aber im Liaugural-Diplom
Ferdinand II. von IG 18 zum „Lohne für die dem Hause Oester-
reich von den Ungarn bezeigte Zimeigung" gratis zurückverlangt
worden waren ^), wie nicht minder wegen Rechtsverweigerungen
^) An der Abstimmung nahmen 287 Votanten (23 vom Prälatenstand,
1Ö2 vom Herrenstand, 63 vom Eitterstand, 39 vom „vierten Stand" (Städte
imd Märkte) theil. (Niederösterr. Landes-Archiv. Antiqua 48/1.)
') Bidermann, Geschichte der österr. Gesammt-Staats-ldee. 11, 47.
^) Es waren dies die Herrschaften Pemstein, Homstein, Eisenstadt,
Güns, dann die Pfandgüter Forchtenstein amd Kobersdorf. Noch 1712 stellten
Digitized by
Google
29
gegen österreicliische Grundherren waren zaUreich. Unvergessen
blieb es in Nieder - Oesterreioh, wie sehr es „durch Türken
und Eebellen so arg mitgenommen worden; wie es immer in An-
spruch genommen war durch Lieferungen für die in Ungarn
stehenden Truppen." ^)
Dennoch boten sie jetzt willig die Hand zu einer Verständi-
gung. Die Regierung konnte von der Haltung der niederöster-
reichischen Stände nur in hohem Grade befriedigt sein, aber dass
die Idee der Erb-Einigung ihr besonders erwünscht gewesen wäre,
lässt sich nicht erweisen, wenn sie auch durchaus keine oflfen ab-
lehnende Haltung einnahm. Der Grund, wesshalb sie schweigend
darüber hinweggieng, ist ein naheliegender. Es handelte sich jetzt
nur darum, die Zustimmung der Stände zu der weiblichen Erbfolge
und zu dauerndem Verbleibe aller Lande in einer Hand zu erlangen
und dies konnte noch mancher Schwierigkeit begegnen. Die Ein-
heitlichkeit war zunächst ohnehin durch den einheitlichen Regenten
gesichert. Begannen aber Verhandlungen zwischen den Ländern
über die Modalitäten einer Erbverbrüderung und Einigung Aller,
so musste mit Sicherheit fast vorausgesetzt werden, dass eine Reihe
von streitigen Fragen, von Gegensätzen und Weiterungen ent-
stehen würde, welche dann nur zu leicht den Hauptzweck ge-
fährden oder doch die Lösimg der wichtigsten Frage weit hinaus
verzögern konnten.
die Ungarn Ansprüche auf die Herrschaft Scharfeneck in Nieder-Oesterreich mit
den Ortschafben Hof, Au, Mannersdorf, Sommerein und Zülingsdorf, die sie
indessen nicht bekamen.
>) „Es ist wider des Landes Natur und Eigenschaft, dass das opulente
Königreich Ungarn mit hierlands abgängigem (schwer zu entbehrendem) weichem
und glattem Futter und anderen Leb ensmittehi versehen werden soll, während
es doch die tägliche und stündliche Erfahrung lehrt, dass wie vormals, so
auch derzeit aus Ungarn eine imbeschreibliche Menge derartigen Futters nach
Wien, Fischamend, Wiener-Neustadt u. a. 0. zum Verkaufe gebracht wird.
Der Erlös dient dazu, sie, die getreuenUnterthanen, zu bekriegen;
zumal damit allerlei Munition zur Unterstützung der Untreue angekauft und
heinüich über die Grenze geschafft wird. Schon stehen in Folge der ungarischen
Einfalle hierlands 16.000 Häuser öde und sind mit Einrechnimg der in den
Jahren 1656 und 1683 angerichteten Verwüstungen 8000 ein Opfer der von
Rebellen gelegten Brände geworden. Gilt es, Kuruzzen oder andere nationale
Soldaten zu unterhalten, so haben die Ungarn stets die nöthigen Mittel ge-
funden; nur der kaiserlichen Müiz 'gegenüber behaupten sie die Unmöglichkeit,
Ausreichendes zu deren Subsistenz beizutragen." (Erklärung der niederösterr.
Stande vom 23. December 1707. Niederösterr. Landes-Archiv, Act 17 ex 1708.
Bei Bi der mann IT, Anmerkung GG zum II. Abschnitt.)
Digitized by
Google
30
Schon am 19. April 1720 hatten die oberösterreichischen
Stände die Anerkennung der Sanction einhellig beschlossen, womit
sie „sich und ihre Nachkommen zur unverbrüchlichen Beobachtung
und steten Festhaltung dieses Erbfolgestatuts verpflichteten, auch
es standhaft zu vertheidigen, mit allen Kräften dafür einzutreten,
Gut und Blut dafür zu opfern gelobten". *)
In Kärnthen, in dessen Landtag sich besonders der Fürst-
bischof von Lavant, der Vicedom des Fürstbischofs von Bamberg
und der Landeshauptmann für die Annahme einsetzten, erfolgte
diese schon etwas zögernder. Am 4. Juni 1720 kam auf die Mahnung
des Landeshauptmannes, wie gross das Unglück wäre, wenn „die
Monarchie in Abgang einer genau geregelten Erbfolge angefochten
oder gar zertrennt werden könnte'', ein zustimmender Landtags-
beschluss zu Stande, der aber keine Gelöbnisse, auch für die Auf-
rechterhaltung der Sanction wirklich einzustehen, enthielt. ^ Die
Stände fügten sogar noch eine Verwahrung bei, indem sie die Er-
wartung aussprachen: ihre Ergebenheit in den Willen des Kaisers
werde den Landes-Privilegien nicht „präjudicieren" und alle folgen-
den Landesfürsten würden dieselben vielmehr „manutenieren". ^)
Erst als die Kämthner Besorgnisse wegen einer dadurch her-
vorgerufenen Unzufriedenheit derRegiening empfanden, versicherten
sie dann im Jahre 1725, es sei schon bei Annahme der Sanction
ihre Absicht gewesen, ,, dafür in allen Fällen mit Hab', Gut und
Blut unwandelbar einzustehen".
Am 19. Juni 1720 nahmen die Stände in Krain und den
dahin „incorporierten Herrschaften Windische Mark, Möttling,
Tsterreich, Karst und Poykh" nicht nur die Ausdehnung der Erb-
folge auf die weibliche Descendenz, sondern auch „die fiirgeseheno
unzertrennliche Beisammenhaltung Dero dermalig wirklich inne-
habenden, auch künftig zufallenden Erbkönigreiche, Fürstenthümer
und Lande als „Sanctio pragmatica" an, die sie als eine „von
Gott eingegebene allerweiseste Anordnung" bezeichneten."^)
*) Landes- Archiv Linz. Act I, 67. Bei Bid ermann, Anmkg. 79 zu 11,
3. Abschnitt.
*) Landtags- und Ausschuss-Protocoll ex 1720. Landschafts-Archiv zu
Klagenfurt. Bei Bi der mann, II, Anmerkung 80 zu Abschn. 3.
•) Bid ermann, Gesammtstaats-Idee II, 49.
*) Mayer, Die letzten Habsburger. II," 77.
Digitized by
Google
31
Im steyerischen Landtag kam am 10. Juni 1720 zwar auch
die Wahrung der Landes-Privilegien zur Sprache, sachlich aber
fand die Anerkennung der Sanction keinen Widerspruch. Der An-
trag des Landeshauptmannes, die Erbfolge-Ordnung anzunelmien
und „zu dieses Erbrechtes immerwährender, unzerbrechlicher Be-
obachtung und Festhaltung alle äussersten Kräfte, auch Gut und
Blut vorzustrecken", drang durch.
Die angesehensten Mitglieder der Landschaft, die Grafen
Wurmbrand, Thurn, Wildenstein, Saurau, Schrattenbach,
Auersperg, Strassoldo, die Freiherren von Pranckh, Lang und
Stadel forderten indessen die Beifügung des Wimsches, dass die
katholische Religion geschützt werde und jedenfalls der zukünftige
Gemahl der Thronfolgerin dieser Religion anzugehören habe, doch
fanden sie nicht die Majorität.*) Mit Annahme dieses Antrages wäre
eine Annäherung an die ungarischen Forderungen auch von Seite
der steyerischen Stände geschehen, die indessen nicht gerade als
beabsichtigt anzusehen sein dürfte.
Li Prag erfolgte die Vorlage der Sanction an die böhmischen
Stände am 12. October 1720 durch den Statthalter und Obrist-
burggrafen zu Prag, Johann Joseph Grafen Wrtby auf Konopist
und Nu sie. Die Stände waren „in einer weit grossem Anzahl als
sonsten" hiezu in der gewöhnlichen Landstube auf dem Hradschin
„so willigst als schuldigst" erschienen. Sie nahmen die Proposition
mit dem Danke dafiir, dass „Se. Kaiserl. und Königl. Majestät ge-
dachte, Dero sorgfältigste imd gerechteste Disposition uns aus
purem Ueberflusse Ihrer angeborenen Clemenz eröifnen lassen",
an, unter der Voraussetzung, dass das Gesetz zur Beibehaltung der
katholischen Religion, „als der Gnmdfeste, worauf dieses heilsame
und erspriessliche Werk hauptsächlich gebaut ist, dann zur Auf-
nahme und Erhaltung, wie aller Dero Erblande, also insonderheit
dieses getreuesten Königreichs" dienen werde. Sie sprachen ebenso
die Hoffnung aus, dass dem Königreich und seinen incorporierten
Ländern die Landes-Privilegien nach der Goldenen Bulle Kaiser
Carl IV. vom 7. April 1348, den Majestätsbriefen König Wl ad islaw's
„Freitag nach der heiligen drei Könige Tag" 1510 und Kaiser und
König Ferdinand L „Mittwoch nach St. Aegydi" 1545, endlich
der durch Kaiser Ferdinand 11. gegebenen Landesordnung und
*) Steyer. Landes- Archiv. Landtags-Protocoll, Band 1833, 79—92. Bei
Bid ermann, U. Anmerkung 83 zu Abschnitt 3.
Digitized by
Google
32
Confinniening der Privilegien yom 29. Mai 1627 erhalten bleiben
würden. *)
Die Stände erklärten dann, „dieser Allergnädigsten Disposition
qua legi et sanctioni ftindamentali perpetuo valiturae, mit unserer
pflichtschuldigsten Submission per unanimia Vota hiermit nicht
nur beitreten, sondern auch uns vigore gegenwärtigen Instrumenti
mit Verzicht auf alle Ausnahmen, wie die immer Namen haben
mögen, auf das Kräftigste dahin verbinden, dass wir mit unseren
Nachkömmlingen öfters berührte, von Hiro Kaiserl. und Königl.
Majestät gerechtest stabUierte Erbsuccession in Allem und Jedem
vollkommentlich zu beobachten und zu erhalten, ja auch mit
imserem Gut imd Blut, also wie ims hiezu unsere Treue und schwere
Pflicht ermahnet, zu allen Zeiten zu verthätigen beflissen sein
wollen und sollen''.
Die ständische Erklänmg wurde imterfertigt durch 18 Mit-
glieder des geistlichen Standes, danmter der Erzbischof von Prag,
Graf Kienburg, der Bischof Graf Wratislaw imd der Gross-
prior der Johanniter, Dubsky Freiherr von Strzebomyslitz,
durch 25 Mitglieder des Herrenstandes, unter ihnen Obrist-Land-
hofmeister Graf Nostitz, Obristlandmarschall Graf Waldstein,
Oberstlandrichter Graf Schaffgotsch, Obristlehenrichter Graf
Wrbna u. A. Vom Ritterstand unterschrieben 18, aus dem Bürger-
stand 26 Vertreter, darunter die Primatoren der Altstadt und der
Neustadt Prag, Wor^ikowsky von Kundratitz und Franz
Crusius, der Syndicus von Pilsen Hubalek, der ßathsverwandte
von Budweis Daublebsky von Sternegg.
Nachdem die Regierungsvorlage von der Hofkanzlei am
19. Januar 1720 an die Länderstellen abgesendet worden und die
Verhandlxmg in einer gewissen Reihenfolge eingeleitet worden war,
kam ein kaiserliches Patent vom 30. August 1720, in deutscher
und böhmischer Sprache gedruckt, mit der Einberufung des Land-
tages auf den 17.0ctober auch an die Stände des Markgrafenthums
Mähren. Sie wurden besonders ermahnt, diesmal „in einer grossem
Frequenz, als sonsten, vornehmlich aber Diejenigen, welche von
ilinen zu Brunn und sonderlich mit ansehentlichen Diensten oder
Eliren-Aemtem bekleidet sind", zu erscheinen, ^j
^) Erklärung der böhmischen Stände. Austria 1849.
*) Elvert, Die Einführung der pragmatischen Sanction in Mäliren.
NotizenbUitt der historisch-statistischen Section in Briinn, 1875.
Digitized by
Google
33
In Vei-tretung des dienstlich abwesenden Landeshauptmanns,
Grafen Kaunitz, dessen Rückkehr bis zum 17. October nicht mit
Gewissheit vorausgesetzt werden konnte, erhielt der mährische
Obristlandrichter Graf Althann am 30. September 1720 das Original-
Rescript mit dem Befeld, es den Ständen zu eröffnen.
Graf A 1 1 h an n entledigte sich seines Auftrages in ganz entsprechen-
der Weise und konnte schon am 30. October die Annahme-Erklärung
der mährischen Stände dem Kaiser einsenden. Auch die Mährer
sprachen ihren Dank für die Vorlage aus, welche sie, wie die Böhmen
und Schlesier, als eine Vorsorge, dass die „ßömisch-Katholische
Religion beständig behalten, befördert und vermehrt und selbe bei
Abweichung von der diesfälligen, den wahren apostolischen Glauben
hauptsächlich mitbegleitenden Erbsuccession nicht etwa labe-
factieret werde", bezeichneten.
Die Stände erklärten die vorgelegten Erbfolgeverfügungen
als „ohnedem auch denen in der Landes-Ordnung recensierten
Fundamental-Landesgesetzen allerdings übereinstimmig" und ihre
Bereitwilligkeit, dieser Successions-Ordnung „treu pflichtgemäss zu
Orccedieren, beizutreten und sich in omnibus punctis, articulis et
clausulis und was selbe in terminis nur immer vermag, ohne einzige
Reservation oder Vorbehalt zu unterwerfen, gelobende, versprechende
uiid zusagende solchemnach wohlbedächtUch für sich und ihre
Posterität hiermit aufs Kräftigste rnid Verbindlichste, dass sie,
treugehorsamste Stände, sothane Allergnädigste Dispositiones und
Declarationes für jezt und inskünftig für ein unverbrüclüiches
Fundamentalgesetz erkennen, dawider in keinerlei AVeg noch Weise
uec directe nee indirecte weder selbst handeln, noch Anderen es
gestatten, sondern darob je und allezeit stet, fest und unzerbrüch-
lich halten, auch zu dessen Handhabe und Beschirmung alle ihre
Kräfte, ja ihr Hab', Gut und Blut sammt und sonders anwenden
und sacrificieren wollen und sollen".
Das Instrument wurde unterfertigt von zwei Deputierton des
Olmützer Domcapitels und zehn Aebten und Prälaten, den Fürsten
von Liechtenstein, den Grafen Koggendorf undOsteschau,nebst
sechs Vertretern des Herren- und sechs des Ritterstandes und den
städtischen Deputierten von Olmütz, Brunn, Znaym, Hradisch,
Iglau und Gaya.
Eine Anzahl Ständemitglieder waren zwar in Brunn, erschienen
aber nicht bei dem feierlichen Acte, weil sie als Kämmerer und
von hohem Adel den „kaiserlichen Eäthen und Landrecht s-Beisitzern,
so allererst ganz kürzlich in den HeiTenstand erhoben worden
Oesterreichischer Erbfolgekrieg. I. Bd. g
Digitized by
Google
34
nicht füglich nachsitzen wollen'\ Es waren dies, wie das „ohne
Entschuldigung" wohl besagen soll, der Landes-Unterkämmerer
Graf Brenner, die Freiherm von Sackh, Horetzky, die Grafen
Mittrowitz und Lamberg. *)
Als ProtokoUftihrer fungierten der Vicelandschreiber Franz
Anton R2ikowsky von Dobrschitz, der Kämmerer v. Hermann
an Stelle des Landesburggrafen Johann Wenzel v. R2ikowsky,
der mitstimmte, der Landschafts-Secretär Panitz und der Land-
schafts-Buchhalter Binder.
Der Kaiser sprach seine Zufriedenheit mit der Erklärung der
Stände aus, wies aber doch auch auf das Wegbleiben so Mancher
tadelnd hin.
Auch in Schlesien nahm die Beschlussfsissimg über die An-
nahme des Erbfolgegesetzes einen durchaus glatten Verlauf. ^ In
übermässiger Vorsicht hatte zwar der Oberamts-Director Graf Hans
Anton Schaffgotsch auf die erste von der böhmischen Hofkanzlei
erfolgte Verständigung von der einzuleitenden Vorlage der kaiser-
lichen Proposition eine Reihe von Massregeln ziu* Beschränkung
der Verhandlungsfreiheit der Stände in Antrag gebracht. Der Kaiser
wies Alles ab, was gegen das Herkommen und die ständische Frei-
heit sei.
Am 21. October 1720 versammelten sich die einundvierzig Ab-
geordneten der Fürsten und Stände im Fürstensaal des Breslauer
Rathhauses und Graf Schaffgotsch übernahm den Vorsitz. Der
Oberamts-Kanzler Graf Kottulinsky erläuterte die Bedeutung des
zur Berathimg stehenden Actes und Oberamts-Secretär Gross a
verlas die Proposition. Am nächsten Tage erfolgte die Zustimmungs-
erklärung der Stände, etwas zurückhaltender die färstlich-freiherr-
liche Curie, unbedingter und offener die zweite Curie der Erb-
fürstenthümer, welche gleich den Böhmen erklärte, dass ihnen die
kaiserliche Vorlage* „zu allem Ueberfluss'' bekanntgegeben worden,
und die Stimmen der Städte. Das „Accessions- und Submissions-
Instrument" wurde dann dahin abgeschlossen: „als verbinden wir
vermittelst gegenwärtigen Listrumenti ims und unsere Nachkommen
kräftigst und zu ewigen Zeiten, dass wir allem Demjenigen, so
*) Es fehlten aber auch die Waldstein, DietrichsteLn, CoUalto, Liechten-
stein-Kastelkom, Slavata, Questenberg, Werdenberg, Kaunitz, Wlassim, Oppers-
dorf, Sinzendorff, Dubsky, Bnkovsky etc. Elvert, pragm. Sanction in Mähren.
*) Nach Dove, Die pragmatische Sanction in Schlesien. „Zeitschrift des
Vereines für Geschichte und Altoi-thum Schlcaiens". XTV, 299.
Digitized by
Google
35
Allerhöchstgedachte Se. Kaiserl. und Königl. Majestät an uns wegen
erwähnter Thron- und Erbfolge in kaiserlichen und königlichen
Gnaden gelangen lassen, uns vollkomm^ntlich submittieren und
erwähnte Dispositiones tanquam leges fundamentales et perpetuo
valituras in treugehorsamster Devotion erkennen, auch dawider sub
quocumque praetextu weder selbst handeln, noch Anderen solches
gestatten, so vielmehr Gut und Blut dabei auszusetzen jederzeit
bereit sein werden, treulich und ohne Gefährde/'
Die Genehmigung der Zustimmungs-Erklärung erfolgte flir
Böhmen, Schlesien und Mähren in einem, mit geringen besonderen
Einschaltungen für die einzelnen, besonders für Schlesien, gleich-
lautenden Rescripte vom 17. März 1721.
Weit schwieriger fanden sich die Tyroler. Der Landtag
wurde auf den 26. November 1720 einberufen, trat aber erst am
9. December 1720 zusammen. Den Sommer überhatten die Stände
mit der Regierung einen heftigen Kampf mn Geldbewilligungen
und Gegenansprüche wegen der Kosten der vielen Truppendurch-
zöge gefiihrt, eine neue Vermögenssteuer und Vorbereitungen zu
einem umgearbeiteten Grundsteuerkataster hatten viele Unzufrieden-
heit erregt und die Stimmung des Landtages war daher keineswegs
die beste. Die Bischöfe von Brixen und Trient Hessen sich bei
diesem Landtage gar nicht vertreten, indem sie sich auf ihre Eigen-
schaft als reichsfürstliche Stifte beriefen. Es scheint dies in einer
etwas ungewöhnlichen Art geschehen zu sein, denn die Innsbrucker
Regierung berichtete hierüber an den Kaiser, dass sich „die stift-
und domcapiterschen Gesandten diesfalls auf eine solche Weise
declariert haben, welche künftig Dero hierländischen hohen Juribus
allzusehr präjudicierlich sein würde.'* ^) Die Aebte und Prälaten von
Gries, Neustift, Georgenberg, Stams u. A. sprachen die Besorgniss
aus, dass der künftige „regierende Herr'' sich nicht für verpflichtet
erachten werde, die von den Habsburgem gemachten Staatsschulden
anzuerkennen ; sie beklagten, dass künftig in Tyrol kein besonderer
Landesfurst mehr vorhanden sein werde. Der Prälat von Gries
nannte die Landtagsverhandlimg „etwas Unerhörtes" und betonte
seine Befürchtimg, dass die Landes-Privilegien geschädigt werden
könnten.
Der Abt von Stams erinnerte wenigstens daran, dass für
Tyrol ein weiblicher Landesfiirst nichts Neues sei und der Landes-
*) Archiv des Ministeriums des Inneru ad 10 vom Jahre 1721, Tyrol.
3*
Digitized by
Google
36
hauptmann erklärte mit Festigkeit, dass kein Land das Recht habe,
seinem Herrseher eine Thronfolge-Ordnung nach eigenem Willen
aufzunöthigen, dass abgr auch die Landesfreiheiten darum nicht
preisgegeben seien, wenn man sich dem Willen des Kaisers in
dieser Frage unterwerfe. Die Vertreter der Städte zeigten sich
williger, sie stimmten mit Vorbehalt der Landes-Privilegien für die
Annahme der Erbfolge-Ordnung, aber auch aus ihrer Mitte beklagte
der Vertreter Linsbrucks, Johann Peter, dass dann nie mehr ein
eigener Landesfiirst in Tyrol sein werde, der Landstand Rolandin
rieth „ein teutsches Haupt" sich auszubitten und der Landstand
V. Indermaur verlangte, dass das künftige regierende Haupt
von „teutschem Geblüt" zu sein habe. Es wurde getadelt, dass
dieses ,, hochwichtige österreichische Successionsgeschäft, so viel
dieses das allergetreuesto Erbland Tyrol anbetrifft, mit uns, denen
treugehorsamsten Ständen, wie vormals in derlei wichtigen Begeben-
heiten öfter geschehen'', nicht „consultando" überlegt worden.
Schliesslich kam es indessen doch zur Annahme und der Versiche-
nmg, daäs die Stände das Erbfolgegesetz ,,auf all' und jeden Noth-
fall gegen männiglich mit ungesparter Aufsetzung Guts und Bluts
kräftigst verfechten und vertheidigen wollen". ^)
Auch den kleineren Provinzial-Verbänden, wie Görz und
Gradiska, dem Egerland, Triest und Fiume wurde die Vorlage der
Regierimg bekanntgegeben und ihre Zustimmimg erbeten. Die
Stände von Görz gelobten am ü. August 1720 über Antrag des
Landeshauptmannes Grafen W i 1 d e n s t e i n einstimmig die Beob-
achtung imd standhafte Vertheidigung der pragmatischen Sanction
mit dem Beisatze, dass sie hofllen, der Kaiser werde sie bei den
althergebrachten Freiheiten erhalten. ^)
Die Eg erländer schlössen sich der Erklärung der böhmischen
Stände an und bekundeten damit ihre Zugehörigkeit zu diesem
Königreiche. Um jedoch dem heiligen römischen Reiche in keiner
Weise zu präjudicieren und die Stadtprivilegien zu wahren, wurde
der Beitritts-Erklärung des Egerlandes über Antrag des Bürger-
meisters der Stadt Eger, Johann Adam Junckler von Ober-
C u n r e u t h, der Beisatz eiiigefügt : ,.salvis tarnen semper privilegiis
ab Lnperatoribus regibusque Bohemiae urbi Egrae et circulo con-
') Bei Bid ermann, Gesammtstsiats-Idee, II, Anmerkg. 84 zu Abth. 3.
*) Die Ausfertigung geschah in deutscher Sprache. Bidermann, II,
Anmerkung 88 zu Abschn. 3. Original im Archiv des Ministeriums des Innern,
ad 2 ex 1726 Inner-Oesterreich.
Digitized by
Google
37
cessis und inwieweit es sich auf den Pfandschilling Eger appli-
cieren lasset.'^ *)
Die Zustimmung und Anerkennung der Stadt Triest^ am
30. September 1720 bezieht sich nur auf die neue Thronfolge-
Ordnung „riconoscendo adesso all 'ora la proposta Augusta suc-
cessione''.
Die Erklärung der Stadt Fiume"*) enthielt nicht nur die
Versicherung der Anhänglichkeit und des Festhaltens an der neuen
Erbfolge-Ordnung, sondern ergieng sich auch in der Hervorhebung
der segensreichen Folgen des neuen Gesetzes. Es werde zur Kräfti-
gung der Macht des Hauses Oesterreioh, zum Schutze der katho-
lischen Kirche, zur Verbreitung des christlichen Glaubens gereichen.
„Das römisch-deutsche Reich werde an Ansehen gewinnen, Deutsch-
land beruhigt, der ganze Weltkreis geehrt und gesclunückt werden."
Die Landtage in denB reisgauisc h-S c h w ä b i s c h-0 ester-
reich- und Vorarlbergischen Landen"^) wurden zur „Publi-
cierung der Thron- und Erbfolge in Unserem Durchlauchtigsten
Erzhause" unmittelbar von Wien aus einberufen und die Innsbrucker
Regierung hie von am 1. October 1721 nur verständigt mit dem
Auftrage, die Publication in der österreichischen Stadt Constanz
durch den Regimentsrath und Hauptmannschafts-Verwalter v. Land-
see bewirken zu lassen. Für die breisgauischen Stände wurde der
Vice-Statthalter Freiherr von Rost, in den schwäbisch-österreichi-
schen Landen der Landvogt der Markgrafschaft Burgau, Freiherr
von Ulm, in Vorarlberg der Vogt Pappus Freiherr von Traz-
b e r g zu kaiserlichen Commissären ernannt und ihnen die Aufgabe
der Publication der Erbfolge-Ordnung und die Bewirkimg der An-
nahme durch die Stände übertragen.
Die Commissäre erhielten Weisung, die Stände zu ermahnen,
sich die „zum Besten abzielende Absicht gehorsamst zu Gemüth"
zu nehmen und sich darüber „wie es in denen nieder- und inner-
österreichischen Landen, wie auch in Tyrol bekannteniiassen bereits
beschehen'*, schriftlich zu erklären.
') Bidermann, II, Anmerkung 89 zum Abschn. 3.
*) Bid ermann, ü, Anmerkung 90 ebenda. Die Erklärung war in italie-
nischer Sprache.
•) Bidermann, II, Anmerkg. 91 ebenda. Die Erklärung ist in lateinischer
Sprache abgefasst.
*) Archiv des Ministeriums des Innern. Nr. 11 vom Jahre 1721. Tyrol.
Digitized by
Google
38
Es scheint dies auch ohne Zögern von den Ständen Vorder-
Oesterreichs geschehen zu sein.
Nun kam der schwierigere Theil der Aufgabe an die Reihe,
die Vorlage an den ungarischen und siebenbürgischen Landtag.
Die Angelegenheit wurde mit grosser Umsicht und von langer
Hand vorbereitet. Die Geheime Conferenz in Wien unter dem Vor-
sitz des Prinzen Eugen von S a v o y e n, aus den Fürsten Trau t s o n,
dem obersten Hofkanzler Grafen Sinzendorff und dem Hof-
kammer-Präsidenten Grafen Gundacker Starhemberg bestehend*),
stellte in einer Sitzimg am 13. Juli 1721 den einzuschlagenden
Weg fest.
Die Einberufiingsschreiben sollten nach diesem Vorschlage
bezüglich der Thronfolge nur die Stände mahnen, das Nöthige
vorzukehren, um sich und das Vaterland vor innem und äussern
Gefahren in der Zukunft zu schützen, die Uebertragung der Suc-
cession an die weibliche Descendenz aber sollte nur im Allgemeinen
berührt werden. Es war zu hoffen, dass hiedurch vorzeitige
Besprechungen der Sache vermieden würden, die leicht nachtheilige
Stimmungen schaffen konnten. Als besonders wichtig wurde erachtet,
vor Allem den hohen Clerus imd die Magnaten zu gewinnen, sowie
einen zuverlässigen „Personalis" zu ernennen, der geschickt genug
sei, um zu verhindern, dass die Magnaten sich des niederen Adels
bedienten, um „nur simidierte fayorable Nota" in der Magnaten-
Tafel zwar abzugeben, aber durch die „imtere Tafel" wieder zu-
nichte machen zu lassen. Am meisten wünschenswerth hielt es
die Geheime Conferenz, wenn die Ungarn sich dazu verstehen
würden, das neue Thronfolgegesetz „motu proprio" anzunehmen.
Einer etwaigen Opposition aber sollte jedenfalls energisch entgegen-
getreten, jede Erörterung der vorgebrachten „Gravamina" bis zur
günstigen Erledigung der Successiöns-Angelegenheit abgelehnt und
auch eine Verhandlung über die von den Ungarn so sehr gewünschte
Einverleibung der „Neoacquistica" — der vom Prinzen Eugen in
dem ruhmvollen Krieg gegen die Türkei 171G — 1718 eroberten
serbischen und walachischen Gebiete, wie des Temeser Banats —
verweigert werden. Der Kaiser selbst soUte während des Land-
tages seinen Aufenthalt in Pressburg nehmen.
*) Bidermann, II, Anmerkung 95 zum B. Abschnitt. Der Geheime
Hofkanzler v. Seüem war am 8. Januar 17 IB, siebzig Jahre alt, gestorben.
Digitized by
Google
39
Der siebenbürgische Landtag wurde flirden lO.Febniar 1722
nach Hermannstadt einberufen, fiiiher als der ungarische, welcher
zwar für den 1. Mai berufen, doch erst am 20. Juni dieses Jahres
in Pressburg zusammentrat. Mit dem frühem Einberufen der sieben-
bürgischen Stände verband man die leise Hoffnung, einen förder-
lichen Druck auf die Entschliessungen der ungarischen ausüben zu
können. ^)
Die frühere Einberufung des siebenbürgischen Landtags
beweist ein vorhandenes grosses Vertrauen in die leichte Ab-
wicklung der Verhandlung mit demselben, da eine imgünstige
Haltung der Siebenbürger ein höchst bedenkliches Präjudiz für
die. ungarischen Stände hätte bilden können. Dieses Vertrauen
widerlegt am besten gelegentliche Erzählungen von angewendeten
Pressions-Mitteln.
Thatsächlich ergaben sich auch keine Schwierigkeiten. Der
erkrankte Gouverneur G. d. C. Graf Virmond empfieng die Stände
in seiner Wohnung, um ihnen die kaiserliche Proposition zu über-
geben, aber die Verhandlimg und Beschlussfassung, über welche
die Stände am 30. März ihre Erklärung abgaben, fand erst einige
Tage nach jenem Empfang statt. Der Entwurf znr Beistimmungs-
Erklärung wurde am 1. April zur Lesung gebracht und hiebei nur
von den Calvineni noch einige Wünsche vorgebracht. Der Gubemial-
Präsident Graf Sigmimd Kornis und die Barone Stefan Weszel6ny
und Johann Bornemisza setzten schliesslich die Annahme der
Proposition in befriedigendster Weise durch und die ,,drei Nationen"
nahmen die Thronfolge-Ordnung bedingungslos an. Die Hoffnung
der Siebenbürger, in der „Verschmelzung und dem untrennbaren
Aneinanderhängen aller Erbkönigreiche zum Zwecke wechselseitiger
und reciproker Vertheidigung", wie Graf Virmond es ihnen als
Folge darstellte und wahrscheinlich sie sich selbst so dachte, den
besten Schutz für ihr stets gefährdetes Grenzland zu finden, Hess
ihnen die ganze Proposition in hohem Masse erfi-eulich und begehrens-
werth erscheinen.
Für die Propositionen an die ungarischen Stände hatten
sich seit dem Jahre 1712 und besonders seit den abgegebenen
Erklärungen der erbländischen Stände die Verhältnisse wesentlich
geändert. Der Kaiser hatte von seinen sämmtlichen deutschen nnd
>) Bid ermann, II, Anmerkg. 93 zw Absch. 3. H. H. und St.-A. Vortrag
vom 14. Juli 1721.
Digitized by
Google
40
böhmischen Ländern, im Ganzen beclingiingsh>s, die volle Aner-
kennung und Zustimmmig zu seiner pragmatischen Sanction erhalten
und es lag somit eine Macht in dieser Einhelligkeit vor, welche
einen vollen Ersatz fiir jenes engere Bündniss der Erblande bieten
konnte, welches die Ungarn in der Palatinal-Conlerenz 1712 ak
Vorbedingiuig fiir ihre Zustimmung zur neuen Tlironfolge-Ordnimg
bezeichnet hatten. Diese Macht, in der Hand des Kaisers wirksam,
stand bereit ziu* Unterstützung Ungarns, wenn dieses in Gefahr
kam und es schien jetzt an der Zeit, in den mm an die Stände
zu richtenden Propositionen auf jene Lücke aufmerksam zu machen,
welche die Palatinal-Conferenz in ihrer Erklärung ofien gelassen:
dass nämlich fiir die Hilfe imd Unterstützung durch die Erblande,
wie sie die Ungarn gewünscht imd für iliren Schutz und ihre
Sicherheit als nothwendig bezeiclmet hatten, man auch von
ungarischer Seite zu positiven Gegenleistungen verpflichtet sei.
Wenn Ungarn ein Schutzbedürfniss empfand, wie es nicht nm*
jene Palatinal-Conferenz von 1712 dm-ch ihre Forderungen, sondern
auch der Vice-Palatin Stephan Nagy gleich in der ersten Sitzung
des Landtags am 30. Juni und nach ihm der Palatinal-Protonotar
Franz Szluha in oflener Weise in ihren Reden erwiesen, dann
war eine billige, freiwillige Beschränkung der ungarischen Selbst-
ständigkeit eine unvermeidbare und natürliche Consequenz. Man
kann Dem nicht unbeeinflusst und nur dem eigenen Willen
gehorchend gegenüberstehen, auf dessen Hilfe man angewiesen ist
und rechnet, es sei denn, dass man ihm die gleichwerthige Unter-
stützimg zu gewähren geneigt und befähigt ist.
Dies war nun aber keineswegs der Fall. Die Anschauungen,
von denen man sich in Ungarn leiten liess, schildert ein neuerer
imgarisch(T Historiker, ihnen zustimmend, sehr anschaulich'):
„Wenn im Jahre 1722 von einer Union mit den österreichischen
Erblanden die Kede gieng, so bedeutete dies nichts Neues. Sie
bestand auch früher schon, indem Steyermark und Känithen um
Croatien und das südUch von der Donau gelegene Ungarn, Böhmen
und Oesterreich um das nördlich von der Donau gelegene Ungarn
sich kümmerten." „Aber in den vorausg(4ienden zwei Jahrhunderten
war dieser Vertrag nur insofern ein zweiseitiger, als, wenn Ungarn
sich selbst vertheidigte, die benachbarten Provinzen sich als
») Salomon, Geschichte der Besetzung des kgl. ungar. Thrones und
die Pragmatische Sanction. Citiert bei Bidormann, II, Anmerkg. 94 zum
3. Ahschn.
Digitized by
Google
41
schon liiedurcli beschützt zu betrachten hatten und dass die-
selben ans Dankbarkeit hie für und in ihrem eigenen Interesse
zur Erhaltung der ungarischen Grenzfeztungen und Truppen bei-
trugen. Ungarns Verpflichtung bezog sich nur auf die Abwehr
der Türken ; wurde z. B. Böhmen vom Westen her angegritlen, so
waren die Ungarn keineswegs verpflichtet, zu dessen Schutze die
Waffen zu ergreifen. '^ ')
Dass fiir solche Aiüfassungen ein Verständniss in den Erb-
ländem nicht zu finden war, ist erklärlich und der Kaiser suchte
ein Einvernehmen dadurch anzubahnen, dass in den Einberufungs-
schreiben auf die Nothwendigkeit der Bildung eines Staatskörpers
hingewiesen wurde, welchem auch Ungarn wie Siebenbürgen, dem
Gedanken der Gesammt-Thronfolge entsprechend, dauernd eingefugt
sein sollten. Der Kaiser sprach den Wunsch nach einer „Ver-
ständigimg und Union" Ungarns mit den übrigen Erblanden und
^iner gesetzlichen Begründung einer Vereinigung mit denselben aus,
deren Mittelpunkt er selbst blieb. Es ist aber nicht zu behaupten,
dass dieses directe Einvernehmen der ungarischen Stände mit jenen
der Erblande so ganz unbedingt der Hauptzweck hiebei gewesen
wäre. Eine dem Kaiser gegebene bindende Erklänmg der Annahme
der Sanction würde dieselbe Absicht annähernd auch erreicht haben
und es scheint fast, als wäre eine solche dem Kaiser innerlich sogar
Wünschenswerther gewesen. ^
*) Einen Vertrag dieser Art hat es nie gegeben. Bidermann in
„Geschichte der österr. Gesamrat-Staats-Idee, 11, 268" sagt hierüber: „An dem
damit geschiklerten Sachverhalt ist nur das Eine unrichtig, dass ihm ein
Vortrag zu Grunde lag. Auf Seite der genannten, nicht zur imgarischen
Krone gehörigen Länder war es lediglich guter Wille, wenn sie sich der
letzteren in den Kriegsbedrängnissen annahmen imd die Millionen haaren
Geldes, die sie nebst ungezählten Menschenleben dafür opferten, nicht lieber
auf den unmittelbaren Grenzschutz verwendeten, der in den Zeiten, wo die
Magyaren mit den Türken gemeinsame Sache machten, sich wirk-
samer würde erwiesen haben, als jenes angebliche Vertragsverhältniss. Dass
dem guten Willen Eigennutz beigemischt war, ist nicht in Abrede zu stellen.
Aber dass die NiederösteiTeicher, Böhmen, Steyermärker u. s. w. es sich als
Gegenleistung anrechnen lassen mussten, wenn die Ungarn ihrem
Selbsterhaltungstrieb folgten und sich den Türken gegenüber zur Wehre
setzten, ist eine ebenso kühne Behauptung, als es unter der Voraussetzung
eines Vertrags-Verhältnisses ein doppelt berechtigter Tadel wäre, der die
Ungarn wegen ihres häufigen Zusammengehens mit den Türken dann treffen
würde."
») Vergleiche Bidermann, IE, 52 und Anmerkg. 96 zu Abschn. 3.
Digitized by
Google
42
Der Hauptzweck blieb doch wohl immer die Erlangung der
Zustimmimg zur weiblichen Thronfolge auch in den ungarischen
Ländern, die als das wesentlichste Mittel nicht umgangen werden
konnte, wenn eine gegenseitige Verbindung imd Unterstützimg der
Länder erreicht werden sollte. Li des Kaisers und seiner Nach-
folger Hand lagen dann die Kräfte und Mittel jedes einzelnen
Landes, er konnte sie verwenden nach Bedarf für jedes und er
allein blieb Weg imd Mittel jeder Verständigung zwischen den
Ländern. Eine directe Union aber der Länder unter sich, Ungarn
eingeschlossen, hätte einen Factor in das Staatsleben gebracht, der
unter Umständen dem Kaiser gegenüber als bedenklich angesehen
werden konnte.
Der Kaiser eröiFnete persönlich am 20. Juni den Landtag in
Pressburg, auf dem er dann bei seiner Abreise als seinen Vertreter
den Präsidenten der Hofkammer, Grafen Gundacker Starhemberg,
und den böhmischen brist- Hof kanzler, Grafen Franz Kinsky,
beliess. ')
Die geschickt geführte Landtags-Verhandlimg führte zu den,
dem Wunsche des Kaisers ganz entsprechenden Ergebnissen. Die
formelle Proposition des Kaisers kam den Ständen erst am 8. Juli
1722 zu, aber schon in der ersten Sitzung forderten die Magnaten
die „untere Tafel" durch eine Deputation zu raschem Eingehen auf
die zu ei'wartende Proposition auf. Der Vice-Palatin Stephan Nagy,
der statt des erkrankten Personalis präsidierte, hielt an das Haus
eine ungarische Ansprache, in der er die Nothwendigkeit einer
Vorsorge für den Fall, dass der Kaiser ohne (männliche) Erben
sterbe, hervorhob. Ilim folgte der Palatinal - Protonotar Franz
Szliiha de Iklad mit seiner berülimt gewordenen zündenden
Rede, welche die Stände zu einer unter Jubelrufen und durch
Acclamation abgegebenen Annalmie und Genehmigung der weib-
lichen Thronfolge im habsburgischen Hause hinriss. Nun beantragte
der Vice-Palatin die sofortige Verständigung der Magnatentafel
durch eine Deputation und die Erklärung wurde abgegeben, die
Zustimmung zu der weiblichen Thronfolge sei eine durchaus
spontane.
Die Deputation der „unteren Tafel" wnirde sofort durch eine
von der Magnatentafel entsendete beantwortet, als deren Führer
der Bischof Graf Gabriel Erdödy die Zustimmung der Magnaten
*) Mayer, Die letzten Habsburger, II.
Digitized by
Google
43
zu dem Beschlüsse der „unteren TafeF' erklärte. Am 3. Juli über-
brachte eine von beiden Häusern des Landtags entsendete Deputation
die Zustimmungs-Erklärungen dem Kaiser und König nach Wien.
Cardinal Graf Emerich Cs&ky betonte hiebei die Vortheile, welche
Ungarn fiir seine äussere Sicherheit und seine innere Ruhe von
dem Beschlüsse erwarte und sprach die bestimmte Hoffiaung aus,
dass die Krone des marianischen Königreichs nach diesem Beschlüsse
niemals an einen Herrscher fallen könne, der nicht römisch-katho-
lischen Glaubens sei. Er wahrte im Allgemeinen die hergebrachten
Freiheiten und Vorrechte. Von der „Union'' der Länder scheint
nicht mehr gesprochen worden zu sein, auch der Kaiser äusserte
sich nicht weiter darüber.
Die genauere Formulierung der Thronfolge-Ordnung wurde
dann am 16. Juli nach einem Entwürfe Szluha's, aber nicht ohne
einige Debatte, angenommen. Die Ausstellung einer besonderen
Urkimde über die Zustimmung zur pragmatischen Sanction wurde
indessen vom Landtag als „überflüssig" erklärt, da die Diätal-
ProtokoUe hieför vollkommen ausreichend seien.
Carl VI. sprach in einem besonders gnädigen Schreiben an
den Palatin seinen Dank und seine Befriedigung über den Land-
tagsbeschluss aus und reiche Geschenke bezeugten seine Dankbarkeit
Denen, die ein hervorragendes Verdienst an dem Gelingen des
Werkes in Anspruch nehmen konnten. *)
Der § 4 des I. Gesetz-Artikels vom Jahre 1722/23 besagte,
als nunmehr bestimmte Formulierung des Landtagsbeschlusses :
Diejenige Erbin oder derjenige Erbe, welcher, beziehungsweise
welche nach der vom österreichischen Herrscherhause angenommenen,
im vorhergehenden Paragraph näher bezeichneten Primogenitursnorm
die übrigen Königreiche und Länder, die sich dieser Norm bereits
unterworfen haben, als ein seitdem unlösbares Ganzes überkommt,
solle stets unfehlbar dem gleichen Erbrecht zufolge auch als König
Ungarns und der damit ebenso unzertrennlich verbundenen Neben-
länder anerkannt und gekrönt werden. ^
Und im § 7 des H. Gesetz-Artikels heisst es, dass die ungarische
Krone stets derjenige Erzherzog von Oesterreich, gleichviel ob männ-
licher oder weiblicher Descendent, empfange, welcher in den übrigen
Erb-Königreichen und Ländern durch die neue Thronfolge-Ordnung
') Die Vorgänge auf dem Landtag 1722 nach Bidermaun, Geschichte
der österr. Gesamrat-Staats-Idee, 11, Anmerkg. zum 3. Abschn.
*) Bidermann, 11, 53.
Digitized by
Google
44
zum Tlirone berufen sei. („Imperatorum et ßegum Hungariae des-
cendentes", wenn sie ,,legitiini, Eomano-Catholici" und „Austriae
Archiduces'^ sind.) Als Bedingung galt nur, dass von den Erb-
landen weder durch Theilung oder sonstwie ein Gebiet losgelöst
werden solle und dass die Erblande miteinander, gleiclizeitig und
mit Einschluss des Königreichs Ungarn, sowie der zu diesem
gehörigen Nebenländer eine vererbliehe Besitzmasse zu bilden
hätten.
Mit den Wünschen nach Vereinigimg Siebenbürgens, der
Mihtärgrenz-Dist riete imd des Temeser Banats, die auch auf dem
Landtage zur Berathung kamen, drangen indessen die Stände
nicht durch.
Die gewichtige Ansicht des Prinzen Eugen von Savoyen
war schon während des Türkenkrieges gegen diesen Gedanken
ausschlaggebend ziun Ausdruck gebracht worden. Er hatt^ am
21. Juni 1717 aus dem Feldlager vor Belgrad bereits an den Hof-
kriegsrath geschrieben *) : „Auf welche AVeise die Einrichtung des
Temesvärer Banats dermalen angetragen imd mit einer löblichen
kaiserlichen Hofkammer conferentiaUter einverstanden wurde, Lst
mir wohl erinnerlich und lasse ich dahin gestellt sein, ob und wie
die quaestio reincorporationis ad Hungariam bis nach dem Frieden
zu verschieben und alsdann ein endlicher Schluss abzufassen sei.
Indessen bin und bleibe ich der unveränderlichen Meinung, dass
weder die gegenwärtigen (Kriegs-) noch die zukünftigen Friedens-
umstände die Incorporirung mit dem gedachten Königreich, wohl
aber die Art einer abgesonderten Provinz wie Siebenbürgen, cum
reservatione domini supremi territorialis et secundi terrestris, zu
Ihro kais. Majestät Dienst anrathen können, also zwar, dass, wenn
ein anderes System abgefasst (wird), weder dem kaiserlichen Aerar
ein Nutzen, dem Land eine gute Einrichtung und noch weniger
persördiche wie öffentliche Sicherheit anzuhoffen ist, worüber nicht
nur die verschiedenen Ursachen, sondern hauptsächlich die ver-
flossenen Zeiten ein Melu'eres bestätigen werden."
Diese Beurtheilung der Frage blieb auch jetzt noch die mass-
gebende.
Die selbstständige Meinungsabgabe des siebenbürgischen Land-
tags wurde indessen von Seite der Ungarn als ungesetzlich betrachtet
und dagegen protestiert.
») Feldzüge de« Prinzen Eugen von Savoj^en, XVII. Band. Supplement
Nr. 70.
Digitized by
Google
45
Erst im folgenden Jahre wurde die Erbfolge-Ordnung auch
den Ständen in den österreichischen Niederlanden vorgelegt. Am
G. Juli 17*23 versammelten sich jene von Brabant, am 22. August
die von Flandern.
Bemühungen von französischer Seite, die Anerkennung zu
hindern, blieben erfolglos, die beiden Stände nahmen die Erbfolge-
Ordnung wie den Grundsatz der Untheilbarkeit der Länder sowohl
innerhalb wie ausserhalb des römischen Keiches ohne Bedingung
an. Die Stände sprachen indessen die Bitte aus, der Kaiser möge
diese Successions- Ordnung in allen Königreichen, Provinzen und
Erblanden „als ein unwiderrufliches und unveränderliches Gesetz*'
pubUcieren lassen. *) Dass dies mit Rücksicht auf die Verfassung
in den Erblanden wie in Ungarn nicht wolil in dieser Form
geschehen könne, beachtete man in den Niederlanden nicht, doch
liess Carl VI. in den Niederlanden durch ein Patent vom 6. De-
cember 1724 die Erbfolge-Ordnung in Gi^setzesform am 15. Mai 1725
durch den Statthalter ad Interim Grafen Dann in Brüssel ver-
öffentlichen.
Dieser in den Niederlanden publicierte Gesetzesact wird irr-
thümlich häufig als die eigentliche endgütige Formulierung der
„Pragmatischen Sanction" angesehen und hat als solche selbst in
officiellen Gesetzessammlungen der neuesten Zeit noch Aufnahme
gefiinden. *)
Im Herzogthum Mailand wurde das Gesetz über die Thron-
folge-Ordnung in einem Patent vom 14. März 1725 durch den
Gouverneur Grafen Colloredo kimdgemacht.
Die Anerkennung der pragmatischen Sanction durch die
fremden Mächte und das lleich.
Es schien Kaiser Carl VI. wichtig, die Anerkennung des
weiblichen Tlironfolgerechtes in directer Linie in den habsburgisclien
Ländern nicht nur in seinen Erblanden festgesetzt zu sehen, sondern
sie auch von Seiten der fremden Mächte zu erlangen.
Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass ein gewisser Unterscliied
in den Absichten festzuhalten sein dürfte, von welchen die
*) Nach Mayer, Die letzten Habsburger. U, 80.
^ Siehe Anhang. II.
Digitized by
Google
46
Forcierungen an die Erblande und jene an die fremden Mächte
geleitet sind. Die Erbfolge nach der Primogenitur auch in weib-
licher Linie ist der nach beiden Seiten hin überwiegende Haupt-
zweck, die Untrennbarkeit der Länder aber konnte wohl nur im
Sinne einer gegenseitigen Zusage des Kaisers und der Erblande,
wie Ungarns, einen vertragsmässigen Ausdruck finden, von den
fremden Mächten indessen doch nur etwa als Zusage einer Garantie,
einer Hilfeleistung, wenn ein fremder Eroberer sich dieses oder
jenes Theiles des habsburgischen Besitzes bemächtigen wollte, auf-
gefasst werden. Eine absolute Sieherstellung der Untrennbarkeit
der österreichischen Länder aber koimte kein fremder Staat bieten
und darauf da und dort etwa hinweisende Vertragsstellen sind
diplomatische Formeln und Redewendungen im übertreibenden
Style der Zeit, die aber doch das wirkliche und erreichbare Mass
der Sicherstellung nicht zu vergrössern oder zu erweitem ver-
mögen.
Der Werth der Zustimmung der fremden Mächte zu der Erb-
folge-Ordnung Carl VI. bestand gewiss mehr in der in solcher
Anerkennung liegenden bindenden Zusage, den Erbbesitz nicht
aus Gründen der Erbfolge oder der Auftheilung selbst angreifen
zu wollen; die Veimeidung aller Kriege überhaupt imd selbst
Verluste einzelner Provinzen gelegentlich solcher konnte Carl VI.
wohl kaum von der Garantie seiner Successions-Ordnung durch
die fremden Staaten erhoffen wollen.
Carl VI. trat an die fremden Mächte nicht erst nach der
erlangten Einigung mit seinen eigenen Ländern heran, wenn auch
die massgebendsten Verhandlungen in dieser Richtung wirklich
erst nach VoDendung der internen erfolgte. Aber principielle
Anerkennungen der neuen östeiTeichischen Erbfolge-Ordnung finden
sich sjßhon in den Friedensschlüssen von Rastatt vom 17. März
und Baden vom 7. September 1714, also schon bald genug nach
der ersten öffentUchen Kundgebimg des Kaisers über seine beab-
sichtigte Thronfolge-Ordnung.
Im Artikel XIX des Rastatter Friedens-Instnmients trat
Frankreich die spanischen Niederlande an den Kaiser ab, um sie
„selbst wie seine Erben und Nachfolger von jetzt und für immer
ganz und imangefochten" zu besitzen, „selon Tordre de succession
ötabli dans la maison d'Autriche". ^)
») Feldzüge des Prinzen Eugen, XV, 575. Anhang 19. Friede zu Rastatt.
Digitized by
Google /
47
Und mit denselben Worten bekräftigt der XIX. Artikel des
Friedens zu Baden ^) die Anerkennung der Erbfolger im Hause
Oesterreich „nach dessen Successions-Ordnung".
Eine weitere Bestätigung fand das Erbrecht der österreichischen
weiblichen Descendenz in dem IV., V. und VII. Artikel des am
2. August 1718 zwischen dem Kaiser, Frankreich, England, den
Generalstaaten und Sardinien zu London geschlossenen Allianz-
vertrags, nicht weniger durch den 1725 zwischen dem Kaiser und
Spanien geschlossenen Frieden zu Wien. ^
Der fortwährende Wechsel der politischen Scene in jenen
Jahren imd die Unsicherheit aller Bündnisse und Verträge veran-
lassten den Kaiser nun, eine ausschliesslich der Erwirkung allseitiger
Zustimmung der Mächte zu den Bestimmungen der Erbfolge-Ordnung
gewidmete politische Action einzideiten.
Nachdem schon auf dem Congress zii Cambray 1722 — 1724
die Erbfolgefrago in OesteiTeich berührt worden war, kam nach
dem Bruche Spaniens mit Frankreich, der in der rücksichtslosen
Zurücksendung der zur Braut des jungen Königs Ludwig XV.
bestimmten Infantin, einer Tochter Philipp V. und der Königin
Elisabeth Farnese am 5. Mai 1725 nach Spanien, einen hässlichen
Ausdruck fand, eine rasche Annäherung Spaniens an den Kaiser
zu Stande, die schon am 30. April 1725 zum „Wiener Bündniss'^
führte.
In demselben wurden die Bestimmungen der Quadnipel-Allianz
bestätigt; König Philipp erkannte die Eechte Carls VI. auf die
Niederlande, Mailand, Neapel und Sicilien an und gai'antierte
feierlich die Aufrechthaltung der pragmatischen Sanction, wogegen
Carl VI. seinen Hechten auf Spanien und der Anwartschaft auf
Parma, Piacenza und Toscana entsagte. ^) Die Anerkennung wurde
wiederholt 1731.
Nach langwierigen Verhandlimgen wurde auch ein Vertrag
zwischen dem Kaiser imd Kussland einerseits, Dänemark anderer-
seits zustande gebracht. Die Mächte garantierten einander ihre Be-
sitzungen und verj)flichteten sich, im Falle die eine oder andere
angegriffen würde, einander entweder auf diplomatischem Wege.
») Feldzüge des Prinzen Eugen. XV. 592.
") Olenschlager, Geschichte dos Interregni nach Absterben Carl VI,
Frankfurt 1742. I. Bd.
') Der Vertrag bei Dumont, Corps universel diplomatique. VIII, II, 106.
Digitized by
Google
48
oder, falls dies resnltailos bleiben sollte, mit den Waffen zu Hilfe
zu eilen. Im Artikel IV hiess es ausserdem, dass „Se. Königl.
Majestät zu Dänemark, Norwegen .... für Sich, dero Erben und
Nachkommen beiderlei Geschlechts, die in dem durchlauchtigsten
Erzhause Oesterreich eingefulirte und von Se. Köm. Kais, und
Kath. Maj. unter dem 19. April 171H erklärte, auch nachher von
Dero gesammten Erb-Königreichen und Landen mit dem' submissesten
Dank angenommenen Erbfolge-Ordnung zu garantieren und deren
imveränderliche Beibehaltung gegen Alle und Jede kräftig(?rmassen
maintenieren zu helfen; dergestalten, dass Se. Königl. Maj. zu
Dänemark, Norwegen, dero Erben und Nachkommen, diese Garantie
so oft zu leisten sich verbinden und anheischig machen, als ent-
weder Se. Eöm. Kais, imd Kath. Maj. in Lebzeiten oder nach
dero zeitlichem Hintritt .... deroselben Erben und Nachkommen
zuwider erwähnter den 19. April 1713 erklärter Erbfolge-Ordnung
in dem Besitz Dero sämmtlichen in und ausser Reichs gelegenen
Erb-Königreichen und Landen, oder eines derselben, nirgends und
nichts davon ausgenommen, von Jemandem, wer dergleichen sei,
würden beunruhiget, angegrilfen worden."
Ratificiert wurde dieser Vertrag diu*ch die Kaiserin Anna
Iwanowna am 10. Juni 1732.')
Von Seite Preussens geschah die Anerkennung der Prag-
matischen Sanction im „Geheimen Berliner Tractat" vom 23. De-
cember 1728, Artikel 11. ,, Gleichwie Sr. Königl. Majestät in Preussen
glorwürdige Vorfahren in denen mit dem durchlauchtigsten Erz-
hause Oesterreich vorhin emchteten Allianz-Tractaten, als nämlich
in dem Tractat de anno 1()86, Ali:. I imd II, damals regierender
Rom. Kais. Majestät auch namentlich Derselben Erben und Nach-
kommen, Königen und Erzherzogen, alle Dero Erb -Königreiche und
Lande in und ausser Reichs zu garantieren übernommen haben,
Avollen Ihro Königl. Majestät in Preussen nicht allein vermeldete
Garantie hiemit erneuert und wiederholt, sondern auch noch über
das, fiir sich, Dero Erben und Naclikommen, zur Leistung sothaner
Garantie, in Ansehmig aller mid jeder von Ihro jetzt regierenden
Rom. Kais. Majestät, so in als ausser Reichs besitzenden Erb-König-
reichen und Länder, und zwar in specie nach der von Allerhöchst-
gedachter Ihrer Kais. Majestät unterm 11). April 1713 erklärten
imd bestätigten, auch nachgehend von denen gesammten Erb-König-
*) Mertens, Recueil des Traites. 1. 50 f.
Digitized by
Google
49
reichen und Ländern mit submissestem Dank angenommenen Erb-
folge-Ordnung, auf das Kräftigste sich verbunden haben ; also und
dergestalt, dass Se. Königl. Majestät in Preussen, Dero Erben und
Nachkommen Ihro Kais. Majestät, auch Dero Erben und Nach-
kommen beiderlei Geschlechts, wie sich dieselben nach Massgebung
obvermeldeter Erbfolge-Ordnung der Succession nach und nach zu
erfreuen haben, ermeldete Garantie so oft zu leisten schuldig und
gehalten sein sollen, als entweder Ihro Kais. Majestät in Lebzeiten
oder nach Dero zeitlichem Hintritt (welchen Gott der Allmächtige
lange Zeit in Gnaden verhüten und abwenden wolle) Deroselben
Erben und Nachkommen beiderlei Geschlechts zuwider vorerwähnter,
anno 1713 erklärten Successions-Ordnung, in dem Besitz Dero sämmt-
lichen, in und ausser Reichs gelegenen Erb-Königreiche und Lande
oder eines dererselben, nirgends und nichts ausgenommen, von
Jemand, wer der gleich sein würde, beunruhigt, angefallen und
angegriffen werde."
„Herentgegen", als* Gegenleistung garantierte Carl VI. für
sich und Nachfolger die preussische Succession, „wie selbige nach
denen dermaUgen bekannten Verfassungen des königl. preussischen
und churbrandenburgischen Hauses^' zu erfolgen habe.
Im V. Artikel verwahrte sich Preussen gegen einen Uebergang
des Pfalz-Neuburg'schen Erbes in Jülich und Berg an einen Pfalz-
Sulzbach'schen Prinzen, die folgenden Artikel hielten die Rechte
und Ansprüche Preussens auf diese Länder aufrecht und verein-
barten das in dieser Frage einzuhaltende gemeinsame Verfahren.
Im XTT. Artikel wiederholte König FriedrichWilhelmL
die Uebemahme der vollen Garantie der pragmatischen Sanction
nochmals und versprach, mit dem Kaiser „in und ausser Reiches
für einen Mann stehen" zu wollen.
Der XTTT. Artikel aber bedang, dass, wenn Einer der Vertrag-
schliessenden oder der Nachkommen gegen diesen Vertrag handeln
würde, „der andere Theil an nichts, was in den gegenwärtigen
Tractaten enthalten ist, verbunden sein soll." *)
Die Unmöglichkeit, die Jülich'schen Ansprüche im Sinne
Preussens zu erledigen, gab den Anlass, aus diesem Artikel XTTT
die Ungiltigkeit der Garantie Preussens zu deducieren.
Eine zweite Anerkennung der pragmatischen Sanction durch
Preussen fand 1 732 ohne Vorbehalt einer eintretenden Ungiltigkeit
des Vertrages statt, als es sich als Mitstand des Römischen Reiches
') Förster, Friedrich Wilhelm I., König von Preussen, n, 216.
Oeiterreiohisoher Brbfolgekrieg^. I. Bd. 4
Digitized by
Google
BO
dessen Garantie- und Anerkennungs-Erklärung beim Reichstag in
Regensburg anschloss.
England und die Generalstaaten übemahmen die
förmliche Garantie der pragmatischen Sanction im 11. Artikel des
Wiener Tractats vom 16. März 1731. Sie erklärten: „dass, nachdem
von Ihrer Kais. Majestät öfters remonstriert worden, dass die all-
gemeine Ruhe nicht lange bestehen und dauern und man kein
sicheres Mittel, das Aequilibrium in Europa zu erhalten, finden
könnte, als eine Vertheidigung, eine Verbindung, eine Gewähr,
oder, wie man zu sagen pflegt, eine General-Garantie gegen Ihre
Kais. Majestät, wegen der Ordnung Ihrer Succession, wie selbige
durch die kaiserliche Declaration von 1713 reguKert und in dem
durchlauchtigsten Hause Oesterreich angenommen worden, so
nähmen Ihro Majestät der König von Grossbrittannien und Ihro
Hochmögenden, die Herren Generalstaaten der vereinigten Nieder-
lande, aus Antrieb eines eifiigen Verlangens, die allgemeine Ruhe
zu versichern und das Aequilibrium von Europa zu erhalten, wie
auch in Ansehung der in folgenden Artikeln etablierten Conditionen
und die über alle Massen dienlich sind, zu dem einen und andern
Zweck zu gelangen, kraft des gegenwärtigen Artikels die General-
Garantie oben besagter Successions- Ordnung auf sich und ver-
obUgieren sich, dieselbe aUemal, wenn es die Noth erfordert, wider
wen es auch sein möchte, zu soutenieren und versprechen folglich
auf die allemachdrücklichste Art, als immer mögHch, diese Suc-
cessions-Ordnung, welche Ihre kais. Majestät durch eine solenne
Acte vom 19. April 1713, *) nach Art eines einigen, unzertrennlichen
imd untheilbaren Fideicommissi, in Faveur der Erstgeborenen vor
alle Erben beiderlei Geschlechts Ihrer Majestät declarieret und
etabheret, aus allen Kräften zu vertheidigen, zu maintenieren und,
wie man sagt, zu garantieren, aUemal, wenn es die Noth erfordert
und wider wen es auch sein möchte."
„Alle Classen und Stände aller Königreiche, Erzherzogthümer,
Fürstenthümer, Provinzen und Domänen, so dem durchlauchtigsten
Haus Oesterreich erbrechtlich zugehören, haben gedachte Acte
*) Die Berufung auf den Act vom 19. April 1713 als massgebend für
Begriff und Formulierung der pragmatischen Sanction in diesem Wiener Tractat
ist ein Beweis dafür, dass jene Publication der Sanction vom Jahre 1724 von
Seite des Kaisers keineswegs als die eigentliche und authentische Urkunde
über die Sanction angesehen wurde, als welche sie irrigerweise heute noch
manchmal betrachtet wird.
Digitized by
Google
51
allsobald einhelliglich angenommen, sich derselben mit aller Demuth
und mit Danksagung unterworfen und sie in die Protooolle getragen,
^ als welche die Kraft eines Gesetzes und einer pragmatischen Sanction
hat, welche auf ewig in aU' ihrer Kraft bestehen soll. Und da
vermöge dieser Eegel und Successions-OrdAung, faUs Gott nach
seiner Barmherzigkeit Ihrer Kais. Majestät männliche Erben geben
sollte, der Erstgeborene Ihrer Prinzen, oder wenn dieser vor Ihro
Kais. Majestät mit Tod abgienge, des Erstgeborenen ältester Sohn,
und wenn nach Ihrer Kais. Majestät keine von Deroselben her-
stammende männliche Linie übrig bliebe, die älteste Ihrer Prin-
zessinnen, die durchlauchtigsten Erzherzoginnen von Oesterreich
nach der Ordnung und dem Eecht der Erstgeburt, welches man
jederzeit unzertheüt beobachtet, Ihrer besagten Kais. Majestät in
aUen Dero Königreichen, Provinzen und Domänen, so wie sie die-
selben wirklich besitzt, ohne dass man jemals befiigt sein könnte,
dieselben in Faveur der- oder dererjenigen, welche, sie seien männlich
oder weibKch, von der andern, dritten oder weiter hinausgesetzten
Linie sein werden, oder endlich aus was für einer andern Ursache
es sei, zu zertheilen oder zu zertrennen, succedieren soll ; und eben
diese Ordnung und unzertheilbares Recht der Erstgeburt in allen
Fällen und Altem, sowohl in der männlichen Linie Hiro Kais.
Majestät, wenn Ihr Gott dieselbe verwilliget, als auch in der weib-
lichen Linie Ihrer Kais. Majestät, nach Absterben der männlichen
oder endlich in allen Fällen, da es auf die Succession derer König-
reiche, Provinzen und Erb-Domänen des durchlauchtigsten Hauses
Oesterreich ankommen wird, auf ewig soll gehalten und beobachtet
werden, so entsprechen und verbinden sich Ihro Majestät der König
von Grossbrittannien und Ihre Hochmögenden, die Herren General-
staaten der vereinigten Niederlande, denjenigen oder diejenige,
welcher oder welche, nach der Kegel und Ordnung, so man anjetzt
vorgelegt, in denen Königreichen, Provinzen und Domänen, welche
Ihro Kais. Majestät wirklich besitzt, succedieren solle, zu mainte-
nieren und verpflichten sich, gedachte Eegel und Ordnung wider
alle Diejenigen, welche diese Besitzung, auf waserlei Art es sei,
vielleicht möchten troublieren wollen, auf ewig zu defendieren." ')
Dieser genau formulierte Vertragsartikel, welcher den ganzen
Umfang und Inhalt des unter die Garantie zu stellenden Gesetzes,
wie den Umfang und das Mass der Garantie selbst umständlich
zum Ausdrucke bringt, ist desshalb von weiterem Belang, weil er
*) Olenschlager, Geschichte des Interregni, I, 19.
4*
Digitized by
Google
52
auch die Grundlage der Berathung für den Reichstag zu Regens-
burg zu bilden hatte.
Der Kaiser berief sich auf die Darlegungen dieses englisch-
holländischen Vertragsartikels, um auch das Mass der vom Reiche
zu übernehmenden Garantie -Verpflichtung deutlich zu bezeichnen.
Am 18. October 1731') wandte sich der Kaiser mit dem Wunsche
nach der Garantie der Sanction an das Reich ,,in der gänzlichen
und gnädigsten Zuversicht, dass gleichwie die Macht Dero Erz-
hauses forthin zur Vormauer der Christenheit, anbei dazu dienen
würde, die Freiheit Europas und bevorab des Uro Kais. Majestät
so hoch angelegenen werthen Vaterlandes gegen alle fremden
Eingriffe und widrige Unternehmungen kräftigst zu vertheidigen,
also auch ein jeder patriotisch gesinnte Reichsstand unschwer er-
kennen und beherzigen werde, dass von unzertrennter Erhaltung
solcher Macht seine selbsteigene, nebst der allgemeinen Sicherheit
und Wohlfahrt abhänge.'*
Der kaiserliche Principal-Commissär Graf Fürstenberg übertrug
für die Verhandlung über die Anerkennung der pragmatischen
Sanction beim Reichstag den Vorsitz an Salzburg.
Auf dem Regensburger Reichstag legte S Izburg dieses kaiser-
liche Verlangen befürwortend zur Berathung vor.
Bayern erklärte sofort, dass eine Garantie für die Niederlande
oder Italien dem Reiche nicht zugemuthet werden könne, Ungarn
aber ein „absonderlich Königreich und für der Deutschen Vaterland
gar nicht zu rechnen", die deutschen Lande aber ohnehin durch
den Reichsverband genügend garantiert erschienen. Es lehnte eine
Garantie unbedingt ab.
Magdeburg stimmte für Brandenburg- Culmb ach filr die Garantie,
im Namen Preussens erklärend, dass der König sein Votum „hiemit
von ganzem und willigem Herzen dazu ertheilt haben wollten, auch
bedürfenden Falles zu wirklicher Prästierung solcher Garantie als
ein getreuer Reichsstand und Ihrer Rom. Kais. Majestät und Dero
d\u*chlauchtigsten Erzhaus ganz getreuesten Freund mit willigster
Darsetzung Guts und Bluts zu leisten und beizutragen nicht
mangeln würde."
Beinahe einhellig, Bayern imd Leuchtenberg ausgenommen,
votierte der Reichstag die verlangte Garantie, im Reichsgutachten
vom 11. Januar 1732 den Bescliluss niederlegend: „In Dero so
*) Acta publica, I, Nr. VII.
Digitized by
Google
53
gerecht, als höchstbilliges zu des gesammten deutschen Reichs
höchsteigener Conservation, Heil und Besten gereichendes Ver-
langen und Gesinnen der Garantie oder Gewährung der in Ihrem
durchlauchtigsten Erzhause eingeführten und von Deroselben unter
dem 19. April 1713 erklärten Erbfolge-Ordnung in allen von Gott ver-
liehenen dermal besitzenden Erb-Königreichen und Landen auf Mass
und Weise des IE. Artikels des zwischen Allerhöchst erwähnter Kais.
Majestät und der Krone England am 16. März des abgewichenen
1731. Jahres geschlossenen Tractats etc. von Reichswegen, wie
hiemit beschiehet, zu gehelen, zu consentieren und zu übernehmen,
mithin so oft, als Der- oder Diejenige, welchem oder welcher die
Succession nach Mass obgedachter Erbfolge-Ordnimg gebühren
würde, in dem Besitz einiger von Ihro Kais. Majestät dermalen
innehabenden Erb-Königreichen und Landen auf einigerlei Weise
angefochten werden sollten,Der- oder Dieselbe gegen jedermänniglich,
der etwa solche unzertrennliche Posessionen zu stören oder zu tur-
bieren sich anmassen würde, zu allen Zeiten mit allen Kräften zu
schützen, zu maintenieren, auch bedürfenden Falles zu wirkUcher
Vollziehung solcher Reichs-Gewährung das Nöthige demnächst zu-
verlässig zu leisten und zu prästieren sei, da hingegen das Reich
auch auf alle unverhoffte widrige feindliche Gefahr und Angriff
sich einer mitverbundenen nöthigen Beihilfe getröstete."
Ln Churfürsten-CoUegium kam es dann noch zu Zwistigkeiten.*)
Chur-Bayem und Chur-Sachsen protestierten schon gegen die Ab-
gabe des Reichsgutachtens, auch Chur-Pfalz machte Schwierigkeiten,
aber Chur-Maynz, Trier, Cöln, ebenso wie Chur-Brandenburg imd
Chur-Braunschweig gaben ein einmüthiges Votum und eine Ver-
wahrung gegen das nachträgliche Bemängeln des „vom gesammten
Reich" errichteten Gutachtens ab und verliessen die Sitzung, die
protestierenden drei Churstimmen allein zurücklassend ^).
Der Kaiser ratiiicierte am 3. Februar 1732 mit Versicherungen
seines Dankes das Reichs -Gutachten und die damit gewährte
Garantie.
Am 3. October 1735 wurde der Präliminarfrieden ^) zwischen dem
Kaiser und Frankreich in Wien unterzeichnet, in welchem der
*) Acta publica, I, Nr. X.
«) Acta publica, I, Nr. XI.
•) Das Friedens-Instrument in lateinischer Sprache. In deutscher Ueber-
setzung zuerst veröffentlicht bei Olenschlager, Gescliichte des Inter-
regni, I, 2i.
Digitized by
Google
54
Kaiser an den spanischen Infanten Don Carlos Neapel und
Sicilien, an den König von Sardinien das Herzogthum Mailand,
an König StanislausLesczynski das Herzogthum Lothringen
überliess, dessen Besitzer hiefiir Toscana erhalten sollte. Als Gegen-
leistung für diese grossen Opfer, die allerdings der nicht mit Glück
geführte Krieg der polnischen Thronfolge wegen, überwiegend
bedingte und unvermeidlich machte, versprach Frankreich die
Gewähr und den Schutz der pragmatischen Sanction mit der Zu-
sage, auch Spanien und Sardinien hiezu zu veranlassen.
Beim definitiven Frieden zu Wien am 18. November 1738
wurde die Garantie der Sanction durch Frankreich im Artikel X
genau bestimmt imd festgesetzt.
„Es beziehet sich gleichfalls auf das, worüber man bereits
schon mit einander übereingekommen ^), die von Sr. Allerchrist-
lichsten Majestät auf die beste Weise, als solches nur immer sein
kann, vermöge des VI. Artikels der Präliminarien, in Ansehung
der von Ihro Kais. Majestät sowohl bereits damals zum Theil inne-
gehabten, als auch zum Theil in Conformität sothaner Präliminar-
Artikel in Besitz zu nehmenden Landen übernommene Beschützung
und Gewährung, welche insgemein die Garantie der Erbfolge in
dem Hause OesteiTeich genannt wird und in der am 19. April 1713
publicierten pragmatischen Sanction weitläufig erklärt zu finden ist.
Denn, nachdem man reiflich erwogen, dass die allgemeine Ruhe
von keiner allzulangen Dauer und Bestand sein und man zur Erhaltung
eines dauerhaften Gleichgewichtes in Europa kein sichereres Mittel,
als die Handhabung obgedachter Erbfolge-Ordnung ausfindig machen
könnte^): „so sind Se. Allerchristlichste Majestät sowohl durch ein
eifriges Verlangen, den allgemeinnn Ruhestand zu beschützen und
das Gleichgewicht von Europa zu erhalten, als auch in Betrachtung
derjenigen Friedensbedingungen, welche Ihro Kais. Majestät ein-
gegangen, bewogen worden, fürnehmlich aus dieser Ursache auf
die allerbeständigste Weise (quam validissime) obbesagte Erbfolge-
Ordnung verbindlich zu machen. Auch damit sich nicht der geringste
Zweifel in Ansehimg der Wirklichkeit dieser Versicherung oder
Garantie künftighin erheben möge, so verpflichten sich hoch-
') Im Präliminarfrieden.
*) Man sieht, dass die österreichischen Staatsmänner bemüht waren,
in allen Verträgen eine gewisse Gleichartigkeit der Begründung, wie der
Formulierung zur Geltung zu bringen ; wohl, um der Garantie der fremden
Staaten eine grössere Einheitlichkeit und damit, vermeintlich wenigstens,
Festigkeit zu geben.
Digitized by
Google
55
besagte Se. Allerchristlichste Majestät, in Kraft gegenwärtigen
Artikels, diese Gewährleistung oder sogenannte Garantie, so oft
und so viel es nöthig sein dürfte, zur wirklichen Vollstreckung zu
bringen, wobei dieselben für sich, Ihre Erben und Nachfolger auf
die beste und beständigste Weise, als solches immer geschehen
kann, hiemit versprechen, diese Erbfolge-Ordnung, so Ihro Kais.
Majestät in der Form eines ewigwährenden, unzertrennlichen und
untheilbaren Fideicommisses, zum Vortheil der Erstgeburt für Ihro
Majestät sämmtliche Erben beiderlei Geschlechts, vermittelst der
unter dem 19. April 1713 errichteten und am Ende des gegen-
wärtigen Tractats beigefügten feierlichen Acte festgestellt und
erklärt haben und welche in Kraft eines Gesetzes und ewig
geltenden pragmatischen Sanction, deren Beschützung oder soge-
nannte Garantie das heilige Römische Reich vermöge des am
11. Januar 1732 ergangenen Reichs-Schlusses über sich genommen,
denen öffentlichen Urkunden einverleibet worden, mit aller Ihrer
Macht zu unterstützen und wider Alle und Jede, so oft es die Noth
erfordern wird, wie man zu sagen pflegt, zu garantieren.'*
Der Schluss des Artikels ist die sinn- und wortgetreue Wieder-
holung des n. Artikels des Wiener Tractats vom' 16. März 1731
mit England und den Generalstaaten.
Kaiser Carl VI. ist ob seiner langjährigen rastlosen Be-
mühungen um die Anerkennung der pragmatischen Sanction, ob
seiner grossen und zahlreichen Opfer für dieselbe viel getadelt
worden. Es wird versichert, dass Prinz Eugen ihm den Rath
erth.eüt habe, die Erbfolge seiner Tochter durch ein starkes und
tüchtiges Heer und einen wohlgefiillten Staatsschatz zu sichern,
statt Versprechungen zu erkaufen, die Niemand halten werde.
Die Meinung mochte der Prinz wohl haben, wenn auch der
Ausspruch nicht nachweisbar ist. Es ist aber ebensowenig ein
Beleg dafür vorhanden, dass er ein Gegner der Politik des Kaisers
in dieser Frage gewesen.
Die Bemühungen des Kaisers, durch feierliche Verträge und
sorgsame Berücksichtigung aller vorhandenen Rechte der eigenen
Länder, wie der fremden Höfe die Thronfolge zu ordnen und im
Frieden zu begründen, führten nicht zu dem erhofften Ziel. Trotz-
dem darf ihr Werth auch nicht ganz unterschätzt werden.
*) Arneth, Prinz Eugen von Savoyen, III, 166.
Digitized by
Google
^6
In wahrer Weise zeichnet Arneth die Bedeutung und den
Werth der moralischen Erfolge für die Befestigung der Sanction,
welche Carl VI. doch erworben hat. *)
„Durch einen Zeitraum von fast dreissig Jahren gewöhnten
sich die österreichischen Erbländer daran, dasjenige Gesetz, welches
ihnen fortwährend als die Grundlage ihres öflentlichenllechtszustandes
hingestellt wurde, auch als solche anzuerkennen.'*
Es „blieben auch hinsichtlich der fremden Staaten die zahl-
reichen Opfer des Kaisers, die Anerkennung der pragmatischen
Sanction zu erwirken, trotz des fast allgemeinen Treubruchs, in
welchem nach seinem Tode die Mehrzahl dieser Mächte sich ver-
einigte, nicht ohne alle günstige Wirkung. Mit welch' anderem
Nachdruck hätten die Prätendenten aufzutreten vermocht, wenn
sie nicht feierliche Zusagen gebrochen, wenn sie selbst, wenn
Andere an ihr vorgebliches Recht geglaubt hätten. Jedem Un-
parteiischen war es klar, dass sie zu ihrer Handlungsweise durch
die Habsucht und die Begierde nach Ländergewinn getrieben
wurden. Und daher neigten sich denn auch die Sympathien aller
derjenigen, die noch einen Funken der Achtung bewahrten für
Recht und Gesetz, lebhaft zu der erlauchten Fürstin, welche sie
in ungerechter Weise angegriffen sahen. Dieses Gefühl aber war
ein mächtiger Verbündeter Maria Theresia's und dass es all-
gemein vorherrschte in Europa, daran hatten die vorsorglichen
Bemühungen Carl VI. wohl den wesentKchsten Antheil.''
(V. Wetzer,)
Digitized by
Google
Die Verfassung und Verwaltung
der
Deutschen Erblande, der Niederlande und der Besitzungen
in Italien.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Uer habsbui'gische Länderbesitz im Ausmasse von 10.431*29
geographischen Quadratmeilen oder 574.375 Quadrat-Kilometern, wie
er zur Zeit des Todes Carl VI. bestand, bildete kein einheitliches
Staatswesen mit gemeinsamen Gesetzen und Verwaltungsformen,
sondern eine Reihe von Ländergruppen, welche miteinander in
einer engeren oder loseren Verbindung standen und zum Theil nur
durch die Gemeinsamkeit des Herrschers und die Bestimmungen
der pragmatischen Sanction zu einem Ganzen verbunden waren.
Durch die Art und die Umstände ihrer Erwerbung waren aus dem
habsburgischen Hausbesitze oder den „gesammten Erb-Königreichen
und Landen", wie sie officiell gewöhnlich genannt wurden, fünf
politisch und administrativ von einander getrennte Ländergruppen
mit mehrfachen ünterabtheilungen entstanden, nämlich:
L Die österreichischen Erblande, die Stammlande
der Monarchie, aus welchen sich durch die vorausgegangenen
Erbtheilungen und die dadiu*ch bedingte administrative Trennung
drei Unter- Abtheilungen gebildet hatten: 1. Nieder-Oesterreich, be-
stehend aus dem Erzherzogthum Oesterreich unter und ob der
Enns; 2. Liner-Oesterreich, d. i. die Herzogthümer Steyermark,
Kämthen, Krain mit dem dazu gehörigen Theile von Istrien, die
Grafschaften Görz und Gradisca, nebst deren Confinien und den
Gebieten von Triest und Fiume oder dem österreichischen Litorale ;
3. Ober- und Vorder-Oesterreich, nämlich Tyrol, Vorarlberg und die
Vorlande, d. i. der Breisgau mit dem Hauptorte Freiburg, das obere
Eheinviertel mit den vier „Waldstädten'' Laufenburg, Rheinfelden,
Säckingen und Waldshut, dann in Schwaben die Grafschaften
Burgau, Nellenburg, Hohenberg und Thengen, die obere und
untere Landvogtei Schwaben, die Donaustädte Munderkingen,
Waldsee, Sulgau, Eieblingen, Mergen, fem er die Orte: Constanz,
Steckbom, Radolfzell, Schelklingen, Ach, Ehingen und Vehringen.
Digitized by
Google
60
n. Die böhmischen Erblande, nämlich 1. das Königreich
Böhmen mit der Grafschaft Glatz, dem Egerlande und dem Bezirke
Elbogen, 2. die Markgrafschaft Mähren und 3. das Herzogthimi
Schlesien.
Die österreichischen und die böhmischen Erblande
zusammen heissen die deutschen Erblande oder kurzweg „die
Erblande".
m. Die Länder der ungarischen Krone, d. i. die König-
reiche Ungarn, Croatien und Slavonien, das Fürstenthum Siebenbürgen
und das Temeser Banat.
rV. Die österreichischen Niederlande, bestehend aus den
Herzogthümem Brabant, Limburg, Luxemburg und Geldern, den
Grafschaften Flandern, Hennegau, Namur und Mecheln^ endlich die
Herrschaft Doomik oder Toumay; die Grafschaft Mecheln wurde
jedoch gewöhnlich zu Brabant, die Herrschaft Tournay oder Doomik
zu Flandern gerechnet.
V. Die österreichischen Besitzungen in Italien, nämlich
ein Theil des Herzogthums Mailand, dann die Herzogthümer Mantua,
Parma und Piacenza.
Ebenso mannigfaltig und verschieden, wie die unter dem
Scepter Kaiser Carl VI. vereinigten Länder und ihre Bewohner,
war die Verfassung und Verwaltung der einzelnen Länder und
Landestheile. Hatte auch in dem jahrhundertelangen Streite
zwischen den Landesfilrsten und den Ständen die Landeshoheit
der ersteren den Sieg davongetragen, so war doch der Inhalt und
Umfang der landesfiirstlichen und ständischen Rechte fast nirgends
der gleiche. Neben Verwaltvmgsgebieten ohne Stände und Stände-
versammlungen, z. B. den im Passarowitzer Frieden erworbenen
Territorien, fanden sich solche mit schwachen Resten ehemaliger
ständischer Herrlichkeit bis zu solchen mit ausgedehnten Rechten
der Stände, wie z. B. in Ungarn und den Niederlanden. Diese
länderweise verschiedenen Verfassungen hatten auch eine nach
Ländern und Landestheilen gesondeite Verwaltungsform zur noth-
wendigen Folge : hier gab es nur landesfiirstliche, dort neben diesen
auch ständische Verwaltungsbehörden und Organe. Es bestand
weder eine einheitliche Staatsverfassung, noch eine gleichartige
StEiats Verwaltung, sondern nur Landesverfassungen imd
Landesverwaltungen, zwischen denen durch die Person des
gemeinsamen Landesftirsten und seine persönliche Einflussnahme
auf die obersten Regierungsgeschäfte, dann auch durch die zwischen
einzelnen Ländern und Ländergruppen geschlossenen Vereinbarungen
Digitized by
Google
61
und Einigungen der unumgänglielist nothwendige Zusammenhang
und die unerlässlickste Uebereinstimmung in den wesentlichsten
Gesichtspuncten hergestellt wurde. „Wer die österreichische Ver-
waltung bis 1748 übersieht, dem rollt sich das Bild einer gross-
artigen Unordnung auf, aber es war eine historische Unordnung,
das Product von Jahrhunderten, das mit seinem Wurzelwerk in
dem gesellschaftlichen Boden früherer Zeiten festgewachsen war,
nun aber vielfach verbraucht, vermorscht sich zeigte'' *).
Die österreichischen Erblande hatten ihre Behörden- und
Verwaltungs-Organisation von Maximilian I. und Ferdinand I.
erhalten, zu ihnen kamen im Jahre 1526 die Länder der böhmischen
Krone und ein Theil des Königreiches Ungarn und seiner Nebenländer
mit eigener Verwaltung. Während aber die Länder der böhmischen
Krone als ein Ganzes und auf einmal neben die altösterreichischen
Länder traten und ihren fertigen Verwaltungs - Organismus mit-
brachten, gelangten die Länder der Stephanskrone nur stückweise
im Verlaufe von zwei Jahrhunderten an das Haus Habsburg und
die näheren Umstände der einzelnen Erwerbungsphasen machten stets
eine Aenderung oder Neueinrichtung der Verwaltung des betreffenden
Landestheiles nöthig, so dass Ungarn und seine Nebenländer zur
Zeit Carl VL in eine Reihe von einander vollständig getrennter
und selbstständiger Verwaltungsgebiete zerfiel. Ebenso verhielt es
sich mit den als Ergebniss des spanischen Erbfolgekrieges er-
worbenen niederländischen Provinzen und den Besitzungen in
Italien. Die Niederlande besassen von altersher eine ziemlich weit-
gehende Autonomie, deren Aufrechthaltung nicht nur verbrieft,
sondern auch ein Gebot der Staatsraison war. Li Italien waren
die Königreiche Neapel und Sicilien wieder verloren gegangen und
der ganze Besitz aus der spanischen Erbschaft bestand in Folge
der Verluste und Ländertausche in den letzten Eegierungsjahren
Carl VI. nur noch aus einem Theile des Herzogthums Mailand
und den Herzogthümem Mantua, Parma und Piacenza, welche
ebenfalls ihre alte Verfassung und Einrichtung besassen und keiner
der alten Ländergruppen einverleibt werden konnten.
Die von Kaiser Maximilian I. begonnene und von Fer-
dinand I. fortgesetzte Einrichtung und Organisierung der Ver-
waltungsbehörden hatte unter den folgenden Kaisern im Laufe der
Zeiten mannigfache Veränderungen erfahren, so dass zur Zeit Kaiser
Carl VI. die politische Landesverwaltung der sämmtlichen zur habs-
*) A. Wolf, „Oesterreich unter Maria Theresia." 212.
Digitized by
Google
G2
burgischen Monarchie gehörigen Königreiche und Länder folgenden
obersten Behörden anvertraut war ^) :
Als oberster Rath der Krone bestand seit 1670 die geheime
Conferenz unter dem Vorsitze des Kaisers, deren Mitglieder
geheime Oonferenzräthe oder auch Minister genannt
wurden. Es waren dies die Präsidenten der obersten Hofstellen,
die obersten Hofwürdenträger und jene geheimen ßäthe, welche
eigens als Mitglieder der geheimen Conferenz berufen wurden.
Je nach der Beschaffenheit der Berathungsgegenstände und
der etwa nöthigen besonderen Geheimhaltung wurden entweder
alle oder nur einzelne Oonferenzräthe der Berathung beigezogen,
in letzterem Falle hiess dieselbe die kleine Conferenz und bestand
unter Carl VI. nur aus den Präsidenten der Central-Hofstellen,
wesshalb sie mit einem Ministerrathe in modernem Sinne vergUchen
werden kann^).
In der Conferenz, welche unter Kaiser Leopold I. bezüglich
der äusseren und inneren Staatsangelegenheiten an die Stelle des
geheimen Käthes getreten war, wurden alle wichtigen An-
gelegenheiten, mochten sie die äussere oder innere Politik, die
Landesverwaltung, Krieg oder Frieden betreffen, berathen. Nur
in jurisdictionellen Angelegenheiten, wenn der Landesftirst als
oberster Eichter in gewissen Fällen selbst Recht sprach, hatte
bis zur Schaffung der obersten Justizstelle im Jahre 1749 der
geheime Kath wie fiiiher sein Gutachten über die eingelsmgten
Processacten abzugeben und der Landesftirst entschied erst nach
Anhören des geheimen Raths^.
Die Berathungen der geheimen Conferenz erstreckten sich
auf die Angelegenheiten aller Königreiche und Länder und dess-
halb waren in derselben auch die Präsidenten der obersten Hof-
stellen der Ländergruppen und hervorragende Angehörige der
*) A r n e t h, Maria Theresias erste Eegierungsjahre. — A. Wolf,
Oesterreich unter Maria Theresia. — K r o n e s , Handbuch der Geschichte
Oesterreichs. — Bidermann, Gescliichte der österr. Gesanuntstaats-Idee.
— H u b e r, Oesterreichische Reichsgeschichte und Geschichte der österr.
Verwaltungs-Organisation. — Fellner, Zur Geschichte der Österr. Central-
verwaltung (in den Mitth. des Inst. f. österr. Gesch., VII. Bd.) und dessen
Bespr. V. B i d e r m a n n's Gesammtstaats-Idee in den Mitth. des Inst, fiär
österr. Gesch., XV. Bd. S. 517—531. — Seidler, Studien zur Geschichte
und Dogmatik des österreichischen Staatsrechtes. — Lustkandl, Central-
stellen in Oesterreich-Ungam (im österr. Staatswörterbuch) — u. A. m.
') S e i d 1 e r, Studien etc., 144.
«) F e 11 n e r, Mitth. des Inst., XV. 529.
Digitized by
Google
63
verschiedenen Theile der Monarchie vertreten. Sie war jedoch
keine gemeinsame Centralbehörde, auch kaum ein
Ministerrath im modernen Sinne, denn sie bestand nicht aus-
schliesslich aus verantwortlichen Ressortministern, sondern sie war
der oberste Beirath des gemeinsamen Landesfursten aller
Erb-Königreiche und Länder. Die auf Grund der Conferenz-Be-
. rathungen gefassten Allerhöchsten EntSchliessungen, respective die
Allerhöchst genehmigten Conferenz-Anträge, wurden dem Präsidenten
der betreffenden Hofetelle behufs deren Ausführung mitgetheilt.
Für besondere Angelegenheiten wurden Commissionen oder Depu-
tationen eingesetzt, in welche die mit der Sache vertrautesten
Mitglieder berufen wurden. Im Jahre 1721 erhielt die geheime
Conferenz eine neue Instruction, nach welcher der erste öster-
reichische Hofkanzler als die Hauptperson im Eathe der
Krone anzusehen war und fast als Minister der auswärtigen
Angelegenheiten erscheint. Der bezügliche Passus der Instruction,
woraus sowohl die Stellung der Conferenz, als auch jene des
österreichischen Kanzlers in derselben ersichtlich ist, lautet:
„Demnach die von meiner Hofkanzlei insonderheit besorgende
Staats- und Hausgeschäften, dann auch die, so von meinem Hof-
kriegs-, Spanischen und Niederländischen Rath expediert und beob-
achtet werden, wie denn auch, wenn einige von der ungarisch- oder
böhmischen Kanzlei vorhanden, mich entschlossen habe, selbe in
dem Lauf von zwei "Wochen in meiner Gegenwart dreimal (wenn
aber die Reichskanzlei zweimal vorkommete, diese auch nur zwei-
mal alsdann den Vortrag zu machen hätte) vorzunehmen. Als ist
folgendes zu beobachten: I. es wird der erste Hofkanzler einen
Extract von den ihm zukommenden Relationen, wie dann ebenfalls
eine schriftliche Anmerkung von deme, was die fremden Ministri,
so an ihn angewiesen, demselben an und vorgebracht und das ein
sowohl, als das andere in der obangeföhrten Conferenz beibringen
lind sein mündliches Votum über derselben Enthalt zum ersten
vortragen." ^)
Durch die im Jahre 1742 erfolgte Errichtung einer selbst-
ständigen Haus-, Hof- und Staatskanzlei für die äusseren An-
gelegenheiten und durch die vollständige Neuorganisierung der
Behörden im Jahre 1749 und den folgenden Jahren war der Wirk-
samkeit der Conferenz und des geheimen Rathes der Boden ent-
zogen und im Jahre 1760 errichtete die Kaiserin Maria
- ~ - ^ - ^ ^ - — «
») Fellner, Mitth. des Inst., XV. 630.
Digitized by VjOOQIC
64
Theresia auf neuer Grundlage und mit einem erweiterten und
fester begrenzten Wirkungskreis einen Staatsrat h, der mit
wechselnden Befugnissen und wiederholt geänderter Organisation
ein volles Jahrhundert bestand.
Die obersten politischen Hofstellen für die verschiedenen
Ländergruppen waren in den letzten Regierungsjahren Carl VI.
folgende :
1. Die österreichische Hofkanzlei für die öster-
reichischen Erblande;
2. die böhmische Hofkanzlei für die böhmischen Erb-
lande ;
3. die ungarischeHofkanzlei flir das eigentliche König-
reich Ungarn und Croatien;
4. die siebenbürgische Hofkanzlei für das Fürsten-
thimi Siebenbürgen;
5. der Hof kriegsrath und die Hof kämme r gemein-
schaftlich für die sogenannten neoacquistischen Länder, nämlich
das Temeser Banat, Slavonien und vor dem Belgrader Frieden vom
18. September 1739 auch das Königreich Serbien und die fünf westlich
der Aluta gelegenen walachischen Districte (die cisalutanische oder
österreichische Walachei (ValaKjhia austriaca) *) ;
6. der niederländische Eath flir die österreichischen
Niederlande ;
7. der italienische (vor dem Jahre 1737 genannt der
spanische) Rath für die kaiserlichen Besitzungen in Italien.
Als Eessort - Hofstellen flir bestimmte Verwaltungszweige
fungierten:
a) für die äusseren Angelegenheiten eine besondere Abtheilung
der österreichischen Hofkanzlei, welche im Jahre 1742
von der letzteren getrennt und als selbstständige Hofstelle unter dem
Namen Haus-, Hof- und Staatskanzlei organisiert wurde.
Diese mit der Führung der auswärtigen Geschäfte betraute Ab-
theilung der österreichischen Hofkanzlei wurde auch schon vor
dem Jahre 1742 gewöhnlich Staatskanzlei genannt.
b) Die Besorgung des Finanzwesens oblag der Hofkammer
und den ihr coordinierten und subordinierten übrigen Finanz-, Hof-
und Landesstellen.
*) Unter der „kleinen Walachei" verstand man damals den von Walachen
bewohnten PoÄegan er District in Slavonien, keineswegs aber die westalutanischen
Districte der Walachei; diese wurden gewöhnlich die österreichische (austriaca)
oder auch die kaiserliche (caesarea) Walachei genannt.
Digitized by
Google
65
c) Das gesammte Militärwesen stand unter der Obsorge des
Hofkriegsrathes, nachdem Kaiser Joseph I. die bis dahin
selbstständig gewesenen inner- und oberösterreichischenLandesstellen
mit den betreffenden niederösterreichischen vereinigt und das dortige
Kriegswesen und die daselbst bestandenen Militärbehörden dem
Wiener Hofkriegsrathe untergeordnet hatte. Der Hofkriegsrath in
Wien nahm eine ganz eigenthümliche Stellung ein. Ihm unter-
standen zwar einige Festungen im Reiche, aber keineswegs die
Kriegsmacht des Reiches. Obwohl er den Titel „kaiserlich'*
führte, war er doch keine eigentliche Reichsbehörde und desshalb
mussten auch die Räthe desselben nicht aus dem Reichsadel ge-
nommen sein. ^)
Auch einige „Oberste Hofämter'' müssen in gewissem Sinne
als Staats- oder Landesbehörden betrachtet werden, da ihr Wirkungs-
kreis unter Carl VI. ein anderer war, als jetzt. So übte der
Oberst-Hofmeister damals manche Functionen, namentlich
im Verkehr mit den auswärtigen Gesandten mid den Hofstellen der
verschiedenen Ländergruppen, welche jetzt entweder dem Minister
des Aeussem oder einem Minister - Präsidenten zustehen. Das
Ob erst-Hofmarschallamt versah ausser seinen Functionen
als eines der obersten Hofämter auch die Gerichtsbarkeit über die
zum Allerhöchsten Hofe und den obersten Hofstellen gehörigen
Personen imd auch über die mit wirklichen Privilegien versehenen
Juden und ihre Familien. ^) Das Oberst-Hofmeisteramt und das
Oberst-Jägenneisteramt z. B. übten auch die mit dem Grundbesitze
des Allerhöchsten Hofes verbundene grimdherrliche Rechtspflege
aus und erscheinen also auch in dieser Beziehung gewissermassen
als Behörden.
Die österreichischen Erblande.
Den ältesten Bestandtheil des habsburgischen Hausbesitzes
bilden die österreichischen Erblande. Diese waren jedoch nicht
wie die Länder der böhmischen Krone auf einmal und als ein
Ganzes in den Besitz der Dynastie gelangt, sondern es bedurfte
dazu eines längeren Zeitraumes und selbst nach ihrer Erwerbung
*) Jani Perontini de consiliis ac dicasteriis, quae in urbe Vindobona
habentur, liber singularis. Halae Magdeburgicae 1732. 33.
«) Codex austr., IV. 672.
Oesterreiohisoher Erbfolgekrieg. I. Bd. <^
Digitized by
Google
GH
fanden wiederholt Tlieilungen derselben statt, so dass diese Länder
eigentlich nie ein vollkommen einheitliches Gepräge erhielten und
sich ihre provinziellen Sonderheiten zum Theil bis auf die Gegen-
wart bewahrten, wovon z. B. noch die heutige Wehrverfassung
Tyrols einen Beweis liefert. Die drei Gruppen Nieder-Oest er-
reich, Inner-0 esterreich, Ober- und Vorder-Oester-
reich bildeten bis in die Zeit Carl VI. von einander ebensosehr, wie
etwa von Böhmen und seinen Nebenländem getrennte Organis-
men; hatte ja doch bis unter Joseph I. Inner - Oesterreich,
ebenso wie TjTol und die Vorlande ein eigenes, vom Wiener
HofToiegsrathe unabhängiges Kriegswesen, während in Nieder-
Oesterreich, Böhmen und Ungarn die Militärangelegenheiten von
einer gemeinsamen obersten Militärbehörde, dem Hofkriegsrathe
in Wien, geleitet wurden. Allein, wenn auch unter getrennter
Administration, so wurde doch im Allgemeinen die Erreichung
einer ziemlichen Gleichheit wenigstens in der Verwaltung der ein-
zelnen Länder angestrebt und allmählig, besonders in Folge der
Eeformen unter Maria Theresia, traten die provinziellen Unter-
schiede immer mehr in den Hintergrund.
Die landesfürstlichen Rechte, welche die Erzherzoge von
esterreich ki^aft ihrer Landeshoheit und der ilmen verliehenen
Privilegien ausübten, galten • nicht blos für das Erzherzogthiim
Oesterreich, sondern für alle Länder, welche sie, wann und unter
welchem Titel immer, erworben. Desshalb gilt das im Nachstehenden
Gesagte nicht nur für die österreichischen, sondern auch fiir
die böhmischen Erblande.
Obwohl die Echtheit eines Theiles der alten österreichischen
Freiheitsbriefe und Privilegien wohl mit Recht bestritten wird, so
hatten dieselben doch dadurch, dass sie am G. Januar 1453 von
Kaiser Friedrich HI. mit Zustimmung der Churfürsten bestätigt
wurden, die Geltimg und das Ansehen von Reichsgesetzen erlangt
und wiu-den als solche von späteren Kaisem wiederholt anerkannt.
Auf Grund derselben genossen die Erzherzoge von Oesterreich
beträchtliche Freiheiten und Vorrechte, deren sich kein anderer
Reichsstand rühmen konnte. ^) Durch dieselben war Oesterreich
ein auch in weiblicher Linie erbliches Lehen und vom Reiche fast
miabhängig geworden. Der Erzherzog war von allen Reichsabgaben
^) H u b e r , Oesterreichische Reichsgeschichte, 28 ff. — Seidler,
Studien etc. 4 ff. — Schrotte r, Erste Abhandlxmg aus d. österreichischen
Staatsrecht. — Kurze Nachricht von der inneren Beschaffenheit und Ver-
fassung des Erzherzogthums Oesterreich. (H. H. u. St, A. Handschr. Nr. 62}
Digitized by
Google
67
befreit und nur zur Tlieilnahme an jenen Reichskriegen, welche
gegen ein Oesterreieh benachbartes Land geführt wurden, blos
zum Zeichen seines reichsfürstlichen Charakters mit einem ver-
schwindend kleinen Contingente verpflichtet. Er brauchte nur auf
den in Bayern abgehaltenen Hoftagen zu erscheinen und war auch
nicht verbunden, an den Reichstagen selbst oder durch Abgesandte
theilzunehmen ; erscliien er aber, so gebührte ihm der erste Sitz
nach den Churfürsten. Die Erzherzoge waren berechtigt, in ihrem
Lande frei zu schalten und zu walten, ohne dass Kaiser und Reich
darin etwas zu ändern vermochten. Alle Vorzüge und Privilegien,
welche ein Reichsstand jemals erworben hatte oder künftighin
erwerben würde, sollten den Erzherzogen ohneweiters zukommen
und zwar nicht nur für den ziu* Zeit der Verleihung bestandenen
Länderbesitz, sondern für alle Länder, welche sie, wann und miter
welchem Titel immer, erwerben würden. Das Reich konnte kein
auf österreichischem Boden gelegenes Lehen vergeben und daher
ein auswärtiger Fürst in Oesterreieh nur solche Güter besitzen,
welche er von dem Erzherzoge von Oesterreieh als Lehen empfangen
hatte. Ebenso konnte Niemand in Oesterreieh eine Gerichtsbarkeit
ausüben, wenn er nicht die Gewalt von dem Erzherzoge erhalten
hatte. Oesterreieh bildete ein „Territoriiun clausum*^ d. i. ein
geschlossenes und jeder fremden Landeshoheit und
Gerichtsbarkeit verschlossenes Land. Noch weniger
musste der Erzherzog von Oesterreieh einem Reichsgerichte Rede
und Antwort stehen, sondern er konnte die gegen ihn erhobenen
Klagen durch einen von ihm im eigenen Lande hierzu be-
stellten Vasallen untersuchen und entscheiden lassen. Von grösster
Bedeutung für die Entwicklung der Landeshoheit war das von
Kaiser Carl IV. bald nach seiner Thronbesteigung verliehene und
am 30. August 1361 erneuerte „Privilegium de non evocando sub-
ditos extra territorium Austriacum", gewöhnlich kurzweg , , Privi-
legium de non evocando" genannt, d.i. das Privilegium, dass
kein österreichischer Unterthan vor einem aus-
wärtigen Gerichte belangt werden dürfe, selbst dann
nicht, wenn er einem auswärtigen Herrn als Lehensmann oder in
anderer Weise verpflichtet wäre; ferner das aus dem „Privilegium
de non evocando" nothwendigerweise folgende „Privilegium de non
appellando", d. h., dass von dem Urtheile eines öster-
reichischen Gerichtes keine Berufung an ein
Reichsgericht oder an den Kaiser selbst ergriffen
werden konnte.
5*
Digitized by
Google
GH
Weil Alle, welche in Oesterreich Güter besassen, in dieser
Eigenschaft ohne alle Ausnahme wirkliche Landsassen und
Unterthanen des Erzherzogs waren, so waren auch die inländischen
Bischöfe und Prälaten keine Eeichsfürsten, die auswärtigen geist-
lichen oder weltlichen Fürsten aber wurden in Bezug auf ihre in
Oesterreich gelegenen Güter den übrigen Landsassen völlig gleich-
gehalten und waren auch bei der Erbhuldigung der Erzherzoge zu
erscheinen verpflichtet. Sie wiurden auf* dieselbe Weise, wie die
übrigen Landesmitglieder ordentlich eingeladen und mussten also
durch Abgeordnete vertreten sein oder eine grundhältige Ent-
schuldigung ihres Ausbleibens bei dem Landmarschall vorbringen. •)
Gross waren die Rechte des Erzherzogs von Oesterreich gegen-
über der Geistlichkeit. Aus dem obersten Schutz- oder Vogteirechte
der Erzherzoge über die gesammte Geistlichkeit, die Gotteshäuser
und die milden Stiftungen folgt das Recht, in ihre Vermögens-
verwaltung Einsicht zu nehmen und dafür zu sorgen, dass die
Stiftungen nach ihrer wahren Bestimmung genau erfiiUt und er-
halten wiu'den. Zu diesem Zwecke war in allen Ländern eine
eigene Commission für die müden Stiftungen aufgestellt. Das
Präsentationsrecht über die Pfarren gehörte theils dem Landes-
fürsten, theUs den Bischöfen, theils den Privatherrschaften. Viele
landesfürstliche Pfarren wm-den schon in älteren Zeiten den
Klöstern eingeräumt oder zu milden Stiftungen gewidmet. Kein
Kloster durfte ohne landesherrliche Bewilligung errichtet, kein
Prälat, keine Aebtissin ohne vorläufige Einholung der landesfürst-
lichen Zustimmung und Abordnung landesfürstlicher Commissäre
gewählt, noch die getroflfene Wahl ohne vorausgegangene Aller-
höchste Bestätigung publiciert, viel weniger der Erwählte von
jemand Anderem, als den erwähnten Commissären in die Tempo-
ralien eingesetzt werden. Sogar bei der Wahl des Erzbischofe von
Salzburg und des Bischofs von Passau war wegen des dem Erz-
hause über beide Bisthümer zustehenden Vogteirechtes nebst dem
kaiserlichen Commissär zugleich ein erzherzoglich öster-
reichischer Abgesandter anwesend, welch' letzterer von dem
Neugewälilten einen schriftlichen Revers abforderte, da«s er mit dem
Erzhause Oesterreich beständig gute Nachbarschafc halten und die
älteren Verträge, insbesondere „quoad jus aperturae'* unverbrüclüich
beobachten woUe, gleichwie auch das Erzhaus Oesterreich ver-
pflichtet sei, das Hochstift Salzbiu*g imd Passau wider alle Gewalt
*) Schrötter, Dritte Abhandlung, 27. — Pütter, Historisch-politisches
Handbuch von den besonderen deutschen Staaten, I. 198
Digitized by
Google
69
2U schützen, wogegen aber auch beide Stifter gehalten sind, dem
Erzhaus nach äussersten Kräften beizuspringen. Keine päpstliche
Bulle durfte publiciert werden, bevor nicht der Erzherzog von
Oesterreioh dieselbe eingesehen und seinen Rechten und den Staats-
interessen flir unschädlich erkannt, somit seine Zustimmung oder
das sogenannte „Placetum regium" ertheilt hatte. Keine Streitsache
durfte nach Rom gezogen werden, weil dies dem alten Herkommen
und dem „Privilegium de non evocando" widersprochen hätte,
sondern wenn eine Partei sich über das Erkenntniss der Consistorien
und der Nuntiatur beschweren wollte, konnte die Curie nichts
Anderes thun, als Commissäre in Oesterreich ernennen, welche als
apostolische Delegierte das endgiltige Urtheil zu fällen hatten. Die
Jurisdiction in allen Civilrechts- Angelegenheiten der Geistlichkeit,
mit Ausnahme jener Fälle, die rein geistliche Angelegenheiten be-
trafen, gebührte dem Erzherzog von Oesterreich. Die erste
Instanz für die Civilrechts-Angelegenheiten der Geistlichen war die
Landesbehörde, d. i. die Regierung, Landeshauptmannschaft u. s. w.
Nach der Bulle des Papstes Nicolaus V. vom Jahre 1451 hatten
die Erzherzoge von Oesterreich die Befugniss, in Nothfallen den
Clenis mit einem massigen „Subsidium" oder ausserordentlichem
Beitrage zu belegen, auch musste der österreichische Clerus von
seinen Gütern und Einkünften die gleichen Lasten tragen wie die
weltlichen Lisassen. *)
Die Rechte der österreichischen Landesfiirsten waren im All-
gemeinen folgende: 1. Das Recht, die Erbhuldigung zu fordern;
2. die oben besprochenen Rechte über die Geistlichkeit; 3. das
Recht, die Landtage zu berufen und von denselben die Bewilligung
der Contribution, der nöthigeii Recruten und anderer Staatserforder-
nisse zu verlangen; 4. das Recht, Gesetze und Verordnungen zu
erlassen; 5. die Civil- und Criminalgerichtsbarkeit mit den zwei
Vorrechten, dem Privilegium „de non evocando" und jenem „de
non appellando"; 6. die landesherrliche Gewalt und das Besteuerungs-
recht über die Juden ^) ; 7. das Recht, den Adel zu verleihen ^) ;
1) H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 62.
') Ursprünglich war der Kaiser allein der Schützer und Eichter über
die Juden in ganz Deutschland, nur Oesterreich übte seit den Zeiten Kaiser
Friedrich I. ebenfalls dieses Eecht in seinen Landen aus ; erst später
erhielten dasselbe auch die Churfürsten und andere Reichsstände.
■j Als Curiosum sei hier erwähnt, dass auch die philosophische Facultät
in "Wien den Adelstand verlieh, welches etwas zweifelhafte Recht ihr erst
zufolge einer Allerhöchsten Entschliessung vom 20. Mai 1752 entzogen wurde.
(Cod. austr. V. 648.)
Digitized by
Google
70
8. unehelich Geborene zu legitimieren und den unehrlich Erklärten
ilire Ehre und Würde wieder zurückzustellen; 9. öffentliche Jahr-
und Wochenmärkte mit verschiedenen Freilieiten zu bewilligen und
Stapel- und Niederlags-Gerechtigkeiten zu verleihen; 10. eigene
Posten in den Erblanden zuhalten; 11. hohe Schulen zu errichten;
12. das Epecht über die Bergwerke, Forste, Flüsse, dann die Jagd-
und Fischerei-Gerechtigkeit; 13. das Recht, Münzen zu prägen;
14. das Regal der offenen Landstrassen und des sicheren Geleites;
15. das Recht, Zölle, Mauthen und Steuern auszuschreiben und
einzuheben; 16. das Recht des Krieges und des Aufgebotes, sowie
Festungen und Burgen zu bauen; 17. das Recht, Gesandtschaften
zu halten ; 18. Bündnisse und Frieden zu schliessen. *)
In dem jahrhundertelangen Kampfe der landesfiirstlichen Terri-
toriallioheit gegen die Macht der Stände waren schliesslich die
letzteren unterlegen. Seit der Schlacht am Weissen Berge und der
Unterdrückung des Protestantismus in den österreichischen und
böhmischen Ländern waren die Grenzen der beiden Machtfactoren,
des Landesfursten und der Stände, selir zu Ungunsten der letzteren
verrückt worden. Die Zustimmimg der Stände zu einer beabsichtigten
Kriegserkläning oder einem Friedensschlüsse wurde nicht mehr ein-
geholt und ihre Mitwirkung an der Gesetzgebung durch die Ent-
ziehimg jeder Liitiative auf den Landtagen beseitigt. Dennoch
waren die Rechte imd Privilegien der Stände sowohl als Corporation,
wie der einzehien Mitglieder auf administrativem und volkswirth-
schaftlichem Gebiete ganz bedeutend und dadurch waren die Stände
auch gar häufig in der Lage, die politische Haltung der Regierung
zu beeinflussen. Ohne Zustimmung der Stände konnte keine neue
Steuer eingeführt werden und die Einhebung der bereits be-
stehenden lag in den Händen der Stände, die höchsten Landes-
ämter waren mit iliren Mitgliedern besetzt: Mittel genug, um eine
Pression auf die Regierung zu üben. Die Stände gliederten sich in den
meisten Ländern hi vier Classen: Geistliclikeit, Herren, Ritter und
landosfiirstliche Städte. Den geistlichen Stand bildeten die Bischöfe
und Prälaten, den Herrenstand die Fürsten, Grafen imd Freiherren,
den Ritterstand der übrige Adel, jedoch alle nur unter der Voraus-
setzung, dass sie Landsassen oder Landmänner und Be-
sitzer landtäflicher Güter waren. Zum Besitze landtäflicher Güter
*) Krön OS, Gesch. Oesterreichs, III. 42 ff. — Schrotte r, Vierte
Ahhandlung.
Digitized by
Google
71
war die Landsässigkeit oder das Indigenat erforderlich, welches nur
vom Landesflirsten verliehen werden konnte. Die Rechte und
Privilegien, welche der landsässige Adel vor dem nicht land-
sässigen voraus hatte, waren: Das Eecht, dass ihre Güter in die
Landtafel eingetragen werden, das Eecht, ein Grunddienst-, Urbai-
oder Salbuch zu halten und von den Unterthanen gewisse Dienste
und Gaben zu fordern, das Jagd- und Holzschlagsrecht, die Bier-
brauerei und das Ausschankrecht, das Berg-, Zehent- und Vogt-
recht, die Civil- und Crüninalgerichtsbarkeit über ihre nichtadeligen
Unterthanen, deren erblose Verlassenschaften ebenfalls dem Grund-
herrn zufielen. Endlich konnten die meisten Stellen bei den höchsten
landesfiirstlichen und die obersten Landesämter nur an Mitglieder
des landsässigen Herren- und Ritterstandes verliehen werden. Die
sogenannten Erbämter, welche allerdings blosse Ehrenämter waren,
befanden sich ausschliesslich im Besitze der vornehmsten Familien
des landsässigen Adels. Ausserdem besass der landsässige imd
der nichtlandsässige Adel noch folgende Privilegien : Führung
des adeligen Wappens und Titels, das Recht des adeligen Forums
oder des besonderen Gerichtsstandes, Befreiung von der Aushebung
zur Miliz, das Vorrecht zur Erlangung gewisser Aemter und
Stiftungen, die Fähigkeit zur Aufiiahme in andere Ritterorden u. s. w. ^)
Die landesfurstlichen Städte, welche den vierten Stand bildeten,
waren diejenigen, welche keiner Gutsherrschaft, sondern direct dem
Landesförsten unterthan waren und ihren eigenen, selbstgewählten
Magistrat hatten, welcher die Gerichtsbarkeit über die Bürger aus-
übte, während die unterthänigen oder Municipalstädte unter der
Gerichtsbarkeit des Gutsherrn standen.
Vor Kaiser Ferdinand H. wurden alle auf die Verwaltimg
der österreichischen Erblande und auf die Angelegenheiten des
Deutschen Reiches bezüglichen Agenden, sowie die in dieser Be-
ziehung erforderlichen Erlässe und Expeditionen ausschliesslich luid
allein von der Reichskanzlei besorgt und die Contrasignatur
von dem jeweiligen Reichs- Vicekanzler vollzogen. Eine besondere
österreichische Kanzlei bestand damals nicht, sondern nur
eine österreichische Expedition als Abtheilung derReichs-Hofkauzlei.^
*) Lichtenstern, Staatsverfassung der österr. Monarcliie. 255 ff.
^ Fellner, Zur Geschichte der österr. Centralverwaltung. (Mitth. d.
Inst. f. österr. Geschichte, VII.) — Fellner, in „Mitth. d. Inst. f. österr.
Geschichte", XV. 520 f. — Vollständiges Diarium etc. von der "Wahl
Carl VII. etc. 40 ff. — Seeliger, Erzkanzler und Reichskanzleien. —
G. W o 1 f, Geschichte der k. k. Archive in Wien.
Digitized by
Google
72
Vorstand dieser österreichischen Abtheilung war der Reichs- Vice-
kanzler. Bis zu Ferdinand ü. Zeiten waren die österreichischen
Erblande gewöhnlich getheilt und da die kaiserliche Linie öfters
nur den kleineren Theil davon besass, so verzichtete der Kaiser
auf die kostspielige Bestellung eines eigenen österreichischen Kanzlers.
Dieser Zustand dauerte bis zum Jahre 1620, zu welcher Zeit
Ferdinand 11. die österreichische Expedition von der Reichs-
Hofkanzlei trennte und eine eigene österreichische Hof-
kanzlei errichtete und an deren Spitze zuerst einen Vicekanzler,
später einen Hofkanzler stellte. Die österreichische Hofkanzlei
sollte nun alle inneren Angelegenheiten der österreichischen Erb-
lande und des erzherzoglichen Hauses, die Reichs-Hofkanzlei aber
die Reichs- und auswärtigen Angelegenheiten besorgen, aber bald
entstand eine Reihe von Competenz-Streitigkeiten, welche zu einer
steten Erweiterung des Wirkungskreises der österreichischen auf
Kosten der Reichs-Hofkanzlei führten. Nachdem durch die Wieder-
vereinigung aller österreichischen Erblande die früheren erzherzog-
lichen Hofkanzleien für Inner-0 esterreich und Ober-OesteiTeich ihre
Selbstständigkeits-Berechtigung eingebüsst hatten und mit der öster-
reichLschen Hofkanzlei in Wien vereinigt worden waren, bestanden
bei derselben drei Abtheiliingen, nämlich die niederösterreichische,
die innerösterreichische und die oberösterreichische Expedition,
denen man zur Schonung des Particularismus der einzelnen Länder
auch den Namen Hofkanzlei beliess, so dass auch von drei öster-
reichischen Hofkanzleien, der niederösterreichischen, inneröster-
reichischen und oberösterreichischen gesprochen wird. Es sind dies
jedoch nur Abtheilungen oder „Expeditionen" der österreichischen
Hofkanzlei.
Aus der von Kaiser Carl VL am 2G. März 1720 der öster-
reichischen Hofkanzlei einheilten Instruction ') ergibt sich am ein-
fachsten die Organisierung und der Wirkungskreis der genannten
Hofstelle während der letzten Regienmgsjalire Kaiser Carl YI.
Der wesentliche Inhalt derselben ist folgender:
„Artikel I. Bei der österreichischen Hofkanzlei sollen künftig
zwei Hofkanzler, ein Vicekanzler und neun Räthe angestellt sein.
Weil bei der östeiTeicliischen Hofkanzlei nicht allein die Haus- imd
fremden Staatssachen, sondern auch alle andeni Angelegenheiten
^) Archiv des k. k. Minist, des Innern. Nieder-OesteiTeich, III. A. 2. Nr. 25
ex 1720.
Digitized by
Google
73
der österreichischen Länder verhandelt werden, so soll der erste
Kanzler mit den ihm bereits zugetheilten zwei Räthen die Haus-
und Staatssachen unter sich haben, zugleich auch, so oft er will
und es ihm die Staatsgeschäfte erlauben, das Präsidium bei der
Kanzlei fiihren, dem zweiten Kanzler aber mit den übrigen Käthen
soll die Besorgung der politischen Verwaltungs- imd Justiz-
Angelegenheiten überlassen werden. Ausschliesslich unter des ersten
Kanzlers Obsorge und Expedition mit den ihm zugewiesenen Räthen
und Beamten bleiben alle Haus- und fremden Staatssachen und
aile dahin einschlagenden Materien, als Verträge mit auswärtigen
Staaten, Friedensschlüsse, Heiraths-Angelegenheiten von Mitgliedern
des Allerhöchsten Hauses, Ernennung der Gresandten, Botschafter
und geheimen Räthe, die Correspondenz und Verhandlungen mit
den fremden Mächten und was immer zu den auswärtigen An-
gelegenheiten gehört, die Ceremonialien bei den Krönungen, die
Landtags-Propositionen, wenn dieselben mündlich in Gegenwart
des Kaisers geschehen, jedoch so, dass diese letzteren in formaler
und meritorischer Beziehung gleich allen anderen Landesangelegen-
heiten bei der Kanzlei verhandelt werden; der erste Kanzler hat, wie
vorhin, an den Staats-, Reichs- und allen solchen Conferenzen theil-
zunehmen, in welchen die eben erwähnten Angelegenheiten zur
Verhandlung kommen; nebst ihm hat aber auch der zweite Kanzler
jenen Deputationen, dem geheimen Rath, Conferenzen und andern
Versammlungen, in welchen die Provinzial-Angelegenheiten berathen
werden, beizuwohnen. Die Hofsachen sind nach obigem Princip zu
unterscheiden: wenn sie auswärtige oder Staatsangelegenheiten,
Gesandtschaften u. dgl. betreffen, gehören sie unter die Obsorge
des ersten, wenn sie aber Provinzial-Angelegenheiten betreffen und,
wenn darüber eine Verfügung an die Länder oder Landesbehörden
iiöthig ist, femer die Ernennung der inner- und oberösterreichischen
geheimen Räthe und aller andern hohen und niedem Beamten,
Belehnungen, Standeserhöhungen, Privilegien, Hoffreiheiten, Schutz-
briefe u. dgl. gehören in den Wirkungskreis des zweiten Kanzlers
und der Kanzlei. Alle dem zweiten Kanzler obliegenden Geschäfte,
ebenso die Besetzung erledigter Stellen sollen bei der Hof kanzlei dica-
sterialiter (im Raths-Gremium) berathen mid darüber die kaiserliche
EntSchliessung eingeholt werden. Alle einlangenden Zuschriften,
Berichte u. s. w. hat der erste Kanzler zu eröffnen und die in den
Wirkimgskreis des zweiten Kanzlers und der Kanzlei gehörigen
dem zweiten Kanzler zur instructionsmässigen Behandlung zu-
zuschicken. Wenn Proviiizial- und Justiz-Gegenstände in Abwesenheit
Digitized by
Google
74
des ersten Kanzlers berathen und verhandelt werden, so soll der
zweite Kanzler dem ersten hiervon und von den gefassten Be-
schlüssen Nachricht geben, damit dieser bei den Conferenzen,
Deputationen und im geheimen Kath gehörig informiert erscheine.
Die Provinzial-Angelegeidieiten, sie mögen Verwaltungs- oder Justiz-
Gegenstände betreflen, müssen immer in der Rathssitzimg behandelt
werden. Keiner der beiden Kanzler hat das Recht, an dem Majoritäts-
Beschlusse etwas zu ändern oder denselben gar airfeuheben, nur
wenn ein allerunterthänigster Vortrag hierüber zu erstatten ist,
kann er in demselben auch seine Meinung beisetzen; wo kein Voi-
trag nöthig ist, ist der Majoritäts-Beschluss unbedingt auszufiihren.
Der zweite Kanzler ist in Provinzial- und Justiz-Sachen ganz im-
abhängig von dem ersten HolTianzler; dieser hat nur das Recht,
sich über alle Angelegenheiten diu'ch die Referenten informieren
zu lassen. Die der Hofkanzlei untei^stehenden Creschäfte sind seinem
Einflüsse gänzlich entrückt. Vorträge an den Kaiser sollen von
beiden Kanzlern miterschrieben sein; wenn aber der erste Kanzler
sie binnen zwei Tagen nicht unterschreibt, hat der zweite Kanzler
das Recht, dieselben mit seiner Unterschrift allein zu erstatten.
Dasselbe gilt von den Erlässen und Expeditionen an Behörden
und Parteien. Aus den Rätlien sollen zwei besondere Senate ge-
bildet werden, der eine für die Provincialia (politischen Verwaltungs-
Gegenstände), der andere für Justizsachen. Die Kanzler haben das
Recht, in einem beliebigen Senate den Vorsitz zu fuhren. Den
Senat für politische Angelegenheiten bilden drei Räthe, den Justiz-
Senat die übrigen; es steht aber dem Kanzler frei, den einen
oder den andern Senat durch eine grössere Anzahl von Mitgliedern
zu verstärken oder Plenar-Sitzmigen aller Räthe anzuordnen. Wenn
es sich um landesfiirstliche Rechte und Regalien, imi das Wohl
der Länder, Besetzung von Stellen oder lun ein wichtiges End-
urtheil handelt, ist immer das Plenum zu versammeln. Der Umstand,
dass für die gesammten deutsch-österreichischen Erblande nur eine
gemeinsame Hofkanzlei besteht, soll in der Kanzlei-Manipulation
auch äusserlich zum Ausdrucke gebracht werden".
„Artikel H. Die fiscalischen Angelegenheiten oder andere, das
Aerar, dessen Reclite und Prärogative betreffenden Gegenstände
sollen von der Hofkaminer und der Hofkanzlei in gemeinschaft-
licher Borathung verhandelt werden. Der präsidierende Kanzler soll
die Räthe in der Freilieit des Votierens auf keinerlei Weise hindern,
noch auch seine eigene Meinung voraus merken lassen. Der Vor-
sitzende enunciert das Votum der Majorität ; bei Stimmengleichheit
Digitized by
Google
75
wird zuerst eine zweite Abstimmung vorgenommen und wenn diese
abermals resultatlos bleibt, dann gibt auch der Vorsitzende seine
Stimme ab, wodurch eine Majorität hergestellt wird. Der Vorsitzende
hat jedoch auch das Recht, nach zweimaliger fruchtloser Ab-
stimmung einen Abänderungs- oder Vermittlungsantrag zu stellen
oder auch, wenn beide Parteien gewichtige Gründe für ilire Ansicht
haben, die Sache sammt den Gründen der Allerhöchsten Ent-
scheidung vorzulegen."
„Artikel m. Die Hofkanzlei soll keine Angelegenheit mit
Hintansetzung der ersten oder zweiten Instanz an sich ziehen,
welche nicht nach Recht und Gewolmheit unmittelbar vor den
Landesfürsten gehört, vielmehr sollen diejenigen, welche sich mit
Uebergehung der ersten und zweiten Instanz direct an die Hof-
kanzlei wenden, an ihre Behörde zurückgewiesen werden. Die Ent-
scheidimgen und Urtheile sollen nach den Landesgewohnheiten,
nach dem gemeinen Recht und nach den Präjudicaten gefallt werden.
Wenn einmal in einem Falle nach reiflicher Ueberlegimg gewisse
und dem Rechte conforme Principien angenommen win^den, so soUen
diese auch in andern gleichen Fällen, wenn die veränderten Um-
stände nicht etwas Anderes erfordern, ebenfalls beobachtet und
einander widersprechende Entscheidungen nach Möglichkeit ver-
mieden w^erden. In Streitsachen soll zunächst auf einen gütlichen
Vergleich zwischen den Parteien hingewirkt und zu diesem Zwecke
Commissionen in den Ländern bestellt werden ; doch soll in dieser
Beziehung auf die Parteien kein Zwang ausgeübt werden. Da alle
bei der österreichischen Hofkanzlei vorkommenden Angelegenheiten
vor den Kaiser als Erzherzog und Landesfürsten gehören, indem
der Landesfiirst das oberste Haupt und Richter ist, so soll auch in
-wichtigen Sachen kein Endurtheil publiciert werden, bevor dasselbe
dem Kaiser vorgetragen und die Allerhöchste Entschliessung darüber
ertheilt worden ist, ebenso ist bei Besetzung von Amtsposten mid
Vergebung geistlicher Beneficien immer die Allerhöchste Resolution
mittelst eines allenmterthänigsten Vortrages einzuholen. Für die
Parteienvertretung bei der Hofkanzlei sind beeidete Advocaten und
Agenten bestimmt."
Die österreichische Hofkanzlei behielt diese Eimichtmig bis
in die Regienmgszeit der Kaiserin Maria Theresia, welche zuerst
im Jahre 1742 die als Staatskanzlei fimgierende Abtheilung los-
löste und zu einer selbstständigen Hofstelle erhob imd endlich
im Jahre 1749 bei Gelegenheit der durchgreifenden Reform der
Digitized by
Google
76
gesammten Verwaltiing die österreichische und die böhmische Hof-
kanzlei in eine einzige Centralbehörde, das „Dii-ectorium in Publicis
et Cameralibus" vereinigte.
1. Nieder-Oesterreich,
Das Erzherzogthum Oesterreich zerfallt in das Land unter und
ob der Enns, welch' letzteres zwar auch jederzeit sein eigenes
Gubemium hatte, jedoch mit einer gewissen Dependenz von der
mederöstorreichischen Regierung. Diese von Maximilian I. im
Jahre 1510 als „Regiment" errichtete Behörde erstreckt-e bis zum
Jahre 15G4 ihre Wirksamkeit auch auf Inner-Oesterreich, wiu-de daim
in Folge der Theilung der österreichischen Erblande unter die
Söhne Kaiser Ferdinand I. auf Nieder-Oesterreich, d. i. auf das
Land unter und ob der Enns, beschränkt und war die zweite
Instanz für alle politischen und Justiz-Angelegenheiten von
Oesterreich unter und ob der Enns. Von ihr gieng die Berirfimg
an die österreichische Hofkanzlei. An ihrer Spitze stand ein Präsident
oder Statthalter, ein Vice-Präsident und ein Kanzler. Hire Instructionen
stammten im Wesentlichen noch aus der Zeit Kaiser Ferdinand H.
und Ferdinand HI. und zwar vom 4. März ir)25 und 15. Juni 1638;
bei späteren Ernennungen von Präsidenten waren einzelne Be-
stimmungen abgeändei-t und mit den Erfordernissen des Dienstes
mehr in Einklang gebracht worden.^) Im Allgemeinen war der
Geschäftsgang jenem bei der Hofkanzlei ähnlich, natürlich mit dem
Unterschiede, dass die Regierung in allen Fällen, wo es sich um
politische Anordnungen oder um Erläuterungen einer Allerhöchsten
Resolution handelte, sowie in allen wichtigeren administrativen und
Justiz-Angelegenlieiton an die Hof kanzlei, respective im Wege der-
selben an den Hof zu berichten und die Allerhöchste Entscheidung
zu erwarten hatte.
Der Wirkungskreis der niederösten^eichischen Regierung bezog
sich auf alle Angelegenlieiten der politischen Verwaltung und auf
das Justizwesen, nämlich : auf die Aufrechthaltung der katholischen
Religion, Handhabung der Reformations-Patente und Sorge für die
Bestellung von Seelsorgern; die Oberaufsicht über alle Stiftungen;
die Handhabung der landesfiirstlichen Hoheitsrechte, Regalien und
Gerechtsame; Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Bestrafung der
Ruhestörer; die Sorge für die Sanität und Abwendung aller In-
fectionsgefahr; Handhabung der Münzpatente; Aufsicht über die
— — _ ^
') Arch. d. Min. d. Inn. „Nieder-Oesterr." III. 4. A. Nr. 7 ex 1724.
Digitized by
Google
77
herrschaftlichen Privatmauthen und Strassenreparatioii; Beförderung
der Wohlfeilheit der unentbehrlichen Lebensmittel und Festsetzung
der Preise derselben (Satzung); Ueberwachung der Marktordnung,
der Gewichte und Masse und Abstellung alles monopolischen Ver-
kaufs; die Oberaufsicht über alle landesförstlichen Städte und
Märkte, Hebung der Gewerbe und des damit verknüpften Con-
tributionsstandes ; Aufsicht über die Feuerordnung und das Vor-
handensein der nothwendigen Lösch-Geräthe ; Hebimg des Unter-
richtes; Bücher-Censur; Abstellimg der Handwerks-Missbräuche und
die Sorge, dass die Zahl der Meister den Bedarf nicht übersteige;
Abstellung des ungestümen Betteins; Sorge für die Verpflegung
der Armen; Erhaltmig der Kirchen und öfl'entlichen Gebäude; Auf-
sicht über die Juden, welchen der Aufenthalt in den Ortschaften,
wenn sie nicht besonders privilegiert waren, ausser den Jahr-
märkten verboten war.
Als untergeordnete Verwaltungsorgane zur Ausführung der
Regierungs-Erlässe und ziu: Handhabung der Polizei fungierten in
den landesfürstlichen Städten und Märkten die Magistrate, in
den übrigen Ortschaften aber die Gutsherrschaften oder die von
denselben eingesetzten Beamten und Magistrate.
Dieselbe Angabe hatte die Landes-Hauptmannschaft in Linz
fiir Oesterreich ob der Enns und auch ihr miterstanden dieselben
Verwaltimgs-Organe erster Instanz, nur dass die Landes-Haupt-
mannschaft in Linz der niederösterreichischen Regierung unter-
geordnet war, alle Berichte an dieselbe zu erstatten und ilire Be-
fehle und Anordnungen zu befolgeii hatte, üeber das sogenannte
Salzkammergut erstreckte sich die Wirksamkeit der Landes-
Hauptmannschaft nicht, denn dieses unterstand auch in allen
poUtischen Angelegenlieiten unmittelbar dem Salz - Oberamte in
Gmimden.
Für die Rechtspflege war damals im Erzherzogthum Oester-
reich geradeso, wie in den übrigen Ländern der Monarchie und in
fremden Staaten nicht nur die Rechtssache, sondern auch die
Person von Bedeutung, denn weit mehr von der Person als von
der Sache hieng es ab, welches Gericht in den einzelnen Fällen
zur Entscheidung und Urtheilsfällung berufen war. Die rein geist-
lichen und Ehe-Angelegenheiten gehörten unmittelbar vor die
bischöflichen Consistorien, von denen die Berufung an die
Nuntiatur, niemals aber ausser Landes oder nach Rom ergriffen
werden konnte. Das Forum der Stände-Mitglieder war das ,,La nd-
recht" oder das „landmarschallische Gericht^' unter dem Vorsitze
Digitized by
Google
78
des Landmarschalls mit mehreren Beisitzern aus dem Herren- und
Eitterstande ; für die Bediensteten und Beamten des Hofes und der
Hofstellen, mit Ausnahme des Hofkriegsrathes imd der Reichs-
Hofkanzlei, femer für alle Fremden, welche zum Hofe gehörten und
ihre Diener, dann in den sogenainiten „Hofquartiers- Angelegen-
heiten", d. i. in den aus der Verpflichtung der Wiener Bürger zur
unentgeltlichen Beistellung von Wohnungen für die Hof- und
Staatsbediensteten entspringenden Rechtssachen, endlich für die
mit förmlichen Privilegien für sich imd ihre Familien versehenen
Juden, war das hofmarschallische Gericht'), für die Professoren,
Doctoren, Studenten und andern Angehörigen der Universität bildete
das Universitäts-Gericht die erste Instanz. Die Rechts-An-
gelegenheiten derjenigen Adeligen, welche nicht landstÄndische
Mitglieder waren, der Geistlichen, sofern es nicht rein geistliche
Dinge betraf, der kaiserlichen Beamten, der Grosshändler und
Fabrikanten, sowie alle iiscalischen Streitsachen entschied die
niederösterreichische Regierung als erste Instanz. Die übrigen
nichtadeligen Civil[)er8onen standen unter den Stadt- und Land-
Gerichten; die Civil- und niedere Polizei-Gerichtsbarkeit über die
uuterthänige Einwohnerschaft der nicht landesfürstlichen Ortschaften
übte die „Herrschaft", d. i. der Gutsherr, entweder persönlich
oder diircli einen hierzu bestellten Justitiar aus. Diese herrschaft-
liche oder Patrimonial-Gerichtsbarkeit über ihre Unterthanen stand
selbstverständlich auch jenen Hofstellen und Aemtem zu, welche
grundherrliche Rechte ausübten, z. B. dem Oberst-Jägermeisteramt,
dem Vicedomamt u. s. w. Für Streitigkeiten in Lehenssachen war
das Lehen-Gericht, für Wechselklagen das Wechsel -Gericht
competent. Alle Militärpersonen standen sowohl in Civilrechts-, als
in Criminal- Angelegenheiten luiter der Jurisdiction der Militär-
Gerichte. Bezüglich gewisser schwerer Verbrechen, als Majestäts-
beleidigung, Falschmünzerei, Brandlegung, hatte der Landesfürst
sich das Recht vorbehalten, besondere Judicia delegata zu
bestellen.
Von den Gerichten erster Instanz, mit Ausnalmie der Militär-
gerichte, gieng die Berufung an die niederösterreichische Regierung
und weim auch da Jemand sich für verkürzt hielt, stand ihm der
Weg mit der Bitte um Revision an den Landesfürsten offen.
Namentlich die Kaiser Leopold I. und Carl VI. Hessen sich
^) Jani Perontini, de consiliis et Dicasteriis etc. 98. — Cod. austr.
IV. 672.
Digitized by
Google
79
alle wichtigeren Rechtssachen, welche in judicio revisorio schwebten,
sowie alle wichtigeren Verwaltungs-Angelegenheiten in dem geheimen
Eathe vortragen, hörten die Meinungen der Minister an und fassten
darüber ihre Entschliessung.
Die Zersplitterung der Rechtspflege bereitete nicht nur dem
ßechtsuchenden ungemeine Schwierigkeiten und Hindemisse, sondern
war auch die Ursache einer ununterbrochenen, endlosen Reihe von
Competenz-Streitigkeiten zwischen den einzebien Gerichtsstellen.
Wer einen Band des Codex austriacus aufschlägt, wird finden, dass
ein ganz ansehnlicher Theil desselben mit Entscheidungen über
Jurisdictions-Streitigkeiten geftillt ist. Es herrschte nicht nur ein
beständiger Streit über die Grenzen der Civil- imd MiUtärgeiichts-
barkeit, welche durch die Jurisdictions-Normen vom 17. August 1740
und 3. September 1745 ^) einigermassen geschlichtet wurde, sondern
es fehlte auch nicht an Conflicten zwischen den verschiedenen
anderen Gerichten, insbesondere wegen der Führung von Verlassen-
schafts -Abhandlungen mit Rücksicht auf die zu entrichtenden
Taxen und Gebühren. Es durfte nur ein Adeliger, ein Uni-
versitätsmitglied, ein Hofbediensteter oder ein Geistlicher zugleich
Besitzer eines bürgerlichen Hauses sein, so war der Conflict
gegeben.
Zur Besorgung des niederösterreichischen Finanzwesens fun-
gierte die Hofkammer zugleich als Kammer für Nieder-Oesterreich,
während in anderen Ländern, z. B. in Böhmen, Schlesien u. s. w.
liandeskammem mit der Unterordnung unter die Hofkammem
bestanden. ^ Als Finanzbehörden erster Instanz gab es in Oester-
reich unter der Enns das Vicedomamt, welches hauptsächlich mit
der Verwaltung der landesfürstlichen Städte und Märkte, sowie der
Domänen betraut war, das Handgrafenamt ^, das Zehentamt, das
Grundbuchsamt, die Mauthämter u. s. w. In Oesterreich ob der
Eiins trat noch das Salzamt in Gmunden hinzu, welches nicht nur
das Salzwesen zu verwalten hatte, sondern zugleich die politische
Behörde für das Salzkammergut war.
») Cod. austr., IV. 1138 u. V. 183.
*) Mensi : „Die Finanzen Oesterreiclis" 4.
') Eigentlich „Hansgrafenamt" von „Hansa" ; dasselbe hatte die Zölle,
, die Consumsteuem, d. i. den sogenannten „Aufschlag" u. a. zu erheben.
Digitized by
Google
80
Neben dem staatlicheu bestand ein ausgebildeter ständischer
Verwaltungsapparat*). Die Stände übten die ihnen zustehenden
Rechte der Stouerbewilligung und der Vorbringung von Wünschen
luid Beschwerden auf den Landtagen aus, welche, so oft sich die
Nothwendigkeit einer neuen Steuerbewilligung oder ein anderer
zwingender Grund ergab, durch den Landesfiirsten oder durch den
hiezu ausdrücklich Bevollmächtigten einberufen wurden. Das vom
Landesfürsten den Ständen gegebene Oberhaupt war in Oesterreich
unter der Eims der Land mar s c hall , in den anderen öster-
reichischen Ländern der Landeshauptmann. Dieser war der Re-
präsentant des Landesfürsten, er berief im Namen des Kaisers die
Stände zum Landtage und führte auf dem Landtage und im land-
marschallisclien Goriclit (Lan(h'echt) den Vorsitz. Die Einberufung
des Landtages komite in Nieder-Oesterreich ebenso, wie m den anderen
Ländern nur diu*ch den Landesfürsten oder denjenigen, dem er
die Gewalt dazu verliehen hatte, geschehen. In Oesterreich ob der
Enns wurden zu den jälirlichen regelmässigen Landtagen drei
landesfürstliche Commissäre ernannt, welche den Landtag eröfiueten
und demselben die landesfiirstüchen Postulate vortrugen. Li Oester-
reich unter der Enns aber, wo der Landesliirst am Versammlungs-
orte des Landtages residierte, war es ein altes Herkommen, dass
die Stände an dem bestimmten Tage zur bestimmten Stunde in
der kaiserlichen Burg erschienen, dort aus dem Allerhöchsten Mund
den Vortrag anhörten imd sodann die schriftliclien Postulate über-
nahmen ^).
Zur Vollziehung und Ausfülirung der Landtagsbeschlüsse be-
stellton die Stände aus ihrer Mitte einige Deputierte, welche
ständische Verordnete genannt wiu'den. Li OesteiTeich imter
der Enns wurden die Verordu(».ten nur aus den drei oberen Ständen,
d. i. dem Prälaten-, Herren- und Ritterstande und zwar aus jedem
Stande zwei, in OesteiTeich ob der Enns aber aus allen vier
*) P f i b r a m, Die niederö.steiTeichischen Stände und die Krone in
der Zeit Kaiser Leopold I. (im XIV. Baude der „Mittheil, des Inst, für
Osten*. Gesch." — Huber, OesteiT. Reichsgeschichte. l()3 ff. — Seidler, Studien
zur Geschichte und Dclgmatik des österr. Staatsreclites. 140. f.
') Nach dem Jahre 1748 wurde, weil in Folge des mit den Ständen
geschlossenen Recesses kein neues Ansinnen an die Stände zu bringen war,
die Landtagseröffnung in der "Weise vereinfacht, dass nach Eröffnung des
Landtages an einem Ihrer Majestät beliebigen Tage eine ständige Deputation
zur Privataudienz erschien und die recessmässigen Postulate aus den Händen
der Kaiserin empfieng.
Digitized by
Google
81
Ständen gewählt. Es hat dies seinen Grund darin, weil in
Oesterreieh unter der Enns die städtische Contribution nicht durch
die Stände, sondern durch einen besonderen Einnehmer, in Oester-
reieh ob der Enns dagegen, gerade so, wie jene der Gutsherrschaften,
durch die Stände eingehoben wurde. Zur Berathung wichtiger
Gegenstände war ein Ausschuss aus je vier Mitgliedern der
drei obersten Stände und zwar immer nur aus solchen Mäimem,
welche frülier schon ein ständisches Amt bekleidet, somit in den
Geschäftsgang einen tieferen Einblick hatten. Ausserdem bestanden
noch mehrere ständische Aemter und Functionäre, wie die Rait-
kammer (Rechnungskammer), Obereinnehmer, Viertelcommissäre ^),
Buchhaltung, Rentamt, Bauamt und die verschiedeneu Kanzleien. ^
Fast alle Städte des Erzherzogthums Oesterreieh unter und
ob der Enns waren dem Landesförsten unmittelbar xmterworfen,
also landesfürstliche Städte und Märkte und zwar in Oesterreieh
unter der Enns : Wien, Wiener-Neustadt, St. Polten, Krems, Tulln,
Komeuburg, Retz, Waidhofen an der Thaya, Zwettl, Laa, Kloster-
neuburg, Hainburg, Brück, Langenlois , Mödling , Perchtoldsdorf
und Gumpoldskirchen ; in Oesterreieh ob der Enns: Linz, Steyr,
Wels, Enns, Gmunden, Preistadt imd Vöcklabruck.
Die wirthschaftliche Lage der Bevölkerung des Erzherzog-
thums Oesterreieh war im Allgemeinen verhältnissmässig besser,
als jene der andern Erbländer. Wien, die Residenz des Hofes und
der Aufenthaltsort der fremden Gesandten, war zugleich der Haupt-
handelsplatz, welcher den Verkehr zwischen Deutschland und Ungarn,
sowie der Türkei vermittelte. Li Wien befanden sich Niederlagen
der angesehensten und reichsten Handelshäuser Deutschlands, aus-
gestattet mit werthvollen Privilegien und Schutzbriefen. Die bei
den Niederlagen der fremden Kaufleute Angestellten, die so-
*) In jedem Viertel, in welche das Erzherzogthum eingetheilt wurde,
bestand ein Ober- und Unter- Commissär, beide von den Ständen und zwar der
erstere aus dem Herrenstande, der letztere für beständig ernannt. Sie hatten
insbesondere für die Bequartierung und Verpflegung der durchmarscliierenden
Truppen, sowie für die BeschaflPang der sonstigen Bedürfnisse für dieselben
zu sorgen. Ihr Wirkimgskreis gieng später auf die unter Maria Theresia
angestellten Kreisämter über. Von den in Böhmen und Mähren schon vor
Haria Theresia bestandenen Kreishauptleuten unterschieden sich die nieder-
Österreichischen Viertelcommissäre dadurch, dass diese ständische, jene
aber landesfürstliche Organe waren.
«) H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 62. - PHbram, a. a. O. 598. ff.
Oesterreiohischer Erbfolgekrieg^. I. Bd. 6
Digitized by
Google
82
genannten „Niederläger*', genossen das Recht der freien Religions-
tibung und standen unter der unmittelbaren Jurisdiction der „Re-
gierung". Speciell fiir den Handel nach der Türkei bestand die
reich privilegierte „Orientalische Handelscompagnie". Und wo gab
es auch in der Zeit, da die Eisenbahnen noch unbekannt waren,
eine für den Handel günstiger gelegene Landstadt, als Wien an der
grossen Wasserstrasse der Donau? Neben dem Handel war auch die
Industrie stark entwickelt, insbesondere die Leinwand- und Woll-
waaren-Fabrication und vor allem die Eisenindustrie in Oesterreich
ob der Enns, welch^ letztere sich schon damals den Markt der
fernsten Länder erobert hatte. Die Salzgewinnung im Salzkammer-
gute brachte den Einwohnern dieses felsigen Bezirkes, der wenig
Feldbau und Viehzucht besass, ihren Unterhalt, indem sie theils bei
der Salzgewinnung, theils als Schiffer und Fuhrleute Verdienst fanden.
Auch die Landbevölkerung war günstiger gestellt, als jene in
manchem anderen Erblande ; der Bauer war unterthänig und robot-
pflichtig, aber nicht leibeigen, wie in Böhmen und Mähren und
wurde in der Regel von seiner Gutsherrschafb nicht schlecht behan-
delt. Li Oesterreich unter der Enns hafteten nämlich die Q-utsherr-
schaften für die Contribution ihrer Unterthanen und hatten daher
schon aus diesem Grunde ein Interesse daran, dass die Unterthanen
in aufrechtem und zahlungsfähigem Stande erhalten wurden. Acker-
bau und Viehzucht wurde überall gut betrieben, daneben in Oester-
reich luiter der Enns ausgedehnter Weinbau und im Lande ob der
Enns eine erträgnissreiche Obstcultur. Alle Landesproducte fanden
reichlichen Absatz, da einerseits das dichtbevölkerte und kauf-
kräftige Wien, anderseits die Industrieorte starke Abnehmer der
Bodonerzeugnisse waren ^).
Inner-Oesterreich.
Unter Inner-Oesterreich*) waren bis in die Zeit der Kaiserin
Maria Theresia nicht blos die Herzogthümer Steyermark, Kämthen
und Krain, nebst dem österreichischen Theile Istriens, die gefursteten
Grafschaften Görz und Gradisca sammt deren Confinien und die
Seestädte Triest und Fiume begriffen, sondern auch Zengg, Carlopago,
') H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 62.
') Mayer, Mittheilungen aus A. M. S t ii p a n's von Ehrenstein Beschreibung
von Inner-Oesterreicli (Beiträge z. Kunde steyermärkiächer Goschichtsquellen;
24. Jalirg. Graz, 1892) — H. H. u. St. Arch. Handschr, Nr. 171.
Digitized by
Google
83
die Bucoaranischen Güter, die Grafschaften Licca und Corbavia,
ja in gewissem Sinne selbst die Warasdiner, Carlstädter und Meer-
Grenze. Zengg, Carlopago, die Grafschaften Licca und Corbavia
wurden nach ihrer Befreiung aus der türkischen Botmässigkeit in
Bezug auf das Cameralwesen der innerösterreichischen Hof kammer,
in allen übrigen Beziehungen aber dem innerösterreichischen Hof-
kriegsrathe zur Verwaltung übergeben. Zengg wurde allerdings im
Jahre 1741 als eine königlich ungarische Freistadt erklärt, aber im
Jahre 1752 abermals dem Commercien-Directorium übergeben und
als zu Inner-Oesterreich gehörig angesehen. Die Buccaranischen Güter
waren nach der Verschwörung der Grafen Zriny und Frangipan
im Jahre 1670 confisciert, dem ungarischen Fiscus übergeben, von
diesem aber im Jahre 1692 um 500.000 fl. der innerösterreichischen
Hofkammer verkauft worden. Die Warasdiner, Carlstädter imd Meer-
Grenze wurde auf Grund eines Beschlusses der im Jahre 1578 in
Brück a. d. Mur auf einem allgemeinen Landtage versammelten
Stände Liner-Oesterreichs mit Zustimmung Kaiser Rudolph H. als
Königs von Ungarn den Ständen der Herzogthümer Steyermark,
Kämthen und Krain überlassen, um durch die militärische Organi-
sierung dieser Gebiete und durch die Anlage von Festungen einen
wirksamen Schutz gegen türkische Einfälle zu gewinnen. Bei dieser
Einrichtung blieb es bis zum Jahre 1748. Es gehörten also diese
Landestheile damals, imbeschadet dessen, dass sie in staatsrechtlicher
Beziehung Theile der Länder der Stephanskrone waren, in admini-
strativer Hinsicht zum innerösterreichischen Verwaltungsgebiete ^).
Durch die Theilung der österreichischen Erblande imter die Söhne
Kaiser Ferdinand's I. wurde eine wesentliche Aenderung in dem Ver-
waltungs-Organismus Inner-Oesterreichs bedingt. Vor der erwähnten
Erbtheilung war auch hier, wie anderwärts, die Verwaltung sehr
einfach; die Kriegsmacht bestand einzig aus dem Landesaufgebote,
landesfurstiüche Einkünfte gab es nicht viel und die Verwaltungs-
geschäfte besorgten die Stände und die Grundobrigkeiten. Ein
Landeshauptmann als Vorsitzender in der Ständeversammlung und
zur Ausübung der Justiz, ein Landesverweser als Stellvertreter des
Landeshauptmanns, dann ein Vicedom zur Verwaltung der landes-
fürstlichen Güter und Einkünfte in jedem Lande, das waren so
ziemlich die einzigen Repräsentanten des Landesherm. Die nieder-
österreichische Regierung oder das ,, Regiment" in Wien
*) Bidermann: „Gesammtstaats-Idee." H. 85.
6*
Digitized by
Google
84
war die Berufungs-Instanz für alle politischen und Justizgegenstände,
der „Hofrath", respective der Landesfürst selbst, entschied in den
wichtigsten Angelegenheiten. Als nun nach dem Tode Kaiser
Ferdinand's L im Jahre 1564 dessen jüngster Sohn, Erzherzog
Carl, die innerösterreichischen Länder erhielt, errichtete er für
dieselben ähnliche Behörden, wie sie unter seinem Vater in
Wien bestanden hatten, nämlich einen geheimen Rath, eine Re-
gierung, eine Hofkammer und einen Hofkriegsrath. Die Organi-
sierung und der Wirkungskreis dieser innerQsterreichischen Hof-
stellen war jener der niederösterreichischen in der Hauptsache gleich,
nur der innerösterreichische Hofkriegsrath unterschied sich damals
dadurch vom Wiener Hofkriegsrathe, dass er zugleich pohtische
Verwaltungsbehörde für einzelne Landestheile war, nämlich für die
Grafschaften Licca und Corbavia und die übrigen Grenzgebiete,
während der Wiener Hofkriegsrath zu jener Zeit noch auf die
militärischen Angelegenheiten beschränkt war. Obwohl Kaiser
Ferdinand H. die gesammten österreichischen Länder wieder unter
seiner Herrschaft vereinigte und seine Residenz in Wien nahm,
liess er doch die innerösterreichischen Behörden in ihrem früheren
Wirkungskreise bestehen. Auch die nach Wien verlegte inner-
österreichische Hofkanzlei behielt trotz ihrer scheinbaren Einver-
leibung iu die österreichische Hofkanzlei ihre fiühere Selbstständigkeit
und ihren Namen, denn die ganze Unterordnung der inneröster-
reichischen, wie der ober- und vorderösterreichischen Hofkanzlei
unter den österreichischen Hofkanzler bestand eigentlich nur darin,
dass der österreichische Hof kanzler zugleich auch innerösterreichischer
und oberösterreichischer Hofkanzler war. Die innerösterreichischen
und die ober- und vorderösterreichischen Behörden behielten bis
in die Zeit Kaiser Joseph's I. ihre volle Selbstständigkeit und
verkehrten mit dem Kaiser nur durch die Vermittlung der ent-
sprechenden Hofkanzlei.*) Die drei Gruppen der österreichischen
Länder waren nur durch die Person des gemeinsamen Landesfürsten,
also nur durch Personalunion mit einander verbunden; sie waren
politisch und administrativ vollständiger von eiuander geschieden,
als Böhmen und Nieder-Oesterreich. Während in Böhmen und Nieder-
Oesterreich die Heeres- und die Cameral-Angelegenheiten von den-
selben Hofstellen, dem Hofkriegsrathe und der Hofkammer in Wien
geleitet wurden, hatte sowohl Liner-, wie Ober-Oesterreich (Tyrol)
seine eigene, von der Wiener unabhängige Hofkammer und Lmer-
Oesterreich auch seinen Hofkriegsrath.
') Seidler, Studien etc. 136.
Digitized by
Google
85
So blieb es bis unter Kaiser Joseph L Unter diesem Kaiser
machten Inner-Oesterreich und Tyrol, allerdings nur ungern, einen
bedeutenden Schritt nach vorwärts zur einheitlichen Gestaltung der
österreichischen Erblande. Die bisher unmittelbaren Hofstellen
Inner-Oesterreichs wurden ebenso, wie jene für Tyrol und Vorder-
Oesterreich trotz des heftigsten Sträubens derselben und der Stände
den obersten Hofstellen für Nieder-Oesterreich, nämlich der Hof kanzlei,
dem Hofkriegsrathe und der Hofkammer imtergeordnet.^) Um der
Empfindlichkeit der in ihren Prärogativen geschmälerten Behörden
und dem in Inner-Oesterreich und Tyrol besonders stark entwickelten
Particularismus einige Zugeständnisse zu machen, wurde der geheime
Bath in Graz und Innsbruck bei seinen früheren Befugnissen belassen;
auch Hess man es geschehen, dass die betreffenden nunmehrigen
Landesstellen und deren Functionäre noch weiter den Titel der
Hofstellen führten und dass die nunmehr der österreichischen Hof-
kanzlei vollständig einverleibte innerösterreichische und oberöster-
reichische Abtheilung als innerösterreichische oder oberösterreichische
Hofkanzlei bezeichnet wurde. Durch die Unterordnung aller öster-
reichischen Erblande unter dieselben HofsteUen war die Regierung
und Verwaltimg derselben nach einheitlichen Principien der Ver-
wirklichung einen bedeutenden Schritt näher gerückt. Die landes-
förstlichen, wie die ständischen Rechte waren ohnedies ziemlich
gleich, daher gilt auch für Inner-Oesterreich das Meiste von dem,
was über Nieder-Oesterreich gesagt wurde.
Nach der Durchführung der Reformen unter Kaiser Joseph I.
und Carl VI. blieben die innerösterreichischen Stellen bis 1747
ohne besondere Aenderung und war die Verwaltung Inner-Oesterreichs
in den letzten Regierungsjahren Kaiser Carl VI. folgendermassen
eingerichtet *) :
Als eigentliche innerösterreichische Landesstelle bestand in
Graz der vom Erzherzog Carl H. errichtete geheime Rath
oder die geheime Stelle, welche die anderen Behörden zu
überwachen und deren Verkehr untereinander und mit der Hof-
kanzlei zu vermitteln hatte. In den einzelnen Ländern waren die
Landeshauptleute, im Litorale die zur Beförderung des Handels,
insbesondere des Seehandels, zu Triest eingesetzte Commercial-
*) Bidermann, Gesammtstaats-Idee. II. 9. iF.
•) Gebier, Geschichte des Herzogth. Steyermark, 293. ff. — Göth, Das
Herzogtham Steyermark, I. 82 ff, — Aelschker, Geschichte Kämthens,
n. 901 ff.
Digitized by
Google
86
Intendanz, welcher die Hauptmannschaften zu Triest, Fiume
und Zengg untergeordnet waren, in der Warasdiner und Carlstädter
Grenze aber die innerösterreichische Kriegsstelle mit der politischen
Verwaltung betraut. Die untersten Verwaltungsorgane waren die
Grundherrschaften und die Magistrate der landesfiirstlichen Städte
und Märkte. Die Gerichtsverfassung entsprach fast ganz der nieder-
österreicliischen ; die Ortsgerichte auf dem Lande, die Magistrate
oder Stadtgerichte' übten die Gerichtsbarkeit über die unadeligen
Bewohner, welche weder dem geistlichen, noch dem Militärstande
angehörten; das Landrecht unter dem Vorsitze des Landeshaupt-
manns oder seines Stellvertreters war die Gerichtsinstanz für den
Adel, die Ständemitglieder, den Clerus, für die Angelegenheiten
der landesfiirstlichen Städte und Märkte u. s. w. Für alle diese
Gerichte bildete die „Regierung" in Graz die zweite Instanz,
von welcher nur noch die Berufung „nach Hof ^ d. i. an die Hof-
kanzlei oder vielmehr an den Kaiser als Landes fü raten zulässig
war. Nur die Carlstädter und Warasdiner Grenze standen, sowie
die Militärpersonen überhaupt unter der Militärgerichtsbarkeit und
die innerösterreichische Kriegsstelle war die zweite Instanz für die
Eegimentsgerichte. ^)
Das Finanz- und Cameralwesen wurde von der inneröster-
reichischen Kammer, den Vicedomämtem, den ZoU-, Mauth-, Münz-,
Berg- u. a. Aemtem in Verbindung mit den ständischen Einnehmer-
ämtem besorgt.
Die landesfiirstlichenRechteinlnner-Oesterreich waren dieselben,
wie in Nieder-0 esterreich und den österreichischen Erblanden über-
haupt. Weil alle Besitzungen des Erzhauses Oesterreich ein : „Terri-
torium clausum" sind und daher nach dem Grundsatze: „Quidquid
est in territorio, illud quoque est de territorio" ^ jeder im Lande
Begüterte als ein Landsasse anzusehen ist, waren auch die Bischöfe
von Seckau, Gurk und Lavant trotz ihres fürstlichen Ranges keine
Reichsfürsten, sondern Landstände. Dessgleichen konnten auch
die ausländischen geistlichen Ordinariate, deren Diöcesen sich nach
Inner-Oesterreich erstreckten, selbst in rein geistlichen Angelegen-
heiten weder eine geistliche, noch eine weltliche Person in ihre
Residenz citieren, sondern alle Vorfallenheiten mussten dem „Privi-
*) Kr. A. — Kanzl. A. IX a, Nr. 10. Instruction für die innerösterreichische
Blriegsstelle vom 20. August 1722.
•) Alles, was im Lande ist, gehört zum Lande. (Küchelbecker,
Nachrichten etc. 85.)
Digitized by
Google
87
legium de non evocando'^ gemäss bei den mit landesfiirstlicher
Genehmigung im Lande selbst bestellten Vicaren oder Erzpriestem
und ihren Consistorien verhandelt und entschieden werden. Die
Ausübung landesfurstlicher Hoheitsrechte durch auswärtige geistliche
oder weltliche Fürsten war noch weniger gestattet und desshalb
begab sich das Bisthum Bamberg mit Recess vom 20. De-
cember 1674 aller landesfiirstlichen Obrigkeit und Territorial- Juris-
diction auf seinen Besitzungen in Kämthen, doch wurden ihm ver-
schiedene, in die landesfurstliche Hoheit eiuschlagende Rechte
belassen, woraus in der Folge vielerlei Streitigkeiten und Hinder-
nisse für die Einführung neuer Landeseinrichtungen entstanden. In
Folge dessen übernahm, um die Sache gänzlich zu ordnen, die Kaiserin
Maria Theresia durch den Vertrag vom 5. Mai 1759 alle bam-
bergischen Herrschafben, Städte und Märkte in Kämthen gegen
eine Kaufsumme von einer Million Q-ulden.
Als oberste Vogt- und Schutzherren über alle Gotteshäuser,
Stifter und Klöster hatten die Landesförsten das Recht, sogenannte
„Panisbriefe" oder Laienpfründen zu verleihen, d. i. alte, zu weiteren
Diensten unfähige Hofbeamte oder deren Witwen den steyerischen
und kämthner Klöstern zur unentgeltlichen Versorgung zu über-
geben, welcher Verpflichtung die Klöster gewöhnlich durch Ver-
abreichung eines jährlichen Geldbetrages an die ihnen zur Ver-
sorgung Zugewiesenen nachkamen. ^)
Die innerösterreiohischen Stände besassen ansehnliche und
alte Privilegien, welche in den Landhandvesten verzeichnet sind
und jedesmal vor der Erbhuldigung bestätigt wurden; doch ist
durch dieselben die landesfürstliche Machtvollkommenheit keines-
wegs eingeschränkt. Die besondere Art, auf welche die Stände
Kämthens dem Lande die Huldigung auf dem Zollfelde zu leisten
pflegten, war längst ausser Uebung gekommen. Die Stände der
einzelnen innerösterreichischen Länder in ihrer Eigenschaft als
Corporation wurden gewöhnlich „die Landschaft'' genannt und es
bedeutet also „die Landschaft Kämthen" so viel als „die Stände
Kämthens''. Ausser der Besorgung der innern Landesangelegen-
heiten war die wichtigste Aufgabe der innerösterreichischen Stände
die Landesvertheidigung, zu welchem Zwecke die Stände von
Steyermark, Kämthen, Krain und Görz auf dem allgemeinen Land-
*) Mayer, Mittheüungen aus Stupan's Beschreibung von Inner-Oester-
reich, in Beiträge zur Kunde steyermark. Geschichtsquellen, 24. Jahrgang, 12. -—
R H. u. St. A. Handschr. Nr. 171.
Digitized by
Google
88
tage in Brück a. d. Mur im Jahre 1578 die Militarisierung der an
die Türkei grenzenden Theile von Croatien, Slavonien und Dal-
matien und die Anlage von Festungen beschlossen und hierzu
sogleich einen Betrag von 548.205 fl. widmeten. Für die weitere
Erhaltung des militarisiei'ten Grenzgebietes wurde in der Weise
vorgesorgt, dass Steyermark die Kosten fiir die Warasdiner, die
andern innerösterreichischen Länder aber jene für die Carlstädter
Grenze übernahmen. Kaiser Rudolf IE. übertrug seinem Oheim
Erzherzog Carl die Administration dieser Grenze und die Stände
wahrten sich einen den gebrachten Opfern entsprechenden Einfluss
durch das Präsentationsrecht für die Besetzung der Haupt-
manns- und Obristenstellen in den Grenzen und der Hof kriegs -
rathsstellen in Graz, welche sämmtlich niu* an imierösterreichische
Landsassen verliehen werden konnten, so lange nämlich die Ver-
waltung und Erhaltung dieser Grenzen eine rein inneröster-
reichische Angelegenheit und die Grazer Kriegsstelle vorzugsweise
eine innerösterreichische Administrativbehörde blieb. "Wenn, wie es
. wiederholt der Fall war, eine dem innerösterreichischen landsässigen
Adel nicht angehörige Persönlichkeit, gegen welche die Stände
keine Einwendung erhoben, für eine solche Stelle in Aussicht ge-
nommen war, so wurde, um der Form zu genügen, derselben zuerst
das Incolat in einem der innerösterreicliischen Länder verliehen.
Die Vereinigung der innerösterreichischen „Landschafben'' zur ge-
meinsamen Erhaltung der Grenzmiliz bedingte einen steten regen
Wechselverkehr zwischen denselben und häufig auch gemeinsame
Berathungen. Es bestand also zwischen den innerösterreichischen
Ländern und ihren Ständen eine weit engere und innigere Ver-
bindung als zwischen den Theilen der übrigen erbländischen Gruppen.
Zur Diu*chfiihrung der Landtagsbeschlüsse, sowie zur Besorgung
der currenten Verwaltirngs-Angelegenheiten wurde von den Ständen
jedes Landes ein Ausschuss aus Mitgliedern der drei obem Stände
bestellt, welche den Namen ,, Verordnete" führten.
Die Privilegien der Stände gründen sich auf die verschiedenen
Landhandvesten, laut welchen dieselben das Berg-^) und
') „Bergrecht'* (eine Abart des Weinzehent, nicht zu verwechsehi mit
dem „Bergrecht" als dem Inbegriff aller für das Montan wesen geltenden
Rechte und Gesetze) ist eine für die Weinberge zu entrichtende Abgabe.
Dasselbe unterscheidet sich vom „Zehent" dadurch, dass dessen Höhe nicht
nach dem jedesmaligen Ertrage bestimmt wurde, sondern stets in dem fest-
gesetzten Betrage entrichtet werden musste, auch selbst dann, wenn das
damit belastete Grundstück längst nicht mehr zum Weinbaue verwendet wurde.
(de L u c a , Justizcodex, I, 365. — Cod. austr. I, 594.)
Digitized by
Google
89
Zehentrecht, das Einstands- oder Vorkaufsrecht auf die zum Ver-
kaufe gelangenden Freihäuser und Freigründe, sowie auf die Be-
sitzungen ihrer Unterthanen besassen, femer das Kecht, keine
Protestanten ansässig werden zu lassen und keinen Juden zu
dulden, Befreiung von verschiedenen Lasten und Abgaben, ins-
besondere von der Entrichtung des sogenannten „innobilitiei-ten
Zinsguldens" u. dgl. Auch konnte kein ständisches Mitglied schulden-
halber mit körperlichem Arrest belegt werden, hingegen durfte
dasselbe auch kein bürgerliches Gewerbe betreiben.
Die Stände Kärnthens hatten auf Grund des ihnen vom Erz-
herzog Ferdinand am 12. Juli 1521 verliehenen „Münz-Privi-
legiums" das Recht, in Klagenfurt Münzen nach Wiener Schrot
und Korn mit dem Bildnisse des Landesfiirsten auf der einen, dem
kämthner Landeswappen allein oder in Verbindung mit dem öster-
reichischen auf der anderen Seite und der Umschrift „archidux
Austriae et Carinthiae" zu prägen. Dieses Privilegium war jedoch
wegen Nichtausübung in Vergessenheit gerathen und ein im Jahre
1736 von den Ständen an den Kaiser gerichtetes Ansuchen lun
Erneuerung desselben hatte keinen Erfolg*).
Der Handel Liner-Oesterreichs hatte unter Kaiser Carl VI.
einen grossen Aufschwung genommen. Der Kaiser erhob im Jahre
1730 Triest und Fiume zu Freihäfen und verlieh ihnen ansehnliche
Vorrechte und Privilegien, durch welche der Verkehr nach diesen
Städten gelenkt werden sollte^). Die Verbesserung der Häfen von
ßuccari und Porto-R6, die grossartigen Strassenbauten waren auf
die Hebung des Handels berechnet. Der Transitverkehr durch
Liner-Oesterreich stieg auf eine früher nie geahnte Höhe.
Von Industriezweigen war die steyerische und kämthner
Eisenindustrie von altersher berühmt, doch erlitt dieselbe in
Kämthen durch das im Jahre 1728 erlassene Verbot der Einfuhr
venetianischer Weine nach Kämthen eine grosse Einbusse, weil
die Venetianer nun auch kein kämthner Eisen kauften und daher
der italienische Markt für dasselbe verloren gieng.
Der Landbau war natürlich je nach der Beschaffenheit der
Gegend verschieden; in den gebirgigen Theilen mussten die an
harte Arbeit gewöhnten Bewohner dem Boden mühsam einen kärg-
1) Arch. d. Min. d. Inn. Inner-Oesterr. IV. H. 1, Nr. 12, ex 1736. -
Aelschker, Gesch. Kärnthens, II. 893.
«) Cod. austr. IV, 629, 646, 664. — Mayer, Die Anfänge des Handels
und der Industrie in Oesterreich, 108 ff.
Digitized by
Google
90
liehen Ertrag abringen, in den flachen Gegenden war dagegen
häufig die geringe Arbeitslust der Bevölkerung ein Hinderniss des
Aufschwunges und die Ursache, dass in manchen Gegenden die
Landesumlagen und sonstigen Abgaben nur schwer und mit Auf-
wendung aller Strenge eingebracht werden konnten ^). Bedeutend
war der Weinbau, besonders in der südlichen Steyermark, wo ehemals
fast zwei Drittel des Landes dem Weinbau gewidmet waren, so dass
schon in den ältesten Zeiten Vorkehrungen zur Einschränkung des
übermässigen Weinbaues gemacht wurden. Der steyerische Wein
fand eben nicht den der erzeugten Menge entsprechenden Absatz
in andern Ländern. Solange der grösste Theil Ungarns unter
türkischer Herrschaft stand, fanden die steyerischen Weine guten
Absatz, besonders in Schlesien und es wurden daher viele Aecker
und Wiesen in Weingärten umgewandelt. Nach der Vertreibung
der Türken aus Ungarn stieg der Export des ungarischen Weines
m die Nachbarländer und schliesslich konnten die steyerischen Weine
die neue Concurrenz nicht aushalten.
Die Stellung der Bauern in den innerösterreichischen Ländern
war, wie in Nieder-0 esterreich, jene der Unterthänigkeit. Es gab
zwar auch freie, d. h. keiner Gutsherrschaft unterthänige Grund-
besitzer, sogenannte „Freisassen", aber ihre Zahl war nicht gross;
die Realitäten derselben waren ebenso, wie jene der Stände, in
die Landtafel eingetragen. Die Pflichten der unterthänigen Bauern
gegen ihre Grundobrigkeit waren die gewöhnlichen: Grundzins,
Eobot, das Mortuar, d. i. eine Abgabe von 3% des reinen Nach-
lasses, das Pfundgeld, Laudemium, eine auf verschiedenen Dominien
verschieden bemessene Gebühr, die bei Besitzveränderungen von dem
Erwerber einer Realität entrichtet werden musste, das Abfahrts- oder
Kauf-Freigeld, 107o ^^^ Kaufschillings, welches der Abziehende
entrichten musste, dann verschiedene andere Abgaben und Leistungen.
Auch stand der Gutsobrigkeit das Abstiftungsrecht zu, d. h. der
Zwangsverkauf, wenn die Unterthansdienste nicht geleistet wiurden,
dann das Recht, sich für ausstehende Dienste oder Schuldigkeiten
selbst zu entschädigen.
Schwerer, als durch die Lasten der Unterthänigkeit wurden
die steyerischen Bauern durch die Schäden gedrückt, welche das in
übermässiger Zahl gehegte Schwarz- und Rothwild verursachte.
Die Jagd war eine beständige Qual für den Landmann. Die Bauern
') H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 171.
Digitized by
Google
91
durften keine solchen Hunde halten, welche das Eothwild nieder-
reissen oder das junge beschädigen konnten ; es war ihnen verboten,
das Wild durch Schreien, Singen, Klopfen oder Hundegebell aus
seiner Ruhe aufeuscheuchen und die Jäger durften den Bauern ihre
spitzigen Zäune, an denen sich das Wild verletzen konnte, nieder-
werfen. Desshalb entstanden im Jahre 1740 in verschiedenen Gegenden
Zusammenrottungen der Bauern, welche den Wildstand vernichteten.
Maria Theresia Hess gleich nach ihrem Regierungsantritte die An-
stifter der Zusammenrottungen bestrafen, aber auch den Wildstand
vermindern und die Gründe durch Umzäunung schützen *).
Bezeichnend für die allgemeine Mittellosigkeit der Bauern
Kämthens erscheint es, dass die Millstätter Bauern nur mühsam
jene sechs Gulden zusammenbrachten, die sie ihren drei Deputierten
im Jahre 1737 als Zehnmg für die Reise nach Wien mitgeben
mussten ^.
Ober- und Vorder- Oesterreich.
In vielen Beziehungen waren die Einrichtungen Ober- und
Vorder-Oesterreichs, d. i. Tyrols und der Vorlande, von jenen der
anderen Erblande verschieden. Die wiederholte Trennung dieser
Länder von dem übrigen habsburgischen Hausbesitze hatte eine
selbstständige Entwicklung der Verfassung und Verwaltung dieser
Theile der Monarchie begünstigt und auch nach ihrer Wiederver-
einigimg unter einem Landesfürsten hatten viele Einrichtungen
ihren früheren Charakter durch längere Zeit bewahrt'). Bis zum
Jahre 1751 hatten die gesammten ober- und vorderösterreichischen
Lande gemeinschaftliche Regierungsbehörden, die Landesstellen oder
„Wesen" in Linsbruck, welche daJber ober- und vorderöster-
reichische Stellen genannt wurden. Es waren dies die von
Kaiser Maximilian L errichtete Regierung oder das „Regi-
ment", welchem die Besorgung der Justiz- Angelegenheiten und
die oberösterreiohische Hofkammer, welcher nebst der
Cameral- und politischen Verwaltung bis zum Jahre 1706 auch das
Militärwesen anvertraut war. Zu diesen trat im Jahre 16G6 nach
dem Tode des Erzherzogs Siegismund noch eine dritte hinzu,
nämlich der ober- und vorderösterreichische geheime
») H. H. XL. St. A. Handschr. Nr. 171. — Gebier, Steyermai-k. 357.
•) Aelschker, Geschichte Kämthens, IE. 917.
«) E g g e r, Geschichte Tyrols, IE. 520 ff. — Bidermann, Gesammt-
staats-Idee, II. 1 ff.
Digitized by
Google
92
Eath, welcher den beiden andern vorgesetzt war und die von
der Hofkanzlei ergangenen Erlässe und Allerhöchsten Befehle den
übrigen Stellen übermittelte und die von der Regierung und Kammer
erstatteten Berichte zur Allerhöchsten Entscheidung leitete. Die
von Erzherzog Siegismund hinterlassene oberösterreichische
Hofkanzlei wurde zwar, sowie es unter Ferdinand H. mit der
mnerösterreichischen der Fall war, nach Wien verlegt und als eine
besondere Abtheilung der österreichischen Hofkanzlei
einverleibt. EigentHch bestand die ganze Einverleibung nur darin,
dass später alle drei Hofkanzleien einen und denselben Hofkanzler
hatten, denn um die particularistischen Gefühle zu schonen, beliess man
auch dieser ober- und vorderösterreichischen Abtheilung den Namen
der geheimen tyrolischen Kanzlei oder oberöster-
reichischen Hofkanzlei. Diese Selbstständigkeit und Unab-
hängigkeit der Behörden und der Verwaltung Tyrols dauerte bis
zum Regierungsantritte Kaiser Joseph I. Im Jahre 1706 wurde
unter den gleichen Modalitäten. Schwierigkeiten, Protesten und
Aeusserungen des passiven Widerstandes, wie in Inner-Oesterreich,
die oberösterreichische Hofkammer der Wiener Hofkammer unter-
geordnet, die reinen Cameral- Angelegenheiten der kaiserlichen Hof-
karamer, die politischen und gemischten Gegenstände der öster-
reicliischen Hofkanzlei, die Militär- Angelegenheiten endlich dem
HofTvriegsrathe zugewiesen *), doch mussten alle Erlässe und Berichte
in politischen und Cameral-Angelegenheiten den oberösterreichischen
geheimen Rath und die Kanzlei des Gubernators passieren. Der
Kaiser hatte nämlich auf die Bitten der Tyroler ihnen die Er-
nennung eines eigenen Gubernators als Ausdruck und Zeichen der
politischen Individualität Tyrols und der Vorlande zugestanden und
den Pfalzgrafen Carl Philipp von Pfalz-Neuburg im Jahre 1705
hiezu ernannt, welcher diesen Posten bis zum Jahre 1717 be-
kleidete. Laut der ihm ertheilten Instruction vom 15. April 1705*)
war er als „Gouverneur und Statthalter der gesammten ober- und
vorderösterreichischen Fürstenthümer und Länder'' der unmittelbare
Repräsentant des Landesfürsten ; er führte das Gubemium, wie auch
alle Stadt- und Landessachen und die Civil- und Militär- Justiz ; er
war der Präsident des oberösterreichischen geheimen Rathes, an ihn
giengen alle Erlässe und Decrete, welche er dem Hof-Vicekanzler
oder jenem, der dessen Stelle vertrat, übergeben sollte. Die
») Kr. Arch. H.K.R. 1707. Aug. 270, Rg. ; Sept 380, Exp. ; Dec. 139,
Exp. — 1708, Dec. 250, Exp.
«) Arch. d. Min. d, Inn. III. A. 4. Tyrol. Nr. 7 ex 1705.
pigitized by
Google
98
Beschlüsse des geheimen Rathes wurden per majora gefasst; im
Falle der Gouverneur mit euiem Beschlüsse nicht einverstanden
war, musste er denselben mit seinem Gutachten zur Allerhöchsten
Entscheidimg vorlegen. Als der Pfalzgraf anlässlich der Uebemahme
der Regierung seiner Erblande die Gub er natorss teile im Jahre 1717
niedergelegt hatte, führten nun die alten drei obersten Stellen oder
„Wesen" die Landesverwaltung ; für die Militärangelegenheiten war
eine neue Behörde, das ober- und vorderöstorreichische
Militär-Directorium in Innsbruck hinzugekommen. Unter
Kaiser Leopold war zwar ein General als Mitglied des geheimen
Raths in Lmsbruck bestellt, aber derselbe übte seine Gewalt nur
im Auftrage der Tyroler Stellen aus und hatte keinen selbstständigen
Wirkungskreis *), da es in Tyrol noch kein reguläres Militär gab.
Unter der Regierung Kaiser Joseph I. wurde die erste stehende
Tnippe in Tyrol geschaffen, ein regelmässiges Landbataillon imd
zugleich wurden die Militär-Angelegenheiten einem Militär-Director
unterstellt, welcher unmittelbar dem Hofkriegsrathe untergeordnet
war und dessen Aufträge ohne weitere Dazwischenkunft der Wiener
Hofkanzlei, des oberösterreichischen geheimen Raths und der beiden
,,AVesen" zu vollziehen hatte.
Nach diesen vorausgegangenen Veränderungen war die Landes-
verwaltung und die Justizpflege in Tyrol und den Vorlanden
während der letzten Regienuigsjahre Kaiser Carl VI. folgender-
massen organisiert : ^
Der ober- und vorderösterreichische geheime
Rath war die oberste Landesstelle imd der Ober-Schiedsrichter
und Ober-Entscheider über die ober- und vorderösterreichische
Regierung und die ober- und vorderösterreichische Hofkammer.
Der ober- und vorderösterreichischenRegierung
waren nebst der Civil- und Criminal- Justiz alle übrigen Landes-
Angelegenheiten zugewiesen, jedoch so, dass in jenen Fällen, wo
ein landesfürstliches Interesse in Betracht kam, die oberöster-
reichische Hofkammer imi ihre Meinung gefragt und ein Vertreter
derselben zu den Sitzungen beigezogen werden musste. Waren
beide Stellen einig, so war die Sache entscliieden ; bei getheilten
Meinungen musste dieselbe dem ober- imd vorderösterreichischen
geheimen Rathe vorgelegt werden.
') B i d e r m a n n, Geschichte der landesf[irstlichen Behörden in und für
Tyrol. (Archiv für Geschichte und Alterthumskunde Tyrols. 3. Jahrg. 1866. 342 f).
•) H. H. u. St A. Ober- u. vorderösterreicliische Miscellanea. Handschr.
Nr. 1108.
Digitized by
Google
94
Das Cameralwesen besorgte die ober- und vorderöster-
reichische Hofkammer, welche aber nicht, wie der Titel
vermuthen Hesse, eine Hofstelle, sondern eine der „Allgemeinen
Hofkammer" in Wien untergeordnete Behörde war.
Verwickelt und verworren war die Justizpflege. Als erste
Instanz für Bürger und Bauern fungierten die herrschaftlichen
Gerichte, kurzweg Gerichte genannt, deren Sprengel ebenfalls
diesen Namen fährten und der Ausgangspunct der politischen
Landeseintheilung waren. So viel Herrschaften, so viel Richter.
Diese Gerichte waren aber nicht, wie in den andern Erblanden,
ein Ausfluss der obrigkeitlichen Gewalt der Grundherren über ihre
Unterthanen, sondern sie sind landesförstliche Lehen und die In-
haber derselben konnten die Gerichtsbarkeit nur im Namen des
Landesflirsten ausüben. Die Richter wurden von den Herrschafbs-
besitzem bestellt, weu'en aber zugleich in landesftirstlichen Pflichten ;
sie hatten keine Besoldung, sondern mussten von den Sportein
leben, dalier sie gewöhnlich durch Weitläufigkeiten ihr Ein-
kommen zu vermehren suchten. Eben diese Richter hatten auch
die Criminal-Gerichtsbarkeit, doch mussten sie meistens die ge-
schlossenen Processe an die oberösterreichische Regierung zur Re-
vision einschicken und die weiteren Anordnungen abwarten. Einige
Herrschaften, besonders jene an den wälschen Confinien, hatten den
Blutbann und waren daher von der Einsendung der Processacten
befreit; sie wollten sich sogar das Begnadigungsrecht zueignen.
Der Herren- und Ritterstand im Vintschgau, im Burggrafen-
amt, am Eisack und an der Etsch hatte ein besonderes Oberhaupt
an dem Landeshaup t'm a n n, welcher die zwischen seinen Mit-
gliedern vorfallenden Civilstreitigkeiten in erster Instanz zu ent-
scheiden hatte. Der übrige, ausser diesen Vierteln sesshafte Adel
unterstand direct der oberösterreichischen Regierung.
Früher sprach der Landeshauptmann persönlich Recht; später
überliess er wegen seiner beständigen Abwesenheit das landeshaupt-
männische Gericht seinem Amtsverwalter und dieser pflegte es
wieder einem andern Edelmann oder gar dem Amtsschreiber zu
übertragen. Von dem Landsclireiber hieng also das Schicksal der
streitigen Habschaften des Adels ab. Weder der Verwalter, noch
der Amtsschreiber genossen einen Gehalt, desshalb suchte jeder
möglichst viel Spoiiieln herauszuschlagen und das war der Grund,
warum Klagen wegen kleinerer Forderungen häufig unterlassen
wurden, denn die Gerichtstaxen betrugen oft mehr, als der Streit-
gegenstand.
Digitized by
Google
95
Die Regierung war, wie oben bemerkt, directe Instanz
eines Theiles des Tyroler Adels und Berufungsinstanz in jenen
Justiz-Angelegenheiten, welche in erster Instanz vor einem andern
Gerichte verhandelt worden waren ; zugleich wax sie Lehenshof für
Tyrol und die Vorlande und dies verlieh ihr ein besonderes An-
sehen, weil sich mehrere Reichsförsten und Stände des schwäbischen
Kreises zur Ablegung der Lehenspflichten daselbst persönlich stellen
mussten.
Für die Criminal-Justiz war in den deutschen Bezirken die
peinliche Halsgerichtsordnung Carl V., in den wälschen Bezirken
aber die verschiedenen besonderen Statuten in Geltung. In dem
einen wurden viele Todesstrafen, in dem andern wieder zumeist
Geldstrafen verhängt; alle Statuten an den wälschen Oonfinien
gestatteten die Sühnung eines Todtschlages (Meuchelmord ausge-
nommen) durch die Entrichtung eines Blut- oder Wehrgeldes an
die Verwandten. Ueberhaupt erfreute sich ausser den Niederlanden
und Schlesien kein anderes Erbland eines solchen Reichthums an
besonderen Rechten, Statuten und Municipalgesetzen. Die Tyroler
Landesordnung vom Jahre 1573 galt für den grössten Theil Tyrols,
mit Ausnahme der drei Herrschaften Kufstein, Kitzbühel und Ratten-
berg, welche ihr mitgebrachtes bayrisches Recht behalten hatten
und der wälschen Confinien, wo theils das Trienter Municipalgesetz,
Statutum Tridentinum, theils für jede Stadt ein besonderes, vom
Landesfürsten bestätigtes Gesetz oder Statut in Geltung stand.
Diese Verschiedenheit äusserte sich nicht blos in den Urtheilen,
sondern auch im Gerichtsverfahren, im Stra^rocess. Im deutschen
Tyrol wurde die Untersuchung vom Richter geführt, dann wurde
ein sogenanntes Rechtsgeding gehalten; dieses bestand aus zwölf
von dem betreifenden Gericht ausgesuchten Männern, welchen der
Richter den Inhalt der Untersuchung vortrug, worairf alle ihre
Meinung abgaben und das Urtheil mit Stimmenmehrheit sofort
geschöpft wurde, aber vor der Vollstreckung der oberösterreichischen
Regierung vorgelegtwerdenmusste. In Wälsch-Tyrol wurde das Urtheil
vom Richter allein gefällt. Da die Kosten der Untersuchung und
der Vollstreckung des Urtheils, wenn der Verbrecher vermögenslos
war, der Gerichtsobrigkeit zur Last fielen, so wurden häufig, um
die Kosten der Gerichtspflege zu vermindern, Geldstrafen statt der
Todes- oder Leibesstrafen verhängt.
Bis zum Jahre 1754, d. i. vor der Bestellung der Kreishaupt-
leute, gab es in Tyrol ausserhalb Innsbruck mit Ausnahme der
minderen Cameralbeamten, Zöllner und Forstbediensteten fast keine
Digitized by
Google
96
in landesfürstlichen Pflichten stehenden Beamten, als den Stadthaupt-
mann zu Trient, den Commissär an den wälschen Confinien, den
Oberamtspfleger zu Bozen und noch die eine oder andere Amtsperson.
Die landesfurstlichen Verordnungen luid jene der Landesbehörden
koiuiten daher nur durch die Obrigkeiten vollzogen werden
und wenn es sich um wictitigere Anordnungen handelte, war die
Landesstelle gezwungen, eigene Commissäre von Linsbmck an die
entlegensten Orte zu senden. Eine andere Folge des Mangels an
landesfürstlichen Beamten ausserhalb Innsbruck war, dass Niemand
einen Einblick in die Amtsthätigkeit der Richter und in den Gang
der Rechtspflege hatte. Erst diu'ch die Aufstellung der Kreishaupt-
leute trat eine Aenderung zum Bessern ein.
Die Verfassung Tyrols berulite in der Hauptsache auf dem
am 23. Juni 1511 von Kaiser Maximilian L zu Innsbruck mit
Beiziehung aller vier Stände des Landes und der Hochstifter Trient
und Brixen geschlossenen Vertrage und auf der Landesordnung
vom Jalire 1573. Die ständischen Einrichtiuigen Tyrols waren von
jenen der übrigen Erblande wesentlich verschieden. Schon der
Zusammensetzung nach bestand zwischen den Ständen in Tyrol und
jenen der gesammten übrigen Erb-Königreiche und Länder ein sehr
beträchtlicher Unterschied, indem in Tyrol nebst der Geistlichkeit
und dem weltlichen Adel, unter welchem der Herren- und Ritter-
stand zugleich begriffen war, dami den Städten und Märkten die
Bauern *) den vierten Stand ausmachten, femer dass in den meisten
übrigen Erblanden der Herren- und Ritterstand von einander
unterschieden waren. Bei den ständischen Versammlungen erschienen
nicht nur die vier Stände des Landes, sondern auch die Bischöfe
von Trient und Brixen und ihre Capitel entsandten Deputierte.
Der vierte oder Bauernstand war ebenfalls durch Deputierte, und zwar
je einen für jedes „Gericht" vertreten, welche auch bei der Landes-
huldigung erscliienen und wie die übrigen Stände, jedoch an einer
abgesonderten Tafel, bei Hofe speisten.
Weil mit den zwar wohlgesinnten, aber raulien Bauern in
Bezug auf die Landtags-Postulate nichts auszurichten war, da ihnen
die Ueberzeugung von deren Nützlichkeit und Nothwendigkeit absolut
nicht beigebracht werden konnte, vermied man es nach Möglichkeit,
*) Die Tyroler Bauern erhielten im Jahre 1417 vom Herzog Friedrich
„mit der leeren Tasche" für ihre Treue gegen den unglücklichen, in Kirchen-
bann und Reichsacht verfallenen Fürsten die Freiheit, Eigenthum imd die
förmliche Standschaft. (Staffier, Tyrol xmd Vorarlberg. 625.)
Digitized by
Google
07
eiueiiLaiidtag abzuhalten und fand donAusweg, dioLandtags-Postulate
diu'cli sogenannte ,, engere Congresso" zu erledigen, aufweichender
Bauernstand dui'ch die sogenannten Viertelsvertreter (je einer für
jedes Viertel von den Gerichten gewählt) vertreten war. Wenn
also der Landtag einberufen wurde, erschienen die Stände und die
Abgeordneten der Gerichte nur zur Eröffiiungssitzung und zur
Anhörung der Postulate und Vorlagen, worauf sie den sogenannten
grösseren Ausschuss, bestehend aus den Vertretern der
Stifter Trient und Brixen und deren Domcapitel, dann sechs Prä-
laten, zehn Herren und Eittem, zehn Deputierten der Städte und
allen Viertelsvertretern, wälüten und sich wieder nach Hause be-
gaben. Mit diesem Ausschusse wurden die Vorlagen erledigt. Bevor
aber der grössere Ausschuss sich trennte, wählte er den sogenannten
engeren Ausschuss, welcher bis zum künftigen Landtage
keiner weiteren Veränderung unterworfen war. Dieser engere
Ausschuss, dessen Einrichtung als Vertreter des ganzen Landes
und Besorger der Landes- Angelegenlieiten schon im Jahre 1573 ge-
troffen worden war, bestand aus den Abgeordneten der beiden
Hochstifter Trient und Brixen und dieser beiden Domcapitel, aus
drei Mitgliedern des Prälatenstandes, vier des Herren- und Eitter-
standes, fünf Vertretern der Städte, endlich aus den Viertels Vertretern.
Vorsitzender des engem Ausschusses war der Landeshauptmaiui ;
der Landmarschall wurde nicht zugezogen. Dieser Ausschuss hatte
allerdings nur eine beschränkte Befugniss; in Angelegenheiten, welche
eine beständige Folge nach sich zogen, konnte nur der offene
Landtag beschliessen. Der Ausschuss versammelte sich in der
Regel jährlich einmal zur BewilHgung der Contribution ; imr wenn
Extra - Postulate zu bewilligen waren, z. B. in Kriegszeiten,
zweimal. Der Versuch, BewilHgungen für mehrere Jahre zu
erhalten, scheiterte an dem Widerstände der Stände, insbesondere
der Stifter Trient und Brixen. Zum Vollzuge der J3eschlüsse des
Landtages, respective des Ausschusses, dann zur Besorgung der
ciirrenten Geschäfte, z. B. der mit den Truppen-Durchmärschen in
Verbindung stehenden Angelegenheiten, bestanden in Lmsbruck
und Bozen sogenamite Activitäton aus je einem Vertreter
jedes Standes und zwar jene in Lmsbruck unter dem Vorsitze des
Landeshauptmaimes, jene in Bozen unter dem des Landeshauptmann-
schafts- Verwalters.
Der Landeshauptmann wohnte urs2)rünglich im Schlosse Tyrol
imd hiess daher auch Burggraf zu Tyrol; später wurde sein
Sitz nach Bozen und endlich nach Innsbruck vorlegt.
Oesterreiohischer Erbfolgekrieg. I. Bd. 7
Digitized by
Google
98
Besondere Vorrechte hatte Tyrol in seiner Wehr- und Steuer-
verfassung. In den älteren Zeiten wurden die Grenzfestungen und
Pässe Tyrols von dem Landvolke selbst bewacht und erst im Jahre
1703 wurden tyroler Landmiliz-Kegimenter errichtet ^), nach deren
Reduction ein reguliertes Landbataillon bis zum Jahre 1745 bestand.
Auf Grund des Land-Libells vom Jahre 1511 ^ betnig im Falle
eines feindlichen Angriffes auf Tyrol das erste Aufgebot 5000, das
zweite 10.000, das dritte 20.000 Mann. Zu dem ersten Aufgebote
hatten die Stifter Trient und Brixen 1800, das Pusterthal 500, die
Herrschaften Rattenberg, Kufstein luid Katzbühel 300, die übrigen
Städte und Gerichte 2400 Mami zu stellen. ^) Diese Miliz war nur
zur Vertheidigung des eigenen Landes, keinesfalls aber zum Dienste
ausserhalb Tyrols verpflichtet, trotzdem kämpfte sie wiederholt
auch ausserhalb Tyrols gegen die Feinde des Kaisers. Einer über
das Land-Libell vom* Jahre 1511 hinausgehenden Organisierung der
Landesvertheidigung widerstrebt<3 die Rtändevertretung beharrlich. *)
Auf der Wehrverfassung vom Jahre 1511 beruhte auch die
spätere Steuerverfassung. Im Jahre 1573 hatten die tyroler Stände
auf Ansinnen des Erzherzogs Ferdinand 1,000.000 fl. Kammer-
schulden übernommen. Diese Simiine wurde auf das im Land-Libell
vom Jahi'e 1511 beschlossene erste Aufgebot von 5000 Streit-
knechten vei-theilt, so dass jener, welcher nach dem Libell zur
Stellung eines oder mehrerer gerüsteter Streitknechte verpflichtet
war, in gleichem Verhältnisse zur Tilgung dieser Schuld beitragen
musste. Aus den Streitknechten wurden dalier Steuer-
knechte (Steuereinheiten)^). Ein Steuerknecht betrug 36 il.
Innerhalb zwanzig Jahren hätte die übernommene Schuld sammt
den Interessen getilgt sein sollen, nur zwanzig Jahre sollte diese
Steuer dauern, ihr Erträgmiss ausschliesslicli zur Schuldentilgung
verwendet werden und wälirend dieser Zeit das Land von jeder
anderen Abgabe befreit sein. Allein da viele Steuerknechte ver-
loren gegangen waren oder nachgelassen wurden, erreichte das
Jahreserträgniss nicht die 5000 Streitknechten entsprechende Simmie
von 180.000 fl., sondern nur etwa 138.000 fl. und da das Land
später auch noch andere Schulden übernehmen und die durch die
Truppen-Durchzüge entstandenen Auslagen decken musste, hörten
*) Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen. V, 113.
*) Brandis, Gesclüchte der Landeshauptleute von Tyrol. 412 £F.
8) H. H. u. St. A., Ober- und Vorder-Oesterr. Mise. Handschr. 1108.
*) Egg er, Geychichte Tyrols. U. 536.
*) Staffier, T>to1 und*^ Vorarlberg. 044.
Digitized by
Google
99
weder die Schulden, noch die Steuern auf, trotzdem die ständische
Verwaltung sehr eingeschränkt und mit geringen Kosten verbunden
war, indem die ganzen ständischen Besoldungen jährlich nur
6692 fl. betrugen.
In einem eigenthümlichen Verhältnisse zu Tyrol standen die
Bischöfe von Trient und Brixen und ihre Stifter und Länder. ^)
Waren sie auch „nexu inaequali", durch ein ungleiches Band, mit
Tyrol verbunden und dem geforsteten Grafen von Tyrol zu gewissen,
in den Verträgen ausgedrückten Leistungen verpflichtet, so waren
sie doch weder Unterthanen der Grafen von Tyrol, noch Land-
sassen und es kann ihnen zu damaliger Zeit die Landeshoheit über
ihr Gebiet nicht abgesprochen werden, denn sie wurden vom Kaiser
und nicht vom regierenden Grafen von Tyrol mit ihren Landen
und Regalien belehnt, sie hatten Sitz und Stimme auf dem Reichstag,
hatten daselbst ihre Gesandten, die sich bei Chur-Mainz legiti-
mierten; von ihren rechtlichen Aussprüchen gieng die Appellation
nicht an die tyroler Landesbehörden, sondern an die höchsten
Reichsgerichte; endlich führten sie zum Unterhalte des Roichs-
Kammergerichtes gleich anderen unmittelbaren Reichsfürsten die
sogenannten Kammerziele ab ; nur waren sie durch besondere
Verträge gebunden, in mehreren wichtigen, das gesammte Land
T3n'ol betreffenden Angelegenheiten, z. B. im Münzwesen und in
der Landesvertheidigung, den Verfügungen des regierenden Grafen
von Tyrol nachzukommen. Die beiden Bischöfe und ilire Domcapitel
waren mit ihrer Zustimmung unter Kaiser Maximilian L im
Jahre 1511 in die Landes-Defensions-Ordnimg einbezogen und sie
stellten nicht nur ihre 1800 Streitkneclite, sondern entrichteten auch
gemäss dem Vertrage vom Jahre 1573 die gleiche Anzahl Steuer-
knechte, kurz, sie trugen die öffentlichen Lasten gleich den vier
Ständen Tyrols, dafür aber hatte das Erzhaus Oesterreich alle auf
die Bischöfe von Trient und Brixen entfallenden Reichslasten zu
tragen übernommen. Die Erzherzoge von Oesterreich als Grafen
von Tyrol hatten das Besatzimgsrecht und die Vogtei; sie führten
die Verwaltung während einer Sedisvacanz und hatten das Recht,
zwei Drittheile, seit der Kaiserin Maria Theresia die Hälfte, der
Domhermstellen in Trient mit östeiTeichischen Unterthanen zu
besetzen. Was das Einverständniss und die Conformität in allen
das Land Tyrol, einschliesslich der Bistliümer, betreffenden An-
») H. H. u. St. A., Ober- imd Vorder-Oesterr. Mise. Hmidschr. 1106.
7*
Digitized by
Google
100
gelegenheiten angeht, kam es allerdings bisweilen vor, dass die
Bischöfe, besonders in Münz-Angelegenlieiten manches, wozu sie
verpflichtet gewesen wären, nur zrnn Schein oder gar nicht thaten '),
aber in den Angelegenheiten der Landesvertheidigiing, so bei
Truppen-Durchmärschen, Etappen, Liefenmgen u. s. w. bewiesen sie
stets eine grosse Willfährigkeit und Vertragstreue.
Da nicht blos die Bischöfe von Trient und Brixen, sondern
auch die andern, deren Diöcesen sich nach Tyrol erstreckten, ent-
weder Reichsfursten waren oder wenigstens ausserhalb des Landes
residierten und daher nicht wie ein unterthäniger Clerus gebunden
waren, so entstanden dadurch besonders in solchen Angelegenheiten,
deren Erledigung ein Einvernehmen zwischen der geistlichen und
weltlichen Obrigkeit erforderte, oft nicht geringe Schwierig-
keiten. Auch die zwischen den Hochstiftem Trient und Brixen
herrschende Eifersucht und Missgunst vermelu-te noch die Schwierig-
keiten und vergrösserte die ohnehin zwischen den Inn- und
Etschländem bestandene Uneinigkeit.
Die socialen und volkswirthschaftlichen Verhältnisse Tyrols
'zeigten ebenfalls viele Eigenthümlichkeiten. Adel und Geistlichkeit
waren beiweitem nicht so reich, wie etwa in Böhmen oder Mähren,
weil ihnen zur Bewirthschaftung ihrer Grüter nicht die unentgelt-
liche Arbeitskraft robotpflichtiger Unterthanen zu Gebote stand.
Auch widmete sich der tjToler Adel, nicht wie in andern Ländern,
vorzugsweise dem Kriegsdienste oder dem geistlichen Stande luid
dies war ebenfalls ein Grund seiner Verarmung. Li einigen Städten,
namentlich in Bozen, waren zwar reiche Kaufleute, weil der
Handel zwischen den nördlichen Erblanden und Italien durch
Tyrol gieng; allein seit der Erhebung Triests zu einem Freihafen
und dem Aufschwünge des Triester Handels sank der Waaren-
verkehr durch Tyrol und die fiaiher so bedeutenden Bozener Jahr-
märkte verloren von Jahr zu Jahr an Geltung. Dieser Markt hatte
ganz besondere Privilegien. Zur Entscheidung der aus dem Markt-
verkehr entsprungenen Streitigkeiten waren zwei eigene Listanzen
aus Kaufleuten bestellt. Jede dieser beiden Listanzen bestand aus
deutschen und italienischen Kaufleuten, jedoch jede nur aus drei
Personen, nämlich einem Consul und zwei ConsigHeri und mussten,
wenn der Consul der ersten Listanz ein Deutscher war, die Con-
siglieri Italiener, dagegen in der zweiten Listanz in diesem Falle
») H. H. u. St. A., Ober- und Vorder-Oosterr. Mise. Handschr. Nr. 1108.
Digitized by
Google
101
ein Italiener und die beiden Consiglieri Deutsche sein. Das Religions-
bekenntniss kam hierbei nicht in Betracht. Die Verhandlung war
summarisch. Diese Instanzen hiessen Magistrate mercantile di
Bolzano, Handelsgericht in Bozen. An dasselbe wandte sich zumeist
auch das Aerar, wenn Geld-Anticipationen in Tyrol beschafft werden
sollten ; dies konnte jedoch nur zur Marktzeit geschehen, wenn eben
Kaufleute, welche das Geld vorstrecken konnten, anwesend waren.
Die Industrie war nicht besonders entwickelt, namentlich nicht in
Deutsch-Tyrol, wo wegen der Armuth der Bevölkerung und der
Theuerung der Lebensmittel der Fabriksbetrieb gar nicht rentabel
war; in Wälsch-Tyxol dagegen, wo Alles billiger war und folglich
der Arbeiter auch bei einem geringeren Lohne bestehen komite,
lieferten auch die Fabriken ein besseres Erträgniss. Verhältniss-
mässig am besten standen in Tyrol die Bauern ; sie waren freie
Leute und nicht wie in andern Ländern den Grundherrschaften
unterthänig, sondern hatten Antheil an der Besorgung der Landes-
Angelegenheiten. Für die tyroler Bauern gab es keine aus der
Unterthäiügkeit oder gar Leibeigenschaft entspringenden Lasten und
Pflichten, kein gnmdherrliches Abfalirtsgeld, keine Abstiftung u. s. w.
Bauer und Bürger konnte gleich dem Adeligen und Prälaten die
volle Grundherrlichkeit erwerben, mit welcher jedoch in Tyrol nicht,
wie in den andern Erblanden, die niedere Gerichtsbarkeit von
selbst verbunden war, denn in Tyrol gab es eben keine Unter-
thanen des Grundherrn. *) Diese persönliche Freiheit der Bauern
erzeugte im Bauernstände ein starkes Selbstgefühl, in Folge dessen sie
sich nicht leicht leiten Hessen ; insbesondere bekundeten sie einen
schier unbezwinglichen Starrsinn, wenn es auf da« Geldgeben ankam.
Desshalb wurden auch, wie oben erwähnt, statt der jährlichen Land-
tage engere Congresse, auf welchen nur aus jedem Viertel ein
Vertreter des Bauernstandes erschien, zur Erledigimg der Postulate
eingeführt. Die Einigkeit zwischen den einzelnen Landestheilen
war nicht immer imd überall in wünschenswerthem Grade vor-
handen, namentlich zwischen den Inn- und Etschländem herrschte
selten ein gutes Einvernehmen. Jedes Viertel, jedes Thal betrachtete
sich als eine Welt für sich. Man hat es auch sehr spät und sehr
schwer dahin bringen können, dass jenen Gemeinden, welchen
durch die zahlreichen Tnippen-Durchmärsche und die TlieueiTing
der Lebensmittel grosse Auslagen für die durchmarschierenden
Truppen erwuchsen, von den übrigen Gemeinden eine Vergütung
») Staffier, Tyrol und Vorarlberg, 671.
Digitized by
Google
102
geleistet und die Last gemeinsam getragen wurde. Die von den
Truppen nicht berülirten Gemeinden verweigerten hartnäckig jeden
Beitrag unter dem Vorwande, dass die von den Truppen-Durch-
märschen betroffenen Gemeinden eben wegen ihrer Lage an den
Verkehrswegen alle Vortheile des Strassengewerbes gemessen. ')
In einem Stücke unterschieden sich damals die Tyroler ganz be-
sonders von ihren Nachbarn, den Schweizern. Schweizer traf man
damals in fast allen Aimeen; der Kaiser, die Könige von Frank-
reich, die Päpste und andere Fürsten hatten aus Schweizern ge-
bildete Truppenkörper in ihrem Solde ; der Tyroler aber, stets
bereit, die Büchse zur Vertheidigung seines Heimathlandes zu er-
greifen, verspürte keine Neigung zu fremdem Kriegsdienste.
Vorder- Oesterreich, d. i. Vorarlberg und die
österreichischen Vorlande, standen bis zum Jahre 1751
unter d©n Landesbehörden in Linsbruck, denn auch im Jahre 1748,
als mit der gründlichen Reform des erbländischen Verwaltungs-
apparates begonnen wurde, blieb Vorder-0 esterreich noch unter
der Repräsentation^) in Linsbruck und erst im Jahre 1 752
wurde die Repräsentation in Constanz als politische Landes-
behörde für Vorder-Oesterreich errichtet. Waren also bis zu diesem
Zeitpuncte die landesfürstlichen Behörden in Linsbruck den ge-
sammten ober- und vorderösterreichischen Ländern gemeinsam, so
war dies bezüglich der ständischen Verwaltung keineswegs der Fall.
Die vorderösten-eichischen Stände bildeten nicht eine einzige Körper-
schaft, sondern waren nach den drei Gruppen der vorderöster-
reichischen Besitzungen ebenfalls getrennt, nämlich in jene von
Vorarlberg, vom Breisgau und von Schwäbisch-Oesterreich. Die
Stände dieser drei vorderösteiTeichischen Landestheile hatten im
Jahre 1730 zu Radolfszell den sogenannten „Unions-Proportions-
Recess" abgeschlossen, durch welchen die von jeder der drei
Gruppen zu übernehmende Quote der Gesammt-Contribution fest-
gesetzt wurde. Li Vorarlberg gab es nur zwei Stände, nämlich die
Städte und Gerichte, d.h. die Bürger und die Bauern; der
Adel und die Geistlichkeit bildeten keine Stände.^)
Die Bauern in Vorarlberg waren also ebenfalls, wie jene in Tyrol,
») H. H. u. St. A. Ober- u. Vorderöst. Mise. Handschr. 1108,
^) So hiessen soit 1748 in einigen Kronländern die politischen Landes-
stellen, welche später den Namen „Guhemium", „Regierung" oder „Statt-
halterei" erhielten.
») Arch. d. Min. d. Inn. Tyrol, IV. H. 3.
Digitized by
Google
103
frei von jeder grundherrlichen Untorthänigkeit und die Benennung
Grundherr und Grundhold war in Vorarlberg ebenso unbekannt,
wie die Sache selbst. Weil auch die vorderösterreichischen Länder,
ebenso wie Tyrol im Gegensatze zu den andern Erblanden von
der Vermögens- oder Türkensteuer, von der Recrutenst eilung
und den Extraordinarien befreit waren, musste den Ständen bei
jeder Landtagsbewilligung, wie dies übrigens auch in andern
Ländern der Fall war, vom Kaiser ein Revers ausgestellt werden,
„dass ihnen obberührte gehorsamste freie Bewilligung, welche die-
selben vermög ihrer Privilegien, Freiheiten, Rechte und Gerechtig-
keiten zu thun nicht schuldig waren, an ihren Privilegien, Frei-
heiten, Rechten und Gerechtigkeiten künftig kein Nachtheil, Ver-
letzung, Abbruch oder Schmälening gebären, sondern selben ohne
geringsten Schaden sein solle"'). Die Bewilligung der Landtags-
Postulate seitens der vorderösterreichischen Stände geschah häufig
in der Art, dass dieselben einige Bevollmächtigte nach Wien
sandten, um mit der Hofkammer und den Vertretern des Hof-
kriegsrathes und des General-Kriegscommissariates eine Verein-
barung bezüglich der Höhe der Landesbewilligungen zu treffen,
worauf deren Repartiening nach der im Jahre 1730 zu Radolfszell
geschlossenen Tind im Jalire 1733 erneuerten Subdivisions-Proportion
erfolgte.
Die böhmischen Erblande.
Die im Jahre 1526 an das Haus Habsburg gelangten Länder
der böhmischen Krone oder, wie sie später genannt wurden,
die böhmischen Erblande, nämlich das Königreich Böhmen
mit der Grafschaft Glatz und dem Bezirke Eger, die Markgraf-
schaft Mähren und das Herzogthum Schlesien, hatten zur Zeit
Kaiser Carl VI. eine ähnliche Verfassung und Verwaltung, wie
die österreichischen Erblande; doch gab es zwischen beiden auch
wesentliche Unterschiede. Als oberstes Grundgesetz bestand in
Böhmen die „erneuerteLandesordnung'^ Ferdinand H.
vom 10. Mai 1627, die „Confirmation der Privilegien des Erb-
königreiches Böheim" vom 29. Mai 1627 und die „Declaratoricn
und Novellen'^ Kaiser Ferdinand HI. vom 1. Februar 1640;
von den älteren Privilegien, Freiheiten imd Majestätsbriefen war
nur dasjenige in Geltung geblieben, was der „vemeuerten Landes-
») Staffier, Tyrol und Vorarlberg, 660 u. 671.
Digitized by
Google
104
Ordnung'* nicht widersprach. In Mähren bestand die Landes-
ordnung Kaiser Ferdinand 11. vom 10. Mai 1028, in
Schlesien galten die zu verschiedenen Zeiten theils dem ganzen
Herzogthum, theils n\rr einzelnen Fürstenthümem verliehenen Privi-
legien, Majestätsbriefe und Verträge seit Ferdinand 11.
Für die gesammte politische Verwaltung und die Justizpflege der
b()hmischen Erblande fungierte als oberste Hofstelle die böhmische
Hofkanzlei in Wien, das Camerale und das Militärwesen in
Böhmen und seinen Nebenländem unterstand denselben Hofstellen,
wie das österreichische, nämlich das erstore der allgemeinen Hof-
kammer, beziehungsweise der Ministerial-Banco-Deputation, das
letztere dem Hof-Kriegsrathe.
Die böhmische Hofkanzlei hatte, um den durch jahre-
lang aufgehäufte llückstände ins Stocken gerathenen (xeschäftsgang
wieder zu beleben, von Kaiser Carl VI. am 20. April 1719 eine
neue Instniction, nebst einer den Bedüi'friissen entsprechenden
Personal vermehnuig erhalten. Laut dieser Instruction ^), nach deren
Muster auch die im folgenden Jahre der österreichischen Hofkanzlei
ertheilte verfasst ist, war der Personalstand der böhmischen Hof-
kanzlei mit einem b r i s t e n Kanzler, einem Kanzler, einem
V i c e k a n z 1 e r und acht Kätlien, von letzteren zwei aus dem
Herren-, die übrigen sechs aus dem Kitter- oder Gelehrtenstande,
festgesetzt. Die Amtsfühnnig wurde dahin abgeändert, dass, sowie
es im nächsten Jahre auch bei der österreichischen HofTcanzIei
geschah, dm*ch die Einsetzung zweier Senate, des einen für
die politischen (Senatus publiconim, politischer Senat), des
andern für die Justiz-Angelegenheiten (Senatus judicalis, Justiz-
senat), die Trennung der Justiz von der politischen Verwaltung
eingeführt wiu^de. Die Bestimmungen über die Eintheilung der
Käthe in die Senate, über die Führung des Vorsitzes und die Art
der ßeschlussfassung sind dieselben, wie in der Instruction für die
öst^iTeichische Hofkanzlei. Nur bezüglich der dem Ersten
Kanzler der österreichischen Hofkanzlei zugewiesenen
Leitung der auswärtigen AngelegenheitfMi unterscheiden sich beide
Jnstnictionen, indem der betreffende Absatz in der Instruction für
die böhmische Hofkanzlei fehlt. Horvorgelioben zu werden verdient
folgende Stelle der Instruction : ,,Wir wollen zwar das Kecht,
welches Uns als König in Böhmen in jui'e ferendo et lege statuenda ^)
»j Arch. (1. Min. d. Inn. Nieder-Oesterr. lU. A. 2. Nr. 25 ex 1719.
*) Gesetze und Rechte zu machon. Vom. Landesord. A. VIII.
Digitized by
Google
105
zusteht, vollständig vorbehalten haben und solle Unsere königlich
böhmische Hofkanzlei nicht befugt sein, neue Constitutiones,
Declarationes, Pragmaticas oder Novellas in die Länder zu erlassen,
es wären denn selbige nach vorheriger Vernehmung der Instanzien
in den Ländern von Uns in dem geheimen Rath gnädigst appro-
biert worden, inmassen Unser Wille und Mebiung ist, dass
das Recht durch dergleichen viele und verschiedene, oft wider
einander laufende Verordnungen in keine Ungewissheit gebracht,
sondern vielmehr zur Abscheidung des daraus entstehenden Ge-
zänkes und Schadens auf einen sichern Fuss gesetzt werden soll."
Es wurde daher weiters der Hof kanzlei aufgetragen, darauf zu sehen,
dass die etwa vorhandenen einander widersprechenden Resolutionen
und Verordnungen mit dem wahren Rechte in Einklang gebracht
und dass insbesondere in Schlesien, wo fast jedes Fürstenthum
sein besonderes Recht hatte, ohne Abbruch der bestehenden Rechte
und Gewohnlieiten wenigstens einige Gleichheit hergestellt und
dass jene Commission, welche vor einigen Jahren eingesetzt wiu'de,
um die böhmische Landesordnung in eine bessere Verfassung zu
•bringen und die „Novellas'' und „Pragmaticas" mit derselben zu com-
binieren, reactiviert und fortgesetzt oder eine neue aufgestellt
werde, um das AVerk zu Ende zu führen. In dieser Instniction und
m jener für die österreichische Hof kanzlei richtet Kaiser Carl VI.
unter Hinweis auf die schwere Verantwortung vor Gott und unter
Ablehnung jeder Verantwortinig des Kaisers, wenn durch gewissen-
lose Anträge seiner Rathgeber die Anstellung unwürdiger Individueu
erfolgen sollte, die eindringlichsten Mahnungen an die Hofstellen,
immer nm: Bewerber von gutem Ruf, Fähigkeit und Integrität des
Charakters, besonders wenn es sich um die Besetzung solcher
Stellen handelte, mit welchen richterliche Functionen verbunden
waren, vorzuschlagen.
Die Länder der böhmischen Krone genossen ebenfalls das
Vorrecht eines „Territorii clausi'', innerhalb dessen keine fremde
Landeshoheit entstehen konnte und der Privilegien ,,de non evo-
cando'^ und ,,de non appellando" ; daher gab es innerhalb der
Grenzen Böhmens, Mährens und Schlesiens keine reichsunmittel-
baren Stände oder Kirchenfürsten, keine freien Reichsstädte; kein
Landesangehöriger konnte von einem auswärtigen Gerichte belaugt,
keine Streitsache vor den römischen Kaiser oder die Reichs-
behörden gebracht werden. Es gab nur eine Appellation an den
Landesfursten als K ö.n ig von Böhmen.')
>) Jani Perontini, De Consiliis etc. 49.
Digitized by
Google
106
Das Verhältniss der böhmischen Erblande zu den österreichLschen
war das der Personal-Union, jedoch beeinfliisst durch eine weitaus-
gedehnte Literessen-Gemeinschafb, welche zwei gemeinsame Hof-
stellen und zahlreiche gleiche Einrichtungen entstehen Hess, trotz-
dem die Verwaltung der beiden Ländergruppen vollständig von
einander getrennt und unabhängig war. Zu einander standen die
drei böhmischen Kjonländer nach dem Inslebentreten der „ver-
neuerten Landesordnungen" im Verhältniss völliger Gleichberech-
tigung, wobei allerdings Böhmen als der grösste und ehemals
herrschende Theil, in dessen Hauptstadt die Königskrönungen statt-
fanden, einen gewissen Vorrang behauptete, lunsomehr, als auch
der Obriste Kanzler der böhmischen Hofkanzlei dem Hocbadel
Böhmens angehörte. Ein so inniger Verband, wie er beispielsweise
durch die gemeinsam übernommene Erhaltung des Kriegswesens in
der Grenze zwischen den drei innerösterreichischen Herzogthümem
entstanden war. fehlte bei den drei böhmischen Kronländem, aber
es fehlte auch jene scharfe Scheidung, jener ausgeprägte Particu-
larismus, welcher zwischen den drei Gruppen der' österreichischen
Erblande, nämlich zwischen Nieder-Oesterreich, Inner- esterreich
und Ober- und Vorder-Oesterreich (Tyrol und die Vorlande) sich
in Folge der Erbtheilungen und der dadurch bedmgten politischen
und administrativen Trennung entwickelt hatte.
Böhmen.
Nach der Unterdrückung des Aufstandes imd des Protestan-
tismus in Böhmen war durch die vom Kaiser Ferdinand H. am
10. Mai 1627 erlassene ,,vemeuerto Landesordnung" in diesem Lande
thatsächlich der Absolutismus eingeführt und die ständischen Rechte
zu einem blossen Scheine herabgedrückt worden. Nm* der König
hatte das Recht, dem Landtage Vorlagen zumachen; jedes Mitglied
wäre hart bestraft worden, wenn es ohne Befehl des Königs auch
nur einen Antrag eingebracht hätte. Klar und deutlich spricht hier-
über der Artikel VI der vemeuerten Landesordnung : ,,So soll sich
Keiner, was Würden, Stands oder Wesens der auch sein mag, ujiter-
stehen, vor sich selbsten, ohn Unsem oder der nachkommenden
Könige imd Erben zum Königreich sonderbaren Befehl etwas, es
treffe an, was es wolle, denen Ständen zu proponieren und
zur Berathschlagung münd- oder schriftlich vorzubringen
Derselbe Verbrecher soll mit allen Ungnaden und Ernst gestraft
werden.'^ Erst nach dem ,,Declaratorium'' vom Jahre 1640 war den
Digitized by
Google
107
Ständen wenigstens gestattet, über geringere Anträge, welche des
Königs Person, Hoheit oder Regalien nicht betrafen, mit Vor-
wissen des Königs oder der Landtags-Commissäre zu berathen und
ihre Beschlüsse der königlichen Sanction zu unterbreiten. Das Recht
der Gesetzgebung und Alles, was mit demselben zusammenhängt,
war dem Könige ausschliesslich vorbehalten.
Das wichtigste Vorrecht, das den Ständen geblieben war,
bestand darin, dass laut Artikel V der Landesordnung die Contri-
bution auf den Landtagen nur gegen die gewöhnlichen, die Privi-
legien der Stände wahrenden Reverse verlangt werden konnte. Doch
schwindet die Bedeutung dieses Rechts erheblich durch die weitere
Bestimmung desselben Artikels, dass an die Contributions-Bewilligung
keine, die landesförstlichen Rechte beeinträchtigende Bedingung
geknüpft oder dieselbe als Mittel zur Erlangung neuer Privilegien
imd Freiheiten benützt werde. Lnmerhin blieb aber den Ständen
wenigstens die Vertheilung und theilweise auch die Einhebung der
Steuern und ihr grosser Einiiuss auf die Verwaltung, wodurch die
Regierung bei allen ihren Schritten sich gelähmt fühlte. ^)
Die Art, wie die böhmischen Stände dem Könige die Erb-
huldigung leisteten, ist dadurch bemerkenswerth, dass in Böhmen
ausser der allgemeinen Erbhuldigung noch eine besondere Hul-
digung jedes Einzelnen, der zum Landtage zugelassen werden
wollte, stattfand, eine Einrichtung, die in Oesterreich und Ungarn
nicht üblich war.
Die Stände zerfielen in vier Classen: G-eistlichkeit, Herren,
Ritter und königliche Städte. Solange die Hussiten und später die
Protostanten die Oberhand in Böhmen hatten, war der ganze Prä-
latenstand von den Landtagen ausgeschlossen, Ferdinand H.
aber verfugte im Artikel XXIV der erneuerten Landesordnung,
dass der Erzbischof zu Prag mit und sammt den Prälaten und
der ganzen Clerisei des Königreiches nicht allein für einen Stand
desselben zu ewigen Zeiten gehalten werden, sondern auch solch'
geistlicher Stand, wie bei andern wohl bestellten christlichen Regi-
men ten gebräuchlich, der erste und vornehmste unter allen Ständen
sein solle, doch also und dergestalten, dass allein der Erzbischof
und diejenigen Geistlichen, welche eine Inful oder Bischofshut zu
tragen durch Privilegien oder altes Herkommen berechtigt und
daneben in der königlichen Landtafel eingeschriebene Güter
*) Hub er, Gesdiichte der österreichischen Verwaltungsorganisation, 16. —
P ü 1 1 e r, Historisch-politisches Handbuch, I. 157. — Landesordnung, A. VIU.
u. XU.
Digitized by
Google
108
besitzen, zugedachten Landtagen berufen oder beschrieben und bei
solchen Zusammenkünften den ganzen geistlichen Stand und die
gesammte Clerisei repräsentieren, mithin diese inftdierten Greist-
lichen sämmtlich in den Landtagen und anderen gemeinen Land-
saclien nicht weniger, als gedachter Erzbischof den Herzogen und
Fürsten vorgelien und ihre Sessionen und Stimmen sowohl vor
denselben, als den Herren haben, dann der Erzbischof „Primas regni"
genaimt und demselben die oberste, nach ihm aber, wenn sonst
kein Bischof vorhanden, die nächste Stelle dem obersten Prior des
ritterlichen Malteser-Ordens im Königreich Böhmen vor allen andern
Prälaten gebühren sollte.
Theils zur Entschädigung der Geistlichkeit für die verlorenen
Güter, theils zur Ausbreitung des Katholicismus hatte Kaiser
Ferdinand H. als König von Böhmen mit Papst Urban Vlil.
den sogenannten Salz-Contract geschlossen, kraft dessen der Käufer
zum Besten der katholischen Keligion imd des Clerus des König-
reiches Böhmen von jeder grossen Kiste Salz einen Aufschlag von
15 Kreuzern anwies und zweitens sich ver|)flichtete, diese Stiftung
nicht zu widerrufen, ferner dass diese Abgabe nicht von den könig-
lichen Einnelmieni, sondern von den bestellten der Geistlichkeit
eingehoben werden und dem Papst das ausschliessliche Vei*ftigungs-
recht darüber zustehen solle. Die „Cassa salis'', Salzkasse, befand
sich in der erzbischöflichen Residenz in Prag und ihre Einnahmen
beliefen sich jährlich auf etwa 30.000 fl. Es wurden davon gleich
Anfangs den Benedictin em, Cisterciensern und Prämonstratensem,
welche Orden diu-ch die Religionsminihen am meisten gelitten
hatten, jährlich 56G0 fl. 40 kr. zur Unterhaltung eines Seminars
angewiesen. Seit den Zeiten Kaiser Ferdinand ü. war die
früher sehr herabgekommene böhmische Geistlichkeit wieder zu
solchem Reich thum gelangt, dass der der Geistlichkeit doch so
sehr geneigte Kaiser Leopold L schon im Jahre K^OO sich ge-
nötliigt sah, der Geistlichkeit in Böhmen den weitern Ankauf von
Gütern zu verbieten ').
Der böhmische Herrenstand, unter welchem der Fürst von
Schwarzenberg als Herzog von Krumau den ersten Rang eiimahm.
war reicher, als jener der andern Erblande. Dasselbe galt von dem
Ritterstande, der ehemals sehr mächtig und zeitweise sogar dem
Herrenstande überlegen war.
*) Bartenstein, Denkschrift über die Vorfassung von Böhmen,
Mähren und Schlesien. (H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 63.)
Digitized by
Google
109
Den vierten Stand bildeten die königlichen Städte, zweiimd-
vierzig an der Zahl, nämlich vierundzwanzig privilegierte, neun nicht-
privilegierte und neun sogenannte königliche Leibgeding-Städte.
F er dinandü. hatte die Städte wieder als vierten Stand aufgenommen'),
aber dieselben für ihren Abfall dadurch gestraft, dass sie, mit Ausnahme
von Pilsen mid Budweis, welche allein treu geblieben waren, von jedem
Fass daselbst gebrauten oder von anderwärts dahin eingeführten
Bieres eine Abgabe von 1 fl. rhein. Währ, entrichten mussten. Einige der
privilegierten Städte, nämlich die drei Prager Städte, dann Pilsen,
Budweis, Kuttenberg und Saaz, hatten das Vorrecht, dass ihre
Bürger landtafelfähig waren. Ihre weiteren Vorrechte, dann die der
übrigen privilegierten Städte bestanden darin, dass sie nicht dem
Landes-Unterkämmerer, sondern einer besonderen Direction unter-
geben waren. Die königlichen Leibgeding-Städte, von denen jede
gekrönte Königin von Bölunon ihre besonderen Einkünfte bezog,
standen ebenfalls unter einer besonderen Verwaltung. ^ Die unge-
heure Mehrzahl der Städte, nämlich alle unterthänigen und die
gesammte Bauernschaft hatten keine Vertreter auf dem Landtage.
Weniger als die Verfassung war der Verwaltungs-Organismus
des Königreiches Bölunen dm^ch die Landesordnmig vom 10. Mai 1G27
verändert worden. Die Beamten geriethen durch dieselbe in grössere
Abhängigkeit von dem Könige, da sieh der König das Recht vor-
behielt, die Aemter nach seinem Gutdünken an geeignete in Böhmen
sesshafte Personen zu vorleilien ; auch fand statt der früher lebens-
länglichen Bestellung der obersten Landesbeamten jetzt zumeist
nur eine solche auf eine bestimmte Zeit statt. Wähi'end frülier die
obersten Landesbeamten nicht nur dem Könige, sondern auch „dem
Herren- und Kitterstande und der ganzen Gemeinde des König-
reichs Böhmen" schwören mussten, leisteten sie später den Eid
•nur dem Könige allein und sollten auch nicht mehr ,, oberste
Landesofficiere des Königi-eiches Böhmen", sondern ,,k ö n i g 1 i c h e
oberste Landesofficiere im Königreiche Böhmen"
genannt werden. ^)
*) Das Recht der Städte auf Sitz und Stimme im Landtage war ihnen
früher wiederholt geschmiüert worden, dann bildeten sie während der Ver-
drängung des geistlichen Standes den dritten Stand. (Hube r, Oesterr.
Heichsg. 85 f )
*; Bartenstein, Denkschrift etc. (H. H. u. St A. Handschr. Nr. 63.)
^ H u b e r, Oesterr. Reichsgeschichte. 140 iF. ~ G i n d e 1 y, Geschichte
der Gegenreformation in Böhmen. 431 ff. — Toman, Das böhmische
Staatsrecht. 51 ff.
Digitized by
Google
110
Als oberste Landesoffi eiere waren bestellt: der Obrist-Bnrggrafj
der Obrist-Landhofineister, der Obrist-Laiidmarschall, der Obrist-
Landkämmerer, der Obrist-Laudricliter, der obriste Kanzler, der
Obrist-Hoflehenrichter, der Äppellations-Präsident, der Kammer-
Präsident, der Obrist-Landschreiber und der Land-Unterkämmerer.
Diese obersten Landesbeamten, nebst dem Grossprior des Johanniter-
Ordens im Königreiche Böhmen, dem Burggrafen des Königgrätzer
Kreises und mehreren Beisitzern aus dem Herren- und Ritterstande
bildeten zusammen die königliche Statthalterei. Dieselbe
war von Rudolf 11. im Jahre 1577 eingesetzt worden und hatte
ihre damalige Organisation im Wesentlichen beibehalten. Den
Vorsitz führte der Obrist-Burggraf von Prag. Ihre Aufgabe bestand
in der Wahrung der katholischen Religion imd der landesfurstUchen
Gerechtsame, in der Förderung der öffentlichen Sittlichkeit, in der
Ausübung der Rechtspflege und der Polizei, Ueberwachung der
öfi*entlichen Anstalten und der Verw^altimg der königlichen Städte
u. s. w. gemäss den Bestimmungen der Landesordnung, der ihr
ertheilten Listruction und den Weisiuigen der böhmischen Hof-
kanzlei *).
Der königlichen Statthalterei untergeordnete politische Ver-
waltungsbehörden waren die Kreishauptmannschaften. Böhmen war
schon von Kaiser Carl IV. in 15 Kreise eingetheilt worden, zu
denen noch der Egerer und Elbogener Bezirk imd die Grafschaft
Glatz kamen. . Kaiser Carl Au. theilte das Land in zwölf Kreise,
nämlich den Königgrätzer, Bmizlauer, Chrudimer, Czaslauer,
Kaurzimer, Bechiner, Pracliiner, Pilsner, Saazer, Leitmeritzer,
Rakonitzer und Beramier. Li den Kreisen waren Kreishauptleute
angestellt, welche nebst der Einhebung der Contribution luid der
Sorge fui' die Bequartienuig und Ver[)flegung der durchmarschierenden
Truppen überhaupt darüber zu wachen hatten, dass in dem ihnen
anvertrauten Bezirke die Gesetze beobachtet, die ergangenen Be-*
fehle schleunig vollzogen, gute Polizei gehandhabt, die Bedrückiuig
der Unterthanen diu'ch ihre Gutsherrschaften verhindert, Missbräuche
und Uebelstände abgestellt werden. Da aber einige dieser zwölf
Kreise zu gi'oss waren, als dass ein Kreishauptmann und dessen
Untergebener sie hätten übersehen können, so wiu^den im König-
gi'ätzer, Bechuier, Pilsner und Saazer Kreise je zwei Kreishauptleut«
angestellt, so dass dadiu-ch eigentlich sechzehn Kreise entvStanden.
M Fellner, Zur Geschichte der österr. Contralverwaltung. (Mitth. d.
Inst. VII 2D8 Ü\) — Arch d. Min. d. Inuerii, Böhmen, III.A. 4. Nr. 14 ex 172a
Digitized by
Google
111
Die Bezirke Eger und Elbogen waren zur Zeit Kaiser Carl VI.
dem Königreiche Böhmen bereits vollständig einverleibt und
nicht mehr als blos zu Böhmen gehörig, sondern als Theile des-
selben anzusehen^). In der Grafschaft Glatz bestanden seit Kaiser
Ferdinand IE. eigene Landeshauptleute, es war Alles wie in
Böhmen eingerichtet und auch die Contribution der Grafschaft,
welche den 18. ITieil jener des Königreiches Bölmien betrug, wurde
an das General-Steueramt in Prag abgeführt.
Die Justizpflege war auch in Böhmen nach dem Principe
organisiert, dass für die Frage, welches Gericht in jedem einzelnen
Falle zur Untersuchung imd Urtheilsfällung competent sei, nicht
blos die Sache oder der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens,
sondern auch die Person des Belangten den Ausschlag gab.
Daher bestanden auch in Bölmien, sowie in Oesterreich, verschiedene
Gerichtsstellen für die verschiedenen Bevölkerungsclassen. Das
grössere Landrecht unter dem Vorsitze des Obrist-Burggrafen
und Mitgliedern des Herren- und Eitterstandes als Beisitzern, war
das Gericht für alle ständischen Mitglieder und auch für jene
Geistlichen, welclie landtäf liehe Güter besassen. Seine Competenz
erstreckte sich auf die Criminal- und Civilrechts-Angelegenheiten
der erwähnten Personen. Ueber geringfügigere Streitigkeiten
ständischer Mitglieder oder geistlicher Besitzer entschied das
kleinere Land recht, das aus einer kleinen Anzahl von Landes-
beamten zusammengesetzt war. Das Landtafel amt oder die
Landtafel^ entschied in gewissen Angelegenheiten, welche land-
täfliche Güter betrafen, z. B. über Gütertheilungen, Abtretung und
Herausgabe von Erbschaftstheilen u. s. w. selbstständig imd vollzog
die von andern Gerichten bezüglich landtäflicher Güter gefällten
Urtheile. Das Kammergericht imter dem Vorsitze des Obrist-
Landhofmeisters entschied in Civilstreitigkeiten über bewegliche
Güter, Erbschaften, Schulden, Schadenersatz u. s. w., aber keines-
falls in Streitsachen über unbewegliche Güter. Das H of 1 eh en-
ger ich t unter dem Vorsitze des Hoflehenrichters entschied in
Lehensachen. In den königlichen Städten übten die Magistrate, in
den unterthänigen aber und auf* dem Lande die Grundherren
*) Die Abgabe der Ziistimmung des Egerlandes zur pragmatischen Saiiction
geschah 1720 indessen noch in einer besonderen „Erklärung" und mit einem
Hinweis auf den „Pfandschilling".
') Der Ursprung der böhmischen Landtafel wird auf den König Johann
von Luxemburg zurückgeführt. (Fütter, Hist. pol. Handb. I. 148.)
Digitized by
Google
112
entweder selbst oder durch liierzu bestellte Beamte die Rechtspflege
aus, doch überliesseu sie dieselbe iu den unterthänigen Städten
gewöhnhch den Magistraten, welche von den Bürgern gewählt
wurden, aber der Bestätigung durch den GrundheiTn bedurften. Von
den städtischen Magistraten und den giiindherrschafthchen Gerichten
gieng die Berufung an das Appellationsgericht oder die
Appellationskammer in Prag ; vom Landrechte und von der
Appellationskammer konnte, sofern gerichtsordnungsmässig eine
Berufung zulässig war, die Benifting an den König ergriffen werden. \)
Die Competenz der Militärgerichte war in Böhmen dieselbe, wie in
den österreichischen Ländern.
Die Finanz- und Cameralverwaltung in Böhmen besorgte die
der kaiserlichen Hof kammer in Wien untergeordnete böhmische
Kammer, welcher die Mauth-, Zoll- und GefäUsämter, die landes-
fiirstlichen Münz- und Kentmeister, die auch die königlichen Domänen
zu verwalten hatten, untergeordnet waren. Das Deputierten-
amt in Prag jedoch, welchem die Gebahrung mit dem Salz-,
Wein-, Bier- und Dazgefälle ^) oblag, unterstand nicht der böhmischen,
sondern direct der Hofkammer in Wien ^.
Da in früheren Zeiten die Stände und die Unterthanen nicht
in gleichem Verhältnisse besteuert waren, richtete sich die Höhe
der von einem Eealbesitze zu entrichtenden Abgaben darnach, ob
derselbe einer Grundherrschaft oder einem Unterthan gehörte.
Die Dominien, der Grundbesitz der Stände, waren geringer be-
steuert, als die Bauemgriinde, weil die Stände von der Ordinar-
Contribution befreit waren und nur das sogenannte Extraordinarium
aufzubringen hatten. Um mm in das Contributions-Erträgniss eine
gewisse Beständigkeit zu bringen und festzusetzen, was als Herr-
schafts- und was als Unterthanengrund zu besteuern sei, wurde ein
„annus normativus", ein Normaljahr, angenommen, nämlich das
JaJn' 1(383. Was im Jahre 1083 ein Unterthan besessen hatte, das
mussto fortan, auch wenn es der Gutsherr S23äter an sich gezogen,
rusticaliter, d. h. nach dem Ausmass für Unteithanen, die Steuer
entrichten, dagegen blieb dasjenige, was damals der Gutsherr
besessen, im Genüsse der Steuerbegünstigung und wurde dominica-
liter, d. h. nach dem Ausmasse für GrundheiTsehaften vei^teuert,
^) Krön OS, Geschichtfj Oesterreichs, IV. 409 if. — Hub er, Oesterr.
lleichsgesch. 110 ff.
''') Daz (dazio di consiuno) = Consum- oder Verzehnmgssteuer,
*) M e u .s i, Die Finanzen Üesterreiclis, G.
Digitized by
Google
113
auch wenn der Q-rund einem Unterthanen überlassen wurde, nach
dem Gnmdsatze : Die Last haftet aufdemGrunde, nicht
auf dem Besitzer. Dadurch war das Steuererträgniss oder
vielmehr die Steuervorschreibung in Böhmen stabil, während in
andern Ländern, namentUch in Ungarn, wo der Adel von jeder
Steuer befreit war, das Steuererträgniss sich verminderte, wenn
ein Adeliger einen Bauemgrund an sich brachte. ^)
Li keinem andern österreichischen Erblande war der Bauer
so sehr in die Gewalt des Adels gelangt, als in Böhmen und
zum Theil auch in Mähren. Es gab in Böhmen zwar auch freie
Grundbesitzer, die sogenannten Freisassen, welche von aller
gutsobrigkeitlichen Gerichtsbarkeit und den damit verbundenen
Leistungen befreit und sowohl selbst, als ihre Güter, der landes-
fiirstlichen Gerichtsbarkeit unterworfen waren. Diese freien Besitzer
freier Landgüter gehörten weder zu den Ständen des Landes,
noch zu den Bürgern der privilegierten Städte. ^) Alle übrigen
Bauern lebten im Zustande der Hörigkeit oder Leibeigenschaft,
waren ein Bestandtheil der liegenden Güter, wurden mit diesen
erworben und wieder veräussert, besassen die Grundstücke nur
zeitlich und widerruflich, waren des Erbrechtes unter Ver-
wandten und der Freizügigkeit beraubt und nur insoferne ein Ge-
genstand der Gesetzgebung, als sie in dem Eigenthum eines Dritten
begriffen waren. Das Landvolk in diesen Zustand der Leibeigen-
schaft zu setzen, war dem böhmischen Adel nach langjährigen Be-
mühungen endlich durch den Landtagsbeschluss vom 14. März 1487
gelungen, mit welchem die „Strafe für Ungehorsam" ausgemessen
wurde *). Damit waren die Bauern ganz der "Willkür der Grund-
herrschaften überliefert. Die Leibeigenen oder Hörigen standen,
wie das Gut selbst, zu dem sie gehörten, in der „Gewer", d. i.
im Besitze des Gutsherrn, welcher den ihm eigenen Mann mittels
gerichtlicher Klage (sogenanntes Besatzungsrecht) in Anspruch nehmen
konnte. Der Gutsherr nahm einen Theil des Nachlasses seiner Hörigen
in Anspruch, besonders das beste Vieh. Zu seiner Verehelichung
bedurfte der Hörige der Erlaubniss seines GutsheiTn, für welche er
») Barten stein, Denkschrift etc. (H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 63.)
— Twrdy, Pragmatische Geschichte der böhmischen Freisassen, 27 f.
«) Twrdy, a. a. 0. 10 ft.
•) Grünberg, Die Bauernbefreiung in Böhmen, Mähren und Schlesien,
I. 95 AT. — Palacky, Geschichte von Böhmen, V. 1. Abth. 290 ff.
Oesterreichigoher Brbfolgekrieg. I. Bd. ^
Digitized by
Google
114
natürlicli eine Gebühr entrichten musste. Dann waren die zahl-
reichen Zinsen und Abgaben, Zehente, Gnmdzinsen, die Lieferungen
an Naturalien, z. B. G-arten- und Rauchhühner, Ostereier, Pfingst-
lämmer, Martinsgänse, Zinskom, Wachs, Honig u. s. w. ; endlich
die persönlichen Dienstleistungen, die Roboten und sogenannten
Herrendienste. Ihren schärfsten Ausdruck aber fand die Unter-
thänigkeit in der „ö utsbehörigkeit" oder „S c h o 1 1 e n p f 1 i c h-
tigkeit", d. h. in der Auf hebung der Freizügigkeit unterthäniger
Personen zu Gunsten eines bestimmten Gutsbezirkes, aus welchem
sie sich ohne Erlaubniss der Gutsherrschaft weder zeitweilig, noch
dauernd entfernen durften ^). Die Unterthanen besassen in Böhmen
und Mähren, ausser ihrer Gutsherrschaft gegenüber, weder die active,
noch die passive Processfähigkeit ; nicht die Unterthanen
klagten, sondern die Obrigkeit trat für dieselbe als Kläger auf,
wie auch umgekehrt sie in Vertretung ihrer Unterthanen belangt
wurde*).
Wenn auch der Unterthan das Recht der KJage gegen seine
Obrigkeit hatte und speciell die Kreisämter darüber wachen sollten,
dass keine ungebührlichen Bedrückungen der Unterthanen stattfänden,
war es fiir den Unterthan doch sehr schwer und gefahrlich, den
Weg der Klage zu betreten, denn einestheils hatte er die Rache
des Gutsherrn und seiner Beamten zu fürchten und zweitens
war die Aussicht auf einen Erfolg der Klage sehr gering, da dem
Bauern gegenüber nur zu oft der Grundsatz zur Geltung kam : „Ver-
pflichtet bist du nicht, aber du musst" ^).
Einen genaueren Einblick in die Verhältnisse der Unterthanen
zu üirer Grundherrschaft gibt das Robot-Patent für Böhmen und
Mähren vom 27. Januar 1738, durch welches die früheren Patente
theils erläutert, theils ergänzt wurden *). Hiemach waren den unter-
thänigen Gemeinden und Bauern alle Zusammeiu'ottungen zum
Zwecke der Selbsthilfe strengstens verboten, die Unterthanen
sollten ihre Beschwerden in Form von Bitten bei den Grundobrig-
keiten selbst vorbringen und im Falle der Fruchtlosigkeit sich an
das Kreisamt wenden. Von den Kreisämtem stand beiden Theilen
der Recurs an das Gubemium (Statthalterei, Tribunal) und endlich
an den Landesförsten offen. Im Einzelnen wird bestimmt, dass die
*) Grünberg, a. a. 0. I., 7.
•) G r ü n b e r g, a. a. 0. I. 29.
») Palacky, Geschichte Böhmens. V., 1. Abth. 300.
*) Arch. d. Min. d. Innern, Böhmen, IV. K. 1, Nr. 17, ex 1733. —
G r ü n b e r g, a. a. 0. II. 30 ff.
Digitized by
Google
115
Sonn- und Feiertage, ausser in Fällen dringender Noth bei ausser-
ordentlichen Ereignissen, robotfrei und der normale Robottag mit
höchstens zehn Arbeitsstunden bemessen sein sollte; den Bauern
musste die nöthigeZeit zur Besorgung der eigenen Wirthschaft gelassen
werden. Die Robot war nach der Grösse, der Güte und dem Er-
trägnisse der dem Bauer überlassenen Grundstücke zu bemessen.
Die Unterthanen waren verpflichtet, auch auf andern, jedoch nicht
über anderthalb Meilen entfernten Gütern und Meierhöfen zu roboten,
wenn auf dem Hofe, welchem sie eigentlich zugewiesen waren, nicht
genügende Arbeit vorhanden. Der Obrigkeit stand es zwar frei,
die nicht benöthigte Naturalrobot in einen Robotzins zu ver-
wandeln, jedoch nur unter der Bedingung, dass dadurch die
andern Unterthanen, welche Naturalrobot leisteten, nicht etwa zu
grösseren Leistungen, als sie verpflichtet wären, verhalten würden
und dass der bedungene Robotzins im Verhältnisse zu dem
thatsächlichen Verdienste stand, welchen der Unterthan durch die
Freilassung von der Robot erzielen konnte. Die Gespunstschuldigkeit,
d. i. die Ablieferung einer bestimmten Menge Garns, die Unter-
haltung einer gewissen Menge herrschaftlichen Viehes durch die
Unterthanen, das Hopfensammeln und andere an einigen Orten
gebräuchliche Leistungen durften nur in dem Masse gefordert werden,
als sie in den Urbarien begründet erschienen. Der Zwang, dass
die Unterthanen der Herrschaft eine gewisse Menge Wirthschafts-
producte, z. B. Eier, Branntwein, Käse, Butter, Fische, Vieh, Ge-
flügel u. s. w. unter allen Umständen zu einem bestimmten Preise
abkaufen mussten, wurde verboten, jedoch unbeschadet des Brau-
urbars und der Wein- und Branntweinschanks-Gerechtigkeit, vermöge
welcher die Herrschaften berechtigt waren, die Einfuhr fremden
Bieres, Weines oder Branntweins auf ihren Grund und Boden zu
verbieten. Die Unterthanen sollten mit der Contribution und andern
Steuern nicht überbürdet und namentlich nicht solche Aus-
lagen aus der Contribution bestritten, d. h. dem Unterthan auf-
gebürdet werden, welche nicht zur Bestreitung der Landeserfor-
demisse, sondern nur zur Vermehrung des Einkommens der herr-
schaflilichen Beamten dienten. Die Geldstrafen, welche einige Obrig-
keiten zu ihrem eigenen Vortheil und zum Schaden der Contri-
butionsfahigkeit der Unterthanen nicht ungeme verhängten, wurden
zwar nicht gänzlich verboten, sondern im GegentheU angeordnet,
nicht allsogleich und rücksichtslos mit ehrverletzenden Züchti-
gungen gegen Jeden, ohne Unterschied der Person und der
Natur des Vergehens vorzugehen, nur durften Geldstrafen niemals
8*
Digitized by
Google
116
von einem obrigkeitlichen Beamten, sondern nur von der Obrig-
keit selbst verhängt und die Strafgelder nicht zu Gunsten der
Obrigkeit oder gar deren Beamten, sondern zirni Unterhalte der
Armen derselben Gemeinde oder Gutsherrschaft gewidmet und ver-
wendet werden.
Die Kreis- und Stadthauptleute hatten über die Beachtung
dieses Patentes zu wachen und gegebenen Falls, ohne eine Klage
abzuwarten, ex officio einzuschreiten und Abhilfe zu treffen. Ueber
schuldtragende Beamte konnte das Kreisamt eine Geldstrafe von
fünfzig bis hundert Reichsthalern verhängen; war jedoch die Obrig-
keit selbst schuldig, so hatte das Kreisamt hierüber an das
königliche Gubemium zu berichten, welches auf eine Strafe von
hundert bis zweihundert Ducaten erkenuen konnte und hiervon
fallweise an den Kaiser Bericht erstatten sollte. In besonders
schweren Fällen, wo eine Geldstrafe keine genügende Sühne ge-
wesen wäre, sollte die Entscheidung des Kaisers eingeholt werden,
tun solche hartherzige Herrschaften mit dem Zwangsverkaufe ihrer
Güter und der Unfähigkeitserklärung zxmi Besitze von Immobilien
zu bestrafen.
Dass Bedrückimgen und rücksichtslose Ausbeutung der Unter-
thanen in Böhmen häufiger vorkamen, als etwa in Nieder-Oester-
reich, findet theilweise einen Erklärungsgrund darin, dass in Nieder-
Oesterreich die Herrschaften ftlr die Contribution ihrer Unter-
thanen hafteten und somit ein Interesse daran hatten, dfitös der
Unterthan contributionsf ähig bleibe, während in Böhmen eine solche
Haftung der Gutsherrsohaft nicht bestand und es somit dem Guts-
herrn gleichgiltig war. ob seine Unterthanen die landesfiirstlichen
Abgaben entrichten konnten oder nicht *).
Mähren.
Zwischen der Verfassung und Verwaltung Böhmens und
Mährens bestand seit den von Kaiser Ferdinand H. am 10. Mai 1627
für Böhmen und am 10. Mai 1628 fiir Mähren erlassenen Landes-
ordnungen und den späteren Declarationen kein wesentlicher Unter-
schied. Die Rechte der Stände waren in Mähren ebenso zu Gunsten
der landesfürstlichen Gewalt eingeschränkt worden, wie in Böhmen
und erstreckten sich ebenfalls nur auf die Repartition und Ein-
hebung der Contribution.
>) H. H. u. St A. Handschr. Nr. 62.
Digitized by
Google
117
Eine kurze Zeit hatte Mähren gewissermassen seine eigene
Hofstelle, indem im Jahre 1611 bei der böhmischen Hofkanzlei
neben dem Obristen Kanzler ein eigener Vicekanzler für Mähren
bestellt wurde. Doch schon im Jahre 1616 wurde diese Einrichtung
wieder aufgehoben imd die sogenannten „Nebenländer" Böhmens der
obersten Leitung der böhmischen Hofkanzlei unterstellt.*)
Die oberste politische Landesstelle und zugleich königliches
Gericht für Mähren war das im Jahre 1636 errichtete Tribunal
in Brunn, entsprechend der niederösterreichischen Regierung oder
der böhmischen Statthalterei, nach deren Muster dasselbe auch im
Allgemeinen organisiert war. Das Tribunal bestand aus dem Landes-
hauptmann als Vorsitzenden und den übrigen obersten Landes-
Officieren, nämlich dem Obrist-Landeskämmerer, dem Obrist-Land-
richter, dem Obrist-Hofrichter, dem Landes-Unterkämmerer und
dem Obrist-Landschreiber, dann mehreren Mitgliedern des Herren-
und Eitterstandes als Beisitzern. Die Obliegenheiten dieses Tribunals
waren dieselben, wie jene der böhmischen Statthalterei. Laut der
Instruction vom 13. Mai 1739^ bestanden dieselben in der
Förderung der katholischen Religion, in der Aufrechthaltung der
Regalien, landesfürstlichen Hoheiten und Herrlichkeiten, besonders
der erneuerten Landesordnung und der kaiserlichen Sanctionen,
Beförderung des Handels und der öffentlichen Wohlfahrt, Aufrecht-
erhaltung einer guten Polizei und der öffentlichen Sittlichkeit, sorg-
fältigen Beobachtung aller Vorgänge im Lande imd den Nachbar-
gebieten und sofortigen Berichterstattung, eventuell provisorischen
Vorkehrungen. Ferner unterlagen der Judicatur des Tribunals die
sogenannten causae summariae, summarische Processe in Civilrechts-
angelegenheiten, welche keiner längeren Voruntersuchung bedurften,
also Klagen in Schuld- und Bürgschafts-Angelegenheiten, wenn
schriftliche Schuld- oder Bürgschafts-Urkunden vorhanden waren,
Verlassenschafts-Angelegenheiten, Lohn- und Miethstreitigkeiten
und alle jene Fälle, in welchen beide Parteien selbst einen
summarischen Prooess begehrten. Zur Ersparung der Kosten, besonders
wenn es sich um geringe Streitbeträge handelte, stand es dem
Kläger frei, seine Klage entweder bei dem Tribunal oder bei dem
Kreisamte einzubringen. Das Kreisamt hatte die Erhebungen zu
pflegen, die Parteien zu vernehmen, auf einen gütlichen Vergleich
zwischen denselben hinzuwirken und, wenn dieser nicht zu Stande
. ») Hub er, Oesterr. Reichsgesch. 141, Anm. 4.
«) Arch. d. Min. d. Inn., Mähren, UI. A. 4. Nr. 15 ex 1739.
Digitized by
Google
118
kam, die Acten mit einem ausführlichen Berichte und Gutachten
dem königlichen Tribunal zur Entscheidung vorzulegen; eine
UrtheüsfiLllung in solchen Streitigkeiten stand den Kreisämtem
nicht zu. Schon im Jahre 1726 war eine Personalvermehrung beim
königlichen Tribunale genehmigt worden, hauptsächlich zu dem
Zwecke, um die Formierung zweier getrennter Senate zu ermög-
lichen und dadurch den Geschäftsgang zu beschleunigen. Bis zum
Jahre 1739 waren diese getrennten Senate aber nur äusserst selten
activiert worden, desshalb wurde in der neuen Instruction festgesetzt,
dass die bisherige Benennung „Senatus major" und „Senatus minor",
grösserer und kleinerer Senat, aufzuhören und dafür die Eintheilung
in „Senatus publicorum", politischer Senat, und „Senatus judicialis",
Justiz-Senat, zu gelten habe. Im Justiz-Senat mussten ausser dem Vor-
sitzenden noch sechs Votanten zugegen sein; waren weniger als
sieben Personen anwesend, so konnten nur geringfügige Gegen-
stände verhandelt werden. Wenn dem politischen Senate Zeit übrig
blieb und wenigstens sieben Personen waren, sollte derselbe auch
Justiz- Angelegenheiten vornehmen.^)
Auch Mähren war, wie Böhmen, in Kreise eingetheilt, nämlich
den Olmützer, Brünner, Znajrmer, Prerauer, Iglauer und Hradischer, in
"deren jedem eine Kreishauptmannschafb miteinemanalogen Wirkungs-
kreise, wie in Böhmen, aufgestellt war. Die untersten Verwaltungs-
organe waren die städtischen Magistrate und die Grundherrschaften.
Die Justizverfassung in Mähren war jener in Böhmen analog,
nämlich das grössere und kleinere Landrecht, die Landtafel, die
Magistrate, dieGnmdherrschaften, die geistlichen Gerichte, die Militär-
gerichte u. s. w. Für alle Bewohner Mährens, welche nicht dem Land-
rechte oder der Militär-Gerichtsbarkeit unterstanden, war die
Appellationskammer in Prag die Berufungsinstanz; von den Urtheilen
des Tribunals, des Landrechtes und der Appellationskammer konnte
nur die Berufung an den Kaiser, als König von Böhmen, ergrijffen
werden.
Die ständischen Rechte waren durch die Landesordnung
Ferdinand IL vom 10. Mai 1628 ebenfalls sehr eingeschränkt und
der Landtag zu einem Postulaten-Landtag herabgedrückt worden.
^) Dr. Elvert, Zur österr. Verwaltungsgeschichte. (Schriften der bist,
stat. Section, XXIV. 198, ff.) — Krones, Gesch. Oesterr. IV. 410 ff. —
Hub er, Oest. ßeichsgesch. 145. — Arch. d. Min. d. Inn. Mähren m.
A. 4. N. 16 ex 1739.
Digitized by
Google
119
Seit 1686 bestand zur Führung der currenten Landesgeschäfte und
zur Ausführung der Landtagsbeschlüsse ein aus Vertretern aUer
vier Stände zusammengesetzter Landesausschuss.
Das Verhältniss der Unterthanen zu ihrer Grundherrsohaft war
in Mähren ebenso unleidlich, wie in Böhmen; auch hier bestand
die Leibeigenschaft mit allen ihren Härten und der beinahe voll-
ständigen Rechtlosigkeit der Unterthanen gegenüber ihrer Obrigkeit.
Zwar wurden die Roboten und Schuldigkeiten der Unterthanen
durch zahlreiche Patente geregelt und waren auch die Kreisämter
mit dem Schutze der Unterthanen gegen ihre G-utsherrschaft/Cn beauf-
tragt, aber theils wagten es die Unterthanen äusserst selten, eine
Besehwerde gegen ihre Obrigkeit vorzubringen und theils fanden
die Grundherrschaften Mittel und Wege, diese Beschwerden als
unbegründet erscheinen zu lassen. Besonders waren einige Lehens-
vasallen des Bischofs von Olmütz als grosse Bauembedrücker ver-
rufen, gegen welche das kreisamtliche Einschreiten fruchtlos war,
weil sie sich auf ihre Exemption beriefen und hierin von dem Olmützer
Bischof unterstützt wurden.*)
Schlesien.
Das aus Ober- und Nieder-Schlesien bestehende Herzogthum
Schlesien umfasste eine Reihe von Fürstenthümem und mehreren
freien Standesherrschaften^), welche nach und nach, mit Ausnahme
eines Fürstenthums, in den Besitz des Hauses Habsbiirg gelangt
waren, nämlich in Nieder-Schlesien die Fürsten- oder Herzogthümer
Breslau, Liegnitz, Jauer, Schweidnitz, Brieg, Oels, Wohlau, Glogau,
Sagan, Crossen (welches jedoch nebst mehreren anderen kleineren
Herrschaften als böhmisches Lehen dem Hause Brandenburg verliehen
war), Bemstadt, Frankenstein, Münsterberg und Grottkau oder Neisse,
dann die Standesherrschaften Wartenberg, Militsch, Trachenberg,
Carolath und Geschütz; in Ober-Schlesien die Fürstenthümer Jägem-
dorf, Troppau, Oppeln, Ratibor, Oderberg und Teschen, sowie die
Standesherrschaften Pless und Beutlien^). Die genannten Fürsten-
>) Arch. d. Min. d. Inn. Böhmen IV. K. 1., Nr. 15 ex 1736. Grünberg,
Die Bauernbefreiung in Böhmen, Mähren und Schlesien. II. 30 ff.
*) Die Standesherrschaffcen hatten den Vorrang vor den anderen Herr-
schaften, sie besassen in dem „Conveiitus publicus", der Stände Versammlung,
eine Curiatstimme nach den Fürsten imd waren nicht von den Fürsten, sondern
unmittelbar von dem Könige von Böhmen als oberstem Herzog von Schlesien
abhängig (Bartenstein: Denkschrift über die Verfassung von Böhmen, Mähren
und Schlesien, H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 63).
») Pütter, Histor.-polit. Handbuch. I. 10.
Digitized by
Google
120
thümer standen ehemals unter eigenen Herzogen, theils aus dem
Hause der Plasten, theils aus dem böhmischen Königsstamme und ge-
langten allmählig zuerst unter die Oberlehensherrlichkeit, sodann
durch Lehen- und Erbverträge in den unmittelbaren Besitz der
böhmischen Krone. Der letzte der plastischen Herzoge in Schlesien
war der Herzog Georg Wilhelm von Brieg und Liegnitz, nach
dessen am 21. November 1675 erfolgtem Tode auch die Herzog-
thümer Liegnitz, Brieg und Wohlau an den Kaiser Leopold L
als König von Böhmen fielen.
Einzelne dieser Fürstenthümer erhielten zwar wieder Herzoge,
denen das Land und der Titel für ihre Verdienste, insbesondere
während des dreissigj ährigen Krieges verliehen wurde. So kamen die
Herzogthümer Troppau und Jägerndorf an das Haus Liechtenstein,
Sagan zuerst an den Herzog von Friedland, später an die Fürsten
Lobkowitz, Münsterberg an Johann Weikhard v. Auersperg
und Oels an den Herzog Sylvius Nimrod von Württemberg. Aber
diese neuen Herzoge erhielten nicht jene Rechte, welche die früheren
Piastenfürsten unter der Oberlehensherrschaft der böhmischen Krone
besessen hatten. Das Recht der selbstständigen Gesetzgebung und
Besteuerung, sowie die höhere Gerichtsbarkeit wurde ihnen nicht
verliehen^), sie unterschieden sich eigentlich nur durch ihren Rang
und ihr Ansehen von den Mitgliedern des Herrenstandes anderer
Provinzen.
In Folge der zu verschiedenen Zeiten erfolgten Erwerbung der
einzelnen Theile Schlesiens durch die böhmischen Könige, beziehungs-
weise die Kaiser, hatte die Verwaltung und Rechtspflege Schlesiens
ursprünglich sehr verschiedene Formen. Als oberste Hofstellen
fungierten, wie für die andern Länder der böhmischen Krone die
bölunische Hofkanzlei, die Hofkammer und der Hofkriegsrath.
Unter Kaiser Matthias hatte Schlesien zwar eine kurze Zeit
seine eigene, von der böhmischen Hofkanzlei unabhängige, oberste
Regierungsbehörde, indem König Matthias am 7. October 1611
den Fürsten und den Ständen Schlesiens anlässlich der Huldigimg
die Bewilligung zur Errichtung einer sogenannten „deutschen
Kanzlei" für die schlesischen und lausitzer Angelegenheiten er-
theilte; doch schon im Sommer 1616 wurde diese schlesische
Kanzlei mit der böhmischen wieder vereinigt und so die Regierung
von Breslau nach Prag zurückverlegt.*) Unter Kaiser Ferdinand H.
*) Grünhagen, Geschichte Schlesiens. II. 351.
•) Hu her, Oesterr. Reichsgesch. 141, Anm. 4.
Digitized by
Google
121
begann eine stetige Umwandlung der gesammten Verwaltung
Schlesiens. ^) Vor Allem wurden die Vorrechte der Stadt Breslau,
welche sich fast der Selbstständigkeit einer Reichsstadt erfreute,
sehi' geschmälert. Die Stadt besass nicht nur das sogenannte „Jus
praesidii", das Recht eigener Besatzung, sondern ihr Rath fährte
seit Carl IV. ununterbrochen auch die Hauptmannschaft über das
Fürstenthum Breslau. Das erstere Recht hatte die Stadt mit grossen
Opfern behauptet und war fortan von der Verpflichtung zur Auf-
nahme einer kaiserlichen Garnison befreit, indem sie sich dem
Kaiser Ferdinand IL verpflichtete, erue eigene Stadtmiliz
von vier Compagnien, welche dem Kaiser den Eid der Treue leisten
musste, zur Versehung des Wachdienstes im Frieden beständig zu
unterhalten, im Kriege aber mindestens 5000 waffenfähige Bürger
zur Vertheidigung der Stadt zu stellen. Das andere Recht, die
Hauptmannschaft über das Fürstenthum Breslau, gieng zu derselben
Zeit verloren, indem statt des Breslauer Bürgermeisters ein kaiser-
licher Rath als Hauptmann des Fürstenthums eingesetzt wurde.
Weü durch die Ernennung eines Hauptmannes auch das Recht des
Rathes von Breslau, das gleichnamige Fürstenthum auf dem
Fürstentage in der Curie der Erbfürstenthtimer zu vertreten, er-
loschen war, so wurde auf dem Fürsten tage vom Jahre 1636 der
Stadt Breslau eine neue, separate Stimme in der Curie der Erb-
fürstenthümer zuerkannt und dieser Beschluss auch vom Kaiser
im Jahre 1637 bestätigt^. Weil aber die Stadt trotzdem die
Eingriffe dieses Hauptmanns in ihre Jurisdiction fürchtete, so erbat
und erhielt sie im Jahre 1639 von Kaiser Ferdinand IH. gegen
ein Geldopfer von 60.000 Thalem die vollständige Exemption von
der Gewalt des Hauptmanns in politischen, militärischen und Justiz-
Angelegenheiten. Durch den Verlust der Hauptmannschaft über
das Fürstenthum war das Ansehen des Breslauer Rathes sehr ge-
sunken imd der Glanz dieser einst so mächtigen Corporation für
immer erblasst.
Vor dem Jahre 1630 bestand in Schlesien nur eine landes-
fürstliche höhere Behörde, nämlich die von Kaiser Ferdinand I.
im Jahre 1557 errichtete königliche Kammer, welche nicht,
wie anderwärts eine blosse Finanzbehörde, sondern die eigentliche
Landesregierung war, denn sie hatte die gesammte Ver-
>) Grünhagen, U. 276 ff.
«) Grünhagen a. a. 0. IE. 277 f.
Digitized by
Google
\22
waltung und die Gerichte zu überwachen. Das in Breslau bestandene
b e r a m t war bis unter Kaiser Ferdinand IE. eine ständische
Behörde und wurde erst von diesem Kaiser in die oberste landes-
fürstliche Behörde für das Herzogthum verwandelt, neben
welcher das Oberamt in Glogau seine ursprüngliche Coordination
nicht behaupten konnte und gleich den Landeshauptmannschafken
der andern Fürstenthümer in eine Unterordnung unter das Breslauer
Oberamt gerieth. Durch die Einsetzung der kaiserlichen Hauptmann-
schaft über das Fürstenthum Breslau und die Errichtung ver-
schiedener anderer Behörden, Zoll-, Steuer-, Post- und Oommerzien-
ämter wurde der ständische Verwaltungsapparat nahezu gänzUch
lahmgelegt. Das königliche Oberamt in Breslau, an dessen Spitze
ein vom Kaiser ernannter Director stand, gelangte nach und nach
zu immer grösserem Einfluss über die Stände, so dass dasselbe
unter Kaiser Carl Vi. fast als die den Ständen direct vorgesetzte
Behörde erschien. Bis zum Jahre 1719 wurde nämlich in der Regel der
jeweilige Bischof von Breslau auch zum Ober-Landeshauptmann,
d. i. zum Oberhaupte der gesammten Stände Schlesiens bestellt und
konnte gemäss der Landesprivilegien diese Stelle überhaupt nur
ein schlesischer Fürst bekleiden. Als nun im Jahre 1716 der
Bischof von Breslau, Pfalzgraf Franz Ludwig, auch zum Chur-
fürsten von Trier gewählt worden und daher an der regelmässigen
Führung des Amtes eines schlesischen Ober-Landeshauptmanns ver-
hindert war, legte er diese Würde nieder und der Director des Breslauer
königlichen Oberamtes, Johann Anton Graf Schaffgotsch, wurde
im Jahre 1719 mit den Geschäften des Ober-Landeshauptmanns betraut.
Allerdings sollte dies nach dem "Wortlaute dos betreffenden Patents ')
und des vom Kaiser den Ständen ausgestellten Reverses nur ein
Provisorium und den Privilegien der Stände, laut welchen nur ein
schlesischer Fürst zu ihrem Oberhaupte bestellt werden konnte,
nicht abträglich sein; allein es blieb so bis zum Einmärsche
der Preussen. Unter Graf Schaffgotsch wurde das Ansehen
mid der Einfluss der Stände immer mehr und schliesslich zu völliger
Bedeutungslosigkeit herabgedrückt. Aus den ehemaligen Fürsten-
tagen war übrigens, weil die Fürsten nicht melir persönlich er-
schienen, sondern sich durch Abgesandte vertreten Hessen, ein ein-
facher „Conventus publicus", eine ,,Zusammenkiuift'' geworden. Der
Vorsitzende fungierte ganz in dem Sinne des Oberamtes und der
Versammlung fehlte jedes Selbstbewusstsein. Das Einzige, was sie
') Privilegien etc. des Landes Schlesien. I. 633.
Digitized by
Google
123
that, bestand in dem Versuche, von der verlangten Steuersumnie
durch Jammern über die Armuth des Landes etwas abzuhandeln.
Weit mehr noch als den Ständen anderer Erblande wurde ihnen
der spärliche Rest eines fast nur mehr scheinbaren Initiativrechtes
entzogen und im Vertrauen auf ihre Gefügigkeit wurde ihnen
im Jahre 1726 überhaupt verboten, irgend etwas vorzubringen, was
nicht mit der vom Kaiser ihnen vorgelegten Postulation zusammen-
hieng. Es war ihnen höchstens gestattet, etwaige "Wünsche bei dem
königlichen Oberamte vorzubringen, welches so zu einer den
Ständen übergeordneten Behörde gemacht wurde *).
Diejenigen Pürstenthümer, welche direct und immittelbar der
böhmischen Krone gehörten und nicht als Lehen weitervergeben
waren, wurden durch besondere Landesregierungen ver-
waltet und hatten z. B. die Fürstenthümer Ratibor und Oppeln zu-
sammen eine Landesregierung, Schweidnitz und Jauer ebenfalls,
dessgleichen Liegnitz, Brieg und "Wohlauf.
Ob er am t und Landesregierungen waren also die poli-
tischen und JustizsteUen, von welchen die untergeordneten guts-
herrschaftlichen und sonstigen Gerichte beaufsichtigt wurden, die
Kammer und das mit derselben vereinigte Rentamt besorgte
das Finanzwesen, zur Beförderung des Handels und der Lidustrie
bestand seit 1716 ein Commerz ien-Collegium in Breslau,
welches sein Hauptstreben auf die Beseitigung der Zollschranken
gegen die übrigen Kjonländer richtete. Eine höhere L an des-
Militär-Behörde, wie etwa in Graz oder Lmsbruck, bestand
in Schlesien nicht und wäre auch ganz unnöthig gewesen, da
kaiserliche Truppen in Breslau nicht gamisonieren durften und sonst
im Lande nur verschwindend kleine Truppen-Abtheilimgen lagen.
Durch den Artikel V des "Westphälischen Friedensvertrages
war die Religionsfreiheit der drei Fürstenthümer Liegnitz, Brieg
und Wohlau verbürgt und vom Kaiser Ferdinand HI. im Jahre
1654, dann vom Kaiser Leopold I. gleich nach seinem Regierungs-
antritte und endlich am 15. Juli 1676 nach dem Heimfall der ge-
nannten drei Fürstenthümer die Einhaltung dieser Bestimmungen
zugesagt; allein die gegenseitige Eifersucht und Missgunst der beiden
evangelischen Bekenntnisse fährte schliesslich bis zur Abschaffung des
reformierten Gottesdienstes und mit dem im Jahre 1680 in Olüau
») Grünhagen, Gesch. Schi. n. 349 u. 420.
*) Küchelbecker, Nachrichten etc. 97.
Digitized by
Google
124
erfolgten Tode der Herzogin Louise, der Mutter des letzten Herzogs
von Liegnitz, Brieg und Wohlau, hörte der reformierte Gottesdienst
in Schlesien für lange Zeit auf ^). Wie nicht anders zu erwarten,
gab es in gar vielen Fällen Zwistigkeiten zwischen den einzelnen
Confessionen im Lande, da jede derselben, Katholiken, wie Pro-
testanten, ihre eigenen Rechte zu erweitem und jene der andern
zu beschränken trachtete. Erschwerte man an dem einen Orte
einem Protestanten die Ansässigmachung oder die Erlangung des
Meisterrechtes, so geschah an einem andern Orte genau dasselbe
einem katholischen Bewerber'^. Die fortwährenden Beschwerden
der Protestanten veranlassten im Jahre 1707 den König Carl XII.
von Schweden, an den in schwere Kriege verwickelten Kaiser
Joseph I. das Verlangen nach einer Regelung der schlesisohen
Religions- Angelegenheiten zu stellen, worauf am 1. September 1707
der sogenannte Altranstädter Vertrag zu Stande kam, durch welchen
die Bestimmungen des Westphälischen Friedens erneuert und er-
weitert wurden. In jenen Landestheilen, welche im Jahre 1648
noch eigene protestantische Fürsten hatten, d. i. in Liegnitz, Brieg,
Oels und Münsterberg sollten die seit 1648 eingezogenen Kirchen
zurückgegeben und die evangelischen Consistorien wiederhergestellt
werden. Auch sollte in ganz Schlesien kein Protestant zur Annahme
des katholischen Glaubensbekenntnisses genöthigt, noch wegen
seines Glaubens von der Erlangung von Aemtern oder von der
Erwerbung liegender Güter ausgeschlossen, noch in seinen übrigen
Rechten geschmälert werden.
Durch Privilegien geschützte Judengemeinden gab es nur in
Glogau und Zülz ; in den übrigen Orten wurden sie stillschweigend
geduldet. Sie hatten fast immer und überall das Branntwein-
ausschanksrecht und die Steuereinhebung, sowie das Tabakgefälle
gepachtet. Im Jahre 1713 war ihnen ein nach sechs, sodann 1728
nach vier Classen abgestuftes Toleranzgeld auferlegt und ihnen
dadurch unter gewissen Beschränkungen und Bedingungen das
Aufenthaltsrecht zuerkannt worden^.
Für den hohem Unterricht bestand in Breslau eine Universität
und in Liegnitz die im Jahre 1708 errichtete ,,Josephinische Ritter-
Akademie", welche zur Zeit der österreichischen Herrschaft fast den
>) Grünhagen, G^esch. Schles. IL 370 u. 403.
«) Privilegien etc. des Landes Schlesien. Breslau 1728, 11. 487 u. 493.
.'; Privilegien des Landes Schlesien. Breslau 1739, 11 646 ff.
Digitized by
Google
126
Charakter einer Universität hatte, indem daselbst Rechtskunde,
Politik, Rhetorik, Q-eschichte, Mathematik und fremde Sprachen
gelehrt und dabei die ritterlichen Künste gepflegt wurden.
Handel und Industrie war in Schlesien früher sehr entwickelt,
besonders blühte die Weberei und die Tuchmacherei und ihre Er-
zeugnisse wurden in die entferntesten Länder gebracht. Der Handel
gieng besonders nach Polen und Russland und vermittelte den
Austausch der Producte des Westens und des Ostens. Die prote-
stantischen Weber und Tuchmacher zogen indessen allmählig nach
Sachsen, in die Lausitz und nach Polen, während König August
von Polen und Ohurfürst von Sachsen den Handel nach Leipzig, die
im Jahre 1725 in Berlin gegründete ,, russische Handels-Compagnie"
denselben nach Berlin, der König von Schweden in seine Ostsee-
Städte und Peter der Grosse nach Petersburg und Archangel zu
ziehen trachtete.
Die Lage der Bauern war in Schlesien im Allgemeinen nicht
so drückend, wie in Böhmen und Mähren, doch war dieselbe in den
verschiedenen Landestheilen immerhin sehr verschieden. Eigentliche
Leibeigenschaft existierte in Schlesien nicht, sondern nur die
sogenannte Erbunterthänigkeit in allen möglichen Ab-
stufungen, am härtesten in den an Polen und Mähren grenzenden
Bezirken, am mildesten in Nieder-Schlesien, wo zumeist die Per-
sonaldienste in eine Geldabgabe, den sogenannten „Silberzins" um-
gewandelt worden waren. *) Die „Ordnung wegen der entwichenen
Unterthanen" vom 1. October 1652 erklärt ausdrücklich, „die Leib-
eigenschaft ist in Schlesien nicht Herkommens, die Bauern können
ihre Güter erblich besitzen, verkaufen, vertauschen"^. Die schlesi-
schen Bauern befanden sich demnach nicht in jenem aller Personen-
rechte baren Zustande, den man nach der juristischen Termino-
logie, sondern nur in dem Verhältnisse der Erbunterthänigkeit, das
man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch als Leibeigen-
schaft bezeichnet, bis herab zur blossen Robot- oder Zius-
pflichtigkeit. Selbst Personen der höheren Stände konnten als
Besitzer robot- und zinspflichtiger Gründe einer andern Herrschaft
zu diesen Leistungen verpflichtet sein, ohne an ihrer persönlichen
Freiheit, ihrem Stand und ihren Ehren etwas einzubüssen. Ein
») Arch. d. Min. d. Inn. Böhmen. IV. K. 1, Nr. 15 ex 1736.
•) Privilegien des Landes Schlesien. Breslau 1731, I. 144 ff.
Digitized by
Google
126
arger Uebelstand für die Landwirthschaft, sowohl für Herren,
als Unterthanen, war es, dass die Steuern noch immer auf Grund
einer im Jahre 1527 vorgenommenen Schätzimg eingehoben wurden,
ohne Rücksicht darauf, ob ein damals blühendes Gut nunmehr
verödet oder doppelt und mehrfach erträgnissreicher geworden
war. Im Jahre 1721 wurde wohl eine neue Einschätzung in Angriff
genommen, aber bis zum Jahre 1740 noch nicht beendigt.
Die Niederlande/)
Die in Folge der Friedensverträge von Utrecht (11. April 1713),
Rastatt (6. März 1714) und Baden (7. September 1714) in den
Besitz Kaiser Carl VI. gelangten ehemaligen spanischen Nieder-
lande fügten dem so vielgestaltigen Baue der habsburgischen
Monarchie noch ein neues Element der Verschiedenheit in Bezug
auf Verfassung und Verwaltung bei.
Kaiser Maximilian I. hatte im Jahre 1512 in dem Reichs-
abschiede zu Cöln das Herzogthum Burgund mit seinen Ländern
als einen Kreis, den burgundischen, des heiligen römischen Reichs
deutscher Nation erklärt und Kaiser Carl V. auf dem Reichstage
zu Worms, 1521, in dem Landfrieden zu Nürnberg, 1522, endüch
am 6. Juni 1548 auf dem Reichstage zu Augsburg die Verbindung
des burgundischen Kreises mit dem Reiche bestätigt. Die Be-
kräftigungsurkimde Kaiser Carl V. besagt, dass die Herzogthümer,
Grafschaften und Herrschafben, welche als burgundisches Erbe durch
die Vermählung des Erzherzogs Maximilian mit der Erb-
prinzessin Maria von Burgund in den Besitz des Hauses
Habsburg gekommen waren, mit allen ihren mittelbar und un-
mittelbar zugehörigen und einverleibten geistlichen imd weltUchen
Fürstenthümem, Prälaturen, Dignitäten, Grrafschaften, Frei- und
Herrschaften imd derselben Vasallen, Unterthanen und Verwandten
für ewige Zeiten in den Schutz, Schirm, Vertheidignng und Hilfe
der römischen Kaiser und des Reiches aufgenommen werden sollen,
so dass sie sich dadurch aller Freiheiten, Rechte und Gerechtig-
keiten desselben erfreuen und von den römischen Kaisem, Königen
») Luca, Ignaz de, Geogr. Handbuch. 5. Abth. — Pütt er, ffistorisch-
polit. Handbuch etc. 1. Th. — Mömoires historiques et politiques des Pays-
Bas Autrichiens, Paris 1784. — Actenstücke zur Geschichte der österreichischeu
Niederlande, 1787. — Stubenrauch, Belgien unter Maria Theresia.
Digitized by
Google
127
und Eeichsständen jederzeit wie andere Fürsten, Stände und Glieder
desselben Reiches geschützt und vertheidigt, auch zu allen Reichs-
tagen und Versammlungen geladen und, wenn sie dieselben be-
suchen wollen, zu Sitz und Stimme zugelassen werden sollten.
Dagegen versprach der Kaiser für sich und seine Nachkommen,
für diese Länder zu den Reichsumlagen so viel als zwei Churfürsten,
wider die Türken aber so viel als drei Churfürsten beizutragen.
Würden diese „Nieder-Erblande" in der Entrichtung ihrer Contri-
bution säumig sein, so sollten sie dieserwegen dem kaiserKchen
Kammergericht imterworfen sein und durch den kaiserlichen Fiscal,
wie andere Reichsstände zur Bezahlung angehalten werden, übrigens
aber sollten diese Länder und ihre Unterthanen bei allen ihren
Freiheiten, Rechten und Gerechtigkeiten gelassen werden und der
Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte, wie auch den Reichsordnungen
und Abschieden nicht unterworfen sein. Obgleich dieser Kreis,
so wenig, wie der österreichische, eine den übrigen Reichs-
kreisen ähnliche Verfassung hatte, so besass er doch das Recht,
einen Kammergerichtsbeisitzer zu präsentieren und im Reichs-
fürstenrathe unter dem Namen „Burgund" unmittelbar nach Oester-
reich auf der geistlichen Bank sein Recht auf Sitz und Stimme
auszuüben. ^)
"Was Spanien von diesen Ländern bei dem Tode Carl 11.
noch besass, das gieng in den Besitz Carl VI. über, mit Ausnahme
einiger kleineren Bezirke, welche theils an die Vereinigten Nieder-
lande, theils an Preussen, theils an Churpfalz abgetreten wurden ;
ausserdem behielten die Vereinigten Niederlande oder die General-
staaten zufolge des Barri^re-Tractats vom 15. November 1715 das
Mitbesatzungsrecht in den Festungen Namur, Toumay (Doomik),
Fumes, Wameton, Ypem und dem Fort Knocke.
Die Regierungsform in den Niederlanden war beschränkt
monarchisch ; die Grenzen zwischen den Rechten des Landesfürsten
und der Stände waren jedoch in den einzelnen Provinzen verschieden
und durch hergebrachte Gesetze und Privilegien geregelt, deren Beob-
achtung imd Aufrechterhaltung der Landesfürst oder der in seinem
Namen die Huldigung entgegennehmende General - Gouverneur
feierlich beschwören musste. Als Grundgesetze für die Ver-
*) Luca, Geogr. Handb. V. 2. Abth. 377. — Pütter, Hist.-pol. Handb.
X. 207. — Beck, Spec. I. 118 f. — Moser, Staatsr. I. 296, 820 und
XXXIV. 289.
Digitized by
Google
128
fassung der niederländischen Provinzen galten um 1740:* die
pragmatische Sanction, die Bestimmung, dass Steuern nur mit Zu-
stimmung der Stände ausgeschrieben und eingehoben werden dürfen ;
in Flandern die uralte, seit Jahrhunderten bestandene Verfassung
und die Erklänmg der Herzogin Maria von Burgund, der
Gemahlin des Erzherzogs Max im il i an, vom Jahre 1474, dass
sie nach dem Willen und dem Rathe der drei Stände ihres Reiches
über Flandern herrschen wolle; femer das Gesetz, nach welchem
in den meisten Provinzen Niemand ein Amt erhalten durfte, der
nicht ifi denselben geboren war ; für Brabant und Limburg die so-
genannte „brabsüitische goldene Bulle" Kaiser C a r IIV. vom Jahre
1349, laut welcher kein burgundischer Unterthan in Civil-, Personal-
oder Criminalsachen vor irgend ein weltliches oder geistliches
Gericht des römischen Reiches citiert oder von demselben gerichtet
werden konnte. Kaiser Carl V. fügte im Jahre 1530 noch die
Bestimmung hinzu, dass der Rath von Brabant gegen jene Reichs-
gerichte, welche gegen die ,,brabanter goldene Bulle" fehlten, mit
kaiserlicher Autorität aufs Strengste verfahren und nicht nur eine
Geldbusse von 200 Mark Goldes auferlegen, sondern auch mit dem
Reichsbanne drohen könne. Die wichtigste und umfassendste Frei-
heitsacte für Brabant und Limburg war aber die sogenannte „Joyeuse
Entr6e" (vlämisch „Blyde Lakomst", „der erfreuliche Einzug"), eine
Sammlung aller Freiheiten der Herzogthümer Brabant und Limburg,
welche bei jeder Eidesleistung des neuen Landesfürsten umständlich
aufgezeichnet, durch neue Zusätze vermehrt, dem Fürsten vorgelesen
und von diesem beschworen wurden. Maria Theresia bestätigte
am 30. April 1744 dieses in seinen Anfängen aus dem 13. Jahr-
hundert stammende und im Laufe der Zeiten auf 69 Artikel an-
gewachsene Grundgesetz, in welchem zwar eigentlich nur die Privi-
legien der Herzogthümer Brabant und Limburg enthalten waren,
deren Vorrechte aber alle niederländischen Provinzen genossen,
wenn solches auch nicht ausdrücklich anerkannt war. Es war dies
damals jedenfalls das freisinnigste Grundgesetz in ganz Europa.
Sein Hauptinhalt war: Ihre Majestät wolle nicht nach eigenem
Willen, sondern nach dem herkömmlichen Rechte regieren; ohne
Bewilligimg der Stände von Brabant soll kein die Länder Brabant
und Limburg betreffender Krieg angefangen werden; Ihre Majestät
werde Titel und Wappen von Lothringen, Brabant, Limburg und
der Markgrafsohaft des heiligen römischen Reiches und ein be-
sonderes Siegel für Brabant führen, mit welchem alle, die Länder
von Brabant imd über der Maas betreffenden Erlässe, aber keine
Digitized by
Google
129
andern gesiegelt werden sollen ; die Mitglieder des Rathes von
ßrabant sollen, mit Ausnahme von zweien, ehelich geborene
Brabanter sein und eine Stammbaronie besitzen; die im Conseil
von Brabant ausgefertigten Patente sollen in der Sprache jenes
Ortes verfasst sein, für welchen sie bestimmt sind ; kein in Brabant
oder in dem Lande über der Maas verhafteter Verbrecher soll ausser
Landes geführt werden ; kein Mörder soll begnadigt werden, wenn
er nicht zuvor die Verwandten des Ermordeten zufriedengestellt
hat; Verräther dürfen nur mit Zustimmung der Stände begnadigt
werden; Gestattung der freien Meinungsäusserung in der Stände-
versammlung; endlich die wichtigste Bestimmung: „Wenn Ihre
Majestät die Privilegien ganz oder zum Theil zu beobachten auf-
hören sollten, so bewilligen Sie, dass in diesem Fall Ihre Unter-
thanen aufhören, Ihnen Dienste zu leisten, bis das ihnen geschehene
Unrecht wieder gutgemacht worden ist." ^)
Die oberste Regierungsgewalt in den Niederlanden wurde
während der spanischen Herrschaft durch einen General-Gouverneur
ausgeübt, zu welcher Stelle auf Grund des von Philipp 11. am
17. März 1579 zu Arras mit den wallonischen Provinzen geschlossenen
Vereinigungs - Träctates nur ein Prinz oder eine Prinzessin von
Geblüt ernannt werden sollte. Der General-Gouverneur oder Statt-
halter der Niederlande hatte die Oberdirection über alle Landes-
Angelegenheiten und die Vollziehung aller Gesetze. Er koimte die
Ritter des goldenen Vliesses, die Mitglieder des Staats-, des
geheimen und Finanzraths in seiner Gegenwart oder anderswo, so
oft er es für nöthig erachtete, versammeln. Er hatte die Ober-
aufsicht sowohl über die Justiz-, Polizei- und Finanz- Angelegen-
heiten, als auch über die Land- und Saemacht, die Civil- und
Militär-Functionäre. Er hatte das Recht, Gesetze, Edicte und Ver-
ordnungen zum Wohl und Nutzen des Landes und zur Erhaltung
einer guten Polizei zu erlassen. Er konnte ebenso wie der Souverain
alle erledigten Aemter und Pfründen besetzen, Gnaden erth eilen,
die Strafen für alle Arten von Vergehen und Verbrechen erlassen,
die Stände aller Provinzen oder jeder Provinz insbesondere, in
welcher Stadt oder an welchem Orte er es für gut befand, zu-
sammenberufen ; mit einem Worte, er war vermöge seines Be-
stallungspatentes berechtigt, die höchste Gewalt im Namen des
Souverains auf eben die Art und Weise, wie solches der Souverain
>) Luca, Geogr. Handbuch, V. 2. Abth. 382 ff.
Oesterreiohischer Erb folgekrieg. I. Bd.
Digitized by
Google
130
selbst thun könnte, in jeder Beziehung auszuüben ; doch waren dem-
selben in Absicht auf gewisse Gegenstände durch seine Instructionen
und durch die den CoUateral-Oonseils vorgeschriebenen Verhaltungs-
befehle gewisse Grenzen gesetzt, indem sich der Souverain die
Disposition über verschiedene "Würden und Aemter, das Recht,
Einkünfte zu veräussem oder zu verpfänden, Titel imd Ehrenzeichen
zu verleihen, die Befreiung von der Leibeigenschaft und die
Naturalisierung der Ausländer zu ertheilen, vorbehalten hatte.
Der General-Gouverneur repräsentierte sonst aber in allen Beziehungen
den Souverain. Es wurden stets zwei Leibcompagnien zu seinem
Dienste unterhalten, eine Compagnie Trabanten der adeligen Leib-
wache Sr. Majestät und eine Compagnie Hellebardiere. Der Papst
hielt gewöhnlich bei den General-Gouverneuren einen Nuntius oder
Litemimtius, die Könige von Frankreich und England, die Republik
der Vereinigten Niederlande, der Fürstbischof von Lüttich hatten ihre
Gesandten bei demselben und auch während der österreichischen Herr-
schaft gab es zu verschiedenen Malen fremde Minister am Hofe zu
Brüssel, so vom König von Spanien, vom König von Preussen und
vom Churfürsten von der Pfalz. ')
Nach der auf Grund der Friedensverträge und des Barriere-
Tractates im Jahre 1716 durch den Feldmarschall-Lieutenant Joseph
Lothar Grafen von Königsegg 'erfolgten Besitzergreifung der
Niederlande wurde zwar Prinz EugenvonSavoyen zum General-
Gouverneur der niuimehr österreichischen Niederlande ernannt, *)
aber derselbe war nicht in der Lage, behufs persönlicher Ausübung
seiner hohen Würde seiue Residenz naoh Brüssel zu verlegen.
Desshalb wurde Hercules Turinetti Marquis de P r i 6 unter dem
Titel eines bevollmächtigten Ministers mit der Leitung der nieder-
ländischen Regierungsgeschäfte betraut. Nach einem missglückten
Experimente mit einer am 2. Januar 1718 decretierten neuen Ein-
richtung, der Verwaltungsbehörden wurde im September 1725
die zur Zeit der spanischen Herrschaft bestandene Regierungsform
in ihrem ganzen Umfange wiederhergestellt und zugleich die Erz-
herzogin Maria Elisabeth, Schwester Kaiser Carl VI., zur
General-Grouvemeurin ernannt, während in Wien als Hofstelle für
die politischen, Justiz- und Finanz- Angelegenheiten der Niederlande
der sogenannte „Niederländische Rath" fungierte, welcher
*) Actenstücke zur Geschichte der österr. Niederlande. 2 H. XXIX .
») Kr. Arch. 1716 Kanzl. A IX b, 8 u. H. K. R. Aug. 411, Rg.
Digitized by
Google
131
eine den Hofkanzlei^n entsprechende Einrichtung und ähnliche,
jedoch mit Rücksicht auf die bedeutenden Prärogative der öe-
neral-Q-ouverneurin etwas eingeschränktere Befugnisse hatte, als
die Hofkanzleien für die andern Ländergruppen. Der „Niederländische
Rath" wurde erst im Jahre 1757 als selbstständige Hofstelle aufgehoben
und seine Functionen der geheimen Haus-, Hof- und Staatskanzlei
übertragen. Laut der am 1. September 1725 der Erzherzogin
Maria Elisabeth ertheilten Instruction ^) wurde dieselbe zur
General-Gouvemeurin mit der vollkommenen Würde und allen Prä-
rogativen eines General-Capitains ernannt, es wurden ihr die gesammte
jeweilig in den österreichischen Niederlanden befindlichen Truppen
sammt allen festen Plätzen anvertraut und der commandierende
Q-eneral, sowie alle Oommandantsn an sie angewiesen; sie hatte
die unbeschränkte Disposition über das Militär, jedoch so, dass sie
den jeweilig commandierenden General zu Rathe ziehen und ihren
Beschluss durch den commandierenden General ausfertigen lassen
sollte. Ln Falle sie aus erheblichen Gründen von dem Einrathen des
commandierenden Generals abgehen zu müssen glaube, könne sie
zwar ihren eigenen Entschluss fassen, müsse jedoch sodann im
Wege des Hofkriegsrathes die Allerhöchste Entscheidung hierüber
einholen. In politischen, ökonomischen und Justizgegenständen hatte
sie ihre Berichte an den Kaiser im Wege des „Niederländischen
Bathes", in reinen Militär- oder in militärisch-ökonomischen An-
gelegenheiten aber im Wege des Hofkriegsrathes zu erstatten.
Sie sollte darauf sehen, dass das in den Niederlanden befindliche
Militär den richtigen Sold und Unterhalt, wenn schon nicht monat-
lich, so doch wenigstens vierteljährlich erhalte. Die Besetzung der
Gouvemeurstellen in den festen Plätzen, dann die Ernennung der
Provinzial-Gouvemeure, des Castellans in Antwerpen und des Gou-
verneurs von Ostende behielt sich der Kaiser vor, die Erzherzogin
aber hatte einen Temavorschlag einzusenden; die andern Stellen
besetzte die Erzherzogin. Vorzüglich sollte sie Sorge tragen für die
Sicherung des Hafens und der Festung Ostende, als des Haupt-
handelsplatzes, damit nicht die eben erst gegründete „Ostindische
Compagnie" Schaden leide. In wichtigen Vorfallenheiten, wenn nicht
Gefahr im Verzuge war, sollte sie zuerst die Willensmeinung des
Kaisers einholen, in unaufschiebbaren Fällen aber im Einvernehmen
mit dem commandierenden General handeln. Die militär-ökono-
mischen Angelegenheiten und die militaria mixta hatte die General-
») Kr. Arch. Kanzl. A. IX b 10 und H. K. R. 1770—37—126.
9*
Digitized by
Google
132
Gouvemeurin einerseits mit dem commandierenden General, anderer-
seits mit dem Finanz-Tribunal, dem ,,Conseil d' 6tat'' und dem
„Conseil priv6" zu berathen. Der commandierende General, der
auch wirklicher geheimer Eath sein sollte, hatte im Conseil
d'^tat den nächsten Platz unmittelbar nach dem Obersthofmeister
der Erzherzogin; in Abwesenheit des Obersthofmeisters führt der
commandierende General den Vorsitz. Das Recht der Obersten der
deutschen Regimenter, nicht allein die Compagnien zu verleihen,
sondern auch die Stabschargen zu besetzen, wird auch den Obersten
der National-Regimenter übertragen.
Der General-Gouverneurin standen in der Verwaltung des
Landes drei RathscoUegien zur Seite, nämlich:
DerStaatsrath (Conseil d'etat), von Kaiser Carl V. im Jahre 1531
zugleich mit den beiden folgenden errichtet, bestand aus Mitgliedern
der vornehmsten adeligen Familien und hatte ursprünglich die Aufgabe,
alle wichtigen Staats- Angelegenheiten im Krieg und Frieden seiner
Berathung zu unterziehen. AUmählig waren aber seine Befugnisse
und Prärogative auf den geheimen Rath übergegangen. Nach
der Constitution Kaiser Carl VI. vom 19. September 1725 bestand
der Staatsrath aus Ministern „d* 6p6e" und „de robe" und der Obei*st-
hofmeister der General-Gouvemeurm führte den Vorsitz. Dieses
Collegium hielt keine regelmässigen Sitzungen, sondern versammelte
sich nur von Fall zu Fall auf Berufung durch die Erzherzogin -
Gouvemeurin.
Dem geheimen Rathe (Conseil prive) stand die Be-
aufsichtigung und die Leitung aller Staats -Angelegenheiten zu.
Das Gesetzgebungsrecht gehörte in den Niederlanden zwar dem
Souverain allein oder Demjenigen, der in seinem Namen die höchste
Gewalt ausübte, aber Alles, was* auf die Gesetzgebung Bezug
hatte, die Auslegung alter sowie die Abfassung neuer Gesetze war
der Berathschlagung des geheimen Rathes unterworfen. Dieser
Rath stand an der Spitze der politischen Verwaltung und hatte
auch bei der Besetzung der Aerater sein Gutachten abzugeben.
Ausser dem Vorsitzenden gehörten ihm noch sieben Mitglieder und
drei Secretäre an.
Der „R ath der Finanzen" (Conseil des fi-nances) hatte
das gesammte Finanzwesen des Landes zu besorgen. Er führte
eine genaue Aufzeichnung über die Einkünfte und Ausgaben
des Landes und wachte über Alles, was den finanziellen Zustand
desselben betraf, doch stand er unmittelbar unter der Aufsicht
des geheimen Rathes. Nicht zu verwechseln ist mit diesem Rathe die
Digitized by
Google
133
sogenannte ßechenkammer (Chainbre des comptes), welche die Con-
trole über den Landeshaushalt und über die Rechnungen der Steuerein-
nehmer fulirtejedochnichtzu den drei höchsten RathscoUegien gehörte.
Sehr verwickelt war das Justizwesen und die Rechtspflege.
Aus einer Unzahl, vormals unter verschiedenen Landesherren ge-
standener Gebiete zusammengesetzt, hatte sich jede Provinz, jede
Stadt ihre besonderen Gesetze und Gebräuche bewahrt und desshalb
war sowohl das materielle Recht, als auch die Rechtspflege in den
verschiedenen Landestheilen verschieden. ^) Der höchste Gerichtshof
in den österreichischen Niederlanden war der grosse Rath von
Mecheln, welchem die Ritter des goldenen Vliesses und die
höchsten Staatsbeamten unterworfen waren. Er fungierte zugleich
als Appellationsinstanz über die Urtheile der Provinzialräthe von
Flandern, Luxemburg undNamur imd des Stadtgebietes von Mecheln.
Keine höhere Listanz konnte seine Aussprüche cassieren. Nur der
Statthalter konnte verfügen, dass der Spruch von denselben Richtern
unter Beiziehung anderer Rechtsgelehrter oder Professoren der
Hochschule zu Löwen revidiert werde. Femer bestanden als Provinzial-
gerichtshöfe der Rath von Brabant (Oonseü de Brabant), der
Kath von Geldern (Conseil de Gueldres), der Rath von Flandern
(Coiiseil de Flandres) u. s. w., dann Specialgerichtshöfe für bestimmte
Angelegenheiten, als der Lehenhof, zwei oberste Kammern für
Domänen - Angelegenheiten, nämlich die eine für Luxemburg,
Geldern, Flandern, Hennegau uüd Mecheln, die andern für Brabant,
Limburg und das Land über der Maas, das Forstgericht, das Jagd-
und Fischereigericht, Gefällsgericht, geistliche Gerichte u. s. w.
Endlich waren die Ortsgerichte unter den Maires, Schultheissen,
Drosten, welche mit der Eruierung der Verbrecher und der Be-
strafung geringerer Gesetzes-Uebertretungen betraut waren. Der von
einem Ortsgericht Verurtheilte koimte an den Gerichtshof der Pro-
vinzial-Hauptstadt oder an den Provinzialrath selbst appellieren,
von dessen Ausspruch in der Regel keine weitere Berufimg zulässig
war, ausgenommen in Flandern, Luxembm-g mid Namur, wo der
grosse Rath von Mecheln als Berufungsinstanz fungierte.
Die ständische Verfassung der Niederlande litt ebenso wie
die politische Verwaltung und die Rechtspflege unter dem Mangel
*) Stubenrauch, Belgien unter Maria Theresia, 32 ff. — L u c a ,
Geogr. Handb. V. 2. Abth. 440 ff. — Memoires historiques et politiques des Pays-
Bas Autrichiens, II. 122 ff.
Digitized by
Google
134
der Einheit. Nach der alten Verfassung bestand zwar eine allgemeine
Versammlung der Stände aller Provinzen, die Generalstaaten,
allein dieselben waren seit dem Jahre 1632 nicht mehr einberufen
worden. Es versammelten sich nur die Stände der einzelnen Pro-
vinzen, deren jede gleichsam einen Staat im Staat ausmachte.
Diese Provinzialstände hatten weder gleiche Rechte, noch eine
gleichartige Zusammensetzung, noch gleichartige Interessen. Ihr
hauptsächlichstes Vorrecht bestand in der jährlichen Bewilligung
der Steuern und ausserordentlichen Abgaben, die ohne ihre Zustim-
mung nicht erhoben werden konnten. In Angelegenheit der Gesetz-
gebung hatten die Stände kein direotes Mitwirkungsrecht , wenn sie
auch bisweilen gleich den höheren Gerichtshöfen und dem Finanz-
Oonseil um ihren Rath gefragt wurden ; aber dadurch, dass ohne ihre
Zustimmung keine Steuern erhoben werden konnten, hatten sie einen
gewaltigen Einfluss auf die Gesetzgebung. Ihre Zusammensetzung
war in den meisten niederländischen Provinzen so, wie in den
übrigen Erblanden ausser Tyrol, nämlich Geistlichkeit, Adel imd
die Magistrate einiger Städte; der Bauernstand war unvertreten.
Die Stände in Brabant bestanden aus der Geistlichkeit, dem Adel
und den Deputierten der Städte Brüssel, Löwen und Antwerpen.
Der geistliche Stand begriff blos die Aebte in sich, die Bischöfe
als solche waren keine Stände; damit sie aber an den Stände-
versammlungen theilnehmen könnten, gab Philipp 11. dem Erz-
bisehof von Mecheln die Abtei Aflighem und dem Bischof von
Antwerpen die Abtei zu St. Bernard, wodurch sie als Aebte Mit-
glieder der Stände wurden. Vom Adel konnte nur jener Mitglied
der Stände werden, welcher wenigstens Freiherr war und in Brabant
Güter mit einem Jahresertrag von 4000 fl. besass. Li Limburg
bestand die Ständeversammlung ebenfalls aus der GeistUchkeit,
dem Adel und den bürgerlichen Deputierten. In Luxemburg und
der Grafschaft Chiny wählte jeder Stand drei Deputierte, die Stände-
versammmlung zählte daher neun Mitglieder. In Geldern wählte
der Adel und die Stadt Ruremonde je zwei Deputierte; die Geist-
lichkeit war ausgeschlossen. In Flandern war dagegen der Adel
von den Ständeversammlungen ausgeschlossen und waren ebenfalls
nur zwei Stände, nämlich Geistlichkeit und Bürgerstand. Im Henne-
gau imd in Namur waren drei Stände. Nur Mecheln hatte keine
Stände Versammlung," die Angelegenheiten einer solchen besorgte
der Stadtmagistrat. ').
>) Luca, Georgr. Handb. V. 2. Abth. 448 f.
Digitized by
Google
135
Zur Beschlussfassung war die Uebereinstimmung aller drei, be-
ziehungsweise der zwei Stände erforderlich, wesshalb jeder Stand das
gleiche Gewicht bei den Berathungen hatte. In Brabant war es Sitte,
dass die beiden ersten Stände ihren Beschlüssen den Vorbehedt bei-
fügten : „Mit Zustimmung des dritten Standes und anders nicht" ^.
üeberhaupt bewiesen die niederländischen Stände eine grosse Stand-
haftigkeit und Einmüthigkeit in der Aufrechterhaltung ihrer Frei-
heiten und Privilegien, wenn auch in andern Fragen die einzebaen
Provinzen weit auseinandergiengen und so wie anderwärts, nur das
Interesse ihres engeren Bezirkes im Auge hatten.
Die Besitzungen in Italien.
Von dem ehemals bedeutenden Länderbesitze in Italien waren
dem Kaiser Carl VI. am Ende seiner Regierung nur noch schwache
Reste geblieben; Neapel und Sicilien waren durch den unglück-
lichen Krieg vom Jahre 1734 und 1735 verloren gegangen und die
neuerworbenen Herzogthümer Parma und Piacenza boten nur
geringen Ersatz für die Verluste. Der ganze kaiserliche Besitz in
Italien beschränkte sich nunmehr auf einen Theil des Herzogthums
Mailand und auf die Herzogthümer Mantua, Parma und Piacenza.
Auch unter der kaiserlichen Herrschaft hatten Neapel und Sicilien,
Mailand und Mantua, ebenso wie Parma und Piacenza ihre alten
Verfassungen und Verwaltungsformen beibehalten; in Neapel und
Sicilien standen Vicekönige, in den Herzogthümem Gouverneure
als Vertreter des Landesfürsten mit ausgedehnten Machtbefugnissen
an der Spitze der gesammten politischen, militärischen und Cameral-
verwaltung, in Wien aber fungierte der „spanische Rath"
als oberste Hofstelle für diese Länder mit dem gleichen Wirkungs-
kreis, wie der „niederländische Rath" für die österreichischen
Niederlande. Nach dem Verluste Neapels imd Siciliens erhielt
der „spa^nische Rath'' den Namen „italienischer Rath".
Derselbe verlor gleich dem niederländischen Rath im Jahre
1757 den Charakter einer selbstständigen Hofstelle und seine
Agenden übergiengen an das italienischeDepartement der
geheimen Haus-, Hof- und Staatskanzlei. Ueber die vier Herzog-
thümer wurde im Jahre 1736 der Feldzeugmeister Otto Ferdinand
Graf von Traun zum Interims-Gouverneur mit den Befugnissen
•) Stubenrauch, Belgien, 25, ff.
Digitized by
Google
136
und Prärogativen eines General-Capitains und zum commandierenden
General über alle in den genannten Herzogthüniem stehenden
Truppen ernannt *), jedoch so, dass vorläufig der Administrator des
Herzogthums Mantua, Feldzeugmeister Carl Graf Stampa, seine
Functionen weiterfülaren sollte. Die dem Grafen Traun ertheilte In-
struction^), ddo. Wien, den 5. September 1736, war in der Hauptsache
jener der Erzherzogin Maria Elisabeth, General-Gouvemeurin
der österreichischen Niederlande, ähnlich, unterschied sich jedoch
insofern in mehreren Puncten, als der Feldzeugmeister Graf Traun in
seiner Person zugleich auch die Würde des commandierenden Generals
vereinigte. Ausser vom Kaiser war Graf Traun in militärischen An-
gelegenheiten vom Hofkriegsrathe, in allen andern Angelegenheiten
aber vom italienischen Rathe abhängig'; desshalb erhielt er auch
das General-Capitains-Patent und die Instruction unter kaiserlicher
Signatur durch den italienischen Rath. In rein militärischen An-
gelegenheiten hatte er kraft seiner Vollmacht und Autorität zu ent-
scheiden, jedoch in wichtigen militärischen A'orfallenheiten und bei
Feindesgefahr sollte er sich mit den bei den dortigen Truppen an-
gestellten Generalen berathen und nach dem gemeinschaftlich
gefassten Beschlüsse handeln. Er sollte für die militärische Sicherheit
der ilmi anvertrauten Gebiete sorgen, auf die Vorgänge in den
Nachbarländern genau achten, sichere Kimdschaften einziehen und
hierüber berichten. Die etwa nöthigen Truppenverlegungen und
Vei-w^echslimgen sollten mit der möglichst geringsten Belästigung
der Bevölkerung und zu der geeignetsten Jahreszeit, keinesfalls
aber ohne zwingende Gründe vorgenonmien werden. Die Garnison
in Mantua, als einem ungesunden Orte, sollte jedes Jfiüir durch
andere, in Mailand, Parma imd Piacenza stehende Truppen ab-
gelöst, in den Sommermonaten aber die ganze Garnison aus Mantua
gezogen und nur ein kleines Wachdetachement zurückgelassen,
dieses aber alle vierzehn Tage oder wenigstens alle Monate
abgelöst werden. Er sollte strenge Mannszucht erhalten, das gute
Einvernehmen zwischen dem Militär und der Bevölkerung sicheni
und jede Eigenmächtigkeit verhindern, doch aber Sorge tragen,
dass auch die Soldaten dem Bürger gegenüber ihr Recht fänden.
Die Besetzung erledigter Officiers- und Beamtenstellen war dem
Literims-Gouvemeur nicht zugestanden, sondern nur ein beschränktes
Vorschlagsrecht.
') K. A. 1736. Bestall. Nr. 6684.
«) K. A. 1736. Kanzl. A. IX b, Nr. 18.
Digitized by
Google
137
Stände in dem Sinne, wie sie in den deutschen Erblanden
bestanden, gab es in den italienischen Herzogthümem nicht *) ;
doch hatte im Herzogthume Mailand die ,,Congregazione generale
dello stato", welche aus den drei Verordneten der sechs Städte
mit ihren kleinen Provinzen bestand, den Ständen ähnliche Befog-
nisse. Für die Verwaltung bestand in den einzelnen Provinzen
und Städten ein R a t h, welcher meistens in den Händen des Adels
war, ein Senat für die Justizpflege, ein Procurator des Fiscus,
eine Kammer u. s. w. In Parma und Piacenza blieb die vom Herzog
Eanuccio Farne sc IV. am 12. December 1594 erlassene Con-
stitution^ und Organisation der Magistrate auch unter der kaiser-
lichen Regierung in Bjraft und wurde überhaupt an den alten Ein-
richtungen nicht unnöthiger Weise gerüttelt.
Eigenthümlich war die Cameral-Einrichtung dieser italienischen
Herzogthümer. Ohne auf jedes einzelne derselben näher einzugehen,
mögen nur einige Daten über das Herzogthum Mailand hier Platz
finden. ^) In früherer Zeit gab es in Mailand nur zwei Steuern :
1. den censo del sale, Salzsteuer und 2. die tassa de* cavalli, Pferde-
steuer. Die erstere bestand darin, dass für jede über sieben Jahre
alte Person jährlich sechs Pfund Salz zu einem festgesetzten Preise
abgenommen werden mussten ; die zweite war eine Greldabgabe als
Ersatz für die ursprünglich in natura geleistete Unterkunft und
Fouragebeistellung für die herzoglichen Cavalleriepferde. Im Laufe
der Zeit waren ausser den Kammergefällen folgende Steuern ein-
geführt worden: 1. die Grundsteuer, 2. die Personalsteuer, welcher
alle männlichen Personen im Alter von vierzehn bis sechzig Jahren
unterlagen, 3. die tassa del mercimonio, eine Gewerbesteuer, welche
die Handwerker und Kaufleute zu entrichten hatten; von dieser
wurde jedoch nur die Hälfte als Beitrag zu den allgemeinen Staats-
bedürfnissen verwendet, die andere Hälfte aber den Gemeinden für
ihre Localbedürfnisse überlassen. Dazu kamen die Nebenabgaben
für die besonderen Bedürfnisse jeder Provinz oder Gemeinde, welche
nicht überall gleich waren. Die Höhe der Abgaben und die Ver-
theilung derselben auf die einzelnen Steuerträger bestimmte ein
königliches Tribunal. Befreiungen von den Abgaben gab es für
weltliche Personen zweierlei: 1. die esenzione dei 12 figli, die Be-
freiung wegen des zwölften Kindes, wenn nämlich bei der Gebiurt
») Luca, Geogr. Handb. V. 2. Abth. 598.
*) Constitutiones Placentiae et Parmae. Placentiae 1670. Kr. Arch. A. A.
AValsegg Nr. 89, 90, 91, 92, 93, 94.
8) Luca, Geogr. Handb. V. 2. Abth. 609 ff.
Digitized by
Google
138
des zwölften Kindes eines Ehepaares von den früheren Kindern
wenigstens zehn am Leben waren, sie bestand in der völligen Be-
freiung von der Personal- (tassa personale) und Q-ewerbesteuer
(tassa mercimoniale) ; 2. die esenzione per privilegio (Steuerfreiheit
auf Grund eines Privilegiums). Doch wurde im Jahre 1732 fest-
gesetzt, dass eine solche Abgabenfreiheit sich nur auf jene Steuern
beziehen dürfe, welche bis zum 1. Juli 1599 eingeführt waren; alle
später eingeführten Abgaben mussten auch die per privilegio Exempten
entrichten. Die Geistlichkeit zahlte nur die ordentlichen Steuern,
nämlich den censo del sale und die tassa de' cavalli, aber die
Pächter der geistlichen Güter entrichteten die Hälfte der gewöhn-
lichen Steuern und dies hiess die tassa colonica.
Der complicierte Verwaltungsapparat der einzelnen Länder-
gruppen Oesterreichs, wie er zur Zeit des Todes Carl VI. bestand
und keineswegs verlässlich und exact functionierte, gab Oesterreich
damals noch den Charakter eines mittelalterlichen Staates, eines
lockeren, nur durch die Dynastie zusammengehaltenen Bundes
verschiedener Länder, von welchen jedes seine noch aus dem Mittel-
alter stammende ständische Verfassung und Verwaltung hatte. Die
vier Hof kanzleien, der niederländische und italienische Rath, welche
die Verwaltung und die Justiz ihrer Länder leiteten, betrachteten
sich nicht als Theile eines einheitlichen Organismus, welche von
einem Geiste geleitet auf dasselbe Ziel hinarbeiten sollten, sondern
als Vertreter verschiedener, ja, entgegengesetzter Literessen. *)
Bartenstein verurtheilt in seiner mehrerwähnten Denkschrift über
die Verfassung von Böhmen, Mähren und Schlesien die Sonder-
bestrebungen der Landesstellen mit folgenden Worten : „Die Landes-
stellen lassen sich nur von den Rücksichten auf das eigene Land
leiten, ohne sich um das Wohl des Staates viel zu kümmern. Alle
möglichen erkünstelten Scheingründe werden vorgebracht, welche
selbst den erleuchtetsten Minister und den weisesten Monarchen
auf Lrwege leiten können. Dazu kommt die Eifersucht, ja sogar
Abneigung und Hass der Bewohner einzelner Provinzen gegen die
andern. Jede Nation bewirbt sich um die Unterstützung Derer,
welche bei Hof einen Fürsprecher abgeben können". *) Auch die
Sympathien Carl VI. für die Spanier und seinen spanischen Beirath
*) Hub er, Gesch. der österr. Verwaltung. 19 £
«) H. H. u. St. A. Handschr. Nr. 63.
Digitized by
Google
139
waren nicht von Vortheil für die Gesammtmonarchie, denn gegen
die „Spanier'', die es trefflich verstanden, sich die Stellung bevor-
zugter Günstlinge zu erwerben und denen die Interessen der Erb-
lande ganz gleichgiltig waren, hatten die deutschen ßäthe gar
häufig anzukämpfen. ^)
Eine anschauliche, lebenswahre Schilderung der Misere der
damaligen Staatsverwaltung bietet Arneth in zwei Denkschriften der
Kaiserin Maria Theresia*), in welchen die Mängel und Schäden der
damaligen Staatsverwaltung mit Offenheit dargelegt werden. Vor Allem
habe sich, schreibt die Kaiserin, die seit jeher bestandene Gewohnheit
als schädlich erwiesen, die österreichischen und die böhmischen
Länder durch abgesonderte Kanzleien, deren Vorsteher immer aus
den vornehmsten Familien dieser Provinzen gewählt wurden, regieren
zu lassen. Darum habe jeder von ihnen stets nur an die Erleich-
terung der ihm anvertrauten Länder gedacht, einer dem andern
die Lasten zuzuschieben getrachtet und in nichts seien sie einig
gewesen, als in dem Widerspruche, den sie jederzeit erhoben, wenn
ihnen, sei es zu Gunsten der Finanzen, des Militärs oder sonst im
Interesse des Staates irgend eine Leistung zugemuthet wurde. Die
Hofkanzler hatten weit mehr das Interesse der Stände ihres Landes,
als jene des Landesfürsten im Auge. Sie befolgten die landesfürstlichen
Befehle nur dann und brachten sie zur Ausfuhrung, wenn dieselben
ihrer vorgefassten Meinung entsprachen und verhinderten Alles, was
ihnen unangenehm .war. Sie benützten ihren Einfluss beim Landes-
fürsten auch dazu, um jenes Land, welchem sie vorgesetzt waren
und dem sie als reichbegütertes und einflussreiches Ständemitglied
€tngehörten , derart zu begünstigen , dass die ajidem Erblande
dadurch bedrückt und so behemdelt wurden, als wären es fremde
und nicht einem und demselben Herrscher gehörige Länder. Der
stets herrschende Neid, die Missgunst und die gegenseitigen Ver-
leumdungen hätten zu den schädlichsten Entzweiungen und zu
unheilbarem Nachtheil geführt, so dass die heilsamsten Massregeln
nicht ausgeführt und die ertheilten Eathschläge des einen von
unzähligen eigensinnigen Vorurtheilen des andern begleitet wurden
und dadurch der Landesfürst mehrmals in die äusserste Be-
drängniss gerieth. „Und gleichwie man viele meiner Vorfahren,"
klagt die Kaiserin, „eines allzu langsamen Verfahrens in den Landes-
und Staatsgeschäften beschuldigte, so lag die wahre Ursache hiervon
') Krön es, Geschichte Oesterreichs. IV, 109 ff.
') Arneth, Zwei Denkschriften der Kaiserin Maria Theresia. (Archiv
für österr. Gesch., 47. 862 ff.) — Arneth, Maria Theresia, IV, 4—28.
Digitized by VjOOQIC
140
nur in dem unter den Ministem »tets bestandenen Zwiespalt und
der hartnäckigen Verblieidigung der eigenen Meinung, wodurch
natürlich ein Monarch umso unschlüssiger werden muss, als er
seine persönliche Ansicht auch für eine irrige halten kann." Die
Kaiserin klagt besonders über die Amtsführung der österreichischen
Hofkanzlei, welche ganz unter dem Einflüsse der St&nde stand und
mehrmals Anlass zu gerechtem Tadel gegeben habe. Anders und
in dieser Beziehung besser sei die Geschäftsführung bei der böhmischen
Hofkanzlei bestellt gewesen, denn diese Behörde habe es nicht
leicht gestattet, dass ihrer Autorität von Seite der Stände zu nahe
getreten werde. Dagegen habe sie unter dem Verwände, eine zu
weitgehende Einmischung der Hofkammer in die innem Angelegen-
heiten der böhmischen Länder zu hintertreiben, dem Landesfürsten
selbst jeden näheren Einblick in dieselben ganz unmöglich gemacht.
Lisbesondere war die ins Unglaubliche gestiegene Machtvoll-
kommenheit, die mit der Stelle eines Obristen Kanzlers verbanden
war, ein zwingender und gerechtfertigter Anlass ziu: Aufhebung
dieses Postens. So weit sei es gekommen, dass der Landesfürst,
wenn er etwa aus eigenem Antrieb oder auf den Rath seiner übrigen
Minister etwas zu erreichen wünschte, gegen den Willen des
Obristen Kanzlers damit schwerlich diurchzudringen vermochte. Ja,
die ganze Hofkanzlei selbst sei zur Befolgung der Anordnungen
des Obristen Kanzlers jederzeit ungleich bereitwilliger, als zur
Vollziehung der Befehle des Landesfürsten gewesen. Diese immer
weiter gehende Ausdehnung der Macht des Obristen Kanzlers habe
sich zuletzt mit der nothwendigen Aufrechthaltung des Ansehens der
königlichen Autorität imvereinbar gezeigt und dies umsomehr, weil ge-
wisse Familien es durch ihren Einfluss dahin gebracht hatten, dass diese
Stelle in ihnen nahezu erblich geworden war und dadurch diese „präpo-
tenten Principien vom Vater auf den Sohn fortgepflanzt wurden", was
endlich die gänzliche Aufhebung der Stelle eines Obristen Kanzlers
nothwendig machte. ') Die Kaiserin bezeichnet den Obristen Kanzler
*) Ein Beispiel merkwürdiger Vereinigung der höchsten Aemter und
Würden in einer Familie bietet auch das grälliclie Haus Harrach. Zur Zeit
Carl VI. standen gleichzeitig drei Brüder in den höchsten Würden, nämUch
Franz Anton als Erzbischof von Salzburg, Alois Thomas Baimund
als Vicekönig in Neapel und Johann Joseph Philipp als Hofkriegs-
raths-Präsident ; die Söhne des gewesenen neapolitanischen Vicekönigs Alois
Thomas Raimund Grafen von Harr ach wurden, „um keine von den höchsten
Gubemüs aus dero hochgräflichen FamiHe unbesetzt zu lassen" und zwar
der ältere, Friedrich, Gouverneur der Niederlande, der jüngere, Ferdinand,
Gouverneur von Mailand. (Cod. austr. IV. Vorrede.)
Digitized by
Google
141
von Böhmen, Philipp Joseph Grafen Kinsky geradezu als den Schuld-
tragenden an dem unglücklichen Verlaufe des Kriegs mit Preussen,
weil derselbe, lua die böhmischen Länder zu schonen, die Verlegung
einer grösseren Truppenmacht in dieses Land verhindert habe.
Kein Wunder also, dass Maria Theresia bald nach ihrem Re-
gierungsantritte zu einer Zeit, als sie ihr väterliches Erbe noch mit
den Waffen vertheidigen musste, mit allem Eifer daran gieng, durch
eine gründliche Reform aller Behörden an die Stelle der verrotteten,
die ganze Kraft des Staates lälnnenden Länderverwaltungen
eine nach gleichartigen Principien eingerichtete Staatsverwaltung
zu setzen.
(J. iMfiger.)
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Ungarn bei dem Tode Carl III.
(Kaiser Carl VI.).
Digitized by
Google
'v^.
Digitized by
Google
Die ersten Jahrzelmte des XVlii. Jahrhunderts bilden einen
der wichtigsten Wendepuncte in der Geschichte Ungarns^). Bis dahin
eine Geschichte voller Unruhen und Kämpfe, beginnt damals eine
Periode des Friedens und einer verhältnissmässig ruhigen Ent-
wckelung.
Zwei grosse Ereignisse waren es, welche die Geschichte des
Reiches in neue Bahnen leiteten : die Vertreibung der Türken und
die Beendigung der inneren Kriege. So wie die politischen und
gesellschaftlichen Kräfte nach den stürmischen Jahren sich krystal-
lisierten und festsetzten; in der Gestalt verblieben sie mehr als
ein Jahrhundert lang, bis zu dem Zeitpuncte neuer Erschütterungen
und Entwicklungen.
Ungarns herrschende Classe, der Adel, hatte im XVII. Jahr-
hundert ihre Kraft zur Vertheidigung ihrer alten Gerechtsame und
des Protestantismus aufgeboten und erschöpft. Diese Anstrengung
verhinderte sie daran, ihrer alten Aufgabe, der Vorkämpfer Eui-opas
gegen Osten zu sein, gerecht zu werden. Es ist eine That^ache von
wahrhaft erschütternder historischer Tragik, dass zur Befreiung des
ujigarischen Gebietes fremde Macht das Beste that und dass ein
bedeutender Theil des Volkes der Hunyadi und Zrinyi seine Hoff-
nungen an den Sieg des Halbmondes, nicht an den dos Kreuzes
knüpfte.
So gross auch die politische und sociale Wirkung der
Befreiung des Landes und der Herstellung seiner territorialen
*) Um ein möglichst deutliches Bild der Verhältnisse und Anschauungen
der Zeit zu bieten, schien es von besonderem Werbh, die Verfassungsfrage und
die Lage in Ungarn von einem ungarischen Gelehrten und vom ungarischen
Standpuncte aus zur Darstellung gebracht zu sehen. Die Direction des Kriegs-
Archivs, als Herausgeber, ist jedoch nicht in der Lage, sich mit den hier
dargelegten Anschauungen vollständig und allseitig identificieren zu können.
Oeiterreiohisoher Erb folgekrieg. I. Bd. 10
Digitized by
Google
14:6
Integrität war, das Factum selbst Hess das Herz der Nation kalt.
Gleichzeitige Sclu'iftsteller gedenken des Friedens von Karlovitz,
der die Träume der Bethlen, Pdzm&n, Zrinyi verwirklichte, mit
Indifferenz oder gar in dem Tone des Bedauerns. Sie betrachten
ihn als wichtiger für die Türken, als für Ungarn. Isak Babocsay,
der Notar von Tarczal, nimmt wahr, dass der Friedensschluss ein
Gravamen für das „arme Vaterland'' sei. ^) Sogar der gut königlich
gesinnte Michael Cserei legt das Gewicht darauf, dass die Pforte
jetzt zuerst ganze Provinzen und Städte, wo Moscheen stehen,
aufgebe und trauert über das Loos Siebenbürgens, dem keine
schädlichere Veränderung bevorstehen könne, als die Vereinigung
mit Ungarn. ^ Dafür, dass das Tiefland wieder unter christliche
Herrschaft gerathen, haben sie kaum Sinn. So sehr entscheidet nicht
das Ereigniss selbst über das Urtheil der Zeitgenossen, sondern der
Umstand, unter welchen Auspicien es vor sich gegangen.
Der über die Türken erfochtene Sieg bot dem politischen
und kirchlichen System, das sich seit der Zeit des dreissig-
j ährigen Krieges am Kaiserhofe ausgebildet, Ursache und Ge-
legenheit, Ungarn, das es als seine Eroberung betrachten konnte,
gänzlich in seine Kreise zu ziehen und seine Selbstständigkeit* zu
brechen. Dieser Versuch zog die mächtigste aller nationalen Er-
hebungen, die Franz Rikoczy H. nach sich. Wieder war das Land
durch acht Jahre den Gräueln und Verwüstungen des innem Krieges
ausgesetzt, bis die innere Lähmung des Aufstandes zu gleicher
Zeit mit den im spanischen Erbfolgekrieg errungenen Erfolgen des
Hauses Habsburg die Ruhe wieder herstellten. So kam im Jahre
1711 die Vereinbarung zwischen König imd Land zu Stande, welche
sich dauernder erwies, als die lange ßeihe der früheren Friedens-
schlüsse. Die Schlüsse von Karlovitz, Poszarovätz undBelgrad sicherten
die Ruhe und den Besitzstand des Reiches ; auf den Puncten von
Szatmar beruhte seine innere Einrichtung und seine Constitution.
Es drängt sich die Frage auf: wesshalb diese Vereinbarung so
lange Zeit hindurch neue Kämpfe verhütete, während die Pacifi-
cationen von Wien, Nikolsburg und Linz, die doch das Werk der
Bocskay, Bethlen imdRikoczy, ja zum Theil der Sultajns selbst
waren, nur füi* kurze Epochen Geltung hatten?
Bis dahin hatten sich in die Differenzen zwischen König und
Nation stets auch Fremde eingemengt. Als letztes, wenn auch nicht
*) Fata Tarczalensia.
«) Vera Historia Transsylvaniae de anno 1661.
Digitized by
Google
147
immer offenbares Ziel schwebte den Ungarn die Idee der voll-
ständigen Losreissung vor und als natürliche Gegenwirkung dem
Kaiser und den Erblanden die Idee der vollständigen Verschmelzung.
Zwischen diesen Gegensätzen war die Vermittlung unmöglich • imd
die Einwirkung der Fremden konnte nach historischen und politi-
schen Erfahrungen und Principien diese nur verschärfen. So diente
jeder Erfolg nur als Stufe ziun vollstän engen Sieg der eigenen
Anschauung, oder wiu-de wenigstens von dem argwöhnischen Gegner
als solche beti'achtet. Das Hauptmoment des Vertrages von Szatmär
dagegen besteht daria, dass die Ungarn, die sein Zustandekommen
vermittelten, zugleich das Vertrauen des Königs besassen.
Die Idee eiues unter den Habsburg'schen Erbkönigen geeinigten,
aber seine staatlichen Einrichtungen und die Rechte des Protestan-
tismus wahrenden Ungarns hatte also 1711- das Ueberge wicht erlangt.
Die Durchführung dieser Idee hieng vor Allem von der Persönlichkeit
des Herrschers, von den Bestrebungen seiner vertrauten österreichi-
schen Räthe, dann von der Wirksamkeit jener Männer imd Stände
ab, die damals in Ungarn das Heft in Händen hielten. Diesen drei
Factoren fiel die geschichtliche Aufgabe zu, einträchtig, oder den
Gegensatz der Traditionen vermittelnd, die Grundlagen für das neue
Ungarn zu befestigen.
Von Spanien zurückgekehrt, bestätigte Carl VI. (als König
von Ungarn Carl HI.) den Frieden von Szatmdr, berief den Reichstag
nach Pressburg imd liess sich daselbst 1712 krönen. Der Monarch
selbst erschien während der ganzen Dauer seines Aufenthaltes im
Lande im ungarischen Prachtkleid und gewann dinrch Milde und
Herablassung alle Herzen. ^) Staatsrechtlich wichtig ist der von ihm
bei Gelegenheit der Krönung geleistete Eid, der allen seit dieser
Zeit geleisteten Kröiuingseiden als Muster diente.
Die Puncte des Liaugural-Diploms lauteten wie folgt:
1. Der König gelobt die Wahrung und Aufrechterhaltung aller
Freiheiten, Immunitäten, Privilegien, Statuten, Gesetze, Rechte imd
Constitutionen des Königreiches Ungarn und seiner Theile, die von
den frühern ungarischen Königen, seinen Vorgängern, gegeben und
bestätigt worden sind. Ausgenommen ist der eine Punct der gol-
denen BuUe Andreas H., welcher den Ständen das Recht des
bewaffiieten Widerstandes gegen den die Gesetze verletzenden
König zuspricht. Der König wird diese Gesetze in allen Puncten,
*) Bericht des preussischen Gesandten aus Wien. Kön. Archiv in Berlin.
Digitized by
Google
148
Klauseln und Artikeln, sowie er über ihren Sinn und Inhalt mit
den Ständen in deren gewöhnlicher Diät übereinkommt, fest und
heilig beobachten und auch von jedem Andern beobachten lassen.
Die vollziehende Gewalt ist also beim König, der aber bei der Er-
klärung der Gesetze an die Zustimmung der Ständeversammlung
gebunden ist.
n. Der König wi^ die heilige Krone des Reiches nach alt^r
Sitte und Gesetz, durch dazu einstimmig gewählte Stände im Reiche
selbst bewahren lassen.
in. Er wird die bis jetzt zurückeroberten und annoch zu
erobernden Theile des Reiches im Sinne seines Königseides dem
Königreich einverleiben. Doch wird hierauf die Modalität angewendet,
dass er über die Erklärung des Gesetzes sich das Uebereinkommen
mit den Ständen vorbehält.
IV. Im Falle des Aiissterbens des königlichen Mannesstammes,
(was Gott verhüten möge), sichert er den Ständen das Recht der
Königswahl nach altem Herkommen.
V. So oft eine Krönung in Ungarn vorkommen sollte, so oft
müssen seine Erben, die zu krönenden Erbkönige, diese Versicherung
annehmen und beeiden.
„Wir haben diese Bitte der gesammten Stände des König-
reiches Ungarn und seiner Theile gütigst angenommen und mit
voller Seele, mit dem Willen, ihnen Unsere Gnade zu beweisen,
nehmen Wir alle diese Artikel als geordnet und heb an, ertheilen
ihnen Unsere Zustimmung und bestätigen und ratificieren sie in
ihrem ganzen Inhalt."
„Wir versprechen und versichern die Stände mit Unserem
königlichen Wort, dass Wir Alles, was vorangeht, selbst beobachten
und durch Unsere getreuen Unterthanen jeden Standes und Ranges
beobachten lassen werden". *)
Diese feierlich bekräftigten Artikel bilden in dem Kampfe der
constitutionellen Gewalten gewissermassen den Ruhepunct. Sie ver-
pflichteten das Land zum Gehorsam gegen den seit 1687 schon
erblichen König, sie sicherben auch das Fortbestehen der Ver-
fassung und der an dieses geknüpften ständischen Freiheiten, um
deren Behauptung bis dahin so viel Blut geflossen. Sie entldelten
zugleich, was der III. Artikel des Gesetzes 1715 ausspricht: „dass
Seine Majestät das Reich nach seinen eigenen gegenwärtigen und
1) Gesetz- Artikel I. n. 1715.
Digitized by
Google
149
zukünftigen Gesetzen regieren wird, nicht nach der Weise anderer
Provinzen'*.
Unter einem König, wie Carl es war, gleich entschlossen,
die Rechte seiner Krone zu wahren, wie seinem Eide zu entsprechen,
musste die Verwaltung in ihren Hauptzügen der Verfassung
gemäss sein.
Diese Artikel, so kurz sie erscheinen, waren das Resultat von
Jahrhunderte langen Kämpfen zwischen Königsgewalt und ständischem
Recht. Andreas 11. hatte zuerst 1222 dem ungarischen Adel
Rechte und Privilegien ertheilt, oder wie seine berühmte „goldene Bulle"
es ausspricht: die von Stephan dem Heiligen eltheilten erneuert
und ihm sogar das Recht des bewaffiieten Widerstandes eingeräumt.
Spätere Könige hatten diese Rechte bestätigt und erweitert. Eine
über das ständische, partitnilare hinausgehende Bedeutung erhielten
diese Privilegien, als mächtige, fremde, in andern Reichen gebietende
Herrscher durch Erbschaft und Wahl die ungarische Reichskrone
erlangten. Sie dienten nun nicht blos dazu, die Königsgewalt zu
beschränken, wie es ja auch in andern Staaten der Fall war, sie
sicherten auch dem Reiche die nationale Selbstständigkeit gegen
die Gefahr, durch die Umgebung des Königs unter fremden Einfluss,
fremdes Gesetz zu gerathen. St. S t e p h a n's Krone, an deren Besitz
von jeher die Herrscliermacht geknüpft war, wurde nun das Symbol
dieser Selbstständiglceit, was die Verehrung, welche die ganze
Nation dieser Reliquie dnrbrachte, vollständig erklärt. Auch in der
traiu'igsten Zeit, als ein gutes Drittheil Ungarns im Joche der Türken
schmachtete und die andern Bruchstücke unter den Habsburg'schen
Königen und unter den Fürsten von Siebenbürgen sich kaum ihrer
erwehren konnte, blieb die Krone das Sirmbild der gehofffcen Ver-
einigung. An eine Staatenbildung, die nicht unter ihrem Schirme
sich aufbauen sollte, dachte auch damals Niemand. Jedermann, der
in diesem Reiche Rechte besass, galt als Mitglied der Krone
(membrum sacrae coronae).
Diese Bedeutung der Krone und der Verfassung gibt den
Aufständen des XVI[. Jahrhunderts eine über das ständische weit
hinausreichende nationale Bedeutung. Selbst formell schienen sie
dem ,, Volke Verböczy's'' berechtigt. Und an Berufung auf anerkannte
und beschworene Gesetze konnte es nicht fehlen, wo die Regierung
des Lfuides, mit Umgehung der ständischen Gewalten, besonders
des Palatins, grossentheils in der Hand der fremden Räthe des
Königs sich befand; wo der im Lande lagernde Soldat, für den
Digitized by
Google
150
nicht genügend gesorgt war, nicht nur die Privilegien des Adels
antastete, sondern auch das Landvolk unterdrückte. Dieser letztere
Umstand erklärt nicht blos die fortwährenden Gravamina der
Reichstage, sondern auch, dass der grösste Theil der Bevölkerung
— auch die nichtmagyarische — für die Aufständischen Partei
nahm.
Ein anderes höchst bedeutendes Moment bot die Verbreitung
der Reformation, welche im Laufe des XVI. Jahrhunderts den
grössten Theil des Herren- und Ritterstandes, der Städte, dann auch
des Landvolkes für sich gewann. Dadurch empfieng die schon vor-
handene Opposition wider die königliche Gewalt und deren Organe
neues Leben, vollem Lihalt. Dem Einschreiten desKaisersRudolph 11.
gegen die Ausbreitung des Protestantismus setzte sich ein Wider-
stand entgegen, dessen die Regierung nicht Herr werden konnte.
Und da der bekannte XXH. Artikel vom Jahre 1004 nicht nur
den Abfall vom Katholicismus verurtheilte, sondern auch das Recht
der Reichstage in seinem Wesen angriff, ergab sich eine tiefinnere
Verbindung zwischen ständischer Opposition und Protestantismus,
eine Verbindung, welche das ganze XVH. Jahrhundert hindurch
für die Geschichte Ungarns massgebend blieb.
Der durch Stephan B o c s k a y geführten ständisch-protestan-
tischen Partei, die beinahe das ganze Land mit sich fortriss und
sich ausserdem auf die Union mit den gleichgesinnten Ständen
Oesterreichs und Böhmens, auf die Sympathie der protestantischen
Stände Deutschlands und auf das Wohlwollen der Pforte stützen
konnte, lag es ob, die gesetzlichen Formen für den gegenwärtigen
Zustand zu finden. Dies geschah im Wiener Frieden von 1606 und
auf dem Pressburger Reichstage 160B. Die Freilieit der Religions-
übung wurde unter den Schutz der Verträge gestellt, die innere
Einrichtung des Reiches frei von jeder äusseren Einwirkung erklärt,
der frei gewählte Palatin an die Spitze der Regierung gestellt,
zugleich das Recht der Stände, auf die Verhandlungen mit den
Türken Einfluss zu üben, gesetzlich gesichert.
Kein Zweifel, dass all' Dieses die königliche ^Macht in einem
Masse einengte, das den Interessen des Reiches doch nicht entsprach.
Die Dreitheilung des Landes, die Uebermacht der Türken musste
fortbestehen. Lidem die Stände die ihnen gefährlich scheinende
königliche Gewalt lähmten, entsagten sie der Hoffnung auf Einigung
und Befreiung des Reiches.
Da traten nun zwei Ereignisse ein, welche das Verhältniss
der öffentlichen Gewalten von Grund aus umgestalteten.
Digitized by
Google
151
Das eine war das Emporkommen der kaiserlichen Macht
Ferdinand 11. in der ersten Hätfte des dreissigj ährigen Krieges.
So viele Krisen und Katastrophen auch eintraten, das Hauptergebniss :
der vollständige Sieg der Dynastie und der katholischen Religion
in den österreichischen Erblanden und in Böhmen konnte nicht
mehr rückgängig gemacht werden.
Das andere war, dass im engen Anschluss an die europäische
Gegenreformation und an das Kaiserhaus, aber zugleich auf natio-
naler Basis, der Katholicismus auch in Ungarn die ihm entfrem-
deten Gemüther und Gebiete wieder eroberte. Es war dies vor Allem
ein Werk der mächtigen Persönlichkeit des Cardinais Peter Pdzmdn,
dann der sich an ihn anschliessenden, der alten Kuxhe wieder-
gewonnenen hochadeligen Geschlechter. Schon 1625 wurde ein
Katholik, Nikolaus EsterhÄzy zum Palatin gewählt. Trotzdem
die Protestanten im Verein mit den Fürsten von Siebenbürgen
wiederholt zu den Wafifen griffen, liess sich dieser Umschwung
nicht mehr verhindern. Ungarn blieb zwar von dem Schicksal
Böhmens verschont, es kam aber auch hier eine katholische aristo-
kratische Partei zur Geltung, die in religiöser, aber dann auch in
politischer Beziehung den Tendenzen des Kaiserhauses zuneigte.
Wo es aber die Verfassung Ungarns, seine Unabhängigkeit galt,
standen die katholischen Magnaten zu dem protestantischen Adel.
So geschah es nach dem Frieden von Vasvar, als gerade die Häupter
des katholischen Adels, voran der Palatin Franz Wessel^nyi,
dann der Oberst-Landesrichter Franz NAdasdy, der Banus Peter
Z r i n y i, Fürst Franz K 4 k 6 c z y und Graf Frangepani eine
Verschwörung einleiteten. Letzter Zweck war > völliger Abfall. Die
Hilfe der Pforte und Frankreichs schien gesichert. Man kennt das
Schicksal der Verschworenen: Zrinyi, Nädasdy und F rän-
ge p an endeten auf dem Schatfot (1071). Bei einem so aristo-
kratisch gesinnten Volke mussten diese Hinrichtungen tiefes Mit-
gefühl erregen. „Nichts hat je die Ungarn dem römischen Kaiser
mid der ganzen österreichischen Direction so entfremdet als dieses,
so dass diese ihre Bewegung nicht aufgehört hat und bis zum
heutigen Tage anhält", schrieb Michael Cserei 1710.^)
Denn die Verfassung und das ganze Land musste mit den
Männern büssen, welche die Treue gegen den König verletzt hatten.
Ungarn wurde militärisch verwaltet. Finanziell und administrativ
wurde das in den Erblanden schon geltende System angewendet.
') L. c. S. 50.
Digitized by
Google
152
Die katholische Kestauration benutzte die wiedergewomiene Macht
zu strengerem, selbst gewaltthätigem Vorgehen. Dem allem setzte
sich nmi eine populäre Bewegung entgegen, die unter Thököly
einen fähigen und thatkräftigen Führer gewann, der auch die alten
Verbindungen mit der Pforte und Frankreich wieder anzuknüpfen
wusste. Kaiser Leopold I. dagegen stellte die Verfassung wieder
her, der Eeichstag wurde 1G81 nach Oedenburg einberufen und
wieder ein Palatin gewählt. Doch der Sieg der Gegenreformation
konnte auch auf gesetzlichem Grebiet nicht ohne Folgen bleiben.
Die Artikel XXV und XX\1 des Oedenburger Reichstages bilden
die erste wesentliche Einschränkung des seit dem Wiener Frieden
aufrechterhaltenen Principes der protestantischen Religionsfreiheit.
Es , ist das unvergängliche Verdienst des Hauses Habsburg,
nie, auch unter den schwierigsten Verhältnissen nicht, den Kampf
gegen die Türken aufgegeben zu haben. Ihre Niederlage, die Be-
freiung des Landes zog auch das Ende des Thököly'schen Auf-
standes nach sich.
Dies ist der Zeitpunct, in welchem man an eine vollständige
Auflösung des ungarischen Staates denken konnte. Es erhoben
sich Stimmen dafür, dass Ungarn als Churfürstenthum dem deutsclien
Reiche einverleibt werden solle. ^) Da aber Ungarn nie zum Reiche
gehört hatte, konnte man hiefür nicht.s geltend machen, als das
Recht der Eroberung. An dieser Eroberung aber hatte nicht daß
Reich, sondern die Hausmacht der Habsburger den grössten Antheil.
Viel näher lag es, Ungarn, wie man es mit Böhmen gethan, in die
Administration der- Erblande einzufügen, für deren gesammten
Complex damals die Bezeichnung „Monarchie'' aufzukommen begann.
Dies ist der Gesichtspunct, aus dem mehrere Flugschriften dieser
Zeit, wie : „Der in böhmische Hosen gekleidete ungarische Liber-
tiner" die ungarische Frage behandelten. ^
Jedoch, die Möglichkeit vorausgesetzt, entsprach ein solcher
Plan keineswegs dem Interesse der Dynastie selbst. Kaiser Leopold
hatte die ungarische Verfassung beschworen und noch 1684 den
zu ihm übertretenden Gefährten Thököly's vollständige Amnestie
zugesichert. Doch auch hievon abgesehen, konnte man in einer
Zeit, wo die orientalische Frage aufgerollt wurde, die Autorität der
Stephanskrone, an deren Herrschaft auf* der Balkan-Halbinsel so
*) Bidermann, Geschichte der österr. Gesammtstaats-Idee, I.
«j Von Joh. Flämitzer. 1687.
Digitized by
Google
153
mächtige Traditionen sich knüpften, kaum missen. Leopold I.
berief 1687 den Reichstag nach Pressburg. Ungarn sollte seine
Verfassung behalten, jedoch ein Erb-Königthum der Dynastie
werden.
So war es die Dynastie, welche Ungarn vor dem Schicksal
Polens bewahrte. Doch der errungene Sieg konnte nicht ohne
tiefgehende Folgen bleiben. Als solche stellen sich die Befestigung
der königlichen Gewalt, dann das neue Uebergewicht des Katholi-
cismus dar. Das Verhältniss der politischen Kräfte hatte sich seit
dem Wiener Frieden von Grund auf verändert.
Alle diese Wandlungen muss der Historiker, wenn er der
staatsrechtlichen Stellung Ungarns gerecht werden will, vor Augen
halten. Auch der Politiker vom Anfange des XVm. Jahrhunderts
musste mit ihnen rechnen. Denn von den beiden Tendenzen, die
miteinander im XVII. Jahrhundert um die Herrschaft gerungen,
der Tendenz der ständischen, nationalen und religiösen Unab-
hängigkeit und dem Bestreben, das österreichische System auch
auf Ungarn auszudehnen, hatte doch keine die andere vernichten
können. Sie bestanden nebeneinander und mussten sich auseinander-
setzen. Der ganze Zustand beruhte eben darauf, dass jede doch
der andern Schranken setzte.
Dadurch aber, dass die Dynastie die Verfassung anerkannte
und die Handhabung der Gesetze den Ungarn selbst überliess, war
nach Ende des von Franz Räkoczy H. geleiteten Aufstandes
Eines erreicht, was die Möglichkeit einer friedlichen Entwicklung
vor Allem bedingte. Es mochte wohl in manchen Kreisen Un-
zufriedenheit herrschen, auch die sehr zahlreiche Emigration liess
es an Kührigkeit nicht fehlen, im Ganzen hatte aber die Idee, das
Heil für Ungarn in einer andern Verbindung, als in der mit der
Dynastie zu suchen, vollkommen aufgehört. Um so wichtiger ist es,
dass dies gerade damals geschah, als ja der Habsburg' sehe Mannes-
stamm seinem Erlöschen entgegengieng und die Frage, das Wahl-
königthum herzustellen, vor der Annahme der weiblichen Erbfolge
wohl erörtert werden konnte. „Sollen wir uns etwa Russland oder
einen andern Potentaten wählen?" frug der Palatin Nicolaus
P&lffy den Protonotar Franz von Szluha, ehemals eifriger
Anhänger R A k 6 c z y's. ^)
*) Brief vom 7. März 1722. Mitgetheilt von Ladislaus von Szalay. Buda-
pest! Szemle. XIX.
Digitized by
Google
154
Demgemäss war in der europäischen Stellung Ungarns ein
vollkommener Frontwechsel eingetreten. Früher konnte die euro-
päische Opposition gegen das Haus Habsburg, mochte es nun die
Pforte, Frankreich oder der Protestantismus sein, stets mit Ge-
mssheit darauf rechnen, einen bedeutenden Theil Ungarns in ihrem
Lager zu sehen. Jetzt hörte dieser Zwiespalt auf.
Im Türkenkriege von 1716 — 1717 zeichnete sich Johann P Alf fy
imter Prinz Eugen erneuert aus. Den Angriff der Tataren in
Siebenbürgen und Marmaros schlug die Bevölkerung selbst zurück.
Ungarische Husaren und Heiducken kämpften an der Seite der
kaiserlichen Streitkräfte in Sicilien, Corsica und am Po,
Der Änschluss an die Dynastie war ohne Hintergedanken und
wurde, so lange die Verfassung und Herrschaft der Stände nicht an-
getastet ward, ganz als selbstverständlich und unabänderlich betrachtet.
Ein gleiches, unbedingtes Aufgeben des während der Wirren
eingenommenen Standpunctes lässt sich von den Kreisen der erb-
ländischen Regierung doch nicht behaupten. In einem Protocoll,
das Prinz Eugen, Starhemberg und Sinzendorf am
27. Januar 1726 dem Kaiser vorlegten und das Carl mit seinem
Placet versehen, wird als oberster Grundsatz ausgesprochen: „will
es ohnumgänglich sein, dsiss man, so viel möglich ist, ein Totum
aus Eurer kais. und kath. Majestät weitläufiger und herrlicher Mon-
archie mache.'' ^) Als die Erbfolge- Ordnung vor den Reichstag kam,
1722, war die Regierung entschlossen, im Falle die Stände sie nicht
annehmen wollten, ,,von der in ihren Händen habenden Macht
Gebrauch zu machen". ^) Die Centralisation, das Bestreben, Ungarn
ganz in Oesterreich aufgehen zu lassen, gieng zwar einen leiseren
Schritt, als unter Leopold, entsagt aber hatten ihr die Räthe,
die das Ohr des Monarchen besassen und die Politik des Reiches
leiteten, mit nichten. Und wer wollte es in Abrede stellen, dass
ausser dem natüi'lichen Hange, der jeder Institution eigen ist, ihren
Wirkungskreis auszudehnen, auch hohe st-aatliche und culturelle
Interessen diese Centralisation zu fordern schienen? Wie dem
fürstlichen Absolutismus, so stand aber auch der modernen Form des
Staates, wie sie damals in Frankreich, dann in Preussen emporkam,
das beschworene Gesetz im Wege.
Eine kurze Darstellung der damaligen Verfassung und Ver-
Avaltung Ungarns wird nicht nm* seinen damaligen Zustand erklären,
*) Bidermann, 1. c. II, 77.
*) Bericht des preussischen Gesandten in Wien. Köu. Archiv in Berlin.
Digitized by
Google
155,
sondern auch zeigen, an welchen Puncten die noch vorhandenen
Gegensätze aneinander stossen mussten und was das Resultat ihres
Bingens war.
Die königliche Gewalt.
Im XVn. Jahrhundert hatten die ständischen und protestan-
tischen Literessen das Uebergewicht gehabt. Die Folge der sieg-
reichen Türkenkriege war, dass die staatliche Organisation des
XViU. Jahrhunderts unter dem Zeichen der aufsteigenden Königs-
macht vor sich gieng.
Die königliche Würde war nach 1687, G. A. I, erblich im
Mannesstamme der Habsburger, nach 1723, G. A. I, 11, auch in
weiblicher Linie. Wie die betreffenden Artikel es aussprachen, geschah
die Annahme des Erbrechtes aus Dank für die grossen Wohlthaten,
durch welche die Habsburger die Nation auf ewig ihrem Hause
verbmiden hatten; Leopold durch die Vertreibung der Türken,
Carl durch die Ausbreitung des Keiches und die Herstellung des
innem Friedens. Der Sieg der katholischen Religion brachte
es mit sich, dass die Krone an ihr Bekenntniss geknüpft war.
(1723, m.) >)
Viele Gresetzartikel hofften oder forderten den Aufenthalt des
Königs im Lande. Doch erschien Carl selten in seinem Schlosse
in Pressburg, viel häufiger wählte er den Landaufenthalt in Carl-
burg (Oroszvir im Wieselburger Comitat, nahe der österreichischen
Grenze). Der ungarische Hofstaat, Kämmerer, Thürsteher, Stall-
meister war vollzählig, doch trat er nur bei feierlichen Gelegen-
heiten, wie bei der Kj'önung, in Function.
Jeder geistliche und weltliche Unterthan ist der Person des
Königs zur Treue verpflichtet. Diese Treue ist nach dem Tripartitum
I, 12 die Anerkennung dessen, dass er das Haupt des Staates ist
und sie keinen andern Herrn über sich dulden.
An der Gesetzgebung nehmen auch die Stände Antheil, doch
werden die Gesetze im Namen des Königs, nicht in dem des
Landes herausgegeben. Die Gesetze bestimmen auch, in welchen
Angelegenheiten der König aus eigener Machtvollkommenheit ver-
fahren kann und in welchen er an die Zustimmung der Stände
*) Descendentes eorundem legi ti mos llomano - Catholicos successores
utriusque sexus.
Digitized by
Google
156
gebunden ist. Unter den königlichen Prärogativen setzte man das
kirchliche Patrona tsrecht an die erste Stelle. ^) Der König verleiht
die kirchlichen Beneficden : Bisthünier, Abteien und Propsteien, nur
die Bestätigung des Emaiuiten ist dem apostolischen Stuhle vor-
behalten. Auch ernennt der König die Domherren zu den meisten
Capiteln. Als Patron hat er auch das Recht, über die ihre Kirchen
und Beneficien vernachlässigenden Prälaten das Sequester zu ver-
fügen. ^
Von derselben Prärogative leitet sich das Aufsichtsrecht des
Königs über die Studien und frommen Stiftungen her. So verbindet
sich der mittelalterliche Titel mit einem der wesentlichsten Rechte
des modernen Staates. Nach LXXIV, 1715, behält sich Seine
Majestät nach seinem apostolischen Amt und seiner höchsten
Autorität die Aufsicht über alle Seminarien, Collegien und Convicte
der geistlichen und weltlichen Jugend, wer immer sie gegründet
hat, selbst vor. Im LXX. G. A., 1723 stellten die Stände die
Leitung des ganzen Unterrichtswesens ,,nach Form, Weisung und
Mitteln" unter die königliche Majestät.
Dies Alles gieng auf die Begründung der ungarischen Kirche
durch Stephan den Heiligen zurück. Dem Protestantismus gegen-
über, der doch nicht vernichtet werden konnte, war die Macht-
stellung des Königs nicht nur durch das oberste Aufsichtsrecht
gewahrt, sondern insbesondere durch den XXX. G. A., 1715. Der-
selbe berichtet, dass nach vielen Zwistigkeiten der Religionsparteien
die Entscheidung Seiner Majestät anheimgestellt worden ist, die
aus besonderer Gnade die G. A. von 1681 und 1687 für diesmal
noch bestätigt hat. Alle Klagen werdeil durch königliche Commissäre
entschieden. Die Beschwerden der Protestanten sollen beim König
eingereicht werden. So ward der König der oberste Schiedsrichter
der streitenden Confessionen. Auf Grund dieses Gesetzes erliess
dann Carl die bekannte Resolution von 1731, welche das prote-
stantische Kirchen- und Schulwesen in vielen Dingen beschränkte
und die innere Einrichtung der protestantischen Confessionen ordnete.
Das Patronatsrecht wurde später in einem Sinne gedeutet, der
zur Aufhebung der ständischen Rechte führen musste, deren ja
auch der Clerus als Reichsstand theilhaftig war. So weit, wie
KoUar unter Maria Theresia gieng man damals noch nichts
*) Uermenyi, Jus Publ. regni Hungariae. HancLschr. des Nat. -Museums
Budapest. 11. 7.
») G. A. LXXI. 1723.
Digitized by
Google
157
aber durch die nach Kollonics genannte Convention von 1703
waren die Güter des Clerus dem Wesen nach besteuert. ^) Die
Inhaber der Beneficien mussten einen gewissen Percentsatz ihrer
Einkünfte zu den militärischen Kosten oder, wie man es nannte,
zur Fortificationscasse beitragen.
Auch in weltlichen Angelegenheiten sicherte die Verfassung
dem Könige einen ausgedehnten, jenseits der ständischen Ingerenz
liegenden Maohtkreis. Sein erstes Vorrecht ist, dass er allein adelt. ^
Die adelige Gesellschaft überliess die Cooptation ihrem Oberhaupte.
Ob der König nun sein Recht blos zur Verleihung des Titels oder
auch von Gütern gebraucht, der also Ausgezeichnete wird Mitglied
der herrschenden Classe. Der König ist „die Quelle der Ehren".
Jede Auszeichnung, jedes Privilegium hängt von seinem Willen ab.
Er erhebt in den Freiherm- oder Grafenstand. Er verleiht mit
voller Autorität Befreiungen von Steuer und Zoll, Markt-, Mauth-
und Zunftprivilegien. ^
Besonders aber galt die Gerichtspflege als königliches Recht.
In Majestätsverbrechen urtheilte der König selbst. Nur allein die
Felonie und die Beleidigung Semer Majestät können den Verlust
des Adels nach sich ziehen. Seine Kanzlei kann den Befehl zur
Erneuerung der Prooesse ertheilen (cum gratia), sie kann durch ihr
Mandat lindem, verschieben oder das ganze Urtheil cassieren. Die
könighche Tafel spricht in seinem Namen das Recht und die mit
seinem Insiegel versehenen Beschlüsse werden vollzogen. Auch übte
der König das Recht der obersten Aufsicht über alle Gerichtshöfe aus.
Diese gerichtliche Gewalt macht den Adel beinahe in dem
Grade vom König abhängig, wie das Patronatsreoht die Geistlichkeit.
Die nota infidelitatis schwebt über dem Haupte des Ungetreuen
und kann nicht nur ihn, sondern sein ganzes Geschlecht vernichten.
Die Ernennung der Landsrichter hieng vom König allein ab. Und
wieviel bedeutete diese grosse discretionäre Gewalt in einem
processierenden Lande, wo so zu sagen jeder Rechtstitel in Frage
gestellt werden komite?
Der König ernennt alle Magistrate des Landes. Ausnahmen
bilden blos die Würde des Palatins und der Kronhüter, bei deren
Besetzung die Stände mitwirkten, dann die Comitatsmagistrate, die
aber nach Candidation des Obergespans gewählt wurden.
*) Conventio Kollonicsiana. 15. Juni 1703. Herausgegeben vom kön. ung.
Cultus- und Unterrichts-Ministerium. I. Vallas-Alap. Iromanyok. 40. i^.
«) Uerm^nyi 1. c. VIII. c. 2
*) Tripartitum IL 9. Privilegium ex mera principis auctoritate procedit.
Digitized by
Google
158
Dem König steht das Recht der Begnadigung zu. Der G. A.
XL 1715 spricht es aus, dass ihr Gebrauch stets an die Autorität
der Majestät geknüpft ist. Er kann von Infamie und bürgerlichem
Tod befreien, er hat das Recht, uneheliche Kinder unter den gesetz-
lichen Formen zu legitimieren.
Dem feudalen Recht entspricht es, dass der König der
natürliche Vormund der verwaisten Adeligen war. Demgemäss
hat er die Oberaufsicht über Waisen- und Vormunds-Angelegen-
heiten. (1715, LXVm.)
Wenn auch die Reichstage oft Vorschläge über Münzprägimg
machten, galt das Münzrecht doch stets als ein königliches. Da
nun der Münzgehalt die Preise bestimmte und auf Handel und
Gewerbe grossen Einfluss ausübte, hielt der König auch den Bürger-
stand in seiner Hand. Zudem waren ja, nach ungarischem Staats-
reclit, die Freistädte eigentlich Königsgut.
Diese Prärogativen gaben dem Könige die Macht über die
einzelnen privilegierten Classen, die durch ihre gesellschaftliche
Stellung in directer Verbindung mit dem Staate standen. lieber
die ganze Nation aber verfügte er als absoluter Herr über Krieg
luid Frieden. Die ehemaligen Reichstage waren zwar beflissen,
ihre Einwirkung auch auf diesen Zweig der Regierung auszudehnen,
seitdem aber das Reich durch Inarticulierung der pragmatischen
Sanction unlösbar mit den Erblanden uniert war, konnte ein Theil
sein Interesse von dem des andern nicht trennen. Uebrigens galt
das Recht, Bündnisse zu scliliessen und Gesandtschaften abzuordnen,
unter einigen gesetzlichen Beschränkungen stets als königliches
Reservatrecht. Der König kann auch, ohne die Stände zu berufen,
die sogenannte Parti cular-Iusirrrection des Adels anordnen. ^)
Aus eben diesem Rechte floss die Vertheidigung und Ein-
richtung der Militärgrenze, die Werbung und die Einquartierung
im Lande, das Anlegen neuer Festungen.
In allen andern Gesetzen und Verordnungen ist der König
an das Zusammenwirken des Reichstages gebunden. Doch unter-
stand auch die Ständeversammlung der königlichen Prärogative.
Nur der König hatte das Recht, sie in einem gewissen Termin
einzuberufen, er setzte durch seine Propositionen die Gegenstände
der Verhandlungen fest, endlich erhielten ihre Beschlüsse nur durch
seine Bestätigung Gesetzeskraft. ^)
') 1715, XVIII und 1723, VI. G. A.
*) Marczali, Magyaroszäg tört^nete II. J6zsef kordban. I. 319.
Digitized by
Google
159
Alle diese Rechte übte der gekrönte König gesetzlich als
Oberhaupt des ganzen Staates oder einzelner Stände aus. Doch ist
diese Summe von Gewalten noch sehr entfernt davon, das ganze
Wesen der königlichen Machtvollkommenheit auszudrücken. Zu
einem wahrhaften Bilde des politischen Zustandes gehört auch die
Schilderung des Machtkreises, über welchen der König von Ungarn
auf ungarischem Boden nicht auf Grund von Gesetzen oder an-
erkannten Majestätsrechten gebot, sondern als Machthaber über
solche Organisationen, welche dem ungarischen Staate nicht an-
gehörten.
Der König von Ungarn hatte das Vaterland grösstentheils
durch die WaflFen vom Türkenjoche befreit. Daran erinnert, dass
eine grosse Anzahl nicht einheimischer Soldaten — im Frieden
30 — 40.000 — in den Festungen und in Garnison liegen. Ihr
Kriegsherr, der Kaiser, ist zugleich König von Ungarn, doch
ihre Verwaltung wurde nicht durch eine migarische Behörde,
sondern durch den kaiserlichen Hofkriegsrath besorgt. In dieser
Zeit wurden die ersten ungarischen ßegimenter errichtet, aber
nicht durch den Reichstag, sondern ebenfalls durch den Hof-
kriegsrath.
Was man den Türken abgenommen, galt nach ungarischem
Gesetz und Recht als wiedererlangtes Gut, in Wien jedoch wurde
es als Eroberung angesehen. Zwar ein Theil musste gegen Ent-
schädigung den ehemaligen Besitzern zurückgegeben werden, andere
Dominien fielen hervorragenden, um den Fürsten und das Land
verdienten Männern und Geschlechtem zu. Aber südlich von der
Donau und der Marcs wurden die neugewonnenen Gebiete noch
ausschliesslich durch den Hofkriegsrath und die kaiserliche Hof-
kammer verwaltet. Weder die ungarische Verwaltung, noch die
Ständeversammlung konnten auf das Einkommen, den Zoll, die
Gerichtspflege dieser ausgedehnten Landschaften auch nur den
geringsten Einfluss ausüben.
Türkische Unterthanen, die aus religiösen und politischen
Gründen ihre Heimath verliessen, hatten von diesem Territorium
Besitz ergriffen. Der König nahm sie 1G90 auf und wies ihnen
Wohnplätze an. Das Leopoldinische Diplom vom 21. August 1691
ordnet die Serben ihrem Patriarchen unter und gestattet ihnen
freie Religionsübung, erwähnt jedoch die imgarischen Obrigkeiten
nicht. Sie wohnen auf dem Gebiete der heiligen Krone, selbst-
ständig organisiert. In Innern und äussern Kriegen dienen sie
dem Kaiser.
Digitized by
Google
160
Die Duldung der Juden hängt allein von der königlichen
Gnade ab. Dafür zahlen sie die Toleranztaxe, welche in dieser
Zeit beiläufig 30.000 Gulden jährlich betrug.
Die Bergwerke sind ebenfalls königliches Gut. Der König
aber lässt sie nicht durch seine ungarische Kammer verwalten,
selbst die Salinen werden dieser erst durch XVII. G. A. 1741 zu-
gewiesen, sondern durch seine Wiener Central-Finanzbehörde. Dieser
unterstehen der Kammergraf in Kremnitz, die Bergwerks-Directionen
in Szomolnok und Nagybinya.
Im Allgemeinen sind die königlichen Einkünfte, die MiUtär-
Contribution ausgenommen, beinahe jeder Einflussnahme der Reichs-
tage entrückt. Salzbergwerke, Dreissigst- und Zollabgaben, die
Revenue der Krön- und Kammergüter, werden als Privateinkommen
des Monarchen betrachtet. Das Salz allein brachte beinahe soviel,
als die ganze Contribution betrug -— an zwei Millionen. Noch
grösser war der Ertrag der von Wien aus administrierten Gold-,
Silber- und Kupfergruben.
Ebenso war die Post eine ausschliesslich königliche Institution.
Der König hatte sie organisiert zu seinem Dienste und die fürstlich
Paar'sche Familie leitete sie als erbliche Oberpostmeister in der
ganzen Monarchie. Der CXIV. G. A. 1723 überlässt das ganze
Postwesen Seiner Majestät.
Der König von Ungarn verftigte also factisch über eine noch
viel grössere Gewalt, als sie ihm die Verfassung einräumte. Er
besitzt einen grossen Theil des Landes als Gutsherr mit vollständig
absoluter Macht. Der ungarische R3ichstag trägt nicht sehr
wesentlich zu seinen Einkünften bei. In den wichtigsten Fragen
des Staates, in Krieg imd Frieden, über das Heerwesen selbst, über
viele bedeutende Einnahmen verfügt der König ohne ihn, ohne
auch nur das Gesetz zu verletzen.
Diese Position des Königthums entspricht keiner landläufigen
theoretischen Schablone. Der König besitzt die vollziehende Gewalt
nicht in vollem Masse ; so zu sagen jeder Adelige hat einen Antheil
daran. Dafür aber übt er einen grossen, fast .überwiegenden Einfluss
auf die Gesetzgebung und Justizpflege aus. Die Stellung der Mon-
archie war eben nicht das Ergebniss politischer Deductionen, sondern
das Resultat von wichtigen historischen Ereignissen. Diese Stellung
in und über dem Gesetz war in jahrhunder belangen Kämpfen zu
Stande gekommen. Und da- der Boden dos Rechts und der Macht
in vielen Puncten streitig war, konnten die Verfassungskämpfe nicht
vollkommen aufhören.
Digitized by
Google
161
Verwaltung.
Die grossen Dicasterien, denen die Regierung Ungarns an-
vertraut war, erhielten gerade in der Zeit CarPs ihre neue Gestalt
Das Land tritt nach dem Ende der TürkenheiTschaft in eine neue
Epoche, aber die ständische Verfassung sorgt dafür, dass die neu
errichteten Institutionen der Form nach als Fortsetzung der alten
erscheinen sollen. Die königliche Kanzlei, die Kammer, die Curie,
selbst der Statthalterei-Rath gehen von alten, ähnlichen Zwecken
dienenden Organisationen aus. Doch ist ihre Bedeutung umso
viel grösser als ihi'e Vorläufer, um wie viel der Wirkungskreis des
Königthums, in dieser seiner beinahe absoluten Epoche, an Conti-
nuität und Entwicklung das mittelalterliche Königthum übertraf,
dessen Thätigkeit, so zu sagen, ganz von Zufall und Persönlichkeit
abhieng.
Allen diesen Institutionen gemeinsam ist, dass sie zugleich
königlich und ungarisch waren, dass ihr Bestehen geradezu einen
Theil der Verfassung bildete. Diese doppelte Position wurde damit
erklärt, dass die Vollziehung der Gesetze zwar dem Könige zu-
stehe, jedoch das System des Reiches es fordere, dass die Krone
dieses Recht durch die Stände ausübe. So sind die Mitglieder der
grossen Dicasterien königliche Beamte und gehören zugleich dem
ständischen Organismus an.
Da die persönliche Einwirkung des Königs auf die Landes-
angelegenheiten viel bedeutender war, als die mehr ins Detail
gehende Thätigkeit der staatlichen Behörden, die der bestehende
Zustand auf Schritt und Tiitt einengte, war es natürlich, dass unter
diesen Dicasterien die königliche Kanzlei an Wichtigkeit vor-
anstand. ^) Wie schon ihr Name beweist, war die königliche Kanzlei
oder „Expedition" der Vermittler in den zwischen der Person des
Königs und dem Lande schwebenden Angelegenheiten. Desshalb ist
ihr Aufenthalt in Wien, zur Zeit der Reichstage in Pressburg. Sie
erlässt alle Privilegien xmd Gnaden, die der Majestät vorbehalten
sind, alle Rescripte an die politischen und Justizbehörden. Durch
sie regiert der König unmittelbar. Im Siime ihrer Instruction ist
es die Pflicht dieser Hofstelle : „Allem vorzubeugen, was die könig-
liche Macht und Würde wie immer verkürzen könnte, dagegen alle
ihre Rechte, Privilegien, Prärogative und Reservate miverbrüch-
lich beobachten zu lassen, die königlichen Befehle zu vollziehen
») 20. L. c. 329-382.
Oesterreiohisoher Brbl'olgokrieg. I. Bd. 11
Digitized by
Google
162
und die Landesgesetze und das ganze System aufreckt zu erhalten."
Als Collegium ist sie blos „Expedition" des Königs. Sie arbeitet zwar
über die zu referierenden Gegenstände Gutachten aus, aber welches
immer ihre Meinung sein mochte, der Vorschlag schloss mit den
Worten: „die Allerhöchste kaiserliche königliche Resolution und
oberste Entscheidung vorbehalten". Im Shine ihrer Pflicht ermangelt
sie nicht, den königlichen Aufträgen gegenüber den gesetzlichen
Standpuncb zu vertreten imd wenn dieser mit dem königlichen Be-
fehle nicht vereinigt werden kann, auf die betreffenden Artikel
hinzuweisen. Sie ist also nicht blos Expedition, sondern der einzige
imgarische Eath um des Königs Person.
Nach der gewöhnlichen Eintheilung bildeten die Gnaden und
andere persönliche Angelegenheiten, die den Behörden betreffs der Voll-
ziehung der Gesetze und königlichen Verordnungen zu ertheilenden
Erlässe, das zweite Departement der Kanzlei. Dies letztere dehnte
sich also auf das ganze politische Gebiet aus. Einerseits verband
es den König mit den Landesämtern, besonders dem Statthalterei-
Rath, anderntheils vermittelte es auch den Verkehr mit den Wiener
Behörden, besonders dem Hofkriegsrath, der Hofkamnier und der
österreichischen und böhmischen Kanzlei. Wenn irgend etwas nicht
durch blosse Correspondenz mit diesen Stellen abgemacht werden
kann, hält die Kanzlei mit ilmen auf Allerhöchsten Befehl eine „Zu-
sammentrotung", eine gemeinsame Conferenz ab, deren Gutachten
dann der Beschlussfassung des Monarchen unterbreitet wird.
Endlich vermittelte die Kanzlei die auf die Justizpflege be-
züglichen königlichen Entschliessimgen und Verordnungen. Sie hält
auch das königliche Archiv unter ihrer Aufsicht.
An der Spitze der Kanzlei steht als Hofkanzler nun mehr
schon ein weltlicher Herr. Die Magnaten wachten eifersüchtig darüber,
dass der Prälatenstand keinen Anspruch mehr auf diese Stelle er-
heben könne. Bei der Thronbesteigung Maria Theresia's hatte Graf
Ludwig Batthydny, der spätere Palatin, diese hohe Position inne.
Von den Räthen oder Referenten gehörte gewöhnlich einer dem
geistlichen Stande, drei bis vier dem Herrenstande, die andern dem
Adel an.
Der Kanzler und die Räthe geniessen im ganzen Lande hohes
Ansehen als die einflussreichsten Patrone. Sie verfügen über die
grösste Clientel, da die Besetzung der weltUchen und geistlichen
hohen Aemter grösstentheils von ihnen abhängt. Dieser ausge-
zeichneten Position entspricht jedoch iliro wirkliche Macht keines-
wegs. Denn alP dieses war nur der Abglanz der königlichen Würde.
Digitized by
Google
163
In jeder Angelegenheit, auch der unwesentlichsten, entscheidet die
Majestät selbst, die Kanzlei dient nur mit ihrem unterthänigsten
Eath und mag dieser befolgt werden oder nicht, sinkt sie sofort
zur gehorsamen Expedition herab.
Insofern würde die Kanzlei dem Geiste der alten ungarischen
Verfassung entsprechen, die ja der Selbstregierung des Herrschers
ein so grossartiges Feld einräumte. Das Absehen der Stände war
nur darauf gerichtet, dass der König die ungarischen Geschäfte aus-
schliesslich durch sie besorge und sie von der Majestät des Königs
allein, nicht aber etwa von einer andern Wiener Behörde abhänge.
Diesem Gedanken verleiht schon der G. A. XXXVTH, 1569 Aus-
druck, in dem über die Einflussnalime der Kammer und des Kriegs-
rathes geklagt wird. Dieses Gesetz wird 1715 im XVII. A. bestätigt
und zugleich ausgesprochen: „Dass die königliche Kanzlei von
keiner andern Hofstelle abhängen solle, sondern dass sie mit den
andern unmittelbaren Dicasterien des Monarchen auf gleichem Fusse
stehend, mit ihnen Correspondenz pflege."
Es ist kein Zweifel, dass dies der Angelpunct der imgarischen
Selbstständigkeit war. Und so klar das Gesetz auch sprach, so wenig
komite die in Wien residirende Hofstelle dem Einfluss der andern
Hofbehörden entzogen werden. So ist in der Instruction von 1727
die Verpflichtung der Kanzlei enthalten, die Entscheidungen, welche
die Hofkammer in Hungaricis erlässt, zu expedieren. Verschiedene
Gegenstände müssen laut dieser Instruction von der Kanzlei und
der Hofkammer zusammen berathen werden, bei andern wird im
Voraus angenommen, dass das Gutachten dem Geheimen Eath oder
der Ministerial-Conferenz vorzulegen sein wird, wo dann ein adeliger
Referent sie vertreten soll. Mit einem Wort: die dem Gesetze nach
unabhängige Kanzlei wird in Wien de facto der noch im Ausbau
befindlichen Centralregierung als einigermassen untergeordnete
Maschinerie eingefägt. Bezeichnend dafür ist, dass die Instruction
selbst die Unterschrift des obersten österreichischen Hofkanzlers
trägt. Es begann schon damals die Praxis, dass die für Oesterreich
herausgegebenen Verordnungen, wenn anwendbar, durch die Kanzlei
auch für Ungarn erlassen wurden.
Die zweite Hofstelle war der königliche Statthalterei-
Rath. Er wurde durch G. A. Gl und GH 1723 errichtet und war
eigentlich eine Neugestaltung des schon unter Ferdinand I. in
Pressburg errichteten Gubemiums. Wie schon sein Name beweist,
verdankte er sein Dasein der Thatsache, dass der König so selten
11*
Digitized by
Google
164
im Lande residierte. Er war eigentlich kaum als königliche Rath-
stelle anzusehen, denn was von ungarischen Geschäften unmittelbar
vor den Monarchen gelangte, gieng von der Kanzlei aus. Er ver-
trat nicht so sehr die Person des Königs als vielmehr die des
Palatins, sein Rathscollegium übte jene Wirksamkeit aus, welche
früher diesem hohen Würdenträger, nach den Gesetzen dem Stell-
vertreter des Königs, zustand.
Das Consilium darf nach dem Gesetz von keiner Hofetelle
abhängen, blos von Sr. Majestät, deren Kath es ist. Es schreibt
direct an den König und „Se. Majestät wird seine Resolutionen
diesem Rath durch Rescript oder Decrot mittheilen. Wenn es
Se. Majestät flir gut findet, wird er in den Geschäften, in welchen
er ausfuhrlich informirt zu werden wünscht, die Räthe zu sich be-
rufen". Dieses Dicasterium wird nicht direct mit den Regierungen
„der benachbarten Königreiche und Provinzen correspondieren",
sondern, wie diese, seine Relationen der Majestät einreichen. Es
darf keinen, den vaterländischen Gesetzen \vidersprechenden Be-
schluss fassen. Dagegen wird es die Beschlüsse der Diäten voll-
ziehen lassen. Die einmal mit Majorität der Stimmen gefassten
Beschlüsse dürfen ausserhalb des Rathes nicht verändert werden.
Als Hauptagenden werden ihm die Massnahmen zur Förderung der
Impopulation des Landes und die Hebung des Handels und der
Gewerbe zugewiesen.
Nach der vom Monarchen ertheilten Instruction ist es die
Aufgabe des Locumtenentialrathes, die in Ungarn vorkommenden
politischen, ökonomischen und militärischen Geschäfte vor Augen
zu halten und für Alles Sorge zu tragen, was der Dienst des Köni^,
die Administration, das Wohl und die Blüte des Landes, die Aufrecht-
erhaltung der Einwohner und Contribuenten erfordern. In diesem
Sinne sprach auch der kaiserliche Hofkanzler Graf Sinzendorff,
als er am 20. März 1724 in Pressburg den Statthaltereirath eröffnete:
„Se. Kaiserliche Majestät ist überzeugt, dass dieser Rath, mit voll-
ständiger Eintracht, ohne Parbeilichkeit, nur das Gemeinwohl an-
streben wird. Ohne Zweifel wird daraus den Geistlichen Würde,
den Magnaten Vorrecht, den Adeligen Recht, den Bürgern Auf-
blühen des Handels, den Landleuten Ackerbau, dem ganzen Reich
das grösste Glück erwachsen."^)
Diese ständische Auffassung fand auch in der Zusammensetzung
dieser Stelle vollkommenen Ausdruck. An der Spitze steht der
*) B61 Mathias, Notitia Hungariae Novae I. 432.
Digitized by VjOOQIC
165
Palatin, oder in dessen Abweseiilieifc der Oborsfc-Landesrichter, ihm
zur Seite stehen zweiund zwanzig Räthe „aus dem Stande der Prä-
laten, der Magnaten und Adeligen aus allen Theilen des Reiches,
die Se. königliche Majestät ernennen wird'\ Die Bezahlung erfolgt
aus den königlichen Einkünften. Im Jahre 1732 wurde nach dem Tode
des Palatins Nikolaus P&lffy, Herzog Franz von Lothringen
zum königlichen Statthalter ernannt und als solcher provisorisch
mit der Leitung des Rathes betraut. Die Stände sprachen zwar
schon 1723 den Wunsch aus, die Landesregierung in den Mittel-
punct des Landes zu versetzen, sobald dies möglich sein werde,
doch verblieb sie unter Carl und auch noch unter Maria Theresia
in Pressburg.
Zur Beförderung des Gemeinwohles übt dieses Dicasterium
die Oberaufsicht über alle Magistrate der Comitate und Freistädte
aus. „Zur Wegräumung der den Vollzug der Gesetze hemmenden
Hindemisse sollen die Comitate und Städte dem Statthalterei-Rath
Berichte einsenden. Sollten sie dies vernachlässigen, wird das Con-
silium bei Sr. Majestät repräsentieren, damit er ein geeignetes Heil-
mittel verordne."
Dieser Punct erweist klar, worin die Schwäche dieser Regierimg
und ihres Systemos lag. Trotzdem sie einestheils auf ständischer
Basis stand, konnten die Municipien gegen sie, als das Organ der
königlichen Gewalt, ihre ständischen Gerechtsame geltend machen.
Aus eigener Macht diesen Widerstand niederzukämpfen, hatte sie
keine Kraft. Eigentlich war doch die persönliche Regienmg des
Königs die Stütze des ganzen Systems. Der Statthalterei-Rath konnte
niu* schreiben imd begutachten: das Vollziehen ist nicht seine Sache.
Die Bischöfe und Comitate werden die ihnen zugesendeten könig-
lichen Verordnungen nur dann vollziehen, wenn diese ihren eigenen
Interessen, ihrer gßiizen politischen Tendenz entsprechen. Der König
nimmt seine Vorschläge nur dann an, wenn er von ihnen Ver-
grösserung seiner Autorität und Macht erwartet.
Da aber die königliche Macht viel stärker war als die ständische,
wurde der Statthalterei-Rath beinahe ausschliesslich ihr Werkzeug.
Besonders war dies der Fall, als es, wie gegen Ende der Regierung
Carls, keinen Palatin gab und der königliche Statthalter, der von
jeher den Ständen gegenüber unabhängiger war, seine Berathungen
leitete. Daraus folgte nun, dass das Dicasterium im Lande unbeliebt
WTii-de. Die Stände sahen ein, dass es vielmehr in der Befestigung
der königlichen Prärogative, als in dem Vollzug der Gesetze seine
Aufgabe erblickte. Der Reichstag von 1741 beschäftigte sich ernstlich
Digitized by
Google
166
mit der Frage seiner Auflösung und wussbe nur nichts besseres
an seine Stelle zu setzen.
Die dritte Regierungsbehörde war die königliche ungarische
Kammer. Diese war von jeher, trotz aller Gesetze, m eine gewisse
Unterordnung gegenüber der kaiserlichen Hofkammer gerathen.
Der Reichstag von 1715 war bestrebt, auch diesem Dicasterium
die Selbstständigkeit zu sichern und es mit den Wiener Hof&mtem
auf gleichen Fuss zu setzen. (G. A. XVlil). Doch der König, der
in Bezug auf Kanzlei und Statthalterei den Wünschen der Stände
willfahrte, gab in diesem Pimcte eine ziemlich ausweichende Ant-
wort. Er erklärte nämlich, dass er auf die Vorschläge der un-
garischen Kammer im Wege der kaiserUchen Hofkammer seine
Entschlüsse kundgeben werde. Doch versprach er, die Expedition
der ungarischen Kammergeschäfte ausschliesslich durch seine unga-
rische Kammer besorgen zu lassen und zur Verfassung der In-
struction für diese Stelle auch ungarische Räthe beizuziehen. Zu-
gleich werden auch die Zipser Administration, sowie die Ver-
waltungen in Ofen, Szeged, Eszek imd Arad der ungarischen
Kammer untergeordnet Auch der Reichstag von 1723 konnte hieran
nichts ändern und selbst die angeordnete Einverleibung der er-
wähnten Administration gieng sehr langsam von statten, so dass
der Reichstag von 1741 sich aufs neue mit dieser Frage beschäftigen
musste, wo dann diese Angelegenheit endgiltig geordnet wurde.
In dem Zeitpuncte, von dem wir handeln, war die ungarische
Kammer de facto unselbst^tändig. Die Hofkammer und die nen-
en-ichtete „Universalität Bankalität", in deren Direction auch ein
Ungar, Graf Peter Szunyogh, sass, ertheilten ihr nicht nur
Weisungen, sondern hörten auch nicht auf, directen Einfluss auf die
ungarischen Angelegenheiten auszuüben. So wurde z. B. trotz aller
Repräsentationen die, der ungarischen Kammer unterstehende Münze
in Pressburg aufgehoben.
Diese Unselbstständigkeit war imiso empfindlicher, als die unga-
rische Kanamer, als Fiscus, vor Allem die Aufgabe hatte, die Kron-
rechte zu wahren. Eines der wichtigsten dieser Rechte war der
Heimfall der Güter der ausgestorbenen oder wegen Hochverrath
verurtheilten Familien. Die Güter der Familien Zrinyi und Fran-
gepan wurden aber, trotz des G. A. CXVI, 1715 von der inner-
österreichischen Kammer in Graz verwaltet.
Selbst die Zusammensetzung dieser Stelle zeigt, dass sie kein
rein ungarisches Dicasterium war. An ilu-er Spitze stand zwar ein
Digitized by
Google
167
ungarischer Magnat, von ihren zwölf Eäthen aber waren nur die
Hälfte Ungarn, die andere Hälfte aber Deutsche.
Aber auch abgesehen von dieser dem Staatsrechte nicht ent-
sprechenden Stellung, wurde die Wirksamkeit der Kammer nicht
günstig angesehen. Es hatten sich, besonders in den untergeordneten
Beamten-Kreisen, sehr viele Missbräuche eingenistet, zu deren
Abschaffimg die Gesetze, da deren Vollziehung durch nichts verbürgt
war, nicht ausreichten.
Von allen Dicasterien war die königliche Curie, der
oberste Gerichtshof füi* alle Länder der Stephanskrone in innigster
Fühlimg mit den Ständen mid ihrer Auffassung. Ihrem Ursprünge
nach ist sie so alt, wie das Königthum. Seit der Zeit König Mathias
Corvinus hatte sich aus dem alten königlichen Gerichte die
sogenannte Octaval-Tafel mit gelehrten Richtern ausgebildet. Sie
hatte ursprünglich sieben Beisitzer, denen durch G. A. XXIV,
1723 acht neue zugesellt wurden. Von diesen gehörten zwei dem
Prälaten-, zwei dem Magnaten-Stande, vier dem Adel an. Sie sollten
aus allen Theilen des Reiches ernannt werden. Präsident war der
Palatin, in seiner Abwesenheit der Oberstlandesrichter. Sie hält
ihre Sitzungen in bestimmten Zeiten (Terminen) ab. Zu ihr kommen
die Appellationen von der königlichen Tafel, dem eigentlichen
Obergericht der Adeligen. Diese urtheilt in allen Donationalprocessen
und Strafprocessen der Adeligen. Auch sie ist nach Ständen geordnet.
Präsident war der königliche Personal, d.i. der Stellvertreter des
Königs in Gerichtssachen, zugleich auch Präsident der Ständetafel
des Reichstages. Da sie in corpore an der ständischen Versammlung
tlieilnahm und ihre Protonotarien dort die eigentliche Arbeit, die
Redaction der Gesetz-Artikel besorgten, musste während der Diät
ein Juristitium eintreten. Ihre vielen Ferien trugen auch wesentlich
dazu bei, den Weg des Gesetzes zu verlängern.
Ausserdem gab es noch seit 1723 an ordentlichen königlichen
Gerichtshöfen die Banaltafel in Agram für die Nebenländer, unter
dem Präsidium des Ban oder seines Stellvertreters, dann die Distric-
fcualtafeln in Tyrnau, Güns, Eperjes und Grosswardein. Von allen
diesen gieng die Appellation an die königliche Tafel und an die
Septem viral tafel. Da das ungarische Gesetz vom erbländischen
grundverschieden war, konnte an diesen Stellen am wenigsten ein
centralisierender Einfluss durchgreifen. Doch besass der König nicht
blos das Emennungsrecht, sondern übte auch durch die Kauzlei
Digitized by
Google
168
und die Statthalterei die oberste Aufsicht über die ganze Justiz-
pflege aus.
Siebenbürgen war zwar den ganzen Zeitraum hindurch
von Ungarn getrennt, hatte aber in den Grundzügen dieselbe Ver-
waltung. ^) Es hatte ebenfalls eine Hofkanzlei in Wien ; dem Statt-
halterei-Rath entsprach das königliche Gubemium in Hermannstadt,
der Kammer das königliche Thesaurariat ; endlich bestand auch
eine königliche Tafel in Maros-Väsdrhely. Doch war hier auf Grund-
lage des Leopoldinischen Diploms von 1691 der direote gesetzliche
Einfluss der Stände auf die Regierung weit grösser, als in Ungarn
Zu allen Stellen sollten die Ernennungen aus allen drei Nationen
und vier Religionen nur nach der Candidation des Land-
tages erfolgen. Doch hielt sich der Hof nicht an die Candidation ;
so wiu'de z.B. 1712 Graf Sigismund Kornis, den die Stände zum
Rath proponiert hatten, zum Gubemator ernannt. Noch weniger
blieb die Gleichstellung der recipierten Religionen in Kraft, besonders
wurden die Unitarier von den Aemtem femgehalten. Nichtsdesto-
weniger hatten die Protestanten noch immer eine viel gunstigere
Stellung als in Ungarn und dies kann als eine Hauptursache
betrachtet werden, wesshalb iluien die Vereimgung mit dem König-
reiche, wo die katholische Restauration in voller Blüthe stand,
damals nichts weniger als Avünschenswerth erschien.
Dagegen wurden die Königreiche Croatien und Slavo-
nien ganz als uitegrierende Theile des Reiches behandelt- Sie
standen unter denselben Gesetzen und derselben Verwaltung.
Militärisch standen sie nach dem Gesetze unter dem Banus, der
die Autorität eines General capitäns für diese Länder haben sollte.^
Die croatischen Stände-Versammlungen hatten wohl das Rechte
Statute zu verfassen, insoweit diese das Gesetz nicht verletzten,
nicht aber Gesetze zu geben. ^) Dagegen beschäftigte sich der
ungarische Reichstag selbst mit croatischen Angelegenheiten und
trachtete auch, die specifisch croatischen Beschwerden zu heilen.
In religiöser Beziehung hatte Croatien ein gesetzliches Privilegium :
nur Katholiken konnten dort Güter besitzen. (G. A. XXXVI, 172B.)
Dies ist in kiu'zen Zügen die staatliche, inarticulierte Ein-
richtung Ungarns, -wie sie nach den Türkenkriegen und iimem
*) Szilagyi Sandor, Erdelyoszug törtenete IL
*) G. A.'CXIV, 1715.
3) Tripartituin III. 12.
Digitized by
Google
169
Kämpfen sich ausbildete und im Wesentlichen bis 1848 bestand.
Während der Verfassungs-Streitigkeiten war oft die staatliche Selbst-
ständigkeit Ungarns angefochten, seine Verfassung als Fiction, als
todter BucLstabe behandelt worden. Nun war ein Compromiss vor-
handen, welches der königlichen Macht einen grossen Wirkungskreis
einräumte, aber innerhalb des liahmens der Verfassung.
Die Stände.
Sehen wir nun, wie sich die lebenden Kräfte der Nation zu
dieser Einrichtung verhielten, in wie weit sie, nach ihren Innern
Antrieben, der Constitution dienten oder ihr widerstrebten.
Es fällt in die Augen, wie sehr der Text der Gesetze selbst
einen, wenn auch blos passiven Widerstand, gegen den verfassungs-
gemäss sich kundgebenden Staatswillen voraussetzt. Dieser Zweifel
an der wirklichen Ausführung des beschlossenen Gesetzes oflfenbart
sich in naiver Weise in dem schon erwähnten Artikel über die
Errichtung des Statthalterei-Rathes, dessen Aufgabe ja eben die
Ausführung der Gesetze sein sollte: „Die Comitate und Städte
werden dem Statthalterei-Rath Informationen über die Hindernisse,
welche dem Gemeinwesen und den Gesetzen im Wege stehen,
emsenden. Sollten sie dies vernachlässigen, wird der Statthalterei-
liath an Se. Majestät repräsentieren, damit er entsprechende Vor-
kehrungen treffen könne." Der Verwaltung steht zur Besiegung des
vorausgesetzten Widerstandes, den ihr böser Wille oder Nach-
lässigkeit entgegensetzten, kein anderes Mittel zu Gebote, als der
Eecurs an den König. Man kennt noch keine andere Regierung, als
den persönlichen Einfluss des Monarchen.
Wirkliche Macht lag blos in den Händen des Monarchen, der
auch, abgesehen von Ungarn, zu den mächtigsten Herrschern zählte,
dann in den Händen der geistlichen und weltlichen Aristokratie
des Landes.
Nach der Vertreibung der Türken und Zurückdrängung des
Protestantismus brach für den Prälatenstand eme neue Epoche der
Blüthe und Herrschaft an. An Rang stets der erste, war er es jetzt
auch durch wirkliche Bedeutiuig. Seine Mitglieder, durch Geburt
den ersten einheimischen und indigenen (Tcschlechtem aiigehörig,
ragten auch diurch Bildung und geistige Begabiuig hervor. Es galt,
das ,,liegnum Marianum" aufzurichten, nach den Türken auch die
Ketzer und Schismatiker, d. h. die Protestanten und Griechen, die
Digitized by
Google
170
man mit dem verächtlichen Namen „Akatholiken" zusammenfasste, zu
bekehren oder zur Auswanderung zu zwingen und wenn dies nicht
gelingen sollte, wenigstens der politischen Rechte zu berauben. Es
waren ja kaum einige Jahrzehnte verflossen, seit Ludwig XIV.
das Edict von Nantes aufhob und im heiligen römischen Reiche
zwang gerade um 1730 der Erzbischof von Salzburg seine pro-
testantischen Unterthanen zu emigrieren, warum sollte dasselbe Re-
sultat im Reiche der Ki*one des heiligen Stephan nicht zu
erreichen sein ? Die Verwahrlosung und Verwüstung des kirchlichen
Lebens bot der apostolischen Thätigkeit einen grossen Spielraum.
Die meisten Kirchen, geistliche Schulen und Fundationen in Ungarn
wurden gerade in den ersten Jahrzehnten des XVIII. Jahrhunderts
errichtet. Der Jesuitenorden, welcher die Herstellung des aus-
schliesslich katholischen Staates als sein eigenstes "Werk betrach-
tete, erfreute sich eines grossen Einflusses. Die Zahl seiner Anstalten
und seiner Besitzungen nahm von Tag zu Tag zu.
Die erste Folge des Sieges über die Türken und Protestanten
war, dass der Clerus seine im Laufe der Jahrhunderte verlorenen
Güter zurückgewami. Im XVII. Jahrhundert war ein grosser Theil
der ungarischen Bischöfe so zu sagen in partibus infidelium. Den
Primas und jene Prälaten ausgenommen, deren Diöcesen sich iin
nordwestlichen Theil des Königreichs befanden, mussten sich
mit einem minimalen Theil ihrer ehemaligen Revenuen begnügen.
Jetzt aber erfolgte nicht blos die restitutio in integrum, sondern
in Folge der zunehmenden Bevölkerung und der intensiven Cultur
hoben sich die bischöflichen Einkünfte, so zu sagen, von Jahr zu
Jahr. Sie wurden zwar, wie oben ei*wähnt, besteuert, unterlagen
aber nicht mehr der Pflicht, Banderien zu unterhalten. Ungarns
hohe Geistlichkeit zählte wieder zu den reichsten der Christenheit.
Auf diesem Reichthum, dem Einfluss, den hohe Würden luid
Auszeichnungen stets verleihen und der hervorragenden Persön-
lichkeit einzelner seiner Mitglieder beruhte die politische und
gesellschaftliche Macht des Clerus. Zu Gute kam ihm noch, dass
er nicht blos seinen ständischen Rechten nach, sondern auch
grossentheils nach dem Rechte der Geburt dem hohen Adel an-
gehörte. Graf Emerich Esterhizy war Primas, Graf Patachich
Erzbischof von Kalocsa, Graf E r d ö d y Bischof von Erlau, Graf
A 1 1 li a n Bischof von Waitzen, ein anderer Graf Esterhdzy von
Neutra, Graf B e r 6 n y i von Fünf kirchen, Graf C s ä k y von Gross-
wardein, Graf Klobusitzky von Siebenbürgen. Dabeiwaren die
Digitized by
Google
171
Erzbischöfe von Gran und Kalocsa, die Bischöfe von Erlau, Raab,
Neutra, Fünfkirchen, Grosswardein, "Wessprim und Zdgrdb auch
zugleich Obergespane der betreffenden Comitate. Es scliien sich
ein Zustand heranzubilden, wie er im heiligen römischen Reiche
bestand: der Adel hatte ein beinahe ausschliessliches Recht auf
die Bischofswürde und die geistliche und weltliche Macht über
grosse Territorien war in derselben Hand vereinigt.
Seiner politischen Richtung nach war der Clerus eine der
wichtigsten Stützen der königlichen Macht. Er wusste, wie viel
der Katholicismus, insbesondere in Ungarn, den Habsburgem ver-
dankte. Er hatte einen grossen Antheil an der Annahme der
männlichen und später der weiblichen Erbfolge und in den Reden
der Bischöfe an der oberen Tafel, sowie in denen der Domherren
und Aebte an der unteren Tafel der Stände, giebt sich ein reges
Gefühl der Loyalität imd der Dankbarkeit kimd. Dabei war er nicht
gemeint, seinen speciellen Rechten, sowie denen, welche dem ge-
sammten Adel zustanden, das geringste zu vergeben. Er musste
auf dem Boden der Verfassung stehen, welche auf Stephan den
Heiligen zurückgieng und seinem Glauben, sowie seinem Stande so
grosse Vorrechte einräumte. Und als die Krone, obgleich gut
katholisch, die Verfolgung der Protestanten nicht mehr billigte,
rief Graf Althan, Bischof von Waitzen, aus: „Herr, ich leide
Gewalt, antworte Du für mich." ^)
Auch für die weltliche Aristokratie war die Friedenszeit eine
Epoche der Restauration und des neuen Aufblühens. Seit 1G08
waren ausser den Bischöfen, den Bannerherren und Obergespanen
auch die erblichen Grafen und Barone Mitglieder der oberen Stände-
tafel. Der Krieg gegen die Türken imd Protestanten bot vielen
Greschlechtem des mittleren Adels Gelegenheit, der Krone Dienste
zni leisten und dadurch eine erbliche Rangerhöhung zu erlangen.
Die alten grossen Geschlechter, die noch vor der Herrschaft der
Habsburger das Heft in Händen hatten und in den Kriegen des
XVI. und XVn. Jahrhunderts eine beinahe unabhängige Rolle
spielten, waren ausgestorben. Rdkoczy und seine Sölme starben
in der Emigration, der letzte Apaffy in Wien, noch vor 1740:
die Häuser der Zapolya, der Bäthory, der Bethlon von
Iktdr, der Bocskay, der Zrinyi und Frangepan waren
schon fiüher erloschen. Nach 1711 treten die Pälffy, die Ester-
») Marczali 1, c. 22.
Digitized by
Google
172
häzy, Erdödy, Batfchyäny, Csäky, Szechenyi, K&rolyi,
Andrässy, Bänffy, Apponyi, Festetics iii den Vorder-
grund. Die meisten weltlichen und geistlichen "Würden befinden
sich in ihrer Hand. Ihr Besitz nimmt zu. Sie beherrschen die
Comitate als Erb-Obergespane oder Bischöfe. Obzwar aus dem
alten Adel hervorgegangen, treten sie dem Hofe näher und suchen
auch dort durch Prunk und Reichthum sich hervorzuthun. Sie
fühlen schon den Hauch des Ausländischen; sie sonnen sich im
Glänze des Hofes, bleiben aber doch Ungarn. Ihre Correspondenz,
ihre Testamente, ihr ganzes Leben liefern den Beweis dafür.
Die ungarische Aristokratie war an einem der wichtigsten
Wendepuncte ihrer Entwicklung angelangt. Im XVH. Jahrhmidert
war in Ungarn noch die Ritterzeit vorhanden. Ihre Symptome
waren: die häufigen Parteiimgen. die Jagd nach rohen, sinnlichen
Genüssen; die wilde Kraft, die sich so oft gegen das Gesetz auf-
lehnte. Der Magnat war vor Allem ein mit grossen Vorrechten
begabter Kriegsmann. In seiner Burg, umgeben von seinen Mannen,
haust er in der Weise eines Fürsten. Die Angelegenheiten seiner
Güter, höchstens seiner Comitate, nehmen ihn ganz in Anspruch.
Nie hat es in Ungarn weniger waJirhafte Staatsmänner gegeben,
als damals und nur die imponierende Persönlichkeit eines Nikolaus
Zrinyi koimte sich auf einen höheren, das ganze Reich um-
fassenden Standpunct erheben.
Nach Szatradr, 1711, giebt es in Ungarn nur ein Gesetz, eine
Armee. Beide waren nicht in dem Masse fremd, dass die Idee des
Widerstandes weite Kreise hätte ergreifen können, aber auch
nicht in dem Masse einheimisch und oligarchisch, dass der Wider-
spenstige auf Straflosigkeit hätte rechnen können. Die Aristokratie
verlässt ihre Burgvesten und zieht in die Ebene. Nach und nach
fallen die alten Burgvesten, unter ihnen erheben sich im Thale
neue Castelle, von Gärten im holländischen oder französischen
Style umgeben, die Stätten des Luxus und des Lebensgenusses.
Schon 1683 begann der Bau des Schlosses der Esterhizy in
Eisenstadt, das gewissermassen den Uebergang zwischen Burg und
Palast bildet. 1714 begiimt der Bau des prächtigen Schlosses in
Cseklesz (Lausitz), 1720 werden in Edelöny, 1725 in Nagy-Grurab
und KirAlyfalva (Königs-x\den), 1730 in Erdöd die Schlossbauten
in Angriff genommen. Der ungarische Horrenstand hatte also nicht
blos im Gesetz, sondern auch thatsächlich das Widerstandsrecht
aufgegeben. Die Vertheidigung des Reiches war nunmehr die
Aufgabe des Herrschers und seines Heeres und die Magnaten
Digitized by
Google
173
höchstens bestrebt, in diesem Dienst emporzukommen. Jedermaim
kemit die Verdienste des Banus Johann Pälffy.
Das eigene Gebiet der Aristokratie blieb jedoch die Politik.
Sie stand in der Mitte zwischen den feudalen Herren des Mittel-
alters, denen schon ilire Geburt einen Antheil an der Regienmg
sicherte und der modernen Aristokratie, deren Rolle doch mehr
aiif Besitz und gesellschaftlicher Stellung beruht. Ihre Geburt
eröffnete ihnen jede Laufbahn; aber auch iln:*e Erziehung machte
sie zur Leitung der öffentlichen Angelegenheiten geeignet. Sie
schlössen sich, gut katholisch wie sie waren, eng dem Hof an,
söhnten aber dadurch zugleich die Dynastie mit den Interessen
Ungarns und mit seiner Yorfassimg aus.
Der Einfluss und die Macht der reichbegüterten Magnaten-
famiUen fallen am meisten in die Augen, doch darf auch der Wirkmigs-
kreis des mittleren Adels, des Ritterstandes, wie man ihn häufig nannte,
nicht imterschätzt werden. Auch dieser Stand hatte die Waffen nieder-
gelegt oder war in kaiserliche Dienste getreten. Neben der Ver-
waltmig seiner Besitzungen nalun ihn das C o m i t a t in Anspruch.
Diese Institution, die starke Feste des Adels und der
Nationalität behielt ihre Wichtigkeit auch, nachdem die Ursachen
aufgehört hatten, welchen sie in der Zeit der Türkenkriege eine
so hervorragende Bedeutung verdankte.
Die Rolle des Comitats ist in der historischen und staats-
rechtlichen Tradition sehr oft hervorgehoben. Wir wollen nur auf
ein Moment aufmerksam machen, das besonders im XVlLL. Jahr-
hundert, in der Blüthezeit der Aristokratie, Beachtung verdient.
Damals verhinderte es das Comitat, dass der einzelne Adelige nicht
nur wie ein Atom dem Hofe oder den mächtigen Magnaten gegenüber-
stand. Ihm ist es zu verdanken, dass in Ungarn der Adel nicht
in kleine Könige und in von ihnen abhängige „Schlachzizen"
zerfiel, wie dies in Polen der Fall war. In Siebenbürgen, wo das
Comitat nicht so ausgebildet war, waren auch die Verhältnisse den
polnischen viel ähnlicher. Das Comitat als die „Universität des
Adels" schloss sich nicht blos gegen fremde Einwirkung ab, sondern
auch gegenüber den Magnaten und dem Bundschuh- Adel. Es hält
zwischen den Extremen die gemässigten Elemente aufrecht. An
seiner Spitze, steht ein Magnat oder Bischof; in seinem Gebiet ist
«ler arme, unruhige Bundschuh-Adel oft sehr zahlreich, aber die
politische Richtung erhält er doch immer von dem erbgesessenen,
die Landes- und Particular-Interessen vertretenden Stand, aus dem
seine Beisitzer (Tiblabir6) und Vicegespane herstammen.
Digitized by
Google
174
Das Comitatsleben brachte es mit sich, dass die Haupt-
beschäftigung des mittleren Adels seit dieser Epoche die Rechts-
pflege wurde. In dem „Tripartitum" Verböczy's und den dieses
später ergänzenden Artikeln fand er die feste Grundlage seiner
staatsrechtlichen und privatrechtlichen Stellung. Das Richteramt
bietet am häufigsten Gelegenheit, sich zu den höheren Würden
aufzuschwingen. Im Allgemeinen ist die Grenze zwischen Magnaten-
stand und mittlerem Adel noch sehr schwankend und durch könig-
liche Gnade schlössen sich immer mehr neue Geschlechter den
alten an.
Der friedliche Zustand und seine Aufgaben brachten es mit
sich, dass die Comitate der neugeschaffenen staatlichen Administration
eingefügt werden mussten. Nach G. A. LVI, 1723 sollten die Ober-
gespane ihre Comitate selbst verwalten und für die Förderung der
politischen und öffentlichen Angelegenheiten, sowie der Justiz, Sorge
tragen. Sie sollten also, wenn sie nicht diu-ch anderweitige Reichs-
Angelegenheiten daran verhmdert sind, im Comitat selbst ihren
Sitz halten. Sie sollen alle drei Jahi-e oder, wenn es nöthig ist,
auch in kürzeren Zeiträumen in ihi'em Comitat eine „Restaurations-
sitzung" zur Wahl der Beamten abhalten. Sie benennen zu jeder
Stelle vier fähige Candidaten aus dem Adelstand im Einvernehmen
mit dem früheren Vicegespan. Die Vicegeapane und die anderen
Beamten sollen erbgesessene und inieigennützige Edelleute sein, die
den grossen Grundherren in keiner Weise verpflichtet sind. Die
Wahl soll mit Zustimmung des ganzen Comitats erfolgen. Um
allen Missbräuchen vorzubeugen, sollen die Verhandlungen öffentlich
mit gebührender Mässigung geführt und über ihr Ergebniss ein
Protocoll aufgenommen werden. Was einmal durch die General-
Congregationen beschlossen wurde, darf durch Obergespan oder
Vicegespan nicht umgestossen werden. Auch die Abwesenden
müssen sich den Beschlüssen fügen. In der Abstimmung muss nach
Gesetz und Gewohnheit vorgegangen werden. (G. A. LViil.)
Da viele Comitate ihre in der Türkenherrschaft unterbrochene
Thätigkeit jetzt wieder aufnahmen, musste für ihre innere Ein-
richtung gesorgt werden. Zu diesem Zwecke sollten alle Comitate
thunlichst in den Freistädten oder in grösseren Flecken im Mittel-
punct ihres Gebietes Comitatshäuser haben, in denen die Congre-
gationen und Gerichtsverhandlungen abgehalten, das Archiv auf-
bewahrt und die Sträflinge gefangen gehalten würden. Aucli
die Hinrichtungen wurden dorb vollzogen. (1 723, LXXIII. G. A.) Später
wird bestimmt, dass jedes Comitat nur einen Vicegespan haben
Digitized by
Google
175
solle, dass aber die Universität des Comitates, wenn er allein die
Bürde der Geschäfte nicht zu ertragen vermag, ihm einen Stell-
vertreter gewähren könne. (1729, XV. G. A.) Dieselbe Diät be-
stimmte auch die Competenz der Comitatsgerichte.
An der Spitze des Comitates steht der vom König ernannte
Obergespan (Comes), gewöhnlich ein Magnat oder Bischof. Mehrere
Familien besassen die Obergespanwürde erblich. So die P&lffy
in Pressburg, die Esterhäzy in Oedenburg, dieBatthyäny in
Eisenburg, die Althan in Zala, die Erdödy in Varasd, die
IllöshÄzy in Trencs^n, die R6vay in Thuröcz, die Csdky in
Szepes. Obergespan des Pester Comitates war der Palatin. In andern
Comitaten war die Obergespanswürde mit der bischöflichen ver-
bunden. Das Gesetz verpflichtete zwar den Obergespan zur per-
sönlichen Leitimg der Verwaltung, in Wirkliclikeit aber beschränkten
sich die meisten auf Repräsentation, Candidierung der Beamten
und Leitung der Wahl-Congregationen. Die Administration und
Gerichtspflege lag in den Händen des Vicegespans, der gewöhnlich
durch Familie, Grimdbesitz imd Fähigkeit das natürliche Haupt des
Comitatsadels war. In der Gerichtspflege standen ihm die Beisitzer
(täblabiro) bei, die angesehensten und erfahrensten Männer des
grundbesitzenden Adels, die dieses Ehrenamt oft mit grosser Auf-
opferung versahen. ^) Die einzelnen Bezirke verwaltete der adelige
Stuhlrichter (judex nobilium) , mit seinem Geschworenen. Alle
Beamten mussten adelig sein und wurden vom Obergespan candidiert
und von der Generalversammlung gewählt.
Das Comitat, d. i. die Gesammtheit (Universität) des Adels
auf seinem Territorium, besorgte durch seine selbstgewählten Beamten
alle politischen und Justizangelegenheiten. Ihm oblag die Voll-
ziehung der von der Statthalterei erlassenen königlichen Befehle.
Wo aber das Comitat einen solchen Befehl nicht als gesetzlich
anerkannte, hatte es das Recht, zu repräsentieren und den Vollzug
aufzuschieben. Dadurch erhielten die Comitats-Versammlmigen eine
grosse politische Bedeutung.
Noch wichtiger war ihr Recht, den Reichstag durch ihre
Ablegaten zu beschicken. Gewöhnlich wurde der Vicegespan und
noch ein angesehener, gesetzeskundiger Tablabirö gewählt. Vor der
"Wahl wurde eine Instruction verfasst, an welche sich die Ablegaten
halten mussten und welche neben den allgemeinen Reichsinteressen
auch particulare, ja oft sogar Familien- Angelegenheiten berührte.
») 16 IB. XXIV. G. A.
Digitized by
Google
176
Die Diät (Reichstag).
Sowie das Coinitat die Gesammtheifc der Adeligen seines Gebietes
ist, so ist die Diät (der Reichstag) die Gesaramtheit des Reichsadels.
Die Ständeversammhmgen beruhen noch auf dem Gesetz-
artikel I, 1G08 (post coronat), welcher bestimmt, welche Einwohner
als Reichsstände angesehen werden und königliche Einberufungs-
schreiben erhalten sollen.
Mitglieder der obem Tafel sind die Diöcesanbischöfe, dann
die erblichen Magnaten und die BannerheiTen. An der untern Tafel
sitzen die Ablegaten der Comitato, die Vertreter der Städte, die
Aebte , die Pröpste der Domcapitel , ausserdem die Bevoll-
mächtigten der abwesenden Magnaten (auch Witwen hatten das
Recht, solche Vertreter zu senden).
Bei den Ständen hat jedes Comitat und jede Stadt seinen
bestimmten Platz und jeder würde es als Verletzung seines und
»seiner Absender Rechte halten, wenn er auch das Geringste davon
aufgeben würde. Das Reich ist in die vier Districte: diesseits und
jenseits der Donau; diesseits und jenseits der Theiss getheilt: von
den Donau-Comitaten haben Pressburg und Oedenburg, von den
Theiss-Comitaten Abauj und Zemplen den Vorsitz. Bei den Städten
folgen aufeinander: Buda, Pest, Pressburg, Kaschau, Tyrnau und
Oedenburg. Rechts sitzt der erste, links, ihm gegenüber, der zweite
Ablegat des Comitates oder der Stadt. Bei der obern Tafel sitzen
die Prälaten rechts, die weltlichen Herren links, alle nach Rang und
Würde. In wichtigen Fällen halten alle Stände eine gemeinsame
Berathung ab (sessio mixta). Bei der untern Tafel sind auch die
Vertreter der abwesenden Magnaten, die Aebte und Pröpste zu-
gegen; gezählt werden aber nm* die Stimmen der Comitate und
Croatiens. Nach altem Gebrauche hatte die ganze Curie der Städte
nur eine Stimme. ^)
Zugegen waren bei der Eröffiiung des stark besuchten Reichs-
tages von 1722— 1723 an der obern Tafel: dreiunddreissig Prälaten,
acht Reichsbarone, zwei Kronhüter, seclizehn Obergespane, acht-
unddreissig Grafen und neunundfünfzig Freiherren, zusammen 156 ;
an der unteni Tafel : fünfzehn Richter der königlichen Tafel, nexin-
undachtzigComitats-Deputierte, siebzig städtische Deputierte, dreiund-
vierzig Ablegaten derCapitel undKlöster und vierundsechzig ablegati
absentium, zusammen 281.
*) Marczali, Maria Terözia, 61.
Google
Digitized by ^
177
Hier begegnen einander also die Elemente, welche den gegen-
wärtigen Zustand nnr aus Nothwendigkeit angenommen hatten, mit
denen, welche ihn mit hervorbrachten und durch ihn regierten.
Bei der obem Tafel, bei den Ablegaten der Städte und Capitel
herrscht die letztere Richtung vor und der stets sich ausbreitende
Baum des neuen Staates senkt seine Wurzeln auch in den Adel
hinab. Nichtsdestoweniger bleiben der Geist imd die Tradition der
Diäten stets dieselben. Jahre hindurch wartet der Comitats-Adel
sehnsuchtsvoll der Gelegenheit, auch in Reichsgeschäften seinen
Einfluss in die Wagschale werfen zu können. ^) Er hoffli zugleich
dort auf die gesetzliche Heilung der Gravamina seiner Person,
seines Standes, seiner Unterthanen und des ganzen Landes. Die
Diät war eine Versammlung der Stände; es war uümöglich, dass
dort andere Ansichten und Auffjissungen als ständische zur Geltung
gelangten. Der Kampf zwischen königlicher Macht und ständischem
Hecht, zwischen fremder Organisation imd nationalem, passivem
Widerstand, der in den Comi taten in jeder Frage durchgefochten
wird, erneut sich nach langem Pausen in grösserem Massstabe
auf den Reichstagen.
Dennoch wäre es falsch, in den Reiohsversammlxmgen dieser
Epoche blos negative, auf kleinliche Fragen erpichte, immer die
alten Beschwerden wieder herzählende Gravaminal-Diäten zu sehen.
Ein kurzer Ueberblick beweist, dass gerade die unter Carl HE.
(Kaiser Carl VI.) abgehaltenen Reichstage zu den fruchtbarsten und
thätigsten gehören. Im Jahre 1715 werden die ständische Armee imd
die Militär-Contribution inarticuliert, die Gerichte neu geordnet,
das Recht der ungarischen Krone auf die noch unter militärischer
Verwaltung stehenden Gebiete gewahrt. Im Jahre 1722 werden die
pragmatische Sanction, die Erblichkeit der Dynastie in weiblicher
liinie angenommen, dabei aber die Continuität der Verfassung und
die Selbstständigkeit der Regierung Ungarns gesichert. Derselbe
Keichstag organisiert den Statthalterei-Rath. Im Jahre 1728 wird
besonders die Gerichtsordnung reformiert und die Comitats-Ver-
v^-altxmg geordnet.
Diese Verdienste der Reichstage müssen umsomehr anerkannt
ijverden, als ihre Geschäftsordnung die möglichst langwierige und
zeitraubende war. Die Artikel werden von den Protonotarien der
königlichen Tafel ausgearbeitet, dann an der untern, später
') ,,Man sieht nicht immer eine Diät, wenn man will,'* sagt Franz von
BossÄnyi 1751. Kazinczy, P41y4m Eml6kezete.
Oesterreiohischer Brbfolgekrieg. I. Bd. 12
Digitized by
Google
178
an der obern Tafel verhandelt und in der gemeinsamen Sitzung
beider Tafehi endgiltig redigiert. Dazwischen 'laufen aber immer
Deputationen der einen Tafel an die andere über jede vorkommende
Differenz. Da die Redner der Deputationen stets Prälaten, Bischöfe
oder Domherren sind, ist der schönen lateinischen Reden kein Ende,
denn die angesprochene Tafel muss ja gebührend antworten. Damit
ist aber erst die Hälfte des Werkes gethan. Folgt die Unterhandlung
mit der königlichen Kanzlei, die nicht nur an den König über
jeden Punct referieren muss, sondern auch von diesem angewiesen
wird, über die meisten Artikel mit seinen kaiserlichen Behörden:
Kanzlei, Kammer, Kriegsrath zu "verhandeln. Sind nun Schwierig-
keiten aufgetaucht, so nimmt der Artikel den Weg zurück zur
Diät. Eine directe Communication zwischen königlicher Regierang
und Landesvertretung war noch nicht vorhanden. Es war sehr viel
Patriotismus, Fachkenntniss und Aufopferung nothwendig, um unter
solchen Verhältnissen den Diätal-Tractat zu einem gedeihlichen
Ende zu führen. Es trat immer mehr zu Tage, dass die vorhandenen
Gegensätze einander doch nicht vernichten, sondern blos massigen.
Nicht die Extreme tragen den Sieg davon, sondern die Nothwen-
digkeit der Transaction.
Wenn aber die ruhige Ueberlegung und das weise Schlichten
der Schwierigkeiten den ruhigen Gang der Geschäfte möglich machte,
so hatte der Monarch selbst den grössten Antheil daran. Carl war vor
Allem auf die wirthschaftliche Hebung seiner Reiche bedacht. Ungarn
hatte seiner Fürsorge nach so langer Verwüstung durch Krieg und
Pest sehr viel zu danken. Bei der innern Regierung kam es ihm
sehr zu statten, dass er in der Jurisprudenz und in der lateinischen
Sprache wohl bewandert war. Nach dem Absolutismus Leopold I.,
nach dem stürmischen Aufbrausen der Unabhängigkeitsbestrebungen
unter Riköczy fühlte sich die Nation unter der väterlichen,
gerechten, gemässigten Regierung CarTs „wie im Hafen der
Sicherheit eingelaufen".
Zustand des Landes.
Nach der Beendigung des RAköczy ^schen Krieges war
überall das Gefühl verbreitet, dass man vor einer neuen Geschichts-
epoche stehe. Wie alle Völker des Alterthums und des Mittelalters
setzte man auch hier die geschichtlichen Ereignisse mit den Phäno-
menen der Natur in Verbindung. Das Jahr 1711 war von Natur-
Digitized by
Google
179
wundern und Plagen so erfüllfc, dass der Gläubige tiberall Gottes
Finger erblicken musste. Es herrschte eine fürchterliche Pest, die
in Ungarn allein an 300.000 Menschen dahinraflPbe, vielleicht ein
Zehntel der ganzen Bevölkerung. Ueberschwemmung, Hagel, Vieh-
seuche, Erdbeben bringen das Volk zur Verzweiflung. Die Theiss
verlässt ihr Bett und die Fische bleiben auf dem Trockenen. Der
alte Cserei zeichnet dies Alles mit bewunderndem Glauben auf und
setzt hinzu: „Ich glaube, dass unsere Sache sich nicht zum Bessern,
sondern zu noch Böserem wenden wird." ^) Unter solchen Verhält-
nissen nahm die mit dem Namen „Labanczen" verspottete höfische
Partei, im Verein mit den sich an sie anschliessenden alten „Kuruczen",
die Neugestaltung des Staates in Angriff.
Seit der Schlacht von Mohics war Ungarn nicht mehr in der
Lage, seine innere und äussere Politik nach seinen eigenen, natio-
nalen Gesichtspuncten und Interessen zu lenken. Es musste sich
mit dem Möglichen, oft mit sehr Geringem begnügen. Es musste
seine Stellung zwischen Kaiser und Pforte nach den Bedürfnissen
des Moments wechseln. Für die Zustände, die nach Ausgang der
Wirren sich ergaben, konnte kaum jemand sich begeistern. Sie
konnten weder in Wien und beim Heere die Traditionen der Kol-
lonics und Heister, noch im Lande das Andenken Eik 6 czy's ver-
gessen machen. Aber, was die Hauptsache war: die Nation lebte
und entwickelte sich unter ihnen. Sie bewiesen, dass man bisher
unvereinbare Gegensätze vereinen könne. Sie bezeugen den Sieg
der Berechnung und des Verstandes über die Leidenschaften.
Ohne Zweifel war Ungarn im Jahre 1740 volkreicher, wol-
habender, gebildeter und freier, als es 1711 gewesen. Sein Zustand
entsprach nicht dem Ideal der politischen und Glaubensfreiheit,
noch dem der nationalen Unabhängigkeit. Doch dürfen wir nicht
vergessen, dass diese Epoche nicht auf die ruhmvolle Zeit Ludwig
des Grossen und Matthias Corvinus' folgte, nicht einmal auf
die Jahre Gabriel B e t h 1 e n's und Nikolaus Esterhdz y's, sondern
dass ßie der türkischen Eroberung und den verheerenden Religions-
tind Nationalitäts-Kämpfen ein Ende machte. Die ungarische Nation
stand am Rande der Vertilgung, jetzt zählt sie wieder mit unter
den Völkern Europas. Selbst Tacitus fand das Kaiserthum in Eom
begreiflich: „denn wie wenige gab es, die die Republik noch
sahen". *) Mit welchem Dank und welcher Zufriedenheit mussten
*) L c. 475. Nemzeti könyotÄr.
*) Quotus quisque reliquus, qui rem publicam vidisset,
12*
Digitized by
Google
180
jene auf die Reichstage, das Forfcschreiten der Oulfcur und der Be- J
völkerung blicken, die einst die Thätigkeit der Heister und Caraffa
mit angesehen, die an der Versammlung in Onod, an den Schlachten
von Trencsön und Zsibö theilgenommen und in deren Erinnerung
die Zeit noch nicht verwischt war, in welcher ein türkischer Pascha
in Ofen residierte.
Das Gefiihl der grösseren Sicherheit und der Zufriedenheit
verbreitete sich immer mehr. Man war sich dessen bewusst, dass
durch die Stillung der Unruhen und die Vertreibung der Türken
die Möglichkeit des friedlichen Fortschrittes gegeben war. Kuruczen
imd Labanczen wollten dies in gleicher Weise ausnützen. Es war
ein alter BAköczyaner, Fr«mz von S z 1 u h a, der sich des Ausdrucks
bedient, dass Ungarns Schüff unter König Carl in den Hafen ein-
gelaufen sei. ^) Ein Prälat stellt in seiner auf dem Reichstage 1722
gehaltenen Rede Carl hoch über Alexander den Grossen, denn:
er begnügt sich nicht damit, zu erobern, er trägt auch Sorge für
das Glück seiner Unterthanen. Als Ausfluss dieses Dank- und
Sicherheitsgefühles ist vor Allem die einstimmige Annahme der
pragmatischen Sanction zu betrachten.
Diese Ueberzeugung waltete nicht blos in den regierenden
Classen vor, sie durchdrang alle Schichten des Volkes. Noch 1717
und 1718 befürchtete man innere Unruhen als Folge des Türken-
krieges, Rik6czy und Bercsönyi erwarteten mit dem ganzen
Sanguinismus der Emigrierten die Gelegenheit, nach Ungarn zurück-
zukehren.
Am Schlüsse der Regierung CarTs stand die Monarchie
wieder im Kampfe mit den Türken. Der Krieg nahm einen
unglücklichen Verlauf; alle Eroberungen Eugen's standen auf
dem Spiele. Dazu kam noch, dass man beim Tode des Kaisers
grosse europäische Zerwürfnisse voraussah. Der Sohn Franz
R i k 6 c z y's 2) trat als Erbe der Ansprüche imd des Vermächt-
nisses seines Vaters auf. Aber selbst in der Türkei, im Lande der
Emigration, hielt man es schon für eine Sünde, den Frieden des
Vaterlandes zu stören. „Gott möge nicht geben, dass Jemand zu
uns komme." ,,Gott sei Dank, es kam Niemand, der was werth
wäre," schreibt einer der getreuesteu Anhänger R 4 k 6 c z y's im
Exil, Kelemen Mikes. ^)
') Eede vom 30. Juni 1722 an die Stände. Gedruckt in Pressburg 1722.
») Der ältere Sohn Franz, gest. 1738.
•j Mikes Kelemen, Törökorszdgi levelek ed. Abafi.
Digitized by
Google
181
Gravamina, schwebende Fragen.
Die Verfassungsfragen wurden nicht mehr» mit dem Schwerte
ausgefochten, endgiltig gelöst und ausgetragen waren sie aber mit
niohten. Es fehlte viel daran, dass die wirklichen Verhältnisse dem
Geiste imd dem Buchstaben der Gesetze entsprochen hätten. Und
da die Entscheidung in den meisten Fällen nicht blos eine Rechts-
frage, sondern auch eine Machtfrage involvierte, zog sich die
Lösung von Jahr zu Jahr hin. Selbst „die gesetzliche Abhilfe des
Reichstages" fährte nicht immer zum Ziele, denn in dem Vollzug
der Artikel hatten ja auch die Wiener Behörden mitzusprechen.
Als Hauptgravamina wurden auf dem Reichstag von 1722 — 1723
behandelt: 1. Dass Siebenbürgen, das Banat von TemesvÄr, Syrmien,
Serbien und die Militärgrenze dem ungarischen Reiche noch nicht ein-
verleibt waren. 2. Die unverhältnissmässig hohe Steuer, die drücken-
den Militärlasten der Einquartierung und des durchziehenden und
stationierenden Militärs. 3. Die Femhaltung der Landeskinder von
den hohen Aemtem. 4. Der hohe Salzpreis. 5. Die Reduction des un-
garischen Militärs und die Femhaltung derEdelleute von der Armee. ^)
Von diesen Beschwerden bezogen sich die ersten drei auf
wirkliche Gravamina des Reiches. Die Einverleibimg der zu Ungarn
gehörigen Länder war ein Punct des Königseides, machte aber
nichtsdestoweniger nur langsame Fortschritte, da die kaiserlichen
Behörden den Forderungen der Diät gegenüber sich auf die That-
sache berufen konnten, dass die Eroberung Syrmiens, des Banates
und Serbiens nur den Waffen und der Opferwilligkeit der ganzen
Monarchie zu verdanken sei. Mit Siebenbürgen verhielt sich die
Sache noch anders. Die siebenbürgischen Stände hatten 1691 be-
sondere Gerechtsame erlangt und die dort so einflussreichen
Protestanten widerstrebten selbst der Vereinigung mit Ungarn,
wo die Katholisierung in voller Blüthe stand. Die im Banat aus-
gebrochenen Unruhen, die Auswandemng vieler Serben nach
JBussland, der Aufstand des Pdr6 Szegedinecz im Jahre 1735
mussten die Regierung davon überzeugen, dass auf diesem neu-
gewonnenen, so lange brach gelegenen Gebiet eine strenge und
wache Administration Noth thue. Das Recht Ungarns stand ausser
Frage, die Einverleibmig selbst wurde aber erst gegen Ende der
Eegierung Maria Theresia's vollzogen.
*) Brief Szluha's an den Palatin 2. März 1722 bei Salomon. A Magyar
kirÄlyi tzek betölt^se 6s a pragmatica sanctio. 134—135.
Digitized by
Google
182
Viel wichtiger für die Gegenwart war die Klage, dass die
Ungarn von der eigentlichen Leitung der Monarchie, von dem
Staats-Ministerium,» wie man unter Maria Theresia sagte, aus-
geschlossen blieben. Die grossen Geschlechter fühlten sich der
österreichischen oder böhmischen Aristokratie gegenüber dadurch
zurückgesetzt. Aber das ganze Reich musste es schmerzlich
empfinden, dass gerade in der Epoche, in welcher durch die
pragmatische Sanction eine unauflösliche Verbindung zwiscten
den Erblanden und Ungarn angeknüpft wurde und wo de facto
die wichtigsten Angelegenheiten Ungarns in der "Wiener Staats-
Conferenz verhandelt wurden, Ungarn im höchsten BÄthe des
Monarchen gar nicht vertreten war. Ein unvergleichlicher Zeuge,
Maria Theresia selbst, entscheidet diese Frage zu Gunsten
der ungarischen Ansprüche. Sie hielt es für sehr unbillig, dass die
österreichischen Minister im Rathe ihres Vaters mit den Böhmen
rivalisierten und nur darin mit ihnen einig waren, wie sie die
Ungarn von den Aemtern ferne halten sollten.
Diese systematische Vernachlässigung erzeugte gerade in den
Kreisen der getreuen und loyalen Aristokratie viel böses Blut. Bittere
Klagen werden laut, als 1737 bei dem Ausbruche des neuen Türken-
krieges nicht Johann P dl ff y, dem der Herzog von Lothringen
schon dazu gratuliert hatte, sondern Seckendorf zum Peldherrn
ernannt wurde. Der greise, um die Dynastie und das Land hoch-
verdiente Oberstlandesrichter schrieb an den Kaiser wie folgt:
„Ich kann den tödtlichen Schmerz, der mich zu Grabe trägt, nicht
verbergen, wenn ich sehen muss, wie ungeachtet des vielen Blutes,
das meine Familie und noch zuletzt meine beiden Söhne für das
Allerhöchste Haus vergossen, ungeachtet, dass Niemand je meine
treuesten Kriegsdienste getadelt hat, man mich doch zu meiner
öffentlichen Schande vor meinem Vaterlande und der ganzen Welt
von dem Heeresbefehl entfernt hat und gerade bei Beginn des
Feldzuges, als Niemand daran gedacht hat. Auch kann ich e^ nicht
anders erklären, als dass ich Eurer Majestät Allerhöchste Gnade
wegen meiner Unfähigkeit oder aus Misstrauen verloren habe.''^*
Und als der schlecht geführte Krieg zum Verlust der südlich
der Donau gelegenen Provinzen, zum Aufgeben Belgrads und zur
Verwüstung des Baiiats führte, schrieb der königliche Personal
Freiherr Anton Grassalkovics an den Hofkanzler Grafen
Ludwig Batthyany: „Meine Feder kann es nicht niederschreiben.
') Concept im Seniorats- Archiv in Pressburg.
Digitized by
Google
188
mit welchem Gefühle ich die Nachricht von dem imerwarteten und,
wie ich wohl sagen darf, schändlichen Frieden vernommen habe.
Das isf die Frucht der Zurücksetzung und Verachtung unserer
Nation." ^)
Nicht den Adel, sondern gerade den Bürger- und Unterthanen-
stand berührte die Beschwerde über hohe Steuer- und Militärlasten.
Ungarn hatte zuerst 1715 (G. A. VEI) eine ständige Steuer auf sich
genommen. Diese Steuer wurde 1724 auf 2,138.000 Gulden be-
stimmt, wozu noch 1728 als Ablösung des Fleischkreuzers
118.652 Gulden kamen. Der Reichstag von 1728 — 1729 setzte die
ganze Summe in 2V2 Millionen fest. ^) Im Vergleiche mit den
Lasten der Erblande erschien diese Summe für ein Reich von der
Grösse Ungarns als verhältnissmässig gering und die erbländischen
Behörden führten auch stets Klage darüber, dass Ungarn zu ihrem
Nachtheil bevorzugt sei. Sie vergassen, dass in Oesterreich imd
Böhmen Handel und Industrie kräftig emporblühten, während in
Ungarn Alles damiederlag und selbst der Export der Landes-
producte nach den Erblanden grossen Beschränkungen imter-
worfen war, gegen welche die Reichstage vergebens ihre Stimme
erhoben.
Bei Beurtheilung der ungarischen Steuer- und Finanzverhält-
nisse darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass das Land in
Folge der natürlichen und historischen Verhältnisse in zwei sehr
ungleiche HÄlften zerfiel. Der nördliche bergige und imfruchtbare
Theil blieb von den Türken verschont, aber die Bevölkerung war
verhältnissmässig dicht und musste ihren Unterhalt durch Industrie
suchen. Diese, ehemals blühend, sank in Folge der erbländischen
Concurrenz und ihrer Begünstigung durch das Zollsystem von Tag
zu Tag. Die Städte verarmten, die Landbevölkerung wanderte, wo
die Grundherren es gestatteten, in grossen Haufen aus. Der neu-
gewonnene Süden dagegen war noch unbevölkert, die Landescultiu*
stand noch in ihren ersten Anfängen, die Viehzucht war vor-
herrschend und der steuerpflichtigen Bauerngüter nur eine geringe
Anzahl. Der Norden musste also den grössten Theil der Geldlasten
tragen, die für um unerschwinglich waren. Bei jeder Porten-
») Nat. Museum. Hdsch. fol. 136. 25. Nov. 1739.
•) Archiv der kön. ung. Hof kanzlei. Vortrag vom 80. Juni 1785. Nr. 8323.
Die croatischen Comitate und Städte trugen etwa den dreissigsten Theil zur
Kriegs-Contribution bei. Sie zaMten nach G. A. II, 1491 verhältnissmässig nur
halb so viel als die anderen Eeichstheüe.
Digitized by
Google
184
Erectification musste den dort liegenden ComitÄfcen und Städten
ein Theil ihrer Last abgenommen werden. ^) Aber auch das Tief-
land ward nicht verschont. Denn das meiste Militär lag dort in
Garnison, wo die Lebensmittel und die Fourage zu den niedrigsten
Preisen geliefert werden konnten. Da die Preise aller Bedürfnisse
äusserst gering bemessen waren, mussten die Comitate zur Be-
schaffung der nothwendigen Artikel beträchtliche Summen hinzu-
steuern. (Deperditen.) *) Diese Zuschläge wurden natürlich wieder
auf die Landbevölkerung umgelegt, die ausserdem auch durch
Einquartierung und Excesse viel zu leiden hatte.
Ebenso wichtig ist, dass die ganze Summe von den armen
ünterthanen und den Bürgern aufgebracht werden musste. Geist-
lichkeit und Adel waren steuerfrei. Und je ärmer der Bauer wew,
umsomehr drückte es ihn, wenn er ausser dem Zehent für den
Clerus, ausser dem Neuntel und anderen Servituten für den Grund-
herrn noch baares Geld erlegen musste. Sehr empfindlich war
auch in einem mit Salz gesegneten Lande der vom Aerar fest-
gesetzte hohe Preis dieses unentbehrlichen Artikels. Man stand
erst an der Schwelle der Naturalwirthschaft und der Staat stellte
schon Anforderungen an die Geldwirthschaft. "Wie ein Volkslied
dieser Zeit es ausspricht, „ist nicht einmal die Seele des Bauern
mehr frei". „Er erwartet Tag auf Tag mit Schrecken, die Execution
ist über ihm wie der Tartar. Oft ist das ganze Dorf nur mit einem
Groschen im Rückstand, doch droht man den Richtern mit Prügeln
imd Eisen, man führt sie ins Gefängniss mit ganzen Wagenftihren
und sie können doch nicht zahlen." Die Ursache ist einfach: viele
kennen das Geld nicht einmal der Form nach.*)
Diese Verhältnisse mussten das Landvolk gegen die Kriegssteuer
und die kaiserliche Armee erbittern. Kein Wunder, dass 1736 auch
viele Ungarn auf die Seite der aufständischen Serben traten.
Ausser diesen Fragen, welche das Verhältniss Ungarns zur
Monarchie berührten, regten auch andere die öffentliche Meinung
auf, welche auf das Verhältniss der einzelnen Confessionen, Stände
und Nationalitäten zu einander Bezug hatten.
Croatien hatte sich in den RAköczy'schen Wirren, unter der
Führung seines Banus Johann Pdlffy grosse Verdienste um den
*) Ueber die Porten und deren Vertheilung vergL Marczali, 11., J6zsef
I. 65—80 und Anhang
*) Schwartner, Statistik des Kön. Ungarn. 2. Aufl. 85.
') Nat. Museum. Sammlung Jankovics. 4. VIII. 127.
Digitized by
Google
185
Thron erworben. Es bildete in allen Kämpfen des XVII. Jahr-
hunderts einen Rückhalt för die katholische und königstreue Partei
in Ungarn und der endlich erfochtene Sieg dieser Partei musste
auch der Stellung des Landes zu Gute kommen. Schon 1625 wird
der bisherige Titel Croatiens, Slavoniens und Dalmatiens „Partes
subjectae" in „Partes adnexae" verändert. Das Regnum Marianum,
die ausschliessliche Herrschaft des römisch-katholischen Glaubens,
im Hauptlande ein frommer Wunsch, war hier gesetzlich gewähr-
leistet. Durch energische Durchfuhrung der katholischen Restauration,
sowie durch vollständiges Eingehen auf die Pläne der Dynastie,
hoflften die Oroaten auch auf Ungarn einen Druck in derselben
Richtung ausüben zu können. Dieser Tendenz ist es zuzuschreiben,
dass die croatischen Stände in ihrer Versammlung vom 9. März 1712
unter dem Vorsitz und über Antrag des Bischofs von Agram,
Grafen Emerich Esterhdzy den Beschluss fassten, dass sie nach
etwaigem Aussterben der männlichen Linie des österreichischen
Hauses, auch an der weiblichen Linie festhalten und unter
demselben Herrscher stehen wollten, „der nicht blos Oesterreich,
sondern auch Steyermark, Kämthen und Krain besitzt und in Oester-
reich residiert", und diesen Beschluss durch eine Deputation dem
Kaiser unterbreiteten. Es leidet keinen Zweifel, dass die croatischen
Stände durch einen Beschluss über die Erbfolge ihren "Wirkungs-
kreis weit überschritten und der Kaiser konnte auch nichts anderes
thun als sie auf die Beschlüsse der ungarischen Stände verweisen,
auf die er in derselben Richtung einwirken wolle. Dieser Schritt
Croatiens hatte also keine weitem Folgen.*)
Da in Ungarn dieselben Principien das Uebergewicht erlangten,
für welche der croatische Adel stets gekämpft hatte, konnte die
Nationalität, so lebhaft auch ihr Geföhl auf beiden Seiten war,
keine dauernde Zwietracht erregen. Die Adelsfreiheit und die Amts-
sprache waren dieselbe, die Familien waren vielfach blutsverwandt.
Es ist bemerkenswerth, dass gerade ein ungarischer Prälat croati-
scher Abstammung, Graf Gabriel Patachich, Erzbischof von
Kalocsa, die Magyarisierung mit dem grössten Eifer betrieb, selbst-
verständlich nicht aus nationalen, sondern aus confessionellen
Gesichtspuncten. *)
Die grössten Differenzen verursachte die Nationalität in jener
Zeit zwischen Ungarn und Serben. Hier wurde der Racenunter-
*) Bid ermann, 1. c. IE. III. Abschn. Note 64.
') Steph. Katona Hist. Archiep. Coloc. II.
Digitized by
Google
186
schied durch die Verschiedenheit der Cultur und des Griaubens
gesteigert. Denn zwischen Ungarn, Deutschen und Slovaken hatten,
auch bei verschiedener Beligion, die gemeinsamen geschichtlichen
Erinnerungen und die gemeinsame Cultur schon eine gewisse
Solidarität geschaffen. Zwischen ungarischem und croatischem Adel
konnten keine wesentlichen Gregensätze auftauchen, da das Privi-
legium sie zusammenhielt. Die Walachen (Eumänen) aber waren
entweder Leibeigene oder Hirten, die noch ein halbnomadisches
Leben führten imd in politischer Beziehung noch nicht mitzählten.
Selbst vom Gesichtspuncte der Bekehrung beschäftigte man sich
erst später mit ihnen. Hiezu kam, dass die walachischen und
ruthenischen Gebiete nicht an das Gebiet des vorschreitenden,
erobernden Katholicismus grenzten, sondern an den in sich ge-
schlossenen, aber der Propaganda entsg^enden Calvinismus. Diese
geographische Lage erklärt ihre grössere Widerstandskraft nicht
nur gegenüber der Bekehrung, sondern auch gegenüber der Ma-
gyarisierung. Die Wiener Regierung Hess sie nicht aus den Augen
und Carl VL bekräftigte am 13. August 1720 das von Leopold I.
am 23. August 1692 erlassene Diplom, in dem er die griechisch-
unierte Geistlichkeit und das Volk in Schutz nahm.^)
Die Territorien der einzelnen Nationalitäten waren in Folge
der geringeren Besiedelung und der grössern Beweglichkeit der
Bevölkerung noch nicht scharf abgegrenzt. Die ungarischen Gegenden
an der Theiss und am Plattensee, die slavischen im Nordwesten
und die croatischen im Südwesten ausgenommen, gab es lauter
Enclaven und Exclaven. Doch auch in dieser Zeit machte die
Magyarisierung, besonders im Tiefland und jenseits der Donau, grosse
Fortschritte.
Li dieser Epoche übte also die Verschiedenheit der Nationa-
litäten keine hervorragende Rückwirkung auf die politischen Ver-
hältnisse aus. Die politische Macht war an den Adel geknüpft imd
darin machte die Nationalität keinen Unterschied.
Was den Adel spaltete, war der Glaubensunterschied.
Nach dem Unterliegen der Türkenmacht war der Protestantis-
mus für die Dynastie politisch nicht mehr gefährlich. Andererseits
erwies sich die katholische Partei, besonders die hohe Geistlich-
keit, doch nicht als willenloses Werkzeug des Hofes. Unter solchen
Umständen liess die Leidenschaft des Bekelirens, die unter Leopold L
*) Fiedler, Beiträge zur Gescliichte der Union der Ruthenen. Kais. Aka-
demie 1862. 514.
Digitized by
Google
187
so hoch loderte, unter seinen Nachfolgern beträchtlich nach. Die
Ursache davon ist nicht in den persönlichen Geftlhlen des Monarchen
zu suchen. Carl VI., der die spanische „katholische" Krone ftüher
trug als die kaiserliche und ungarische, war ein so gläubiger Sohn
seiner Kirche, als je irgend einer seiner Vorgänger. Ein Denkmal
seines Glaubenseifers ist die reiche Carlskirche in Wien. Als der
Krieg gegen die Türken seinen Heeren keinen Sieg brachte, hoflfte
er von der Aussetzung des AUerheiligsten in den Kirchen eine
günstige Wendung.*) Aber als Kaiser war er nach zwei Seiten hin
gebunden. Einestheils bildete das Bündniss mit den protestantischen
Seemächten und mit Preussen die Grundlage seines politischen
Systems und wenn er auch versuchte, durch enges Anschliessen an
Spanien und Russland seine fiiihem ADürten entbehren zu können,
führten diese Versuche zu keinem dauernden Resultat. Anderer-
seits war in seinem Heere der Protestantismus stark vertreten.
Die ausschliesslich katholisierende Richtung sah stets in der Armee
ihren gefährlichsten Gegner.
Die Politik des Hofes gegenüber den Protestanten konnte
nicht mehr den von der Geistlichkeit eingeschlagenen Weg
wandeln. Diese konnte sich ihren religiösen Bestrebungen hin-
geben, die Regierung aber musste mit politischen Factoren rechnen.
Dieser Unterschied wird schon 1720 bis 1721 klar, als die Reichstags-
Commission in Glaubenssachen zusammentrat und die Regierung
den Uebergriffen der Prälaten ein Ziel setzt. 1721 lässt sie das
"Verzeichniss der Forderungen des Clerus vernichten.^) Wohl um
die Protestanten fiir die pragmatische Sanction zu gewinnen,
^wünschte der König in seinem am 1. November 1722 an den Palatin
erlassenen Schreiben, dass ihren Beschwerden noch auf diesem
Reichstage abgeholfen werden solle. Ein anderer Erlass vom
12. Juni 1723 machte es den Comitaten zur Pflicht, gegen die Pro-
testanten mit grösster Schonung vorzugehen. So wichtig war das
politische Interesse, dass selbst der Fürstprimas von Ungarn ge-
lindere Saiten anschlug imd dem preussischen Gesandten sagte:
,,So lange es Gott nicht wenden wolle, müsse man als communes
Europae cives zusammen leben."^)
In dieser Weise nahm die Krone einigermassen eine Stellung
über den Parteien ein, indem sie, bei all' ihrem Interesse für den
*) Friedrich der Grosse. Memoire s de Brandenburg.
*) Kön. Archiv in Berlin.
•) Bericht des kön. preuss. Gesandten Graeve ans Wien. Archiv. Berlin.
Digitized by
Google
188
Katholicismus, wenigstens den änssersten Anforderungen der Geist-
lichkeit entgegentrat.
Der eigentliche Kampf um das politische Recht des Protestantis-
mus ward auf dem Reichstage 1728/29 ausgefochten.
Der Reichstag hatte zum Behuf der Rectification der Porten
(der Steuer -Vertheilung) eine Commission entsendet, zu deren Mit-
gliedern auch Samuel Zsembety aus Tur6cz (evangelisch) und
Paul Katona aus Borsod (reformiert) gehörten. Von der Commission
wurde der Eid gefordert, ohne Parteilichkeit und gewissenhaft vor-
zugehen. Zsembery und Katona weigerten sich, den gesetzlich
vorgeschriebenen Decretal-Eid zu leisten, in welchem die heilige
Jungfrau und die Heiligen vorkommen. Die katholische Majorität, mit
dem Erlauer Bischof Graf Gabriel Er d ö dy imd dem Obersthofmeister
Graf Josef EsterhAzy an der Spitze rief nach „Action", d. i. der
gesetzlichen Strafe för die Störer der Berathung. Die Protestanten
erhoben sich zur Vertheidigung ihrer Glaubensgenossen und
endlich wandten sich beide Theile an die königlichen Commissäre
Kinsky und Nesselrode. Diese suchten zu beschwichtigen, bis
der königliche Bescheid herabgelangt sei. Die Majorität jedoch gab
sich damit nicht zufrieden, sondern liess die beiden Deputierten trotz
des Widerspruches des Paul Jeszen&k, des Bevollmächtigten des
Prinzen Eugen, durch den Thürsteher der Statthalterei aus der
Sitzimg entfernen. Ausserdem wurden sie zu der gesetzlichen Strafe
von 64 fl. verurtheilt und da man ihnen mit Kerker drohte, blieb
ihnen nichts übrig, als diese Summe zu erlegen. Damit noch nicht
zufrieden, forderte man auch die protestantischen Deputierten der
Comitate Veszpröm, Mittel-Szolnok und Kraszna, die ebenfalls den
Decretal-Eid verweigerten, für den 11. August vor die Ständetafel.
Aber die also Bedrohten schlugen den Weg nach Wien ein und
erwirkten eine königliche Resolution des Inhaltes, dass der Beschluss
der Stände suspendiert werde und dass man, die Frage des Eides
bei Seite setzend, an die Rectification der Porten schreiten solle.*)
EsterhÄzy fiel in Ungnade und wurde seiner Würden entsetzt,
die er jedoch schon im folgenden Jahre zurückerhielt.*)
In England wusste die Staatskirche durch die in der Test-
Aöte vorgeschriebene gesetzliche Eidesformel die Andersgläubigen,
>) Horvdth. Magyarorsz^g törtenelme, VU. 163— 166. Fes sie r, Gesch.
der Ungarn, X, 354.
•) Kalinovics, Postuma Memoria Joseph! Esterh&zy. A^, T3miaviae
1764. 74—79.
Digitized by
Google
189
besonders die Katholiken, ihrer politischen Rechte, ihres Antheiles
am Staate zu berauben. In Ungarn führte der ähnliche Versuch
der katholischen Staatskirche nicht zum Ziele. Gesetzlich liess sich
die politische Gleichheit des protestantischen Adels doch nicht
verletzen ; ein derartiger Anschlag fand bei der Krone keine Unter-
stützung. Für Fanatiker vom Schlage des Bischofs Erdödy, der
Ungarn eher arm und katholisch haben wollte, als reich und durch
Irrglauben befleckt, bot das System Kaiser C a r Ts keinen Raum. ^)
Doch würde man irre gehen, wenn man von dem für die
Protestanten günstigen Ausgange der Eides-Frage auf Gerechtigkeit
oder auch nur Toleranz ihnen gegenüber folgern würde. Die könig-
liche Resolution vom 21. März 1731 war sehr weit davon entfernt,
den gesetzlich gewährleisteten Rechten der protestantischen Kirche
zu entsprechen, wenn sie auch andererseits die Jesuiten nicht be-
friedigte. Cardinal Althann, Bischof von Waitzen, ermangelte auch
nicht, heftig gegen diese Resolution zu protestieren.
Er wurde an den Hof beschieden und als er nicht erschien,
wurden seine Beneficien unter Sperre versetzt.
Doch blieb die Staats-Regierung in allen ihren Organen rein
katholisch und nahm Antheil an dem katholischen Bekehrungs-
werke. Sie duldete nur connivendo die reformierten Vicegespane
und Beisitzer in den Comitaten, die evangelischen Richter und
Magistrate in den Städten und erzwang selbst in Municipien, wo
es kaum Katholiken gab, wie z. B. in Debreczin, paritätische
Rathswahlen. Wo der Gutsherr katholisch oder gar geistlich war,
wurden die protestantischen Kirchen und Schulen weggenommen,
die widerspenstigen Unterthanen abgestiftet. Dem Adel gegenüber
konnte man nicht in dieser Weise verfahren. Anstatt directer Ver-
folgung suchte man durch Entziehung der Vortheile zum Ziele zu
gelangen. Man wusste, dass Bekehrungen das beste Mittel seien,
eine rasche Carriere zu sichern.
Wenn so der Adel auf dem Reichstage von 1728 — 1729 durch
den ö-lauben in sich gespalten erschien, hörte er doch nicht auf,
einig zu sein, sobald es seine Vorrechte galt.
Auf demselben Reichstage kam die Frage der Steuerfreiheit
der adeligen Gründe zur Verhandlung. Die Regierung war selbst-
verständlich bestrebt, für die Umlage der Steuer die möglichst sichere
Sasis zu gewinnen. Als solche bot sich vor allem der Grund und
Boden dar. Nach ungarischem Recht aber gehörte der Boden, auch
*) Grollmann, StÄtistische Aufklärungen, II, 37.
Digitized by
Google
190
die Bauerngüter, ausschliesslich dem Adel, für den seine Steuer-
freiheit, „die jungfräuliche Schulter", als das Palladium der Ver-
fassung galt. Nun kam es, besonders in den obem Comitaten, von
wo die Bauern oft auswanderten, häufig vor, dass der Grrundherr
die verlassenen Sessionen als AUod bebauen liess. Nach der Auf-
fassung der Regierung sollte er von solchen Gründen, die eigentlich
Bauerngüter seien, Steuer zahlen. Dagegen sträubte sich der Reichstag
mit aller Macht, indem er behauptete, dass die Steuerlast nicht am
Boden, sondern an der Person des Bauers hafte. Am heftigsten
verfochten der Graf Joseph Esterhizy, königlicher Statthalterei-
rath, und der Protonotar Adam Zichy dieses Princip, wofür sie
auch als Verfechter der Adelsfreiheit gefeiert wurden. Sie reisten
auch an das Hoflager nach Graz, um den König zu einer Aner-
kennung dieses Principes zu bewegen. ^) Carl begnügte sich mit
der Erhöhung der Steuer, deren gerechte Vertheilung er befahl
und liess die Freiheit des Adels unangefochten. Gesetzlich festgestellt
wurde aber diese erst vom Reichstage 1741. Damals wurde der
Grundsatz inarticuliert : „ne onus inhaereat fundo" und zugleich
die „ewige'* Freiheit des Adels von jeder Steuer bekräftigt.
(G. A.vm.)
Dies waren also die Fragen, welche das damalige politische
Ungarn bewegten. Sehen wir nun die Männer, welche im Rathe
der Krone und der Nation das Meiste wogen und die besonders
beim Thronwechsel in den Vordergrund treten mussten.
Staatsmänner und Feldherren.
Bei einer Verfassung, wie es die ungarische war, mussten die
grossen geistlichen und weltlichen Würdenträger nicht nur alle
Geschäfte leiten, sondern als natürliche Häupter auf alle Regungen
des nationalen Lebens den grössten Einfluss üben. Sie hatten schon
im Jahre 1722 zur Vorbereitung und Annahme der pragmatischen
Sanction das Beste gethan. Dass die Comitate die weibliche Erb-
folge annahmen, war vor Allem das Werk des Palatins, des Cardinal
Fürst-Primas, des Cardinal-Erzbischofs von Kalocsa, des Bischofs
von Erlau, des Banus und des Grafen Alexander K&rolyi.
Es war eine m'kräftige, leidenschaftliche, im Krieg und Frieden
gleich gewandte Generation, deren hervorragendste Mitglieder beim
») Kalinovics, 1. o. 72—74.
Digitized by
Google
191
Antritte der Regierung Maria Theresia's an der Spitze der
ungarischen Verwaltung standen.
Voran Graf Johann Pdlffy, Oberstlandesrichter, der schon
dreissig Jahre früher als Banus von Croatien um das Zustande-
kommen der Pacification von Szatmdr sich grosse Verdienste
erwarb und dann nach 1741 noch zehn Jahre hindurch als Palatin
die erste Stelle nach dem Thron einnahm. Nicht blos ein tapferer
Krieger, sondern auch als Feldherr ein würdiger Genosse des Prinzen
Eugen, an dessen Siegen bei Peterwardein und Belgrad er grossen
Antheil hatte. In seiner Jugend eine gewaltthätige, aufbrausende
Natur, auf seine und seiner Familie Hebung ebenso bedacht, wie
auf den Dienst seines Herrn und Königs, erhielt er sich eine
unzerstörbar scheinende Lebenskraft bis in das hohe Alter. Mit
achtundsiebzig Jahren gieng er 1741 die dritte Ehe ein imd ist noch
bereit, für seine Herrin als der gesetzliche Anführer des bewaffneten
Adels das Schwert zu ziehen.
Ihm schliesst sich der Banus Graf Esterhäzy an. Er wurde
zum Geistlichen erzogen, zog aber bei Beginn des R i k 6 c z y'schen
Krieges in's Feld und führte so zu sagen einen persönlichen Krieg
um den Besitz seiner Erbgüter *) gegen seine Brüder, die sich dem
Aufstande angeschlossen hatten. Im Frieden ordnete er seine Güter
imd war eines der streitbarsten Häupter der katholischen Adels-
partei. Im Schutze der Kirche und der Adelsprivilegien setzte er
sich 1729 sogar der Ungnade des Königs aus. Er war es, der 1741
am heftigsten die österreichischen Minister angriff und der die
Königin aufforderte, sie möge ihr Vertrauen in die Ungarn setzen
lond in Ofen residieren. Mit welcher Mühe und Gefahr er auch
seine Dominien erhalten und vermehrt, mit welcher Sorge er auch
bestrebt war, sie in guten Stand zu versetzen, er war stets bereit,
sein ganzes Vermögen seiner Königin zur Disposition zn stellen.
Mehr als siebzig Jahre alt, steigt er noch 1744 zu Pferde und
filhrt die Adels-Insurrection nach Schlesien.
Derselben Familie gehörte auch der Pauliner-Frater, Emerich
Esterhdzy, früher Bischof von Agram, dann Fürst-Primas von
Ungam an. In seinem gebrechlichen Körper wohnte eine unbeugsame
Seele. Unter allen Leiden hielt ihn sein hohes Pflichtgefühl aufrecht.
Er widmete seine Revenuen beinahe ausschliesslich geistigen Zwecken,
ein lebendes Denkmal jener Zeit, in der die katholische Kirche
in Ungam noch um die Suprematie kämpfen musste. ^)
*) Eigenhändige Aufzeichnungen im gräfl. Archiv in Csekl6sz.
^ Fessler, 1. c. 277—289.
Digitized by
Google
192
Einen andern Typus des geistlichen Magnaten zeigt Graf
Gabriel Patachich, Erzbischof von Kalocsa. Er war es, der,
obwohl Croat, die Stadt Kalocsa magyarisierte und wenn es noth-
wendig war, die Bevölkerung mit Geld- oder Prügelstrafen nöthigte,
ungarisch zu reden. An den Diäten hält er sich meist zur Oppo-
sition, wie er denn auch 1741, wegen seiner selbstständigen Haltung
in der Frage der Mitregentschaft, die Ungnade Maria Theresia's
auf sich zog.
Zu diesen alten Kämpfern für Thron und Altar gesellte sich
ihr fiüherer Gegner, Graf Alexander K 4 r o 1 y i, ehemals der tapfere
Feldherr RÄköczy's, der mit PÄlffy den Vertrag von SzatmÄr
abgeschlossen. Wie früher im Kriege, so war er jetzt unermüdlich
im Frieden. Neben der Bewirthschaftung seiner ererbten und seiner
viel grossem, durch königliche Gnade erhaltenen Güter, findet er
Zeit fiir Comitats- und Landes- Angelegenheiten. Gerade seine Ver-
gangenheit knüpft ihn um so enger an das Interesse des Hofes,
in dessen Dienst er dann in die Reihe der reichsten und mäch-
tigsten Oligarchen des Landes emporstieg. Die andern grossen
Familien waren alle den Donau-Districten entstammt; er ist der
erste mächtige Magnat der Theissgegend, der dem dort über-
wiegenden protestantischen und oppositionellen Mitteladel gegen-
über das Banner des Hofes und der katholischen Kirche hoch hielt. *)
Alle diese Männer, geistlich und weltlich, trugen das Gepräge
der Epoche an sich, in welcher die ungarische Nation ihr Leben
noch nicht unauflösbar an die Dynastie gekettet hatte, an die
Epoche, in welcher sie noch als selbstständiger Factor in den
europäischen Angelegenheiten mitwirkte. Sie alle schlössen sich
mit voller Aufrichtigkeit an das Haus Habsburg an. Familientradition
und Glaubens-Literesse machten sie gleicherweise zu Anhängern des
Hofes. Sie hatten an die Befestigung des Thrones gegen den Sultan
und E & k ö c z y, dann auf den Diäten und durch die pragmatische
Sanction wesentlich mitgearbeitet. Aber ihre Treue war nie eine
knechtische, sie vergassen in ihrem königlichen Amt und Dienst
nie ihrer Würde, welche ihnen ein gesetzliches Recht zur Leitung
einer alten, ruhmreichen Nation einräumte. Sie betrachteten ihre
Auszeichnung als etwas selbstverständliches und duldeten schwer die
Zurücksetzung, wenn sie sich auch nicht mehr, wie ihre Vorfahren
es gethan, dagegen auflehnten. Sie erinnern noch lebhaft an die
Stammhäupter, die Arp&d und seine Nachfolger einst als ihre
') Karolyi SÄndor Ön61etir4sa, herausgegeben von Szalay L4szl6.
Digitized by VjOOQIC
193
erblichen Fürsten anerkannten, aber daflir einen Theil der Beute
fordern nnd nicht zulassen, dass man sie und ihre Nachfolger aus
dem Bath und den Würden des Landes entferne. In ihrem Comitat
imd in ihren Regimentern üben sie beinahe noch souveraine Rechte
aus. In ihre Castelle, die sie nur selten verlassen, um nach Wien
zu gehen, dringt zwar die fremde Sprache, die fremde Cultur ein,
aber nur äusserlich, während im Innern die eigenthümliche un-
garische Bildung und Lebensweise der Aristokratie des XVII. Jahr-
hunderts, der Zrinyi, Riköczy und Esterhizy vorherrschend
bleibt.
Wir sehen den freiwilligen Anschluss der mächtigen Vasallen
an ihren legitimen Herrscher, in dem noch das persönliche Ver-
hältniss voraussteht, während der Staat, die Institutionen, erst in
zweiter Linie erscheinen.
Einigermassen in einem anderen Lichte erscheinen uns die
Staatsmänner, welche damals in reifem Mannesalter stehen und
den Platz der früheren Generation einzunehmen sich vorbereiten.
Unter ihnen waren der Hof kanzler Graf Ludwig Batthyiny und
der Personal Freiherr Anton Grassalkovics die bedeutendsten.
Sie erhielten ihre Richtung schon von der auf die lange
Kriegszeit folgenden friedlichen Periode. Die um die Existenz der
Nation, um die Sicherheit der Ejrone gefochtenen Kämpfe waren
zu Ende. Als ihr Ergebniss stellte sich dar: die Herrschaft der
kaiserlichen Dynastie, obgleich im Rahmen der Verfassung und
das üebergewicht der katholischen Kirche, obgleich der Pro-
testantismus noch bestand. Für wirklich grosse politische Ambitionen
blieb kein Raum. Daftir bot sich für die Begierde nach Macht
und Besitz auf diesem durch so viele Kriege beinahe wüstgelegten
Gebiete ein immenser Spielraum dar. Zum Reussieren war nichts
noth^wendig als der bedingungslose Anschluss an die zur Herrschaft
gelangten Factoren. Die Dynastie und die katholische Kirche
hatten sich auch bisher als dankbar erwiesen. Im Amte, auf den
Diäten, in den Comitaten und Städten musste man die Anhänger
R d k 6 c z y's und die Akatholiken zurückdrängen, wenn möglich
unterdrücken. Es war nur natürlich, dass ihr Erbe den Getreuen
der neuen Richtung zufiel. Für Belohnung sorgte die neo-
acqniistische Commission, denn wie viel immer die Kammer, die
kaiserlichen Räthe und Generale von dem von den Türken zurück-
genommenen Gebiet erhielten, war es doch nicht möglich, die
Ungarn vollständig auszuschUessen.
Qesterreichisoher Erbfolgekrieg. I. Bd. 13
Digitized by VjOOQIC
194
Bei einem Batthydny genügten der Familien-Nexus und das,
so zu sagen, erbliche Wohlwollen des Hofes und der Geistlichkeit,
um das rasche Emporkommen zu erklären ; Anton Grassalkovics,
der vielleicht die glänzendste Laufbahn machte, die in Ungarn
ausser dem Soldatenstande je vorkam, musste sich diese Familien-
verbindimgen erst erwerben.
Diese Männer erheben sich nicht mehr allein durch ihre, in
schwierigen Verhältnissen entwickelte Kraft und Gewandtheit, Sie
bereiten sich direct für den Staatsdienst vor. Ihre Erziehung und
ihr Studium umfasst ausser der Kenntniss der Heimath auch Alles
das, was das gemeinsame geistige Gut der damaligen ausländischen
Beamten- Aristokratie ausmachte. Sie kennen schon die französische
Aufklärungsliteratur ihres Zeitalters, sind in den grossen kirchen-
politischen Fragen bewandert und auch in den damals so zeit-
gemässen Kammer- und Wirthschaftsproblemen nicht unwissend.
Die geborenen Magnaten schreiben und sprechen ebenso fliessend
deutsch und französisch, als ungarisch und lateinisch. Es ist be-
zeichnend, dass Ludwig BatthyAny, der letzte ungarische Palatin,
der nicht aus königlichem Geblüt entspross, von seiner Mutter, der
berühmten Eleonora Strattmann, ermahnt werden musste, er
solle die ungarische Sprache nicht vernachlässigen. Sie fordert ihn
auf, gewöhnlich französisch zu correspondieren, aber einmal
monatlich ihr lateinisch, einmal deutsch, einmal ungarisch zu
schreiben. „Er soUe die letztere nicht vergessen, denn er könnte
ja erfahren, wie sehr er ihrer bedürfen werde." ^) Die Verschwägerung
mit deutschen und böhmischen Familien trug ihre Früchte und die
Herrschaft der französischen Literatur drängte nicht blos die
ungarische, sondern auch die deutsche und lateinische in den
Hintergrund.
Selbstverständlich war die Bildung, die Grassalkovics
sich angeeignet, viel ursprünglicher. Der ehemalige Bettelstudent
erhielt den ersten Unterricht bei den Jesuiten in Tymau. Er liess
sich als Advocat in Pest nieder und kündigte sich besondei*s der
katholischen Kirche und ihren Anhängern als Rechtsfreund an.
Als Referent der neoacquistischen Commission, dann als Personal
und Präsident der königlichen Tafel, vor Allem aber als Erwerber
grosser Güter verschafft er sich eine seltene Keniitniss in den
Irrgäiigen des ungarischen Rechtslebens. Die prac tische Richtung
seines Geistes prädestiniert ihn zur Kammerpräsidentschaft. Wie
') Fürstl. Archiv in Könnend.
Digitized by
Google
195
er durch die Gunst der Herrsclier und sein eigenes Verdienst stets
höher steigt, muss er nicht blos an Reich thum, sondern auch an
Bildung und Lebensweise mit seinen ßanggenossen wetteifern. Mit
seltener Schönheit, grossen Fähigkeiten und gewinnender Liebens-
würdigkeit begabt, weiss er die zuerst Widerstrebenden zu bewegen,
ihn als ihresgleichen anzuerkennen. Dabei ist er sehr behutsam
und ruhmgierig, verweist selbst auf seine geringen Anfänge und
auf die Hilfe Gottes, die ihn so hoch erhoben. ^) Zu seinem
Charakterbild gehören die Aufbewahrung seines alten Betteltopfes
als Reliquie und die Verehrung der heiligen Jungfrau in Besnyö in
eben dem Masse, als das geschickte und schonungslose Zusammenraffen
seiner fürstlichen Güter und die später zu Ehren der Kaiserin in
GödöUö veranstalteten feenhaften Festlichkeiten. Die letzteren Züge
zeigten, wohin der ungarische Edelmann sich erheben kann, die
ersteren dienten dazu, den Neid und den bösen Willen seiner
früheren wie seiner späteren Genossen zu entwaffnen.
Es fällt in die Augen, dass diese Generation viel weniger
selbstständig und unabhängig war, als die ihr vorausgehende. Es
mangelt ihr die, unter so viel Wandlungen des Schicksals erprobte
Tapferkeit der Ahnen, der militärische Zug der Feudalität.
Bei den Magnaten wird doa nationale Gefühl durch die halb-
fremde Abstammimg und durch die grösstentheils fremde Bildung
geschwächt, bei den Emporkömmlingen durch die Sucht, es Jenen
in Allem und Jedem gleich zu thun und durch das Bestreben, der
königlichen Gunst durch immer neue Dienste sich würdig zu
erweisen. Sie finden die königliche Macht schon felsenfest ge-
gründet und können ihre Ambition nur unter deren Fittichen
befriedigen. Wenn der König das Gesetz und die Verfassung nicht
angriff, sind sie ohne Vorbehalt bereit, der Krone zu dienen. Es
besteht, so zu sagen, ein stilles Einverständniss zwischen der Krone
und ihren Räthen. Letztere rechnen auf eine persönliche Ent-
schädigung für das, was der Herrscher unter ihrer Mitwirkung vom
Ijande dargeboten erhält. Diese Männer waren die Begründer und
zugleich die Vorbilder der ungarischen Auliker.
Aber auch ihr Gehorsam und ihr Diensteseifer haben ihre
Grenze. Sie hören nicht auf, ihrer Geburt oder ihrer Stellung und
Würde nach, die Mitglieder, ja die Häupter der privilegierten Classe
des ungarischen Adels zu sein. So bereit sie sind, der königlichen
*) Eigenhändige Aufzeichnungen im Nat. Museum. Marczali, Maria
Ter^zia, IB9-161.
13*
Digitized by
Google
196
Gewalt den Gegenparteien gegenüber zum Siege zu verhelfen, so
wenig kann man auf sie rechnen, wenn die königlichen Forderungen
die adeligen oder geistlichen Vorrechte berühren. Nicht nur ihr
persönliches Interesse schreibt ihnen diese Politik vor, sondern das
tief wurzelnde Bewusstsein, dass nur die adelige Freiheit ihnen,
ihrer Familie, ja der ganzen Nation die Selbstständigkeit innerhalb
der Monarchie sichere ; dass die Aufrechterhaltung des ungarischen
Königreiches, als eines politischen Factors, an diese Freiheit geknüpft
sei. Dieser esprit de corps verbindet sie im Nothfalle sogar mit
der Opposition der Comitate und der Protestanten. Dieser esprit
de corps ist es, welcher das bei ihnen noch unentwickelte staatliche
und nationale Gefühl vertritt.
So war die Lage Ungarns beschaffen, als der Tod des Kaisers
und Königs die Nation vor neue Aufgaben stellte. Ungarns Stellung
zur Monarchie und zu Europa bezeichnet ein deutscher Geschichts-
schreiber mit folgenden Worten : „Seitdem hatte Oesterreich eine
ganz andere Grundlage als früher. Sonst wurden alle Kriege in
Ungarn von deutschen Heeren geführt und man sagte, alle dortigen
Flüsse seien mit deutschem Blut^ gefilrbt; jetzt erschienen die
Ungarn als der Kern der österreichischen Heere in den deutschen
Kriegen. Nun war es der französischen Diplomatie nicht mehr
möglich, die Türken bei jedem Anlass in das Herz der Monarchie
zu rufen; nur noch einmal fand sie bei den Missvergnügten
Beistand und Hilfe; endlich war Alles ruhig; eben auf diejenige
Provinz, die ihn bisher am meisten gefährdet hatte, gründete seit-
dem der Kaiser seine Gewalt.'' ^)
{Prof. MarezaU.)
*) Bänke, Abhandlungen und Versuche, I. Die grossen Mächte, 16.
Digitized by
Google
Das Finanzwesen der Monarchie.
Digitized by
Google
(
i
Digitized by
Google
Finanzlage beim Regierungs- Antritt Carl VD.
-t>ei dem Regierungs-Antritte Carl VI. war die Finanzlage
eine traurige. „Die Staatscasse ist leer, es befindet sich darin niclit
ein HeUer," schrieb Starhemberg an den noch in Spanien
weilenden Monarchen, „Hofstaat und Armeen sind unbezahlt, die
Cameralgefälle auf Jahre verpfändet.'* Der seit Jahren andauernde
Krieg hatte die ohnehin nicht reichen Hilfsmittel des österreichi-
schen Ländergebietes stark in Anspruch genommen und heischte
auch femer beträchtliche Summen. Auch nach Herstellung des
Friedens trat eine Besserung nicht ein. Die Eegierungszeit C a r Ts
war mit Kämpfen und Kriegs Vorbereitungen angefüllt. Zunächst
erforderte der Krieg mit den Türken bedeutende Mittel und während
des dritten Jahrzehnts mussten gewaltige Anstrengungen gemacht
werden, um etwaigen Verwicklungen, die zeitweilig den x^usbruch
eines europäischen Kampfes befürchten Hessen, gerüstet widerstehen
zu können. Die aus der spanischen Erbschaft den Habsburgern
zugefallenen Gebiete hatten sich als ein Danaergeschenk erwiesen.
Endlich im letzten Jahrzehnt der Regierung C a r l's wurden durch
die Kämpfe um die polnische Thronfolge und mit den Türken die
finanziellen Kräfte geradezu erschöpft.
So unentwickelt auch die wirthschaftlichen Vorhältnisse der
Länder waren, welche dem Scepter Carl VI. unterstanden, einer
') Eine die gesammte Finanzverwaltuiig umfassende Darstellung fehlt.
Die geistvolle Arbeit S c h w a b e's : „Versuch einer Geschichte des öster-
reichischen Staatsrechts" (zwei Hefte), ist leider unvollendet. M e n s i's : „Die
Finanzen Oesterreichs von 1701—1740" (Wien 1890) enthält reiches Material
zur Geschichte des Budgets und des Staatscredits ; D'E 1 v e r t : .,Zur öster-
reichischen Finanzgeschichte", bietet brauchbare Angaben über einzelne Steuern,
namentlich in Mähren und Schlesien. Eine einigerraassen entsprechende Ge-
schichte der Besteuerung besitzen wir noch nicht.
Digitized by
Google
200
ziolbewussten, kenntnissreichen und energischen Persönlichkeit hätte
es vielleicht gelingen können, dauernde Ordnung im Staatshaushalte
herbeizuführen und auch für den ausserordentlichen Bedarf Vor-
sorge zu treffen. Auch fehlte es an dem Manne nicht, der unter
den Rathgebem des Monarchen wohl allein befähigt gewesen wäre,
die allerdings schwierige Aufgabe zu lösen, wenn die gesammte
Finanzverwaltung in seine Hände gelegt worden wäre. Gundaker
Graf Starhemberg, seit 1703 Hoftammer-Präsident, besass alle
Eigenschaften eines guten Finanzministers. ') Abgesehen von
glänzenden Eigenschaften des Charakters, war ihm eine seltene
Klarheit des Verstandes, ein hoher Sinn für Ordnung eigen, aber
anstatt einer Concentration der Geschäfte, wie Starhemberg
anrieth, trat eine bedenkliche Zersplitterung der Verwaltung ein,
deren schädigende Folgen nicht ausbleiben konnten.
Neben der Hofkammer gab es nämlich noch zwei Körper-
schaften, welche auf die Finanz-Angelegenheiten Einfluss hatten.
Seit Errichtung der Wiener Stadtbank durch das Diplom vom
24. December 1705 war die Aufsicht über die Beobachtung der
Statuten einer Deputation, bestehend aus Mitgliedern der Hof-
kammer und der niederösterreichischen Regierung, übertragen
worden. Die dem Stadtbanco zugewiesenen Fonde verwaltete eine
Bancogefälls- Administration, Anfangs ein rein städtisches Amt, ans
dem Wiener Bürgermeister als Präses und den Mitgliedern des
Stadtrathes bestehend. Eine Aenderung trat ein, seitdem die Mit-
haftung der Stadt für die Bancoschulden aufhörte, worauf die Ver-
waltung der an die Bank überwiesenen Gefälle an den Präses der
Ministerial-Banco-Deputation übertragen wurde. Der Wirkungskreis
dieser Körperschaft erweiterte sich im Laufe der nächsten Jahre
durch die Ueberweisung zahlreicher Gefälle. Eine Verbindung mit
der Hofkammer war Anfangs insofern vorhanden, als Graf Starhem-
berg Hofkammer-Präsident und zugleich Präsident der Ministerial-
Banco-Deputation war.
Seit Errichtung der Universal-Bancalität durch Patent vom
14. December 1714, wurde der Wirkungskreis der Hofkammer stait
in Mitleidenschaft gezogen und wenn die ursprünglichen Pläne,
welche den Rathgebem des Kaisers vorschwebten, verwirklicht
worden wären, würde die Bancalität wohl die wichtigste Finanz-
') Starhemberg hatte bereits nach dem Tode Brenne r's, seit Mai
1698 bis Ende 1700 als Vice-Präsident die Hofkammer geleitet. Am 14. Dec
1700 trat Salaburg sein Amt als Hofkammer-Präsident an, die £menniui£
Starhnmberg's erfolgte am 4. Juli 1703.
\
Digitized by
Google
201
behörde geworden sein und hätte den Bestand der Hofkammer
mit der Zeit überflüssig gemacht. Schwerwiegend war aber der
Entschluss des Grafen Starhemberg, nach Gründung der Ban-
calität seine Entlassung als Hofkammer-Präsident zu nehmen und
sich lediglich auf die Geschäftsleitung der Banco-Deputation zu
beschränken, in welcher Stellung er bis zimi Regierungsantritte
Maria Theresia's blieb.
Die oberste Leitung der Universal-Bancalität war Anfangs
einem Bancal-Gouvemeur, später einem Präses, in voller Unab-
hängigkeit von jeder anderen Behörde, übertragen. An derBerathung
über die Ausgaben und Einnahmen hatte die Bancalität mitzuwirken ;
die Bestreitung des Erfordernisses für den Hof, die Verprovian-
tierung der Armee, die Unterstützung der Fabriken und Manu-
facturen wurde derselben speciell zur Pflicht gemacht. Ein kaiser-
licher Befehl, wie die Hofkammer und die Bancalität „Alles was
zum Allerhöchsten Dienst nothwendig sei, communicativ agieren
und tractieren sollen", wurde am 26. April 1716 erlassen. Dadurch
war der Wirkungskreis der Hofkammer stark eingeengt worden,
da die Bancalität auch auf die Verwaltung der Cameralgefälle
einen gewissen Einfluss gewann. Die Schwerfälligkeit und Unzweck-
mässigkeit des gesammten Verwaltungs-Apparates machte sich
fühlbar, da es schon in der ersten Zeit an Reibungen zwischen
Bancalität und Hofkammer nicht fehlte. Dazu kam, dass zum
Bancal-Gouvemeur eine Persönlichkeit ernannt worden war, welcher
jene Kenntnisse fehlten, die gerade für diesen schwierigen Posten
imbedingt erforderlich waren. Die Nothwendigkeit , Abhilfe zu
schaffen, machte sich bald fühlbar und mannigfache Vorschläge
tauchten auf, darin übereinstimmend, einer Körperschaft die Be-
rathung über alle Finanz- Angelegenheiten zu übertragen, deren vom
Kaiser genehmigte Beschlüsse den Executivbehörden als Weisungen
zugehen sollten. Eine von Mikosch, dem Verfasser und Ver-
theidiger des Bancalitäts-Entwurfes, ausgearbeitete Schrift vom
2. December 1715 wurde in einer Conferenz unter dem Vorsitze
des Kaisers einer eingehenden Berathung unterzogen.
Der Verfasser des Bancalitäts-Projectes, der eine vollständige
Regelung des Staatshaushaltes durch das Institut in Aussicht
gestellt hatte, legte das Geständniss ab, dass der gegenwärtige
Zustand einer Aenderung dringend bedürfe; das „ganze Werk sei
besser und rechtschaffener zu concentrieren, um zu einer soliden
Unität der Operationen alle Haupttheile, so zusammen aus der
Verwaltimg des Aerars ein Ganzes machen sollen, in ihrer eon-
Digitized by
Google
202
venienten und vollkommenen Activität, ohne Collision, zu com-
binieren und zu perfectionnieren". Das Bancalgovemo hatte sich
nicht bewährt, M i k o s c h zog aber daraus nicht den Schluss, dass
die Bancalität zu beseitigen sei, sondern der „angezielte Endzweck"
sei dadurch zu erreichen, wenn der Kaiser sich entschliessen würde,
,, diese Incumbenz unter Seine Allerhöchste und persönliche
Attention zu stellen"; einige Minister seien „zu einem Consess zu
ernennen" mit der Aufgabe, ,,nicht blos die Operationen der
Bancalität, sondern auch die Administration der Hofkammer, mithin
alle Angelegenheiten des Aerars ohne höheren Recurs und absolute
und autoritativ zu respicieren, dirigieren und manutenieren" ; im
Falle der Kaiser einer Sitzung nicht beiwohne, sollte der im Range
erste Minister den Vorsitz fuhren, die Beschlüsse und Weisungen
sollten den Finanzbehörden nach erfolgter kaiserlicher Entschliessung
übermittelt werden; dadurch würde eine Einheitlichkeit der ge-
sammten Finanzverwaltung erzielt, der Wirkungskreis der Bancalität
und der Hof kammer genau abgegrenzt werden ; auch sollte wieder
ein Hofkammer-Präsident, welcher Posten nach dem Rücktritte
Starhemberg's provisorisch durch einen Vice-Präsidenten ver-
waltet wurde, „zum stabilen Capo" bestellt, för die Bancalität ein
Director oder Inspector ernannt werden ; dem Uebelstande der bis-
herigen Organisation und dem Zwiespalte zwischen Hofkammer und
Bancalität sei dadurch abzuhelfen, dass die Verwaltung der Cameral-
gefälle, insoweit sie nicht schon verpfändet seien, der Hofkammer
anheimzufallen, die Bancalität jedoch als Generalcasse alle Aus-
gaben zu bestreiten und gegen Ueberweisung der erforderlichen
Fonde dem Staate Credit zu verschaffen habe. ^)
Das von Mikosch ausgearbeitete Project wurde einer Con-
ferenz mit der Aufforderung übergeben, dass jeder anwesende
Minister seine Meinung über die „Practibilität", sowie auch darüber
abgeben sollte, „ob durch Stabilierung der Conferenz die sich der-
malen ergebenden Obstacula behoben werden können". Allein diese
principielle Frage wurde von der Conferenz gar nicht berührt und
in dem an den Monarchen erstatteten Berichte über die Ergebnisse
der Berathung mit keinem Worte erwähnt, ob es angezeigt sei,
eine neue Körperschaft in's Leben zu rufen. Der Kaiser ordnete
daher eine neuerliche Berathung in seiner Gegenwart an. Leider
*) Die Noth wendigkeit einer Generalcassa war längst fühlbar; 1728
wurde ein hierauf bezügliches Project berathen, aber man konnte „trotz aller
Mühe ein qualificiertes Subjectum, welches sich des weitsehenden Generalcassa-
werks annehmen" wollte, nicht auffinden. Aus einem Acte. 22. Feb. 1728.
Digitized by
Google
203
sind uns die Ansichten der einzelnen Minister nicht bekannt, welche
bei dieser Sitzung abgegeben wurden. Der Kaiser sprach sich nach
Anhörung seiner Räthe dahin aus, „dass die Sach', wie es dermalen
liegt und das völlig unbesorgt stehende Camerale unmöglich länger
subsistieren könne und zur Behebung der Dissentionen zwischen
den Mitteln, d. h. zwischen der Hofkammer und der Bancalität,
ein Compelle zu finden wäre." Dieses Compelle sei die Finanz-
coiiferenz, unter der die Hofkammer, Bancidität und Stadtbank zu
stehen und zu operieren hätten. Auch „die bessere Stabilierung
der Bancalität" sollte durch Errichtung der Conferenz bewerk-
stelligt worden. „In allen Sachen," fuhr der Kaiser fort, „müssten
gewisse Principia gefasst werden, denn wenn man sich nur de
casu in casum über eine jede Sache determinieren und im Operieren
keine Richtschnur haben sollte, würde man leicht in Irrungen ver-
fallen und niemalen der Ordnung nach operieren." Auch eine
Aeusserung des Grafen Starhemberg wird uns überliefert, der
bemerkte, dass, so viel möglich, bei den alten Einrichtung:en zu
verbleiben sei und die einzelnen Theile in genaue Combination
gebracht werden sollen. Der Kaiser meinte hierauf, „dieses Hesse
sich wohl hören, aber man müsste auch berücksichtigen, dass in
Cameral-Angelegenheiten Aenderungen einzutreten pflegen ; die
Experienz zeige auch, dass andere Potenzien ungeachtet der auch
bei ihnen stabilierten alten Verfassungen ihr Camerale durch neue
Einrichtungenr auf einen andern Fuss zu setzen pflegen." ^)
Die principielle Entscheidung des Kaisers über die Errichtung
der Finanz-Conferenz war erfolgt, es handelte sich blos darum, die
näheren Modalitäten über die innere Einrichtung in Erwägung zu
ziehen. Erst nach mannigfachen Berathungen gelangte man zu einer
Entscheidung. Starhemberg, obgleich er die Schafiimg einer neuen
Körperschaft nicht für nothw endig hielt, hatte sich am raschesten
eine klare Ansicht über ihren Wirkungskreis gebildet und die
übrigen Mitglieder der Conferenz sich derselben angeschlossen. In
der ersten, am 1. März 1716 um halb eilf unter dein Vorsitze des
Prinzen von Savoyen abgehaltenen Sitzung kam ein Beschluss
nicht zu Stande. Auch in der zweiten Sitzung am 10. Mai 1716
hatten die Räthe des Kaisers sich mit dem Plane nicht voll be-
freundet; wenn den alten Instructionen nachgelebt worden wäre,
hätte man diese Neuerungen nicht nöthig, meinte Fürst Tr aTit so n.
') ProtocollG. Feb. 17l6. Anwesend: Eugen von Savoyen, Trautson,
Sinzendorff und Starhemberg.
Digitized by
Google
ä
\
204
der auch das Geständniss ablegte, dass es ihm schwer falle, in
Cameralibus ein Consilium zu geben, da er nicht vollständig in-
struiert sei, sich auch ftir einen besonderen Cameralisten nimmer-
mehr ausgeben könne. Starhemberg machte die Bemerkung,
es sei nicht genug, zu resolvieren, sondern auch nachzusehen,
ob die Resolutionen ausgeführt werden und dann von Zeit zu
Zeit auf die wichtigsten Geschäfte aufmerksam zu machen;
vielleicht könnte diese Aufgabe dem ältesten Conferenz-Mitgliede
übertragen werden; bei schwierigen Geschäften würde sonst
Alles liegen bleiben, wenn nicht Einer dafür sorgt und die Sache
wie seine eigene betrachtet. Es hat jedoch den Anschein, dass
dieser erfahrene Finanzmann lediglich das unter den damaligen
Verhältnissen Erreichbare in's Auge fasste und nur bemüht war,
die Selbstständigkeit des seiner Obhut anvertrauten Bank-Instituts
zu wahren, denn seine weiteren Ausführungen enthielten blos
Vorschläge über die Regelung des Verhältnisses zwischen BancaUtät
und Hofkammer. Auch der Vorsitzende der Commission, Eugen
von Savoyen, sprach sich meritorisch über die Noth wendigkeit
oder Erspriesslichkeit der Finanz-Conferenz nicht aus, da die kaiser-
liche EntSchliessung über die Errichtung derselben feststand. Er
stimmte Starhemberg bei, dass, „wenn die Gleichheit der
Kanmier und Bancalität eingeführt werden solle, doch Einer sein
müsste, der beide dirigiert, da sonst der alte Widerspruch und
Confusion zu erwarten wären". *)
*) Vortrag Laxenburg vom 25. Mai 1716. Die kaiserliche eigenhändige Ent^-
schliessung langte am 20. Juni herab, wie aus einer Bemerkung des Protocoll-
führers Joh. Georg Schick auf der Rückseite zu ersehen. Der Monarch
forderte „ohne Zeitverlust" einen Vorschlag über die „Subjecta" der Conferenz
und stimmte dem „Conclusum" des Prinzen bei; femer sollten ihm zwei
Personen als Referenten namhaft gemacht werden, die Bancalität soll vöDig
independent von der Hofkammer sein und nur unter der Conferenz stehen,
auch was nicht ist in besster activitet Vndt standt gesezt auch vor allen
die controlirung (wie es im anfang von mir befohlen worden) völlig sein
bestandt haben, die bancal coUegia wie auch die Camer zu restringieren wirdt
gahr gut sein wie auch mit tauglichen presidijs camer Vndt bancalitet zu
bestellen, welches die erste operacion der conferenz neben der obigen Instruccion
sein soll die correspondenz die bancalität wie andere solch haben Vndt
also ein von Hofrathen besezte bancalitet bleiben Vndt benent werden ds
Vbrig wirdt sich in der ausarbejrtung geben.
Carl m. p.
Eine zweite eigenhändige Entschliessung vom 19. Aug. 1716 (accepi
20. Augusti 1716 post octavam mane): Vber ds Vorig Vndt nach dem ich die
Vorschlag der subicctorum von allen der conferenz bekoraen resolvire abermabls
Digitized by
Google
205
In einem Reglement wurden die Bestimmungen zusammen-
gefasst über die Art und Weise, wie die Berathungen gepflogen
und die von dem Kaiser genehmigten Beschlüsse zur Durchführung
gelangen sollen. Wenn der Kaiser in der Conferenz nicht den
Vorsitz führte, mussten ihm die ProtocoUe vorgelesen und seine
EntSchliessung eingeholt werden, die er sodann mündlich kimdgab
und die von dem Schriftführer niedergeschrieben wurde. Eine
wichtige Aenderung ist insofeme eingetreten, als ursprüngKch auch
die Stadtbank in eine Verbindung mit der Finanz-Conferenz ge-
bracht werden sollte, während nach dem Reglement die Conferenz
blos die Anträge der Hofkammer und der Bancalifcät zu begut-
achten hatte. Zwischen den beiden Behörden fand auch der
Unterschied statt, dass die Hofkammer Vorträge an den Kaiser
erstattete, die sodann der Conferenz übermittelt wurden, die
Bancalität aber ihre motivierten Anträge an den ältesten Minister
der Conferenz, dem in Abwesenheit des Kaisers bei den Sitzungen
der Vorsitz übertragen war, zu übergeben hatte. Dem Kaiser musste
Anzeige über die Gegenstände der Berathung erstattet und seine Ent-
scheidung eingeholt werden, ob er der Sitzung beiwohnen wolle.
Die Anträge über alle Angelegenheiten von grösserer Erheblichkeit
und „mehrerem Nachdenken" machten, nebst den Voracten, zunächst
Vnd 1 mo ds was Vorhin wegen einrichtung der Camer und Bestellung sub meo
praesidio oder des Senioris der conferenz der financen conferenz in re et modo
resolvirt hab es dabey in allen verbleiben soll, soll disen nachmitag dieHofkanzlay
die notig decreta an Camer banco Vndt govemo ausfertigen, an die Zwey
erstem dass sie Vor Vndt sub inspeccione der conferenz stehen bed ein entwurff
ihrer instruccion Vndt combinirung Vntereinander machen Vnd der conferenz
ad examinandum vorstellen sollen wo vorderist zu beobachten den numerum
so vill möglich zu restringiren, den govemo aber ds ich ein ander disposicion
gemacht Vndt anheut ds govemo in gnaden entlass Vndt aufheb sambt ge-
habten besoldimgen, die dabey geweste Eath aber in ihre vorig Verrichtungen
einstehen Vndt wie vorhin stehen sollen, ds personale betrefendt benene ich
den Fürst v Trautson graven v Starnberg graven aloisio v Harrach Vndt
Vmb ds einer der Notiz von intrinseco einiger lander hab dabey ist den Baron
V Stork (Transcription: Stürck) Vicecanzler in innerosterreich vor den pre-
sidem camerae den Grav v Valseg Vndt pro praesidio bancalitatis den
Diettrichstain praesidem bancalitatis zu graz, nach diser aufrichtung wirdt
die conferenz selbsten das weiter zu sehen Vndt zu richten haben.
Die referendarios soll die conferenz mir selbst in der ersten Session
vorschlagen die Besoldung der Presidenten von der Camer Vndt banco nacher
determinirt werden.
Carl m. p.
Mensi giebt nur das Datum der zweiten Entschliessung.
Digitized by
Google
206
vor dem Sitzungstage die Runde bei den Mitgliedern, „um. das
Votum desto fundierter ablegen zu können".
Die Pinanz-Conferenz war lediglich eine begutachtende Körper-
schaft. Ausdrücklich wurde bestimmt, dass sie sich in die Ad-
ministration nicht einzumischen habe, um ihre Meinung desto freier
eröffnen zu können. Ihre Aufgabe war, darauf ihr Augenmerk zu
richten, dass die Hofkammer wohl eingerichtet, die Universal-
Bancalität in eine vollkommene Consistenz gebracht und beide
zusammen in den Stand gesetzt würden, mit der Conferenz
gemeinsam zu operieren, „mit vereinbarten Gemüthem und An-
schlägen, um die Beförderung des kaiserlichen Dienstes sich uner-
müdlich zu bearbeiten und die Instructionen sammt dem, was von
Zeit zu Zeit an sie gelangt, genau zu vollziehen". Damit man aber um
so gewisser wisse, inwieweit die Hofkammer ihren Obliegenheiten
nachkomme und die empfangenen Decrete befolge, sollten wöchentlich
die Extracte der RathsprotocoUe der Finanz-Conferenz vorgelegt und
die Bancalität angewiesen werden, verlässliche Specificationen über
Empfang und Ausgabe und am Jahresschlüsse eine Generalbilanz
einzureichen, um darüber ein Absolutorium zu empfangen. Der
Finanz-Conferenz war die Prüfiing des jährlichen „Anordnungs-
staats", wie man den Voranschlag nannte^ übertragen ; sie sollte
auf die Verbesserung der Gefälle und Beseitigung der Missbräuche
ihr Augenmerk richten, über die Aufbringung und „Erzeugung"
neuer Fonde zur Bestreitung des Abganges beim Hofstaat und bei
dem Militär „nachdenken", femer an Hand geben, wie der Credit
vermehrt, die überflüssigen Ausgaben restringiert, die erforderlichen
Anticipationon mit guter Wirthschaft aufgebracht, die schädlichen
Usancen abgestellt, die guten Münzen im Lande erhalten, der
Handel der Erblande befördert, die Manufacturen „mehr stabiliert"
werden.
Wie ersichtlich, sollten jene Uebelstände, welche durch den
Bestand mehrerer Finanzstellen, deren Wirkungskreis nicht scharf
genug abgegrenzt war, zu Tage traten, durch Schaffung der Con-
ferenz behoben werden, welche in letzter Instanz über Finanz-
Angelegenheiten berathen und Beschlüsse fassen sollte. Die neue
Körperschaft sollte die Einheitlichkeit der Verwaltung herstellen,
woran die Erwartung geknüpft war, dass erst dadiu-ch jenes Ziel
en'eicht werden dürfte, welches bei den seinerzeit erlassenen Ver-
fügungen bei Gründung des Bancal-Guberniums ins Auge gefasst
worden war. Alle auf die Operation der Bancalität, die Verwaltung
der Hof kammer und die Angelegenheiten des Aerars Bezug habenden
Digitized by
Google
207
Angelegenheiten sollten ohne höheren ßeonrs von der Conferenz
entschieden werden. In Abwesenheit des Monarohen hatte ein
Minister, und zwar der erste im Range, den Vorsitz zu fähren.
Gleichzeitig sollte eine Generalcassa geschaffen werden, wohin alle
Einnahmen zu fliessen hätten und von der die Ausgaben zur Be-
streitung des Hof- und Kriegszahlamtes, des Schulden- und Credit-
wesens geleistet werden sollten. Diese Q-eneralcassa sollte von der
Bancalität geführt, die Verwaltung der staatlichen Einnahmen der
Hofkammer übertragen werden, an deren Spitze „ein tüchtiger,
laboriöser und nicht weniger Probität, als Dexterität habender Capo
zu setzen sei". Er habe für Hofstaat und Krieg Vorsorge zu treffen,
sowie der Finanz -Conferenz seine Vorschläge wegen Vermehrung
der Einnahmen zu erstatten.
Die Mitglieder der Finanz-Conferenz waren in den ersten
Jahren: Fürst Trautson als Vorsitzender, Graf Starhemb erg,
der nfitch dessen Tode den Vorsitz übernahm und bis zur Auf-
hebung der Conferenz unter Maria Theresia führte, Alois
Thomas Eaimimd Graf v. Harrach (Mitglied bis 1741) und Georg
Christoph Graf Stürgkh (bis Ende 1719), Graf Wals egg, der
nach seiner Enthebung als Hofkammer-Präsident zum Mitglied
ernannt wurde. *) Seit den Zwanziger-Jahren nahmen die Grafen
A 1 1 h a n n und Windisch-Graetz an den Sitzungen theil. Die
Anzahl der Mitglieder, welche bei den Berathungen behufs der
Beschlussfahigkeit anwesend sein musste, war nicht bestimmt; es
fanden Conferenzen statt, bei denen ausser dem Vorsitzenden nur
ein Mitglied erscheint, so nicht selten Starhemberg und Althann.
In der ersten Zeit führte der Kaiser bei wichtigen Berathungs-
gegenständen den Vorsitz, im letzten Jahrzehnt seiner Kegierung
selten. Die Erklärung liegt darin, dass die wichtigsten financiellen
Berathungen, nämlich die Beschaffimg des Credits für die Kriegs-
kosten im letzten Jahrzehnt der Regierung C a r Ts in einer ,,Depu-
tation^' unter Vorsitz des Kaisers stattfanden, deren ProtocoUe,
bisher unbenutzt, einen Einblick in die Finanzlage gewähren. ^)
Obgleich die Finanz-Conferenz die wichtigsten Angelegen-
teiten zu berathen und auch über Personal-Angelegenheiten ihr Gut-
*) 9. November 1719. „Zu einiger Consolation zur Finanz-Conferenz,
wenn seine Gesundheit zulässt, gezogen werde." Vergl. auch eigenhändiges
Handschreiben vom 8. November 1819 an Trautson.
•) Als Schriftführer der Finanz-Conferenz erscheint M i k o s c h, nach
dessen Tode Lachmeyer, als Protocollführer bei der Deputation David
Heinrich Joseph v. Koch.
Digitized by
Google
208
achten zu erstatten hatte, wurden in einzebien Fällen überdies selbst-
ständige Commissionen eingesetzt, wodurch der Verwaltungs- Apparat
noch schwerfälliger gemacht wurde. So wurde Graf Harr ach mit
der Leitung einer Ersparungs-Commission betraut, die jahrelang
Untersuchungen anstellte und sodann Vorschläge machte, die wieder
der Finanz-Conferenz zur Begutachtung vorlagen; Prinz Eugen von
Savoyen wurde mit einer ähnlichen Aufgabe im Jahre 1729 betraut;
wir finden sogar drei Commissionen mit einer und derselben Ange-
legenheit beschäftigt, jede aus anderen Mitgliedern bestehend, deren
Grutachten von einander abwichen und dem Kaiser die Entscheidimg
natürlich erschwerten. Zwischen den Präsidenten der Ministerial-
Banco-Deputation und der Hof kammer bestand nämlich ein Zwiespalt
über die Fordening der letztem, dass die Bank anstatt einer jährlichen
Beitragsleistung von 500.000 fl. künftig 1*2 Millionen zu gewähren
habe, wogegen Starhemberg entschiedenen Widerspruch erhoben
hatte. Die Durchführung der von der Finanz-Conferenz gefassten
Beschlüsse stiess vielfach auf Schwierigkeiten. Bancalität und Hof-
kammer lagen mit einander im Streit und die Untersuchung der
Beschwerden, die gegenseitig vorgebracht wurden, führte nicht
selten zu keinem Ergebnisse. Endlich beirrte die Hofkanzlei die
Massnahmen der Hof kammer, denn sie verhandelte mit den Ständen
und war eifrige Fürsprecherin ihrer Wünsche. Wohl ergiengen
Weisungen an die Hofkanzlei, dass Cameral- und Fiscalsachen in
gemeinsamer Sitzung berathen werden sollten, allein die Klagen
hörten nicht auf, dass die Hofkammer von den politischen und
Justizstellen gehemmt werde und die nöthige Unterstützung nicht
finde.*) In solchen Fällen wurde in der Regel eine Commission zur
Schlichtimg der Angelegenheit ernannt.
Einrichtung der Hofkammer.
Für die Hof kammer wurde eine umfassende Instruction erlassen.
Nur die wichtigsten Bestimmungen sollen hier hervorgehoben werden.
An die Hofkammer-Räthe wurden grosse Anforderungen gestellt;
sie sollten theoretisch und practisch durchgebildete Männer sein,
nicht nur mit den Institutionen der verschiedenen österreichischen
Länder, sondern auch des deutschen Reiches wohl vertraut sein,
eine schon an und für sich umfassende, bei der Mannigfaltigkeit
*) Finanz-Conferenz-Protocoll, 29. November 1721.
Digitized by
Google
200
der Eechtsverhältnisse ungemein schwierige Aufgabe. Die Cameral-
gesohäfte mussten in Commissionen vorgetragen werden. Einige
derselben waren nach Materien, andere aber nach Provinzen ein-
getheilt, da man von der Voraussetzung ausgieng, dass die ver-
schiedenen Erbkönigreiche xmd Länder besondere Rechte und Re-
galien hätten, deren Kenntniss nicht jedem einzelnen Rathe bekannt
sein könne. Die sechs Haupt-Commissionen waren folgende: Eine
Hof-Commission, welche sich mit der Hofwirthschaft xmd mit Be-
sorgung alles dessen, was den Hof unmittelbar angieng, zu beschäf-
tigen, femer die Reichscameral- Angelegenheiten zu besorgen hatte ;
der zweiten Commission waren die ökonomischen Militär- Angelegen-
heiten zugewiesen; der dritten, der „Hauptrechnungs-Commission'*
war das gesammte Rechnungswesen, der vierten das Camerale
in Ungarn, Siebenbürgen, Slavonien und den dazu gehörigen Pro-
vinzen, der fünften das Cjunerale der drei böhmischen Länder,
endlich der sechsten das Camerale der gesammten österreichischen
Länder zugewiesen. Diejenigen Commissionen, welche sämmtliche
Finanz-Angelegenheiten einzelner Länder zu besorgen hatten,
wurden in Sub-Commissionen getheüt und einem jeden Rathe
derselben eine oder mehrere Materien derselben Provinz dauernd
zur Bearbeitung übertragen. An der Spitze einer jeden Commission
stand ein Präsident. Die Art und Weise der Berathung und Er-
ledigung der Geschäfte war durch specielle Bestimmungen geregelt.
Nur wichtige Angelegenheiten, deren Erledigung keinen Verzug
duldete, durften von Seite des Hofkammer-Präsidenten ohne Be-
rathimg in der Plenar- Versammlung erledigt werden ^).
Ueber das Verhältniss der Hofkammer zu den anderen Hof-
ämtem enthielt die Listruction die Weisung, dass es bei dem alten
Herkommen zu verbleiben habe. Da sich aber die Hofkammer zu
wiederholten Malen beschwert habe, von der Kanzlei iu Cameral-
sachen, namentlich aber in Geld- Angelegenheiten Befehle zu
empfangen, indem die letztere mit dem Stande des Aerars unbekannt
sei und nicht wissen könne, welche Lasten dasselbe zu tragen
habe ; ausserdem aber die Hofkammer die Weisung habe, Alles zu
befolgen, was durch die Finanz-Conferenz im kaiserlichen Namen
an sie gelange, sollten künftighin weder die Hofämter, noch die
Hofstellen in ausserordentlichen Angelegenheiten eine Verordnung
*) Instruction von 1717 und Finanz-Conferenz-Protocoll vom 22. Juli
1717 unter Vorsitz des Kaisers, in welcher berathen wurde, „ob die Agenden
nach Provinzen oder nach Materien zu scheiden sind" ; der Beschluss lautete :
„das medium zu amplectieren'\
Qesterreiobischer Erbfolgekrieg. I. B<), 14
Digitized by
Google
210
oder eine Assignation an die Hofkammer erlassen dürfen, ausser
es wäre früher mit derselben hierüber eine Vereinbarung getroifen
worden. Auch wurden die verschiedenen Centralstellen angewiesen,
wenn grössere Summen erfordert würden, kein Referat an den
Monarchen zu erstatten, ehe sie das Gutachten der Hof kammer
abverlangt haben. Ueber derartige Angelegenheiten sollte von
beiden Stellen ein gemeinsames Referat erstattet und von den
Präsidenten unterschrieben werden. ^)
Die Beziehungen zur Universal-Bancalität wurden neu geregelt,
bereits am 25. April 1715 war hierüber eine Allerhöchste Entschliessung
erfolgt. Am 5. November 1716 ward vor Errichtung derPinanz-Con-
ferenz an die Ho&ammer und an die Bemcalität ein neues Beeret er-
lassen mit dem Befehle, dass die Präsidenten über Materien, welche
eine gemeinsame Berathung erfordern, woo. jeden überflüssigen Schrift-
wechsel zu vermeiden, unter Zuziehung des einen oder des anderen
Rathes so oft, als nöthig zusammenzutreten und Berathung zu pfl^en
haben. In der Regel sollten sie wöchentlich einmal zusammenkommen
und sämmtliche Angelegenheiten, die eine gemeinsame Berathung er-
fordern, vornehmen; wenn die Meinungen gleiohstimmig ausfallen,
die Beschlüsse, welche einer Allerhöchsten Entschliessung nicht
bedürfen, unmittelbar in Wirksamkeit setzen, im Falle aber eine
oder die andere Stelle erhebliches Bedenken trage und eine Aus-
gleichung der beiderseitigen Meinungen nicht zu Stande komme,
sei die kaiserliche Entschliessung einzuholen und zwar durch
ein Referat, worin die sämmtlichen daftlr und dagegen sprechenden
Gründe „treulich und ohne Hinterhalt" auseinandergesetzt werden.
Bei ordentlichen Geldausgaben sollte auf Grund des Aller-
höchst approbierten General - Anordnungsstaates ohne weitere
Cameral-Anweisung die Bancalität berechtigt sein, die Ausgaben
zu machen, bei ausserordentlichen Ausgaben, welche in dem An-
ordnungsstaat nicht enthalten sind und über 1000 Gulden sich
belaufen, auf Grund einer Allerhöchsten EntschHessung, welche
durch die Hofkammer der Bancalität mitzutheilen ist, die erforder-
liche Summe anweisen; nur bei „urplötzlichen Ausgaben", über
welche die kaiserliche Resolution nicht eingeholt werden könne,
besonders wenn Gefahr im Verzuge ist, habe die Bancalität ohne
^) Diese Verfügung stand, wie es scheint, auf dem Papier; die böhmische
Kauzlei gieng auch in der Folge selbstständig vor; die Finanz-Confereni
tadelte die Eingriffe derselben und beantragte Bestimmungen, welche An-
gelegenheiten von der Kammer und welche von dieser respiciert und tractiert
werden sollen. (Finanz-Conferenz-Protocoll 16. Januar 1719).
Digitized by
Google
211
Anstand die ihr von der Kammer übermittelte Weisung auszu-
führen. Die Bancalität war nicht berechtigt, an den Kaiser gegen
eine ihr übermittelte Weisung der Hofkammer zu recurrieren,
sondern nur in dem Falle, wenn sie erhebliohe Ursache hätte, sich
zu beschweren und die Unterstützung des Monarchen zur Bewirkung
der Controle nöthig hätte, sollte sie ihre Beschwerde durch den
Senior der Conferenz dem Kaiser überreichen.
Hinsichtlich des Wirkungskreises der beiden Körperschafben,
der Bancalität und der Hofkammer, war durch die Instruction eine
Aenderung nicht eingetreten. Der Hof kammer war die Administration
der Cameralfonde überwiesen. Sie sollte bestrebt sein, darauf zu
sehen, dass die Gefälle richtig collectiert und der nöthige Credit
mit guter Wirthsohaft besorgt werde. Die Besorgung der Hof-,
Staats- und Kriegsausgaben verblieb der Hofkammer, sowie die
Beschaffung der nöthigen Fonde, die Bancalität aber sollte in
treuer imd richtiger Menagierung der Gelder und des von ihr zu
verschaffenden Credits ihre Aufgabe erfüllen. Das ganze Geld-
geschäft sollte von der Bancalität geführt werden und ein jeder
Heller nur von der Bancalität in Empfang genommen und ver-
wendet werden; alljährhch und zwar vor Ausgang des Jahres sollten
zwei Präliminare für das Camerale und die Mihtär-Angelegen-
heiten entworfen werden (General- Anordnimgsstaat genannt). Hof-
kammer und Bancalität hatten darüber eine Vereinbarung zu treffen
und zwar in zwei Hauptrubriken; die eine enthielt die fixen, die andere
die casualen Ausgaben; die Arbeit musste von beiden Präsidenten
unterschrieben und dem Kaiser zur Approbation eingereicht werden.
Rechtzeitige und gewissenhafte Rechnungslegung wurde ein-
geschärft. Dieselbe sollte „von den Buchhaltereien ungesäumt
revidiert werden" und nicht lange Jahre verstreichen, „bis die
Wittiben und Waisen oder gar deren Enkel und Urenkel erst
darüber Rede und Antwort geben". Die Eintreibung der Steuern
und der Rückstände wurde eingeschärft mit der Drohung, dass,
uvenn die Ausstände uneinbringlich werden sollten, an den Beamten
Kegress genommen würde. Die ökonomischen Angelegenheiten
des Militärs hatte das Baiegs-Commissariat zu besorgen, dem
auch die Entwerftmg des ,, Militär- Anordnungsstaates" oblag, da
man der Ansicht war, dass die Hofkammer dieses schwierige und
weitschichtige Werk zu besorgen nicht im Stande sei. Eine In-
struction vom 23. April 1713 hatte bereits das Verhältniss der
Hofkammer zmn Kriegs-Commissariat geregelt. Erstere hatte die
Angabe, dafür Sorge zu tragen, dass nach Beschaffenheit der Zsit-
14*
Digitized by
Google
212
umstände die überflüssigen Ausgaben, so viel thunlich, restringiert
werden sollen; die Tabellen über den Stand der Regimenter
mussten der Hof kammer eingesendet werden, von den Blriegscassa-
Beamten der wöchentliche oder vierzehntägige Extraot mit
Specificierung der jedem Regimente zu verabfolgenden baaren
Bezahlung und anderer Ausgaben abgefordert und begründet werden.
Eine neue Organisation der Hofkammer, seit 1728 geplant
und berathen, gelangte durch die Instruction vom 2. Januar 1732 zum
Abschlüsse, deren Ausarbeitung S äff ran besorgt hat. Die Anzahl
der Commissionen, welche seit 1718 von sechs auf zwölf vermehrt
worden war, wurde vermindert. Künftighin sollten blos drei
ständige Commissionen bestehen: für Militär- Angelegenheiten, fiir
die ungarischen Neoacquistica, endlich für Eechnungssachen. Für
alle übrigen Angelegenheiten wurden Referenten ernannt. Es war
dies eine Rückkehr zur Maximilianischen Ordnung vom Jahre 1568,
doch wurde dem Hofkammer-Präsidenten anheimgestellt, „in wich-
tigen Vorfallenheiten de casu in casimi nach Beschaflfenheit des
Objects'' Commissionen anzuordnen und die Mitglieder zu bestimmen.
Die Anzahl der Räthe sollte künftighin vierundzwanzig betragen,
die zur Erledigung der Geschäfte genügend befanden wurde, da
ohnehin die wichtigsten Gefälle von der Wiener Stadtbank ver-
waltet wurden.
Landeskammem.
Der Hofkammer unterstanden die Kammern für Böhmen,
Schlesien, die vorderösterreichische in Freiburg, femer die oberöster-
reichische Hofkammer zu Innsbruck und die innerösterreichische
Hofkammer zu Graz. Die Errichtung der beiden letztgenannten
Hofkammem rührt aus jener Zeit her, als die Städte Innsbruck
und Graz Sitz der Hof lager der frülieren Nebenlinien des regierenden
Hauses waren. ^) Die Kammer der ungarischen Bergstädte und die
Zipser Kammer waren ebenfalls der Hof kammer in Wien unterstellt.
Cameralverwaltung in Ungarn.
Trostlos war die Cameralverwaltung jenseits der Leitha. Für
Ungarn, Croatien und Slavonien bestand nämlich die königlich
ungarische Hofkammer mit dem Sitze in Pressburg. In Sieben-
*) Die Kosten der Länderkammem werden in dem Finanz-Conferenz-
ProtocoUe vom 29. August 1728 auf 204000 Gulden angegeben.
Digitized by
Google
213
bürgen war die Finanzverwaltung mit dem Gubemium verbunden.
„Das so ansehnliche ungarische Camerale befinde sich in grösster
Verwirrung/' klagte die Pinanz-Conferenz „und sei so vernach-
lässigt, dass es unmöglich sei, dasselbe in Ordnung zu bringen;
auf Conservation und Melioration der Gefälle werde nicht gesehen;
die Pressburger Kammer sei schlechter, als andere Stellen besetzt,
weil man daselbst nur jene Subjeote, die anderweitig nicht unter-
zubringen gewesen, angestellt habe; die Besoldung sei so schlecht,
dass die Bedienten, um leben zu können, andere Beschäftigungen
suchen oder untreu zu dienen verleitet werden." ^) Aehnliche Klagen
wurden später zu wiederholtenmalen vorgebracht. Die Vorschläge und
Gutachten der ungarischen Hofkammer wurden selbst bei minder
wichtigen Angelegenheiten der Finanz-Conferenz übermittelt, deren
Anträge zumeist die Genehmigung des Monarchen erhielten. Zu
einschneidenden Aenderungen mochte man sich nicht entschliessen,
nur die Bemühimgen der ungarischen Hofkammer zur Erweiterung
ihres Wirkungskreises wurden verhindert.
Staatshaushalt.
Die Finanz-Conferenz hatte nicht blos die wichtigen An-
gelegenheiten zu berathen; mit mannigfachen, zum Theile klein-
lichen Angelegenheiten überhäuft, nahm die Erledigung der laufenden
Geschäfte Zeit und Kraft in Anspruch und eiuer Neuordnung der
Verwaltimg konnte die erforderliche Aufinerksamkeit nicht geschenkt
werden.
Am wichtigsten waren wohl die Berathungen über den Staats-
voranschlag und die zur Bedeckmig des Deficits erforderlichen
Massnahmen. Der „Anordnimgsstaat" bereitete den Männern grosse
Sorgen, da die staatlichen Einnahmen in der Regel nicht aus-
reichten und das Deficit sich als ein stetiger Gast erwies. Das
Jahr 1725 vielleicht ausgenommen, konnten die Ausgaben nie durch
die Einnahmen bestritten werden und das günstige Ergebniss
wnrde damals auch nur dadurch erzielt, dass kurz zuvor sich die
Stadtbank zu einem jährlichen Beitrage von 500.000 Gulden ver-
pflichtet hatte.
Einen klaren ziffermässigen Einblick in den österreichischen
Staatshaushalt zu gewinnen ist bei der Mangelhaftigkeit unserer
Quellen, schwer möglich, auch müssten eingehende Studien über
') Finanz-Conferenz-ProtocoU vom 9. August 1718.
Digitized by
Google
214
die Finanzverhältnisse der einzelnen Länder vorliegen, woran es
fehlt. Noch in den ersten Jahrzehnten der Eegiemng Maria
Theresia's mangelten genaue Rechnttngsabschlüsse, obgleich die
Finanzverwaltung seit 1749 einen einheitlichen Charakter erhalten
hatte. Noch trauriger war es zur Zeit Carl VI. bestellt. Der
Voranschlag wurde nicht immer rechtzeitig berathen; oft war ein
halbes Jahr verflossen, ehe derselbe von der Hofkammer der
Finanz-Conferenz vorgelegt wurde.
Schon in der ersten Sitzung der Finanz-Conferenz am 6. Sep-
tember 1716 wurde der Beschluss gefasst, eine Verminderung der
Ausgaben und durch Erhöhung der Einnahmen eine Verbesserung der
Cameralfonde anzustreben. Einen Erfolg hatte dieser Conferenz-
beschluss vorläufig nicht, da der Türkenkrieg beträchtliche Summen in
Anspruch nahm und durch die laufenden Einnahmen nicht bestritten
werden konnte. Schon in den ersten zwei Kriegsjahren waren
sämmtliche Hilfsquellen erschöpft und als im Sommer 1717 der
Voranschlag ftir den Bedarf des nächsten J«Jires in Berathung
stand, war die Bedeckung von 14 Millionen Gulden schwierig
genug. Niemand wusste, woher dieselben zu beschaffen. Am 2. No-
vember 1717 fand eine nochmalige Berathung statt. Im Laufe der
Zeit, heisst es in den Protocollen der Finanz-Conferenz, werden
sich vielleicht die Mittel ergeben, welche jetzt unmöglich vorzusehen
sind. "Wohl wurden die verschiedenen Einnahmen einer Revision
unterzogen und auf etwaige Zuflüsse hingewiesen, aber hinzugefiigt,
dass auf dieselben mit Sicherheit nicht gerechnet werden könne.
Ein „adaequates Remedium" lasse sich diesmal unmöglich in Er-
wägung ziehen, da das ordentliche Erfordemiss immens gestiegen
und die Ausgaben durch die üble Wirthschaft enorm angewachsen
seien; die Länder seien durch die seit 1683 andauernden Kriege
erschöpft, entkräftet und exhaiuiert, für die zwei vorhergehenden
Jahre zwei Millionen rückständig.
Der Friede zu Passarowitz befreite den Staat aus herber Ver-
legenheit. Die Finanzverwaltung athmete auf. Der Türkenkrieg
hatte mehr als 60 Millionen gekostet. Seit Jahren war auf die
Nothwendigkeit, Erspanmgen vorzunehmen, hingewiesen worden.'
Starhemberg drängte nunmehr, Hand ans Werk zu legen. Erst
*) „Alle Rubriken der Ausgaben werden ohne Mass vergrössert und
Niemand denke auf die Wirthschaft, sondern trachte zum äusserlichen Splendor
die Spesen zu vergrössem". (F.C.P. 1. Nov. 1718). Die Ersparungen, von denen
immer f^oredet werde, „worden nie ad effectum gebracht. Das ganze Uebel
Digitized by
Google
215
nach einem Jahre wurde der Heeres-Etat auf acht Millionen Gulden
herabgesetzt. ^) Eine Herabminderung der Armee musste behufs
Herstellung finanzieller Ordnung vorgenommen werden, wogegen
jedoch der Hofkriegsrath Einwendungen erhob. Selbst mit 9*3 Mil-
lionen glaubte er nicht auslangen zu können. Obwohl der Kaiser
auf seinem Entschlüsse beharrte, wurde das Heeres-Erforderniss pro
1 720 um vier Millionen überschritten. Die Anträge der Hofkammer,
deren Präsident seit November 1719 Graf Dietrichstein war,
von der Pinanz-Conferenz auf das Wärmste befürwortet, erhielten
nicht immer die kaiserliche Genehmigung. Die Sache könnte nicht
länger auf diese Weise dauern, heisst es in dem Protocolle der
Finanz-Conferenz vom 17. Februar 1720, wenn nicht zwischen
Empfang imd Ausgabe eine Proportion eingeführt werde, „gestalten
keine Potenz in ganz Europa wäre, welche in Friedenszeiten pro
Militari mehr ausgebe, als die Länder prästieren könnten. Es sei
nothwendig, den statum militarem ad possibilitatem zu regulieren,
damit er die ausgesetzten acht Millionen nicht überschreite. Die
Macht eines Monarchen und die Securität seiner Länder bestehe
nicht in der Anzahl seiner Regimenter, sondern in einer wohl-
bezahlten, disciplinierten und brauchbaren Miliz."
Hatte man bisher von der Hand in den Mund gelebt und
mühselig den jeweiligen Bedarf angebracht, so gieng man nunmehr
daran, zur dauernden Herstellung des Gleichgewichtes ftir einen
längeren Zeitraum Einnahmen und Ausgaben für Heer- und Civil-
verwaltung festzustellen. Man fasste dabei die Zeit von 1721 bis
1731 ins Auge. Die mannigfachsten Erspanmgs-Massnahmen wurden
in Erwägung gezogen, da die Berathungen einen Abgang von
über 26 Millionen für den ganzen Zeitraum ergaben, ferner waren
für die Verzinsung der erforderlichen Anlehen 14 Millionen ver-
anschlagt, daher ein Gesammt-Deficit von 40 Millionen.
Eine Ersparungs-Commission unter dem Vorsitze des Grafen
Harr ach wurde niedergesetzt, um die gesammte Verwaltung
einer kritischen Prüfung zu unterziehen. ^)
rühre daher, dass man dem Hof-Kriegsrath allein die Disposition in militaribus
überlasse, welcher bei Hof die Approbation einhole und sodann keine Er-
sparongen zulasse, ohne zu ponderieren, ob das Aerar und die Länder im
Stande seien, das Determinierte zu vollziehen." (F.C.P. 21. Nov. 1718.)
') Finanz-Conferenz-ProtocoU vom 25. September 1719.
*) Harrach hatte die Aufgabe „aUe rubricas der noch in der Admini-
stration der Hofkammer sich befindenden Fundorum zu durchgehen und zu
Digitized by
Google
216
In den letzten Jahren hatte die Finanz-Conferenz bei ver-
schiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass eine Reform
des Postwesens vorzunehmen sei, die Cameralgefälle durch Ver-
pachtung ein höheres Erträgniss abwerfen würden, die Erzeugnisse
der Bergwerke, namentlich Kupfer und Quecksilber gesteigert
werden könnten. In einem ausflihrlichen Vorta'age hatte der Hof-
kammer-Präsident Reformen beantragt. Die Ersparungs-Commission
wusste nichts wesentlich Neues in Antrag zu bringen. Während
die Finanz-Conferenz eine Herabminderung der Heeres-Ausgaben
befürwortet hatte, meinte die Ersparungs-Gommission, dass diese
mit Rücksicht auf die politische Lage weit eher im Hofstaate und
in der Civilverwaltung durchgeführt werden könne, wofiir sich
übrigens auch die Finanzverwaltung wiederholt ausgesprochen
hatte. Die kaiserliche Entschliessung trug jedoch nicht einmal
diesen bescheidenen Anträgen Rechnung; sie genehmigte die Ver-
pachtung der G*efalle, forderte von der Hofkammer detaillierte Vor-
schläge über Ersparungen in der Civilverwaltung und stellte eine
Entscheidung über den Ho&taat in Aussicht. Eine spätere Ent-
schliessung des Kaisers bemerkte, dass, eine Verringerung des
Personals bei den Hofetellen bereits verfügt worden sei. Diese
Beschlüsse, wenn auch mit Raschheit durchgefiihrt, liessen doch
nur für die Zukunft einen günstigen Erfolg erwarten, allein von
vorneherein war es zweifelhaft, ob dieselben in nächster Zeit ver-
wirklicht werden würden. Einmal sollte die Verpachtung der
Cameralgefälle im Einvernehmen mit der Hofkanzlei erst der Be-
rathung unterzogen werden, was bei dem damaligen G^ange der
Verhandlungen der Centralstellen langwierig genug war, sodann
aber erwartete die Finanz-Conferenz von dieser Massregel keine
grossen VortheUe, von der Einftihrung neuer Steuern keine höheren
Einnahmen, da fast alle Lebensbedürfiiisse mit Aufschlägen belegt
waren. Die traiuige finanzielle Lage wird dadurch am sohär&ten
beleuchtet, dass die Gehälter der Bediensteten beim Hofetaat und
bei der Civilverwaltung nicht bezahlt werden konnten und die
Zahlungsrückstände ziemlich beträchtlich waren. *) Um den Abgang
für 1721 zu decken, sollten sich die Beamten mit der Bezahlung
von drei Quartalen ihrer Bezüge begnügen.
überlegen, wie weit deren Erträgnisse verbessert und an denen erogandis eine
Ersparung gemacht werden könne" (Vortrag des Fürsten Trautson vom
11. März 1722). .
*) Sie betrugen zwei Millionen bei der Civilverwaltung und 3'375 Mil-
lionen bei dem Militär.
Digitized by
Google
217
Der Hofstaat war ziemlich kostspielig, da die Anzahl der
in Verwendung stehenden Personen seit Leopold I. vermehrt
worden war. Der Betrag belief sich auf 1000 Stück Species-
ducaten monatlich, femer mussten ftir Juwelen und Kleinodien,
sowie far ausserordentliche Erfordernisse, endlich ftir die Ausgaben
in der Charwoche „Extraducaten*' von der Hof kammer abgeftihrt
werden.
In der Instruction vom Jahre 1717 wurde die bereits am
27. März 1717 erflossene Weisung aufgenommen, dass vom I.April
an 25.000 Gulden monatlieh dem kaiserlichen Zahlmeister zu
verabfolgen seien, alle übrigen Beträge jedoch zu entfallen hätten.
„Die Speisung «m der Hoftafel, die Frauenzimmertafel und die
bisher wider den Decor des kaiserlichen Hofes eingesammelten
Accidenzien und Neujahrsgaben" wurden gänzlich abgeschafft,
dagegen aber den Hofstöben, als dem Obersthofmeister, Obersl^
kämmerer, Oberstmarschall, Oberststallmeister, der Leibgarde,
den Hatschieren und Trabanten eine Erhöhung der Bezüge oder
Kostgelder gewährt.
Femer mussten von Seite der Hofkammer alle Ausgaben fiir
die Qebäude - Erhaltung, fär Jägerei und Falknerei, für Opern,
Comödien und BäUe, ftir Livreen, Wagen, Gnaden und Hof-
abfertigungen, Verehrungen, Almosen, Beisteuern und Hoohzeits-
präsenten bestritten werden.
Die Finanz-Conferenz brachte wiederholt Ersparungen bei
dem Hofstaate in Vorschlag, mit dem Hinweis auf das seit
einigen Jahrzehnten gestiegene Erfordemiss. Einige Angaben
mögen hier Platz j&nden. Die Anzahl der besoldeten geheimen
Käthe unter Leopold betrug zehn, nunmehr vierzehn mit einem
Gehalt von 2000 Gulden; eine Herabminderung um vier wurde in
Antrag gebracht, wodurch 8000 Gulden erspart worden wären; unter
Leopold waren sieben „Leib-Medici" angestellt, unter Joseph I.
fxtnf, tmter Carl VT. neim, welche zusammen 18.000 Gulden als
Besoldung und 2230 Gulden als Adjuten erhielten. Die fünf Leib-
barbiere bezogen je 250 Gulden jährliche Besoldung und anderthalb
Gulden Kostgeld täglich; der Oberstmarschallstab kostete unter
Joseph I., aus dreiundzwanzig Personen bestehend, 6376 Gulden,
nunmehr waren neunundzwanzig in Verwendung mit einem Aufwand
von 14.814 Gulden; die Hofmusiker erforderten unter Leopold
102.572 Gulden, unter Carl Anfangs 127.474 Gulden, später, im
Jahre 1726, 159.168 Gulden; die Aufführung der Oper kostete
"überdies 50.000 Gulden, wobei besonders bemerkt wird, dass durch
Digitized by
Google
218
Verpachtung ein Erspamiss von 8000 Gulden erzielt worden sei ^),
femer Pensionen im Betrage von 19.546 Gulden vierzig Kreuzer;
die Jägerei kostete unter Leopold 23.491 Gulden, unter Joseph
36.877 Gulden, unter Carl über 34.000 Gulden. *) Um Erspanmgen
zu erzielen, beantragte die Finanz-Conferenz, die Ausgaben der
Hofstäbe, besonders fiir Hofküche, HofkeUer, Hofbau und Hof-
miisik mit einem fixen Betrage alljährlich zu bestimmen, um die
mannigfachen Ueberschreitungen und Missbräuohe hintanzuhalten.
Die Kosten der Finanzverwaltung waren seit einem Jahr-
hundert gestiegen. Unter Ferdinand HE. betrug die Anzahl
der Räthe der Hofkammer dreizehn, beim Begierungsantritte
Leopold's fünfzehn, bei dessen Tode zweiundsiebzig, unter
Joseph L zweiundftinfeig, 1717 siebenundsechzig, und zwar
zwanzig aus dem Herrenstande, filnfundvierzig aus dem Eitter-
stande, femer ein ungarischer Referendarius und ein Rath fiir Tyrol.
Die Qualität hatte sich verschlechtert. Früher, bemerkte der Hof-
kammer-Präsident, „war ein Selectus hominum vorhanden", der
jetzt mangle. Künftighin sollten blos dreissig besoldete ßäthe
den Status bilden, zwölf vom Herren- und achtzehn vom Bitter-
oder von einem anderen Stande. *) Der Kaiser ertheilte seine
Genehmigung. Die kurz darauf am 30. December erlassene In-
struction enthielt die Bestimmung, dass durch Absterben erledigte
Stellen nicht wieder besetzt werden soUen; „nur wenn ein Sub-
jectimi ermangle, welches eine besondere Erfahrenheit von einer
Länderkammer oder einer Provinz habe, könne einer berufen
werden".*) Im Mai 1722 wurde wieder eine Verminderung der
*) Besonders kostspielig war die Aufführung der Oper j^Grossmogul" ; in
einem Protocolle wird bemerkt, dass man dem Pächter 23.000 Gulden habe
zulegen müssen, „wegen der extragrossen Maschinen, numerosen Combattinenten
und Tänzen". (F.C.P. 1. Mai u. 26. JuU 1726.)
') Ich entnehme diese Angaben F.C.P. v. 13. Aug. 1720 u. 26. Juli 1726.
•) Finanz-Conferenz-ProtocoU vom 24. December 1717.
*) Kais. Hofkammer-Status wie er 1718 AUergnädigst stabiliert worden:
ord. ansserord. und Pensionen
Hofkanmier-Collegium 108.600 14.500
Secretär-Kammer-Procuratoren,Concipisten,
Kanzlei- Verwandte und andere Bediente 50.770 2.600
Hofbuchhalterei 56.010 50
Kriegsbuchhalterei 28.570 900
BancaUtät 62.260 12.300
3 6.200 30.850
336.550
Digitized by
Google
219
Stellen berathen. Ein grosser Theil der Räthe, bemerkte Graf
Dietrichstein, sei ohnehin untauglich. Dietrichstein beantragte
auch eine Verminderung der Seoretäre, Concipisten und der Stellen
bei der Hofbuchhalterei. Am 6. August 1722 genehmigte der
Kaiser die von der Finanz-Conferenz befürworteten und vereinbarten
Anträge. Es scheint jedoch, dass die Durchführung auf Schwierig-
keiten stiess und in dem beantragten Umfange nie verwirklicht
wurde. Im Jahre 1720 waren noch dreiundseohzig Bäthi^ bei der
Hofkammer angestellt und der gesammte Kostenaufwand belief
sich auf 115.900 Gulden. Einige Jahre später war derselbe auf
über 146.000 Gulden gestiegen. Die Berathungen über die Vor-
schläge der Hofkammer, um Ersparungen zu erzielen, zogen sich
Jahre lang hin und gelangten erst 1732 zum Abschlüsse; der
Kostenaufwand wurde nun mit 78.000 Gulden in Aussicht ge-
nommen.
Bei den anderen Centralstellen wurden ebenfalls erhebliche
Ersparungen geplant und beantragt, theilweise ohne Erfolg. Der
Eeichs-Hofrath verschlang grosse Summen. Der Kaiser hatte 1716 den
Aufwand von 43.000 auf 112.800 Gulden erhöht. Die Bemühungen
der Hofkammer auf Herabminderung waren zumeist vergeblich;
Beschlüsse wurden gefasst, aber nicht durchgeführt. ^)
Die Eeduction der Ausgaben stand oft auf der Tagesordnung,
wurde in der Finanz-Conferenz gutgeheissen und empfohlen, allein
ehe die prinoipiellen Beschlüsse zur Durchführung gelangen konnten,
mussten abermals Verhandlungen mit den verschiedenen Central-
stellen stattfinden, die sich jahrelang hinzogen, obgleich von Seiten
der Finanz-Conferenz bemerkt wurde, dass für die Bezüge der
Der Hofkammer-Präsident bezog 12.000 und als Aequivalent für die
Taxe 6000 Gulden ; der Vice-Präsident 6000 Gulden, die Käthe 1500 Gulden.
*) Quoad aulicum et civüe, heisst es in dem Protocolle der Finanz-
Conferenz vom 21. April 1721, sei die Disproportion so gross, dass die Kammer
selbe zu beheben weder Kräfle, noch genugsam Autorität habe. „Die remedia
praesentanea, je länger sie dauern, je schädlicher werden sie dem Aerar." . . .
„Die remedia provisonalia dauern schon etliche Jahre, bemerkt die Conferenz
ein andermal und seien schädlich, wenn sie continuieren müssen; das Haupt-
remedium könne sogleich nicht folgen, wenn nicht Gott andere Gedanken
schicket." — Auch die Verwaltungskosten in den Ländern hatten sich seit dem
Beginne des XVIII. Jahrhunderts gesteigert. Die böhmische Kammer er-
forderte 1704 nur 35.688 Gulden, 1728 45.235 Gulden. Sie bestand aus drei
Commissionen. Der böhmische Kammer-Präsident erhielt 4000 Gulden Besoldung
und 2000 Gulden Tafelgelder, letztere entfielen 1724, nach zwei Jahren erhielt
der neuerannte Kammer-Präsident Graf Sternberg auf Antrag der Conferenz
wieder 2000 Gulden Tafelgeld.
Digitized by
Google
220
Beamten und für Pensionen kaum so viele Mittel vorhanden seien,
um eine Quartalrate bezahlen zu können. Man rafifte sich dann zu dem
Beschlüsse auf, abermals eine Ersparungs-Commission einzusetzen.
Es werden deren zwei erwähnt, die eine unter dem Prinzen von
Savoyen, die, wie in den ProtocoUen der Pinanz-Conferenz
klagend bemerkt wurde, ohne Ergebniss blieb, eine andere unter
dem Vorsitze des Obersthofineisters, die, wie es scheint, längere
Zeit verstreichen liess, ohne ihre Arbeiten zu beginnen. Während
drastische Vorschläge gemacht wurden, um den Verpflichtungen
gegen die Beamten nachzukommen, spendete man anderseits mit
vollen Händen. Confiscierte Qüter wurden durch die Freigebigkeit
des Monarchen im Gnadenwege vergeben, Fiscalgüter in Ungarn
und Slavonien verschenkt, höheren Staatswtirdenträgem grosse
Belohnungen gewährt. So z. B. erbat sich der Vice-Präsident des
Hofkriegsrathes, Graf Königsegg, der 30.000 Qulden jährlich
bezog, eine Gnadengabe von 100.000 Gulden; die Hofkammer
beantragte 50.000 Gulden, die in der That in ungarischen Gütern
bewilligt wurden. *) Viel würde zur Herstellung des Gleichgewichts
beitragen, heisst es in einem Pinanz-Conferenz-Protocolle, wenn der
Kaiser, dessen Schenkungen seit seiner sechzehnjährigen Regierung
gegen neun Millionen und darüber betragen, etwas an sich halten
würde imd die Hof kammer beauftragen möchte, „ohne kaiserlichen
Befehl und besondere Gründe, wie fiüher die Observanz gewesen,
in gratialibus imd pensionibus kein Referat mehr abzugeben".
Es gewährt kein Interesse, die Voranschläge von Jahr zu Jahr
vorzufahren. Kaimi hatte man sich mühselig, zumeist durch die
Unterstützimg der Stadtbank, dem Gleichgewichte genähert, brachten
die ausserordentlichen Ausgaben wieder ein Deficit zu Tage. Auch
sind wir nicht in der Lage, mit Genauigkeit anzugeben, in welchen
Posten die Rechnimgsabsohlüsse von den Voranschlägen abweichen.
Die Finanz-Conferenz-ProtocoUe strotzen von Klagen. Selbst in
Ftiedenszeiten müsse man immer neue Schulden machen, bemerkt
das Finanz-Pro tocoll vom 18. Januar 1719, während man doch
die alten Lasten abstossen und sich in den Stand setzen sollte,
um den etwa sich ereignenden widrigen Zuföllen nach Erfordemiss
zeitlich begegnen zu können. Der Zustand des Aerars, heisst es
zehn Jahre später in dem ProtocoUe vom 18. Februar 1729, sowohl
») Finanz-Conferenz-Protocolle vom 23. Mai 1732 und 7. Mai 1783. Vergi.
Mensi, a. a. O. 654.
Digitized by
Google
221
in camerali, als militari geräth mit jedem Tage immer mehr in
Verfall imd der Abgang der zur Bestreitung erforderlichen Mittel
ist gross. Man habe diesem Abgang eine Zeit lang durch verschie-
dene Antioipationen mit beschwerlichen Interessen und Kosten und
harten Bedingungen zu steuern gesucht, doch wurde hiedurch das
Aerar derart belastet, dass es nicht mehr weiter gehen könne, da
auch der Credit bereits auf das Höchste gespannt sei und das
gemeine Wesen unterzugehen drohe. Obgleich die Stadtbänk in
den letzten Jahren vierzehneinhalb Millionen Gulden Schulden der
Hofkammer übernommen hatte — 1724 neun Millionen, 1725 fänf-
undeinhalb Millionen — hatte die Hofkammer in den nächsten
Jahren abermals sechs Millionen Schulden gemacht. Allerdings
waren grosse Anforderungen an sie gestellt worden. Die „zur Er-
haltung des Friedens angewendeten geheimen Spesen" im Jahre
1726, welche die Hof karomer mit 2*5 Millionen zu bestreiten hatte,
die Beise des Kaisers nach Graz im Jahre 1728, die Recrutierungen,
die Vorschüsse fiir das Militär in Tyrol und in Slavonien erheischten
grosse Beträge, wofür die Einnahmen nicht ausreichten. Die von
der Bank alljährlich geleisteten 500.000 Gulden wurden durch An-
weisungen und „Gratialien" absorbiert. Der jährliche Abgang war
beträchtlich und Graf Kolowrat machte schriftlich und mündUch
darauf aujßaaerksam, dass er an die „Hof- und Civilbedienten'',
sowie an die Pensionisten kaum ein Quartal ihrer Bezüge zu
bestreiten im Stande sei. um in Zukunft die B^medur nicht
unmöglich zu machen, sei es imumgänglich nöthig, die laufenden
Ausgaben durch die Einnahmen ohne neue Schulden zu bestreiten.
Und abermals, wie schon fiüher wiederholt bemerkt worden war,
wurde auf die Vermehrung der Gefälle und auf die Beschränkung
der überflüssigen Ausgaben hingewiesen ; Ersparungen bei der Hof-
kammer, bei den Landeskamm em in Ungarn, Böhmen, Schlesien,
Steyermark und Tyrol, bei der Bancaütät wurden in Antrag gebracht,
die „unnöthigen und untüchtigen Subjecte" in Wien imd in den
Liändem sollten mit halbem Gehalt ausser Activität gesetzt, jene,
welche „doppelte Besoldungen gemessen" mit dem vierten Theil bis
auf bessere Zeiten restringiert werden. ^) Auch beim Militärstatus,
bemerkt die Conferenz, ist die Proportion zwischen Einnahmen
und Ausgaben weit überstiegen; die Erfordernisse betrugen zehn
*) Aus dem Finanz- Conferenz -Protocolle ist ersichtlich, dass die „Be-
kostong" der Hofkanuner 275.000 Gulden betrug, die Länderkammem in Ungarn,
Böhmen, Schlesien, Steyermark und Tyrol erheischten 200.000 Gulden, die
Bancalität 50.000 Gulden.
Digitized by
Google
222
bis elf Millionen, die Bewilligung der Länder an Contxibution
beiläufig über acht MiDionen, allein auch diese Beträge giengen
nicht ein. Die Ausstände vergrösserten sich „wegen Unvermögens,
Noth und Armuth der Unterthanen". Der Abgang müsste durch
Antioipationen bei den Ländern und bei der Judensohafb bedeckt
werden, wodurch die Militärfonde immer mehr beschwert und,
„unerklecklich gemacht, die Länder im Frieden erschöpft und statt
der bei aUen Landtagen vertrösteten Erleichterung mehr belastet-
auch ausser Stande gesetzt werden, mit ihren Gaben fortzufahren
oder im Kriegsfalle eine Extra-Aushilfe leisten zu können, zumal
erfahrungsgemäss die Noth der Unterthanen im Frieden mehr zu-
genommen habe, als selbe vorher jemals in Kriegszeiten gewesen
sei. Der Militärstatus sei nach dem Vermögen imd den Kräften
der Länder zu regulieren, die unnöthigen Ausgaben abzusohaflFen,
die Commandantschaften, die den Ländern mit unbeftigten Exe
cutionen, Vorspann und anderen Leistungen beschwerlich fallen
und dieselben fast ganz enervieren, seien aufzuheben."
Der „Status Universi", heisst es ein andermal, sei leider so
beschaffen, dass man auf dem Fuss, wie die Sachen stehen, über
kurz oder lang einen gänzlichen Zerfall zu befahren habe, welches
dalier entspringt, dass man die Erfordernisse nie mit der MögUch-
keit in eine Gleichheit setzt und von Jahr zu Jahr die Schulden
statt sie zu mindern, mit neuen vermehrt und auf die Ersparungen
nicht denken will. Mit neuen Aufschlägen imd Imposten könne
man auch nicht weiter vorgehen und bei denjenigen, welche
resolviert worden, finde es seinen Anstand, solche zu Stande zu
bringen. ^)
>) ProtocoU der Deputation Linz, 29. Sept. 1732.
Der Kaiser verschloss sich den düster gefärbten Darstellungen der
Finanzlage nicht, allein die auswärtigen Verhältnisse Hessen eine Herab-
minderung der Heereserfordemisse nicht zu. „Undt weylen wohl erkenne",
bemerkt Carl im ProtocoUe vom 5. November 1738, „wie die ländter sowohl,
II Is ds aerarium erschöpffb Vndt sich ein grosser abgang Zeigt, Entgegen
Vnentpörlich ds nach izigen Vmbstanden Vndt Situation ich Zu Sicherheit der
Ländter selbst armirt verbleibe, so werdt einerseith gesehen werden, wie ds
militar in ein Vndt andern was den dienst nicht betrifft nach moglichkeit
restringirt Vndt nach den einkunflPben regalirt werdte, andern seyth samblich
mit ernst Vndt eyfer dahin gesehen Vndt mir weyters eingerathen werdte, auf
wie hoch den ländtem leichter fallendte modos et fundos contributionis tempore
pacis anzutraa;en Vndt nach den blos nötigen kriegs Standt einzurichten, auch
Vndt vorderist ds ein Systema gefast werdte, Vmb die auf dem fnndo mihtari
haftendte Schuld abzustossen".
Digitized by
Google
223
Das Militärbudget nahm während der Regierung CarTs VI.
stetig höhere Beträge in Anspruch, als präliminiert worden waren.
Nach Beendigung des Tärkenkrieges durch den Frieden von
Passarowitz und nach Beilegung der Verwicklung mit Spanien,
schien die Buhe voraussichtlich für einige Jahre gesichert. Der
Kaiser verftlgte daher, dass die Militärverwaltung mit acht Millionen
jährlich ihr Auslangen finden solle. ^) Diese Summe wurde aber
überschritten; die Militärverwaltung deckte den Abgang durch
Schulden. Die drohenden Verwicklungen im dritten Jahrzehnte
erhöhten die Militärausgaben und schon das veranschlagte Er-
fordemiss war grösser als der fixierte Betrag von acht Millionen
Gulden. "Wenn die Rechnungsabschlüsse richtig sind, so betrugen
in den Jahren 1727 bis 1729 die Ausgaben im Durchschnitte 11-829
Millionen Gulden, 1730 über 18-832 Millionen, 1731 16-37 Millionen.
Das letzte Jahrzehnt der Regierung Carl VL führte zu einer
vollständigen Erschöpfiing der Finanzen. Nur mit Mühe gelang es,
die fiir den Krieg nothwendigen Summen aufzubringen. Als der
polnische Thronfolgekrieg in Sicht war, berechnete man im Herbste
1733 den Bedarf für das kommende Jahr auf zweiundzwanzig Mil-
lionen Gulden; im September 1734 ergab sich, dass neunundzwanzig
Millionen erforderlich sein dürften. Pläne zur Aufbringung dieser
Sunmie wurden erwogen. Anticipationen sollten aller Orten im In-
und Auslande aufgenommen werden, in Ungarn eine Erhöhung der
Contribution und der Salzpreise stattfinden; von der Reichsritter-
schaft und von den Hansa-Städten erwartete man einige Beträge. ^ Im
Spätsonmier 1734 war Seckendorff beauftragt worden, den König
*) Vortrag Dietrichs tein's, 25. October 1720, Protoooll derFinanz-
conferenz, 8. Dec. 1720, worauf die kais. Entschliessung am 26. Februar 1721
erfolgte.
•) Selbst bedenkliche Anträge wurden berathen. Ein Mittel, heisst es in
einem Protocolle vom 2. Nov. 1733, einige Anticipation zu erhalten, wäre,
-wenn der Kaiser dem einen oder anderen böhmischen CavaUer entweder in
"Wirklichkeit eine Geheime-Raths-Stelle verleihen oder die Versicherung auf offen-
stehende oder in Apertur kommende Landdienste ertheilen würde, indem jene
theils ein Donativum, theils eine Anticipation von 100.000 Gulden derart zu
leisten hätten, dass sie sich durch fünf Jahre mit den Interessen begnügen vmd
sodann in zehn Jahren die Capitalsabstattung annehmen würden; zu ihrer
Sicherheit könnten sie entweder eine Verschreibung auf Cameralgefälle oder
ihre Contributionen verlangen. Da es von der EntschUessung des Kaisers
abhänge, ob er solche Gnade den böhmischen Cavaüeren bewilUgen wolle, so
haben es der Hofkanzler und Graf H a r r a c h auf sich genommen, sowohl
einen Vortrag an den Kaiser zu erstatten, als auch über das Quantum und
die Bedingungen mit gedachten CavaUeren weiter zu verhandeln.
Digitized by
Google
224
von Preussen zu einem Anlehen von zwei Millionen zu bestimmen ^),
ein Beleg für die herbe Noth, dass man sich zu diesem Schritte
entschloss, weil die politischen Beziehungen zum Nachbarstaate
sich getrübt hatten xmd die Verhandlungen über die Mitwirkung
beim Kriege sich nicht günstig gestalteten.
Im November 1734 ergab sich bei Entwerfung des Staats-
voransohlages flir das kommende Jahr ein Erfordemias von
32 Millionen. Für das verflossene Militärjahr waren Millionen
unbezahlt. Von den ausserordentlichen Einnahmen im Betrage
von 21-66 Millionen Q-ulden, welche flir die Ausgaben des laufenden
Jahres benöthigt wurden, waren blos 11 '72 Millionen ein-
gegangen, von dem Reste wurden etwa 5'66 Millionen als unein-
bringlich bezeichnet. Um allen Anforderungen zu genügen, waren
daher über 37 Millionen nothwendig. Die Deputation kam bei
Berathung über die Herbeischaflftmg des erwähnten Betrages zu
dem C!onclusum: man werde es begreiflich finden, dass es nicht
in der Macht der Hofkammer stehe, nicht einmal die für den
Bedarf zulänglichen Summen zu beschaflfen, ohne genügende Mittel
aber gewiss nicht möglich sei, zahlreiche Armeen zu unterhalten;
wenn man also die Sachlage überblicke, so wäre dem Kaiser zu
einem Frieden einzurathen, damit er seine deutschen Erbleinde, die
von so vielen G*efahren bedroht werden, nicht in ein grösseres
Unheil verfallen lasse. *)
Vorläufig waren blos flir die Recrutierung und Remontierung
acht Millionen unbedingt nöthig, allein auch dieser Betrag war
schwer aufeubringen. Die Vermögens-Steuer brachte blos 1-5 Millionen,
während sie nach der angestellten Berechnung dreimal so viel hätte
abwerfen sollen. Das Einkommen aus dem Vermögen in den
deutschen Erblanden wurde nämlich auf 45 Millionen veranschlagt,
aus Ungarn und den neuerworbenen Provinzen auf 20 Millionen
Gulden. Ob nun aber, heisst es in einem Conferenz-ProtocoUe, ein
jährliches Einkommen von einem Vermögen im Betrage von
65 Millionen hinlänglich sein könne, einen Kriegsstatus zu erhalten,
der in einem Jahre 32 Millionen benöthige, wolle man reifer
Einsicht und gründlicher Ueberlegung überlassen; neue Cameral-
fonde seien nicht aufeubringen und die Mautherträgnisse seien
ohnehin seit der Erhöhung der Tarife auf das Höchste gesteigert
worden, die Abgaben von Bier, Wein und anderen Gegenständen
*) Vorträge, besonders 15. Juli 1784.
') Conferenz-ProtoQoll vom 5, November 1734:,
Digitized by
Google
225
seien sehr hoch, es bliebe daher nur übrig, Salz mit einer grösseren
Abgabe zu belegen. Es sei nicht zu ermessen, womit man zuerst an-
fangen solle. Alle diese Bestimmungen erforderten einen baaren Pfennig,
die Fonde seien ungewiss, der Credit liege zu Boden, weder Geld noch
Wechsel seien zu beheben, Anlehen könne man nicht beschaffen,
woher die Mittel flir den Bedarf der nächsten Monate herbeizubringen,
geschweige demi für einen Sommerfeldzug, wisse man nicht Eath.
Noch trauriger gestaltete sich die Finanzlage während des
Türkenkrieges. An OpferwiUigkeit fehlte es nicht, allein die
ungünstigen wirthschaftlichen Verhältnisse der Länder ermöglichten
es nicht, selbst jene Summen aufeubringen, welche von den Ständen
bewilligt worden waren. Je länger der Krieg dauerte, um so
schwieriger war die Entrichtung der Contribution, um so geringer
die Eingänge aus den sonstigen Gefällen. Besonders in Böhmen,
Mähren und Schlesien, den ergiebigsten Ländern des Staates, waren
die Rückstände ungemein beträchtlich. Obgleich man eine Anzahl
von Invaliden den Kreisämtem beigegeben hatte, um die rück-
ständigen Beträge einzutreiben, waren die seit mehreren Jahren
hart belastetien Unterthanen nicht in der Lage, die Steuern zu
entrichten. Abgesehen von der Contribution waren auch bedeutende
Forderungen fiir Recruten und Verproviantierung an die Länder
gestellt worden. Die Durchmärsche der Truppen hatten den Con-
tribuenten ebenfalls grosse Lasten auferlegt. Die wirthschaftliche
Lage war eine traurige, Handel und Wandel lagen ganz dar-
nieder. Die in den letzten Jahren erlassenen Zolltarife hatten zum
Theil den Verkehr von den österreichischen Ländern abgelenkt.
Sämmtliche Staatsmänner, welche von dem Monarchen mit der
Berathung über die zu ergreifenden Massnahmen betraut worden
ivaren, legten das Geständniss ab, dass es unmöglich sei, durch
Execution die Unterthanen zur Bezahlung ihrer Schuldigkeit zu
zwingen. War auch volle Geneigtheit vorhanden, mit Schonung
vorzugehen, so drängten Parteien und Regimenter auf Bezahlung
schuldiger Beträge. Der Präsident des Hofkriegsrathes forderte
-wenigstens Eintreibimg der Recrutengelder, damit die abgängige
Mannschaft angeworben werden könne. ^)
Mühselig genug wurden die Erfordernisse für den Krieg
bestritten. Ohne Schwierigkeit wurde ausgemittelt, wie viel ein
*) Verschiedene Protocolle aus dem Jahre 1737. Viele interessante An-
gaben im Protocoll vom 24. Mai 1737.
Oeiterreiohifloher Erbfolgekrieg. I. Bd. 15
Digitized by
Google
226
jedes Land an Türkensteuer aufzubringen habe, aber die Einbringung
der Summe wurde in jedem Jahre schwieriger. Auch Executionen
durch Invaliden, die man säumigen Schuldnern ins Haus legte, fruch-
teten nichts. Bereitwillig gab der Unterthan dem Steuereintreibei
Kost und Obdach, aber die Steuern entrichtete er nicht, weil er
nicht zahlen konnte. Von Monat zu Monat mussten Berechnungen
angestellt werden über die vorhandenen Mittel und wie der Abgang
zu bestreiten sei. Die Protocolle aus dem Jahre 1739 entrollen
die düstersten Bilder. Die Rückstände mehrten sich, die meisten
Länder waren, die geforderten Summen aufeubringen, ausser Stande.
Denn nebst der Contribution und der Türkensteuer waren für die
Beschaffung von Recruten, Remonten und Flinten bedeutende
Beträge zu leisten. Nur Nieder-Oesterreich und Ober-Oesterreich
kamen den Verpflichtungen nach. Die „Pauschquanta" der Türken-
steuer giengen langsam ein und namentlich die innerösterreichischen
Länder, Steyermark ausgenommen, blieben in der Regel die grössten
Beträge schuldig. ^) Es werde schwer sein, „nur einmal zu ideieren"
wie der Abgang zu beschaffen, klagte der Hofkammer-Präsident;
„das Contributionale sei mit vielen Millionen Schulden verwickelt
das Camerale übel beschaffen und am bedauerlichsten sei, dass
durch den sohlechten Fortgang des Krieges der ausländische Credit
gesperrt sei. Namentlich die Stellung der Recruten sei schwierig;
in Mähren sei ein Abgang von Leuten, in Böhmen fehlen die
Knechte zur Bearbeitung der Güter, in Schlesien flüchten ganze
Dorfschaften, um der Recrutierung zu entgehen, nach Polen/'
Auch fehlte es, da die meisten Einnahmen verpfändet waren, an
Pfandobjecten zur Versicherung der Anlehen, da sowohl die Stände,
als auch die auswärtigen Geldinhaber selbst bei verhältnissmässig
geringfügigen Summen die Ueberweisung staatlicher Einnahmen
forderten. Die kaiserlichen Unterhändler waren aller Orten auf
der Suche nach Capitalisten, was den Monarchen zu der Bemerkung
veranlasste, es könne dem Credit nur schaden, wenn man überall
Geld ohne sichere Hoflftiung, es zu erhalten, suche. *)
Beim Beginn des Jahres 1739 war vollständige Ebbe im
Staatsschätze^); „die christlichen und jüdischen Wechselhäuser'
*) Protocollum Deputationis 2. Mai 1739.
*) Dep. Prot. 12. Sept 1738 und einige Scliriffcstücke 1739.
*) Im Jahre 1736 war Managetta zum Professor der Anatomie ernannt
worden, noch drei Jahre war kein „Fond" zur Bezahlung eines Grehalfes von
800 Gulden vorhanden; am 11. August 1739 ergieng die Weisung, einen solchen
ausfindig zu machen.
Digitized by
Google
227
wären nicht mehr in der Lage, irgend einen Betrag aufzubringen,
bemerkte der Hofkammer-Präsident, und als der Clerus kürzlich
eine Antioipation von 1*2 Millionen Gulden geleistet, wurde der
Vorschlag gemacht, bei den „Vermöglichen" eine gleiche Summe
innerhalb dreier Monate aufzubringen, um nur einen Fond zu
haben, der zur SichersteUung eines Anlehens benützt werden sollte.
Die Bank soUte für den Betrag Banco-Obligationen ausstellen und
derselben 120.000 Gulden aus dem böhmischen Tabakgefälle all-
jährHch als Bedeckung angewiesen werden. Die Schwierigkeit war,
solche Personen zu finden, welche den erforderlichen Betrag vor-
strecken konnten, da, wie bemerkt wird, „vielleicht nicht zwanzig
sein werden, welche je 20.000 Gulden ohne Beschwerde aufbringen
könnten". Graf Starhemberg erhob bezüglich der böhmischen
Tabakgefiüle Bedenken, da, „wenn dieser Fundus dem Camerali
entgehet, man nicht im Stande sein werde, die Kuchelgelder zu
versehen, welches das Decorum Aulae nicht wohl gestatten kann".
Man entschloss sich, den bereits vor mehreren Jahren verfiigten
Aufechlag auf Fleisch in Wien weiter zu erhöhen, in Erwägung,
dass hiedurch der Bürgerstand und andere Ctentribuenten heran-
gezogen würden, die sonst von allen Gaben und Imposten
frei seien. ^)
Freudig wurde in den Ländern der Friede begrüsst, der dem
unglücklichen Türkenkriege ein Ende machte. Gross waren die
Ansprüche gewesen, welche von Seite der Staatsverwaltung erhoben
worden waren und nur mit Anspannung aller Kräfte hatte man
dieselben erflült und sehnsüchtig sah die Bevölkerung einer Er-
leichterung entgegen. Diese Hofeung erfüllte sich nicht. Die
Türkensteuer entfiel, aber an Contribution wurden im Ordinarium
und Extraordinarium dieselben Beträge gefordert wie bisher. Selbst
die tragfähigsten Länder, Böhmen, Mähren, Schlesien, welche die
g;TÖsste Opferwilligkeit bisher bekundet hatten, waren erschöpft,
die Höhe der Rückstände hatte sich beträchtlich gesteigert. Die
Mittel für die Verpflegung der Truppen waren nicht vorhanden,
bedeutende Summen waren noch zu berichtigen. *)
*) Vortrag ohne Datum. Herabgelangt 3. Febr. 1789.
^ Am Schlüsse des Jahres 1739 betrugen die Bückstände in Böhmen
2,742.984 Gulden, in Mähren 1,016.988 Gulden, in Schlesien 2,460.511 Gulden,
zusammen 6,220.885 Gulden. In Nieder-Oesterreich waren allein in Wien 690.493
Grulden im Eückstande, Kämthen hatte noch nicht die Contribution für 1738
voll aufgebracht. An Türkensteuer waren ebenfalls pro 1739 in den deutech-
15»
Digitized by
Google
228
Der geldbedürftige Hofkammer-Präsident musste das Geständ-
niss ablegen, dass es unmöglich sein dürfte, die Rückstände ins-
gesammt einzubringen und er bat nur, dass die Hofkanzlei dahin
wirke, die aushaftenden Beträge der Türkensteuer, der Eecruten-
und Remontengelder einzutreiben. Was Ungarn anbelangt, wurde
darauf hingewiesen, dass, „um die Eeste einzubringen, das einzige
Mittel sei, wenn die Comitate mit zulänglicher Mannschaft belegt
und durch deren Consumtion die Praestanda ausgeglichen würden,
jene Comitate daher mit einem stärkeren Quartierstande zu belegen,
welche in BFCsten am weitesten zurückstehen". Der Obristkanzler
Graf Kinsky entwarf ein düsteres Bild. Der herbe Winter hatte
die Landwirthe stark geschädigt, „in den Teichen haben die Fische
viel gelitten, der Schafunfall sei gross gewesen — über 800.000
Stück seien umgekommen — in das Hornvieh habe nicht weniger
das Sterben eingerissen und es sollen 24.800 zugrunde gegangen
sein". Der Präsident des Hofkriegsrathes stimmte dem Präsidenten
der Hofkammer bei, dass es besser sei, weniger Truppen zu halten
und diese richtig zu bezahlen, als eine grössere Anzahl auf den
Beinen zu haben, die man nicht verpflegen könne, aber er machte
es von „politischen Reflexionen'* abhängig, wie stark die Truppen-
macht sein solle. Der Kaiser hatte die Ausgabe für das Heer auf
acht Millionen bestimmt, mit welcher Summe jedoch, wie der Hof-
kammer-Präsident bemerkte, das Auslangen nicht werde gefunden
werden ; wenn nicht Eath geschafft werde, fügte er hinzu, dass die
Truppen die Rückstände und die Löhnungen für den Sommer be-
kommen, so werde Alles in grössten Zerfall und in Unordnung
gerathen. Es werde auch schwer sein, die acht Millionen Gulden
als Ordinarium zu erhalten, der Unterthan sei verarmt, der Adel
meist entkräftet, die Länder erschöpft. Damit aber das Heer mit
dieser Summe auslange, müsse eine bessere Oekonomie eingeftihrt
werden. ^)
Auch in der Civilverwaltung wurden Ersparungen seit Jahren
für nothwendig gehalten.
Ln Jahre 1736 war eine Hof-Commission unter dem Grafen
Kolowrat angeordnet worden, um den ,,Cameral- Anordnungsstaat"
einer Revision behufs Ersparnissen zu unterziehen. Die Mitglieder
böhmischen Erblanden noch 851.892 (Luiden nicht entrichtet worden. In
Ungarn war die Contribution seit 1739 in beträchtlichem Rückstande, Ende
1789 im Gesammtbetrage von 1,031.925 Gulden.
*) Conferenz-Protocoll 27. Januar 1740.
Digitized by
Google
229
waren der Bancal-Director P r a n d a u, die Hof kammerräthe Z u a n a.
Lachmayer und S äff ran. Die erste Sitzung fand am 9. No-
vember statt und die Mitglieder kamen allwöchentlich am Freitag
zusammen. Erst nach Jahren war die Commission mit ihren Arbeiten
fertig, die sodann im Jahre 1740 von der Finanz- Commission geprüft
und begutachtet wurden. Auf Grundlage durchschnittlicher Berech-
nungen der Jahre 1731 bis 1735 wurden Erfordemiss und Bedeckung
ermittelt. Hienach betrugen die Cameral-Erfordemisse 10*17 Mil-
lionen, die „Amtsbekostung" 4*1 Millionen, der der Hofkammer
zur Verfügung stehende Ueberschuss zur Bestreitung sämmtlicher
anderen Ausgaben 6-07 Millionen. Zur Brechtfertigung der Höhe
dieser Ausgabe wurde bemerkt, dass die BerggefaJle bei einer Ein-
nahme von 3*92 Millionen Gulden allein 3-2 Millionen in Anspruch
nähmen, auch das Salzgefälle einen beträchtlichen Aufwand erfor-
derte. Das Erfordemiss fiir Hof- und Civilverwaltung belief sich
auf 3*877 Millionen Gulden in Wien und 2*296 Millionen in den
Ländern, zusammen daher auf 6*173 Millionen. Das Deficit betrug
83*152 Gulden. In dem Vortrage des Hofkammer-Präsidenten wurde
darauf hingewiesen, dass eine im Jahre 1729 angeordnete Com-
mission unter dem Prinzen Eugen von Savoyen Ersparungen in
Vorschlag gebracht habe, die jedoch nicht durchgeführt wurden.
Vornehmlich wurden wieder Herabminderungen in dem Erforder-
nisse fiir den Hof in Vorschlag gebracht. Die Jägerei, um einige
Beispiele anzuführen, habe früher 22.000 Gulden gekostet, jetzt
wären 38.000 nöthig, „ohne Abbruch der Jagdlust des Kaisers"
würden 30.000 Gulden hinreichen; die Küchel- und Kellerwirth-
schafb sei um 122.000 Gulden gestiegen, Kapellen und Musik er-
heischten 128*574 Gulden, Pensionen und Adjuten 658.000 Gulden.
Es wurden Ersparungen im Betrage von 850.000 Gulden beantragt.
Die kaiserliche Entschliessung verfugte, dass die Gesammtausgabe
,,fiär das Aulicum und Camerale" von sechs auf fünf Millionen
herabgesetzt werden soll. ^)
Es waren Zukunfbspläne, um Ordnung in den zerrütteten
Staatshaushalt zu bringen. Die Verwirklichung derselben erforderte
') Finanz-Conferenz-Protocolle, 27. Januar und 11. Mai 1740, sowie eine
Anzahl von Beferaten der Hofkammer sammt Ausweisen. Aus den Schrift-
stücken ist ersichtlich, wie hoch die Rückstände Ende 1739 waren ; bei den
Hof- und Civilämtem beliefen sich dieselben auf 2*634 Millionen Gulden, beim
Hofstaat des Kaisers 96.000, beim Hofküchenamt 41.441, beim Hoffiitteramt
46.273; den Hofhandwerkem schuldete man 115*795, dem Hofkammermeister
74.140 Gulden.
Digitized by
Google
230
Zeit. Vorläufig konnten grosse Ersparungen nicht eintreten, dieLasten
der hart bedrückten Bevölkerung nicht erleichtert werden. Lebhaft
wünschte Carl einige Erleichterung den Ländern angedeihen zu
lassen^). „Wenn es nicht höchst nöthig wäre", lautet eine Ent-
schliessung des Kaisers auf das Protocoll vom 27. Mai 1740, „so würde
mir lieb sein, noch flir dieses Militärjahr weniger als für 1739 von
den böhmischen Ländern zu begehren, denn ich erkenne wohl, dass
bei allen umständen und Zufällen es schwer falle, die Steuer auf-
zubringen; es werde ihm auch lieb sein, wenn ihm Vorschläge
unterbreitet würden". Vorläufig müssten dieselben Forderungen an
die Länder gestellt und an die „allezeit bezeugte Treue und
Willigkeit der Stände" appelliert werden.
Directe Steuern.
Die wichtigste Einnahme floss aus der Besteuerung des
Grundes und Bodens und war in erster Linie zur Erhaltung
des Heeres bestimmt, daher Contributio pro militari genannt. Die
Grundsteuersumme hieng von der Bewilligung der Stände ab und
die Verhandlimgen mit denselben waren oft schwieriger Natur.
Eine Instruction vom Jahre 1670 macht uns mit einer Ansicht
der Hofkammer bekannt über die Art und Weise des Vorganges
bei den an die Stände zu stellenden Anforderungen, die, wie aus
den Finanz-ProtocoUen ersichtlich, auch fiir die Zeit Carl VI.
massgebend war. Man müsse, wenn man von einem Landtage
10.000 Gulden wünsche, wenigstens 100.000 fordern, weil immer
weniger bewilligt, als begehrt werde. Dieser Grundsatz wurde auch
in der That befolgt und besonders als Extra-Ordinarium stets eine
höhere Summe verlangt. Die Verhandlungen waren nicht selten
langwierig und erst nach wiederholtem Schriftwechsel wurde eine
Vereinbarung erzielt. Die innerösterreichisohen Länder, Steyermark,
Kämthen, Krain und Görz, theilten einander wechselseitig die
Postulate und ihre darauf gegebene Erwiderung mit, um ein Ein-
verständniss zu erzielen. Auch wurden Versuche gemacht, massgebende
Persönlichkeiten in der Residenz zu gewinnen, um sie für die
Gegenanträge der Stände und deren Befürwortimg günstig zu
stimmen. ^
*) Kaiserliche Entschliessung vom 3. März 1740.
•) So heisst es in einem Schriftstücke, Laibach, 11. Mai 1717 : „Dem
Obrist-Kanzler von Sinzendorff und dem geheimen Referendar Loydl sei
Digitized by
Google
231
Eine sichere Grundlage für die Erhebung der Grundsteuer
war nicht vorhanden, eine Gleichförmigkeit in den verschiedenen
Ländern ein tiefgefühltes Bedürfiaiss. Schon Kaiser Maximilian
versuchte eine feste Proportion über die Aufbringung der Steuer
herbeizuführen, allein erst auf der Conferenz zu Pressburg im Jahre
1655 wurde eine Regelung erzielt. Den Anlass gab die damalige
neue Militärverfassimg und die Ausarbeitimg eines Generaldarlehens.
Die vereinbarte Proportion, „damit ein Land gegen das andere sich
nicht zu beschweren habe", gieng dahin, dass sämmtliche böhmische
und österreichische Länder mit achtzehn Theilen in Anschlag gebracht
wurden und hievon die böhmischen Länder zehn, die österreichi-
schen Länder acht Theile zugewiesen erhielten. Bis zum Jahre 1668
ergaben sich jedoch viele Schwierigkeiten bezüglich der Durch-
führung, nicht etwa zwischen den österreichischen und böhmischen
Ländern in ihrer Gesammtheit, sondern zwischen den böhmischen
Ländern unter einander und ebenso den österreichischen unter sich.
Bei einer auf Befehl des Kaisers erfolgten Zusammentretung der
Hofetellen wurde zwar die General-Proportion von zehn und acht
bestätigt, jedoch die Special-Proportion der beiden Ländercomplexe
derart bestimmt, dass von den zehn Theilen, welche auf die
böhmischen Länder entfielen, das Königreich Böhmen die Hälfte
und von der anderen Hälfte Mähreu ein Drittel und Schlesien zwei
Drittel entrichten sollten, ferner, dass von den acht Theilen, welche
auf die österreichischen Länder insgesanmit entfallen, Laner-
Oesterreich die Hälfte und von der anderen Hälfte Oesterreich
unter der Enns zwei Drittel und Oesterreich ob der Enns ein
Drittel tragen sollte. Als man im Jahre 1673 die bis dahin
bestandene Militärrepartition auf Regimenter, Oompagnien und
Portionen aufgab und die Militärerfordemisse in einen Geldbetrag
zusammenfasste, wurden alljährlich die erforderlichen Geldansprüche
auf Grrund der festgestellten Proportion an die Stände der einzelnen
Länder gestellt. Es fehlte nicht an Klagen über Ueberbürdung und
das eine oder andere Land nahm, wie es in einem Schriftstück
heisst, Gelegenheit, „von seinem Quantum mehr^ als es die
ein Regale zu präsentieren, damit einer löblichen Landschaftafi'aire besser künftig
secundiert werde, welches auch callide von Seiner fürstlichen Gnaden von
Portia recommandiert wurde. Auch für den Grafen Seilern, Vioekanzler,
möge ein Auswurf geschehen''. Der Beschluss wurde gefasst, Sinzendorff 1000
Speciesducaten, S eilern und Loy dl je 500 „dergestalt pro regale zu verwilligen,
dass solche diesen Herren in silentio präsentiert werden sollen". (Laibacher
Museal- Archiv).
Digitized by
Google
232
Proportion zuliess, durch öftere Deprecationen hinunter und von der
wahren Proportion abzubringen". Im Jahre 1679 wurden drei Con-
ferenzen über die Proportion der Länder abgehalten und zwar
Anfangs August in Wieii, femer am 24. und am 30. October in
Prag unter Leitung des damaligen Obristen Burggrafen Grafen
Martinitz. Die anderen Mitglieder der Conferenz waren: Graf
Albrecht v. Sinzendorff, die Präsidenten der Hofkammer, des
Hofkriegsrathes und der österreichischen und der böhmischen Hof-
kanzlei. Man einigte sich über folgenden Proportionsmodus: die
böhmischen Länder sollten etwas weniger als zwei Drittel, die
österreichischen Provinzen etwas mehr als ein Drittel künftighin
entrichten. Li zwei Conferenzen des Jahres 1682 (am 14. und
24. Januar) wurde genau bestimmt, dass 11 Vi auf die böhmi-
schen und 6 Vi auf die österreichischen Länder entfallen sollten,
was dann auch die Grundlage für die Aufbringung der Contri-
bution bis in die Zeiten Maria Theresia's blieb. Auf dieser
Grundlage erfolgte das Recruten- und Remontenpostulat in den
verschiedenen Ländern, ebenso auch die Repartition der in die
böhmischen und österreichischen Länder zur Verpflegung verlegten
Miliz. In demselben Verhältnisse wurden auch etwaige ausser-
ordentliche Anforderungen an die Länder gestellt. Nur ausnahms-
weise, wenn irgend ein Land durch ausserordentliche Ereignisse
gelitten hatte und eine Erleichterung beanspruchen durfte, trat
vorübergehend eine Aenderung ein. ^) Nieder-Oesterreich erstrebte
und erlangte durch Eecesse eine Erleichterung, was von Seite der
böhmischen Länder zu Vorstellungen Anlass gab , „dass die
österreichischen Erblande sich von der gesetzlichen Proportion zu
befreien Gelegenheit gefunden haben, wodurch Böhmen unerträglich
belastet würde". «)
Die Grundlagen der Steuerbemessung waren nicht die gleichen.
Li Böhmen wurde nach dem westphälischen Frieden ein Contri-
butions - ßepartitionsmodus nach den angesessenen Unterthanen
*) So wurde im Jahre 1683 Nieder-Oesterreich in Folge der Verwüstung
durch die Türken erleichtert und ein Drittel seiner Proportions- Summe auf die
böhmischen Länder, ein Drittel auf die übrigen österreichischen Länder über-
tragen.
•) Die Darstellung beruht auf einem Schriftstücke : „Deduction über die
von altersher vereinbarte Proportion bei Leistungen an den Staat zwischen
den österreichischen und böhmischen Erblanden", welches sich im Archiv des
Ministeriums des Innern befindet. Femer: „Kurzer BegriflF über die Verfassung
und Manipulienmg des Contributionswesens im Königreiche Böhmen".
Digitized by
Google
233
erhoben. Die Grundstücke derselben wurden beschrieben und 1654
in der „Visitations-Rolle" zum Abschlüsse gebracht. Die Besteuerungs-
Grundlage war eine rohe. Man gieng nämlich von der RobotftLhig-
keit aus. Je nachdem ein Bauer der Grundobrigkeit mit vier Stück
oder einer geringem Anzahl Zugvieh die Bobot verrichten konnte,
wurde die Eintheilung in Ganz-, Halb- und Viertelbauem oder
Chaluppen gemacht, ohne dass die Grösse des Grundes und Bodens
in Betracht gezogen wurde. Nur in einer Beziehung hatte die
Eectification vom Jahre 1664 ein zuverlässigeres Ergebniss geliefert,
dass die steuerfreien Dominicalherrschaften und die steuerpflichtigen
Rusticalherrschaften genau beschrieben wurden. Seit 1670 wurden
Revisionen dieses primitiven Catasters vorgenommen und eine
„Bevisions^-RoUe zu Stande gebracht. Die Ungleichheit der Be-
steuerung auf dieser mangelhaften Grundlage liess sich insofeme
ertragen, als der Steuerquotient ein verhältnismässig geringer
war. Derselbe belief sich im Jahre 1656 auf 550.464 Gulden für
die Truppenverpflegung und in barem Gelde auf 380.000 fl.,
zusammen daher auf 930.464 Gulden. Aber bereits 1673 betrugen
die Leistungen 1,350.510 Gulden. ^)
Ein neuer Cataster wurde unter dem Obristen Kanzler Franz
Ulrich Grafen Kinsky in Angriff genommen. Man berechnete in
jedem Kreise den Grund und Boden nach Strichen, dividierte die
Gesanmitsumme durch die Anzahl der daselbst Angesessenen; der
Quotient war der Kreisdivisor und hienach wurde die Steuer, obzwar
noch immer in einer sehr oberflächlichen Weise bemessen, je nachdem
der Grundbesitz des Steuerpflichtigen grösser oder kleiner als der
Kxeisdivisor war; allein innerhalb eines Kreises war doch eine
grössere Gleichmässigkeit der Besteuerung erzielt worden. Der
Uebelstand lag eben darin, dass die Güte der Felder gar nicht
berücksichtigt wurde. Noch grösser aber stellte sich die Ungleichheit
von Kreis zu Kreis heraus und da die Steuer in dem Zeitraimie
von 1689 bis 1708 beträchtlich gestiegen war, wurden mannigfaltige
Aenderungen beliebt, die jedoch keine Abhilfe schafften. Im Jahre
1712, also kurz nachdem Carl VI. die Regierung übernommen
hatte, wurde eine Eecti&cierung des Ansässigkeitsmodus in Angriff
genommen imd 1725 beendet. Hierauf wurde an eine „Final-Cal-
culations- und Ansässigkeits-Einrichtungsprobe" geschritten und mit
•) Und zwar Milizverpfleguug 1,152.810 Gulden, Werbungsgelder 67.670
Gulden, femer pro Fortificatorio 30.000 Gulden, Hochzeitsdonativ 50.000, endlich
ad liberam ebensoviel.
Digitized by
Google
234
dem kleinsten Kreise, dem Berauner, begonnen. Als Divisor wurden
achtzig Striche guten Bodens angenommen. Es ergab sich, dass
nur 335 „Corpora" von siebzig bis achtzig Strich in gutem Con-
tributionsstande waren ; 641 von fünfzig bis siebzig Strich konnten
mit der Contribution „ziemlich zurecht kommen, wo der Boden
imd Verschleiss gut, wo aber nicht, waren sie unvermöglich" ; 664
unter funfeig Strich waren „übel daran" und prägraviert, vor-
nehmlich im Bechiner und Prachiner Kreis. Erst 1732 geschah ein
weiterer Schritt. Der Referent bei der böhmischen Kanzlei, Jordan,
lieferte eine umfassende Arbeit, die einer sorgfaltigen Berathung
in der Kanzlei unterzogen, sodann mit den „Primoribus" berathen
und endlich in einer Eectifications-Commission fertiggestellt wurde.
Am 13. September 1732 konnte dem Kaiser ein Vortrag erstattet
werden. Die Entschliessung von demselben Tage lautet: „Placet
in toto und mitzugeben : wo sich in operatione billige und wichtige
Anstände ereigneten, es gleich zu berichten und mit allem Fleiss
diesem so lange dauernden Werk ein Ende zu machen." Carl VI.
erlebte die Neugestaltung des Catasters nicht; erst unter Maria
Theresia kam die Angelegenheit zum Abschlüsse*).
Auch in Mähren wurde einige Jahre nach Beendigung des
dreissigj ährigen Krieges an eine Neuordnung des höchst mangel-
haften Contributionswesens geschritten. Auf dem mährischen Land-
tage, der vom 13. December 1655 bis 8. Januar 1656 tagte, wurde
der Beschluss gefasst, dass die Obrigkeiten geistlichen und welt-
lichen Standes Fassionen über ihre Unterthanen einbringen und
dieselben in „Lahnen" mit Ausserachtlassung der Mobilien eintheilen
sollen, zugleich aber ersichtlich zu machen haben, welche Q-ründe
den Obrigkeiten und welche den Unterthanen gehören. Nach dem
Jahre 1659 begann sodann die Besteuerung nach Lahnen, deren
es 16.134 gab. Die Steuer wurde auf die Obrigkeiten nach Anzahl
der Lahnen vertheilt, diesen aber die freie Eepartition auf die
*) Die Vertheilung der Contribution in Böhmen war folgende:
Unterthanen
1731
1732
1733
1734
1785
Jahr fl. kr.
37
37
38
34
36
42
41
46
17
28
Pfg.
4V,
l»«/84
4 Vi
Obrigkeit
fl. I kr. Pfg.
10 ' 2
6 I 44
5 I 8
5 6
19 14
l*/si
5V8 i
4»/l6!
3Vio|
l»/4 <
Unterthanen
Jah r I fl. I kr. | Pfg.
1736 ! 37
1737
1738
1739
1740
49
49
51
40
25 I 3
21
8
18
52
Obrigkeit
22
19
19
19
17
kr.
2
25
33
27
82
Pfg'
Digitized by
Google
236
Gemeinden und auf die einzelnen Unter thanen eingeräumt. Von Seiten
der Behörden in Wien wurde die Mangelhaftigkeit und Ungleich-
mässigkeit der Steuergrundlagen bald erkannt, aber erst in Folge
kaiserlicher Entschliessungen vom 22. August 1668 und 9. Januar
1669 in Angriff genommen und nach kurzer Zeit zum Abschluss
gebracht. Dieses Operat, „Catasterum" genannt, bildete nunmehr
die Grundlage der Besteuerung, wobei niu* Aecker und Wein-
gärten in Betracht kamen, Wiesen und Wald aber ausgenommen
blieben.
Die Aecker und Weingärten waren nach der Verschiedenheit
der Güte des Bodens, ihrer Lage im Gebirge oder in der Ebene
in drei Olassen getheilt. Wiesen und Wälder unterlagen der Be-
steuerung nicht. In die erste Classe gehörten jene, welche Weizen
oder gutes Korn, in die zweite, welche Korn geringerer Qualität,
in die dritte, welche Hafer, Haidekorn u. s. w. erzeugten. In den
ersten zwei Olassen bildeten 600 Quadratklafter, in der dritten
Classe 700 Quadratklafter einen Hetzen, weil die Besaatung des
Ackers mit Hafer eine weit grössere Fläche zu erfordern schien;
100 Hetzen der ersten Classe, 125 der zweiten und endlich 150
der dritten Classe bildeten einen Lahn. Die privilegierten Schank-
häuser in Städten und Harkten sollten den Lahnen beigerechnet,
die Handwerksleute in den Herrenstädten, welche keinen Schank
ausübten, auch keine Aecker und Weingärten besassen, zu ftinfzehn,
die Judenhäuser aber zu achtzehn für einen Lahn veranlagt
^wrerden.
Der Besteuerung nach Lahnen imterlagen nur die Gründe der
Unterthanen und im Jahre 1669 wurde der Beschluss gefasst, dass
die bisher unterthänigen Gründe auch als solche zu verbleiben haben.
Zu diesem Behufs wurde eine Generalvisitation angeordnet, die zur
Vollendung ihrer Aufgabe neun Jahre benöthigte.
In Folge kaiserlicher Entschliessung vom 10. November 1660
übernahmen zur Erleichterung der Unterthanen die oberen Stände
und königlichen Städte einen Theil der Contribution und als Ver-
theilungsmassstab die Kamine der Häuser. Die Contributionssumme
wurde von den Ständen auf die Steuerobjecte umgelegt. Die Re-
gierung suchte die Unterthanen gegen Ueberlastung möglichst zu
schützen. Namentlich unter Carl VI. wurden hierauf bezügliche
Verftigungen getroffen, die Obrigkeiten verpflichtet, dem Kreisamte
die Subrepartition vorzulegen, damit eine Prüfung vorgenommen
werden könne, dass keinö Ungleichheiten vorhanden wären und
die Obrigkeiten von den eingezogenen unterthänigen Gründen die
Digitized by
Google
236
Steuer entrichteten. ^) Da der Gesammtbetrag der Contribution
unbedingt aufgebracht werden musste, war es gestattet, mittellosen
und beschädigten Unterthanen einer Herrschaft die Steuer gänzlich
oder theilweise zu erlassen und die Vermögenden stärker heran-
zuziehen, jedoch durfte diese Uebertragung der Steuer von den
Unvermögenden auf die Vermöglicheren nicht zwischen Unterthanen
verschiedener Herrschaften, auch wenn sie einer Obrigkeit gehörten,
stattfinden. *)
In Schlesien wurde eine Rectification der Grundsteuer seit
Beginn des dritten Jahrzehntes vorgenommen. ^ Das Land wurde
in zwanzig Körper getheilt. Zwischen den einzelnen Körpern sollte
eine Ausgleichung stattfinden. Die Commissionen hatten die
Nutzungscapitalien zu ermitteln. Directivmassnahmen fiir die
Classentaxation der steuerbaren Realitäten wurden in den nächsten
Jahren erlassen, eine Rectifications-Hauptcommission in Breslau
eingesetzt. Die Obrigkeiten hatten ftlr sich, die Ortsgerichte fiir
die Unterthanen, die Magistrate für die Städte Fassionen über die
Nutzungen aller der Besteuerung unterworfenen Gründe und Reali-
*) Resolutionen vom 7. September 1730, vom 15. Januar 1734 und das
Robot-Patent vom 27. Januar 1738.
•) In Mähren war die VerÖieilung der Contribution folgende:
Für
der I
den Lahn
Vom Kamine
Jnterthanen
der
Obrigkeiten
der Unterthanen |
fl.
kr.
Pfg.
fl.
kr.
Pf«.
fl.
kr.
P%.
1717
27
36
2
58
3
58
—
Extraordinarium . . .
7
54
2
36
2
2
36
2
1720
22
56 !
8
3
8
Extraordinarium . . .
6
12 1
1
11
1
11
1
1721 (im Ordinarium) .
25
83
3
1
2V,
1
2V«
1721 (Extraordinarium)
4
35
1
4
2
4
2
1726 (Ordinarium) . . .
28
50
3
—
IVs
—
l*/s|
1726 (Extraordinarium)
1
52
—
26
2
—
—
-
1728 (Ordinarium) . . .
29
2
3
1
2
4
1
2
1728 (Extraordinarium)
4
10
—
58
2
—
—
—
1736 (Ordinarium) . . .
27
53
2
55
—
3
55
—
1736 (Extraordinarium)
9
58
2
19
2
2
19
2
1738 (Ordinarium) . . .
23
53
2
53
3
3
53
3
1738 (Extraordinarium)
10
24
2
26
2»/«
—
—
—
^) Resolution vom 4. November 1711, Patente vom 1. December 17^1
und 2. März 1722. F.C.P. 1. Juni 1722. d'Elvert's Finanzgeschichte enthalt
eine ausführliche Darstellung.
\
Digitized by
Google
237
täten vorzulegen. Die ersten Fassionen waren allerdings lückenhaft,
indem die ziemlicli beträchtlichen Nutzungen, welche aus Boboten
und Zinsen herrührten, unberücksichtigt geblieben waren. Durch
die Patente vom 17. August 1733 wurden daher neue Bestim-
mungen erlassen und namentlich von den Obrigkeiten Ergänzungen
zu ihren firüheren Bekenntnissen gefordert. Trotzdem waren Un-
gleichheiten nicht ganz beseitigt, weil der Flächeninhalt der Gründe
blos nach der Ansage veranlagt, Wiesen, Hutweiden und Teiche
nur nach dem Augenschein gemessen wurden. Den Grundertrag
berechnete man netch der Qualität des Bodens. In den Städten
wurden die Erträgnisse als Steuerbasis angenommen, entweder nach
dem wirklichen Miethzinse oder nach einer Parification desselben,
wenn der Besitzer das Haus bewohnte. Das Einkommen der
Städte (Waag- und Standgelder, Wein- und Bierkeller-Nutzungen,
die Zinse von städtischen Brauhäusern und Zünften u. s. w.) wurde
der Besteuerung einbezogen. Die wirthschaftliche Bedeutung dieses
Landes ist daraus ersichtlich, dass das Werthcapital, welches der
Besteuerung unterlag, sich auf neununddreissig Millionen Thaler
belief. Die Oontribution Schlesiens betrug in den letzten Jahren
Carl VI. über zwei Millionen Gulden, femer Beträge für Recru-
tierung, Remontierung und andere Landeserfordemisse. Allein damit
waren die Leistungen des Landes nicht erschöpft. Abgesehen von
der Militäreinquartierung, Verpflegung und Vorspann brachte die
Universalaccise, welche einzuführen in Schlesien gelang, während
in den anderen Ländern der Widerstand der Stände nicht zu
besiegen war, im Durchschnitte der Jahre 1736 — 1738 1*515 Mil-
lionen. Niemand war von der Entrichtung befreit und dieselbe
belastete besonders die Landbevölkerung. Mit der Aufhebung der-
selben beschäftigte sich eine Commission in den Jahren 1738 und
1739 und erörterte den Gedanken, dieselbe auf dem Lande zu
beseitigen und nur in den Städten beizubehalten. Friedrich H.
jRihrte nach der Besitzergreifung Schlesiens im Wesentlichen durch,
was die Oesterreicher geplant haben.
In den österreichischen Ländern : Oesterreich unter und ob der
Enns, Steyermark, Kämthen und KJrain beruhte die Grundbesteuerung
auf dem Gültanschlage, worunter das Einkommen aus dem herr-
schaftlichen Grundbesitze mit Inbegriff der Gebäude, femer aus
Zins, Zehent und Naturaldiensten der Unterthanen und andere
Nutzungen verstanden wurden. Die Beitragsleistung der deutsch-
österreichischen Länder wurde auf dem Landtage zu Brück an
der Mur im Jahre 1544 durch ein Abkommen zwischen Oester-
Digitized by
Google
238
i
4i
1
reich ob und unter der Enns, Steyermark, Kämthen und Krain
geregelt. Die letztgenannten drei Länder, damals Inner-Oester-
reich genannt, sollten an Contribution ebenso viel entrichten,
als Oesterreich unter und ob der Enns zusammengenommen.
Von der öesammtleistung Inner - Oesterreichs entfielen auf
Steyermark V9, auf Kämthen und Elrain V9, von dem letzteren
Betrage auf Kämthen Vs, auf Krain Vs. Steyermark war
mit 72.000 Pfunden begültet, Kämthen mit 34.000, Krain
mit 22.000. Im Jahre 1558 fand ein Landtag zu Brück an der
Mut statt, woran die Stände von Steyermark, Krain, Kämthen
und Q-örz Antheil nahmen. Kämthen musste auf Andringen der
steyerischen Stände 2000 Pftmde mehr übernehmen, wodurch es mit
36.000 Pfunden begültet wurde. Die Unterthanen hatten zwei
Drittel, die Obrigkeiten ein Drittel zu entrichten. Ein Extra-
ordinarium wurde seit 1650 im Betrage von 127.000 Gulden ent-
richtet. Seit dem Jahre 1726 wurde eine Abschreibung von
12.000 Gulden bewilligt. Femer wurde seit 1631 ein Eüstgeld
eingehoben und zwar von jeder Hube vier Gulden, von jedem
Zulehen zTwei Gulden zwanzig Kreuzer, von jeder Keusche fiinf-
undfiinfzig Kreuzer, ausserdem ein Remonten- und ßecruten-
beitrag. ^) Am 27. September 1737 erfloss eine kaiserliche Ent-
schliessung, eine andere Contributions-Einrichtung einzufiihren, die
jedoch erst unter Maria Theresia durch das Patent vom
5. September 1747 in's Leben trat.*)
Eigenartig hatte sich die Grundsteuer in Tyrol entwickelt.
Nach dem Landlibelle Kaiser Maximilian L vom Jahre 1511
hatte Tyrol die Pflicht, 5000 Kxiegsknechte bei jedesmaligem Auf-
gebote zu stellen, wozu Adel, Geistlichkeit und Gerichte im Ver-
hältnisse zur Bevölkerung und des Realbesitzes beizusteuern hatten.
Das Land war in Folge dessen in 5000 Bezirke eingetheilt und
jeder hatte einen Streitknecht einen Monat lang (damals die ver-
fassungsmässige Dauer des Kriegsdienstes) zu verpflegen. Als im
*) Auch die Aufbringung der Anzahl derRecruten, sowie die Vertheilung
derselben auf die einzelnen Länder waren ebenfalls genau geregelt. Die öster-
reichischen Länder hatten 6V4, die böhmischen 11 '/i aufzubringen; von der
auf die böhmischen Länder entfallenden Quote kamen auf Böhmen öVs, auf
Schlesien 3'Vi2, auf Mähren I'Vm. Inner-Oesterreich hatte HVs, Ober- undNieder-
Oesterreich ebenso viel aufzubringen ; von der auf Inner-Oesterreich entfallenden
Quote kamen auf Steyermark die Hälfte, auf Kämthen Vio, auf Krain '/u
') Acten des Landes-Archivs zu Klagenfurt, femer fünfzig Conferenz-
Protocolle in militaribus von den Jahren 1716—1720. (Hofkammer-Archiv).
Digitized by
Google
239
Jahre 1573 die Stände die Schulden des Erzherzogs Ferdinand ü.
übernahmen, wurde die erste förmliche Grundsteuer ausgeschrieben.
Die Repartition richtete sich nach der Theilnahme an der Aus-
stattung eines Kriegsknechtes und die bisherigen Küegsknechte
verwandelten sich daher in Steuerknechte, deren Anzahl sich jedoch
durch die bei dem Grundbesitze eingetretenen Veränderungen ver-
minderte. Zur Wiederherstellung der vollen Zahl von 5000 Kriegs-
knechten wurde unter Carl VI. eine Reform des Steuerwesens
begonnen und unter den Nachfolgern fortgesetzt.
In der Regel fand die Bewilligung der Länder-Oontribution
jährlich statt. Ladess wurden auch Vereinbarungen mit den Ständen
(Recesse) geschlossen, wobei die Leistimgen für eine Anzahl von
Jahren festgesetzt wurden. So wurde 1713 ein Recess auf zehn
Jahre abgeschlossen (Decennal-Impegno). Nieder-Oesterreich ver-
pflichtete sich, während dieser Zeit jährlich 600.000 Gulden an
Con^ribution aufzubringen, wovon jene Summen abgezogen wurden,
die für die Verzinsung und Rückzahlung einiger Darlehen vorbehalten
blieben; Mähren übernahm die Aufbringung von 950.000 Gulden,
Böhmen von zwei Millionen. Die Stände nutzten aber diese Gelegen-
heit, um für ihre Bereitwilligkeit bestimmte Zusagen oder Be-
günstigungen zu erhalten. Auch in der Folge kam es in einigen
Ländern zu Abmachungen bezüglich der Höhe der Contribution
auf eine Anzahl von Jahren, so z. B. in Nieder-Oesterreich im
Jahre 1723 und am 9. Juli 1730. Durch den erstgenannten Recess
vom 12. März 1723 hatte sich Nieder-Oesterreich zur Entrichtung
einer bestimmten Oontributionssumme behufs Entrichtung der für
den Staat aufgenommenen Schulden verpflichtet und zwar bis
Ende 1740 ^) ; später wurde der Termin der Anlehenstügung bis
zum Jahre 1745 erstreckt und endlich durch einen Recess vom
9. März 1739 bis zum Jahre 1754.
Nebst dem Ordinarium und Extraordinarium hatten die Länder
noch mannigfache Beträge unter verschiedenen Titeln zu leisten,
so z. B. Portificationsbeiträge für die Erhaltung der Festungen ;
sie hatten Monturen und Gewehre f(ir die Recruten, sowie Pferde
*) Während des pohiischen Thronfolgekrieges bewilligten die Stände
für 1735 und 1736 weitere 200.000 Gulden unter der Bedingung, dass, im Falle
eine Vermögens-Steuer vorgeschrieben würde, die bei den Ständen „anliegenden
CapitaÜen" befreit bleibensollen. (Landtagsbeschlüsse vom 27. November 1734
und 20. December 1735.)
Digitized by
Google
240
beizustellen, letzteres gegen eine massige Vergütung. Es wurde
öfters Klage geftlhrt, dass die Länder viel mehr zu leisten hätten,
als sie bewilligen und dass dieselben durch derartige Excesse
ruiniert würden. ^) Femer hatten die Länder das vorgeschriebene
Service (Feuer, Licht und Liegstätte), sowie Vorspanne zu leisten,
für die Bequartierung des Militärs Sorge zu tragen, die Brot- xmd
Pferdeportionen zu verabreichen. Die Finanzconferenz beschäftigte
sich zu wiederholten Malen mit der Erörterung, wie die Lasten
der Unterthanen erleichtert werden könnten und beantragte die
Erbauung von Kasernen, um die höchst beschwerliche Quartierlast
zu beseitigen, dann die Durchzüge, die übermässige Verpflegung
und die Vorspannleistungen abzuschaffen, femer die Müiz ausser der
nöthigen Besatzung nach Ungarn, Siebenbürgen und in die Walachei
zu verlegen, wodurch der Consum der Naturalien befördert, den
deutschen Erblanden aber der Nervus rerum gerendarum zu prästieren,
reserviert werden könnte. *)
Bei besonderen Anlässen wurden an die Länder noch ander-
weitige Anforderungen gestellt, so bei Krönungen, Reisen des
Kaisers, bei Hochzeiten im Kaiserhause. ^) Jede unvorhergesehene
Ausgabe bereitete der Hofkammer Verlegenheiten, so die Beise des
Kaisers zur Krönung nach Prag und spdann nach Carlsbad, deren
Kosten auf 800.000 Gulden berechnet wurden. Von den böhmischen
Ständen erwartete man einen Beitrag von 200.000 Gulden, der
Eest sollte durch eine Anticipation von den „Opulentioribus regni"
und den Prälaten eingebracht werden und zwar gegen eine sechs-
percentige Verzinsung und einer nach drei Jahren alljährlichen Rück-
zahlung von 100.000 Gulden.*) Einige Jahre später gerieth man
in Verlegenheit, die Summe aufzubringen, welche die Reise des
Monarchen nach Graz, und den anderen innerösterreichischen
Ländern erforderte. Als die Verheirathung Maria Theresia's
bevorstand, wurde das Anliegen an die Stände zu einer Beitrags-
leistung damit gerechtfertigt, dass „zu der gebührenden Aus-
staffierung namhafte Geldsummen erforderlich seien, welche dem
enervierten Aerar herbeizuschaffen nicht wohl möglich sei". Von
*) Finanz-Conferenz-Protocolle vom 18. Dec. 1718 u. 16. Jan. 1719.
') Finanz-Conferenz-ProtocoU vom 13. August 1720.
•) So z. B. bewilligten die mährischen Stände 1719 zur VermäMung der
Erzherzogin Maria Josepha mit dem Churprinzen von Sachsen 20.000
Gulden, zahlbar in zwei Raten.
*) Finanz-Conferenz-ProtocoU vom 28. Januar 1728.
Digitized by
Google
241
den böhmisclien Ständen wurden 110.000 Gulden gefordert.^) Die
Stände, welche „über diese Vermählung herzinnigliche Freude
geschöpfet", bewilligten 5000 Speciesducaten als Hoohzeitsgeschenk
und zur Ausstaffierung 90.000 Gulden. Die Obrigkeiten machten
sich anheischig, diese Summe allein aufisubringen mit der Bemerkung,
dass bisher die „Halbscheid" auf die Unterthanen entfallen war. ^)
Die grössten Anforderungen wurden an die deutsch - böhmi-
schen Länder gestellt, während die* Länder jenseits der Leitha
im Verhältnisse zur Grösse des Gebietes verhältnissmässig wenig
steuerten. La den massgebenden Kreisen der Residenz be-
schäftigte man sich eingehend mit der Frage, welche Mass-
nahmen zu ergreifen seien, imi eine grössere Beitragsleistung
Ungarns und der dazu gehörigen Gebiete zu erzielen. Eine Denk-
schrift liegt aus dem Jahre 1722 vor, deren Verfasser, wenn ich
nicht irre, Prandau war, worin die Sachlage eingehend erörtert
ist. Ungarns Verfassung, heisst es daselbst, sei so verfallen, dass
es nothwendig sei, „auf ein zulängliches Eemedium zu kommen" ;
im Lande selbst beschäftige man sich mit allerlei Vorschlägen, wie
dem Uebel zu steuern sei, ohne sich einigen zu können; die so
kostbare Landesconscription sei noch nicht so weit präpariert, um
dem Kaiser vorgelegt werden zu können; über die ungleiche Ver-
theilung der Contribution werde von den Ständen geklagt und
von dem Unterthanen dargelegt, dass in den Comitaten das alterum
tantum ausgeschrieben werde, als von dem Monarchen gefordert
Tvorden sei; die zahlreichen Erhebungen in den Adelstand haben
Befreiung von der Steuer zur Folge, die Contribution werde nicht
in billiger Weise ausgemessen, die Eobot betrage in einigen Orten
zweiundfänfzig, in anderen fünfiindsechzig Tage jährlich, die Contri-
bution sollte justizmässig nach Vermögen aufgetheilt werden.
Waren alle Stimmen darüber einig, ^ass die Contribution in
Ungarn nicht nach bUligen Anforderungen eingehoben werde, über
die Mittel zur Beseitigung der unstreitig vorhandenen Uebelstände
giengen die Ansichten auseinander. Ein Vorschlag lag vor, eine
*) Bescript an die Stände. 22. December 1735.
^ Die StÄnde hatten auch Beiträge zu Besoldungen für die obersten
Würdenträger zu leisten. So z. B. Mähren : Adjutum für den Obristen Kanzler
2O00 Gulden, anfangs nur zeitweilig, später bleibend, femer zur Vergrösserung
des Personals der Hofkanzlei, für das mährische k. Tribunal. Böhmen für die
„Abschickimg und Unterhaltimg mehrerer Bot- und Gesandtschaften" ein
„quantum camerale" von 100.000 Gulden, später 150.000 Gulden.
Oesterreichischer Erbfolgekrieg, I. Bd. 16
Dfgitized by
Google
242
Kopfsteuer einzuführen, allein man kannte die Anzahl der Contri-
buenten nicht, um mit Sicherheit bestimmen zu können, dass auf
diesem Wege eine höhere Einnahme werde erzielt werden. Jeden-
falls mussten die Geistlichkeit, der Adel, die „Bedienten" des
Landes und der Comitate, dte eine grosse Anzahl ausmachten,
herangezogen werden. Aber wie sollte die Neuerung bewerkstelligt
werden, da nicht bezweifelt werden konnte, dass die neue Ordnung
bei so Vielen, die bei der Unordnung sich besser befanden, Wider-
stand finden dürfte? Die Einnahme aus der Contribution in Ungarn,
überhaupt aus den Gebieten jenseits der Leitha, reichte nicht
einmal aus, lun die Kosten für das Militär zu bedecken. Die
während des Türkenkrieges erworbenen Länder Serbien, Walachei,
Temesvarer Banat, Slavonien brachten nicht einmal die hiefiir
erforderlichen Kosten auf. ^)
Jede, wenngleich geringe Erhöhung der Contribution stiess
auf Schwierigkeiten, sie konnte oft nur mit Mühe durchgesetzt
werden und als im vierten Jahrzehnt die deutsch-österreichischen
Länder während der Kriegsjahre zu höheren Leistungen heran-
gezogen werden mussten, wurde für Ungarn nur eine verhältniss-
mässig kleine Erhöhung der Contribution um 500.000 Gulden in
Aussicht genommen, deren Einbringung schwierig war. ^ Alle
Versuche, eine Gleichmässigkeit in der Beitragsleistung zwischen
den Ländern diesseits und jenseits der Leitha herbeizuführen,
blieben ergebnisslos.
Der polnische Thronfolgekrieg, sowie der beld darauf aus-
brechende Türkenkrieg nahmen die finanziellen Mittel des Staates
stark in Anspruch, da die vorhandenen Steuern zur Bestreitung
der Kosten nicht im Entferntesten hinreichten. Namentlich
Starhemberg drängte zur Ausschreibung einer Vermögens-
steuer. Die Erfordernisse, legte er dar, seien ungemein gross,
Kanuner und Bancalität seien an baarem Gelde so entblösst, dass
man kaum 200.000 Gulden aufbringen könne und die Umstände
derart, dass man eine Armee in's Feld stellen müsse, wodurch
allein die drohende Gefahr und der Euin der Länder aufzuhalten
sei ; die Noth sei so gross, dass man auch auf Extreme verfallen,
Vermögens- und andere Steuern ausschreiben sollte, damit man
nur mit den erforderlichen Mitteln versehen sei, sofort auszuhelfen.
*) Finanz-Conferenz-Protocoll vom 25. Februar 1722.
») Protocoll der Deputation vom 3. December 1733.
Digitized by
Google
J
243
Die kaiserliche EntsGhliessung genehmigte den Antrag. ^) Die Aus-
führung wurde durch neue Berathungen verzögert. Es schien nicht
rathsam, einPatent vorSchluss desböhmischenLandtages, auf welchem
die Stände zu einer beträchtlichen Anticipation von 1*2 Millionen
Gulden ihre Zustimmung gegeben hatten, zu erlassen. In Schlesien
waren 0*8, in Mähren 0*4 Millionen zugesagt worden. Auch giengen
die Ansichten auseinander, ob die Bancalitätsschulden von der
Steuer in ähnlicher Weise, wie jene der Stadtbank befreit werden
sollten ; endlich hatte man den Ländern durch Recesse versprochen,
nur in dem Falle eines Türkenkrieges neue Anforderungen zu
stellen. Graf H a r r a c h bemerkte jedoch : die Noth sei jetzt grösser
als zur Zeit des Türkenkrieges; es werde daher Jeder begreifen,
dass man durch ausserordentliche Mittel und Anlagen das Publicum
zu retten suche. Eine Einigung erfolgte vorläufig dahin, blos ein
Interimspatent zu veröffentlichen, über den Steuerfuss jedoch das
Einvernehmen zwischen Hofkammer und Hofkanzlei abzuwarten. ^
Auch die Erhebimg einer Kopfsteuer wurde in Erwägung gezogen,
allein der Vorschlag stiess auf grosse Bedenken.
Am 23. November 1733 erfolgte die Ankündigung, dass der
Kaiser sich genöthigt sehen werde, eine Vermögenssteuer einzu-
fiihren und am 10. Februar 1734 erschien das darauf bezügliche
Patent. Alle Unterthanen, wie auch die Landschaften, Städte,
Märkte und Oommunitäten in corpore wurden zur Entrichtung
verpflichtet, die armen Bürger und Bauern, überhaupt jene Per-
sonen, deren jährliche Einkünfte nicht über 400 Gulden betrugen,
ausgenommen. Mit der Durchfährung wurde eine Hof-Commission
betraut.
Die Einhebung der neuen Steuer war aber mit Schwierigkeiten
i7erbunden, wenn erst die Commissionen in den verschiedenen
. Ijändem die Einschätzungen vornehmen sollten. Die Hofkammer
befand sich in arger Noth ; die „Fundi" seien ungewiss, klagte der
Präsident, „und man könnte eine bestimmte Zeit, wann dieselben
einfliessen werden, nicht angeben, der Credit sei so zu Boden, dass
^veeder Geld, noch Wechsel zu beheben imd an Baarem ein solcher
Abgang, dass nirgends mit einer Anticipation aufzukommen möglich".
Seine ganze Hoffiiung beruhte auf der Vermögens-Steuer und er
*) Protocoll der Deputation vom 28. October 1783.
') Conferenz-Protocoll vom 22. November 1733. „Die Vermögens-Steuer
xs-t bei jetzigen Nöthen unentbehrlich", lautet die kaiserliche EntschUessimg,
^yxnithin ohne Zeitverlust ratione publicationis, quanti et modi collectandi das
I^Öthige zu berathschlagen".
16*
Digitized by
Google
244
stellte den Antrag, den Ständen „ein raisonnables Pauschquantum'*
anzubieten, denn es werde längere Zeit benöthigen, ehe die
Fassionen einlangen. Die Gelder würden spärlich einlaufen und
da man über die Höhe der Erträgnisse keine sicheren Anhalts-
puhote habe, könne man auch den Darleihern keine bestimmte
Zusicherung machen. ^)
Es scheint, dass die Stände Nieder-Oesterreichs die Initiative
ergriffen und einen Pauschalbetrag anboten, dessen Aufbringung
ihnen überlassen werden sollte. Für den Staat war diese Modahtät
jedenfalls erwünscht, wenn es gelang, mit allen Ländern eine Ver-
einbarung zu treffen und die Ablieferung der von den Ständen
übernommenen Summe innerhalb einer kurz bemessenen Frist zu
erzielen. Dort, wo eine Abmachung erfolgte, sollte den Ständen
die Einhebung überlassen werden, sonst aber eine „individuelle
Collection" durch staatliche Organe eintreten. In Nieder-Oesterreich
kam auch in der That zuerst eine Vereinbarung zu Stande; die
Stände bewilligten 225.000 Gulden, für die folgenden Jahre 500.000
Gulden. Die Herrschaften übernahmen die Aufbringung des Be-
trages. Die Unterthanen sollten nicht das Geringste bezahlen. Die
Stadt Wien übernahm als halber vierter Stand ein „Pauschquantum",
wogegenihr die Collectation von allen bürgerlichenHäusem, aUen Capi-
taKen und Besoldungen über 500 Gulden überlassen wurde. In Böhmen
fanden die Stände, dass kein prompteres Mittel vorhanden, als die
allgemeine Vermögens-Steuer durch eine „den annoch übrigen wenigen
Kräften des Landes commensurierte Pauschhandlung zu reluieren."
Ueber die Höhe der Summe zogen sich die Verhandlungen in die
Länge. Die Stände boten für 1734 den Betrag von 350.000 Gulden,
die Regierung forderte 400.000 Gulden, binnen vier Monaten zahlbar,
worauf endlich „nothgedrungen" eingegangen wurde, nachdem die
Zustimmung der Regierung über die Art der Aufbringung eingelangt
war. Hienach hatten die Herrschaften und Güter von dem vertazten
Fass Bier dreissig Kxeuzer, die Städte, die von dem Bier bereits
den doppelten Taz zu entrichten hatten, fiinfzehn Kreuzer zu
zahlen ; die „possessionierten Capitalisten" wurden von ihrem Ver-
mögen mit ein Viertel Procent, die unpossessionierten und die
Pensionisten mit einhalb Procent besteuert, letztere aus dem
Grunde „weü sie den Landesschutz gemessen und dem PubUco
niemalen etwas beigetragen" ; jene, „welche feiernde Gelder über
>) ProtocoU 29. Nov. 1734.
Digitized by
Google
246
die Nothdurffc erliegen haben", sollten ein Procent zahlen ; mit den
Wechslern und den ein „lucroses" Gewerbe treibenden Bürgern und
Handelsleuten soDte die Commission eine Pauschhandlung einleiten.
Im folgenden Jahre forderte ein kaiserliches Rescript vom 28. Januar
1735 die Veranlagung der Steuer nach dem Muster Nieder-Oester-
reichs. Die Stände wiesen auf die Schwierigkeiten und Incon-
venienzen hin, indem hieraus die grössten Ungleichheiten sich
ergeben und das Königreich stark prägraviert würde. Sie boten
800.000 Gulden, wenn ihnen die Einhebung wie im Vorjahre über-
lassen würde, willigten aber endlich trotz der „geldklemmenen
Zeiten" ein, eine Million zu liefern, „weilen sie in alle Begeben-
heiten mit ihrer Devotion sich zu distinguieren bishero besonders
beflissen gewesen". Natürlich musste der Steuerfdss eine Erhöhung
erfahren. Das mobile und immobile Capital, auch jenes der Kirchen
und milden Stiftungen wurde gleichmässig mit ein Procent besteuert,
nur jene Oapitalisten, welche sich seit 1727 an den ständischen Anlehen
betheiligt hatten, sollten ein halbes Procent zahlen, jene, die sich
mit Vorschüssen zur Completiening des vorjährigen Anlehens bereit-
willig gezeigt, ganz frei bleiben. Neu war die Bestimmung, dass
Beamte, Doctoren, Landesadvocaten, Herrschafts- und "Wirthschafts-
bediente, "Wechselnegocianten, Juweliere, Eauchfangkehrer u. s. w.,
„ins Mitleiden" gezogen werden sollten.
Dem Monarchen muss nachgerühmt werden, dass er zu wieder-
holten Malen forderte, den armen Mann mit der Vermögens-Steuer
nicht zu belasten. Carl liess sich durch die Darlegung nicht
beschwichtigen, dass in keinem Lande, ausser in Schlesien, der
arme und gemeine Mann zur Steuer herangezogen worden sei.
Bei CoUectierung der Vermögens-Steuer, bemerkte der Kaiser in
einer Entschliessung auf das Deputations-Protocoll vom 5. März
1*736, ist nicht genug, „dass selbe von den Landschafben nicht auf
die Unvermöglichen geschlagen werde, sondern es ist auch dahin
zu sehen, dass es von den Herrschaften unter besonderen und
erfindenden Auslagsrubriken nicht geschehe, wie er glaubwürdig
berichtet worden sei, dass es ausser Schlesien da und dort
geschehen sei, so eine Gewissenssach ist". Schwieriger wurden
die Verhandlungen für das Jahr 1737. Noch war der Friede
nicht geschlossen, ein Abgang von über 15 Millionen stand in
Sicht, für dessen Bedeckung der Hofkammer-Präsident keinen
Rath wusste. Der Abgang im Erfordemiss, bemerkte er in der
Sitzung der Deputation vom 28. Februar, sei so gross, ds^ss er
ohne Vermögens-Steuer nicht sehe, wie man nur einige wenige
Digitized by
Google
246
Monate die Löhnungen für die Truppen in Italien und im Reiche
beschauen solle. Auch habe man vorweg Schulden gemacht und
don Darleihern die Eingänge der Vermögens-Steuer zugesichert. Es
war ein düsteres Bild, welches den Mitgliedern der Conferenz
entrollt wurde und allgemein die Ansicht, dass man einen solch'
hohen Betrag wie im Vorjahre, nicht werde aufbringen können.
Im Vorjahre, legte der Obristburggraf von Böhmen dar, habe das
Extraordinarium 1,152.000 Gulden, die Vermögens-Steuer 1,000.000,
daher zusammen mehr als das Ordinarium betragen. Die Trank-
steuer, fiüher ein Contributionsfond, sei nunmehr an das Camerale
übergegangen, die Steigerung des Salzpreises hätte vor zwei
Jahren aufliören sollen, das Subsidium praesentaneum im Vor-
jahre sei eine neue Beschwerde gewesen; die Herabsetzung der
Million für die Vermögens-Steuer sei nothwendig, ein Theilbetrag
sollte daher durch Anticipationen aufgebracht werden dürfen. Der
Landmarschall von Nieder-Oesterreich befürwortete ein ,, Surrogat'*
flir die Vermögens-Steuer, die im Vorjahre nicht in der Höhe des stipu-
lierten Betrages habe aufgelegt werden können und in ähnUcher
Weise sprachen sich die Vertreter der anderen Länder aus. In
einigen Ländern weigerten sich die Stände, mehr als in Friedens-
zeiten zu bewilligen, so namentlich in Kämthen und B[rain, und
was die Vermögens-Steuer anbelangt, so erfolgte wohl von einigen
Ständen nach langwierigen Verhandlungen die Bewilligung des
geforderten Betrages, dessen Höhe im Verhältniss zur Leistung
Böhmens und Mährens ausgemittelt wurde. Jenen Landtagen, die
mit ihrer Zustinamung zögerten, wurde eine Praeclusivfiist gestellt,
widrigenfalls die Individual-Collecte eintreten würde, aber die an
die Gassen abgelieferten Summen waren winzig genug. Namentlich
Schlesien imd Mähren blieben stark im Kückstande; Schlesien
sollte 666.666 Gulden 40 Kreuzer aufbringen und hatte blos 22.000
Gulden erlegt, Mähren hatte statt 333.333 Gulden nur 74.000
Gulden abgeliefert, Böhmen statt 1,000.000 blos 390.000 Gulden,
Oesterreich ob der Enns, Steyer, Kämthen und Krain waren mit
dem vollen Betrage im Rückstande. Bei näherer Prüftmg ergibt
sich, dass die Länder in der That nicht im Stande waren, den
Forderungen nachzukommen. Die Rückstände der Contribution
waren ebenfalls beträchtlich. ^) Auch in den Ländern jenseits der
*) Die Vermögenssteuer betrug 1734 in den böhmischen L&ndem 800.000
Gulden, in Nieder-Oesterreich 225.000, im Lande ob der Enns 76.000, in Steyermark
76.000, in Kämthen 45.000, in Krain 30.000, zusammen 1-25 Millionen Gulden.
Für 1786 Böhmen 1 Million, Mähren 333.333, Schlesien 666.666, Nieder-Oester-
Digitized by
Google
247
Leitha waren die Rückstände beträchtlich und wurden während
des Sommers mit Energie eingetrieben; bis October waren aber
nur geringe Beträge eingegangen.
Die finanzielle Lage war um so düsterer, als ein neuer Krieg
in Sicht stand. Bereits im October 1736 beschäftigte man sich mit
dem Voranschlage für das nächste Jahr. Die Anforderungen, welche
an die Länder gestellt werden mussten, waren gewaltig und beliefen
sich im Ganzen auf 12*15 Millionen. Für die Militär- Ausgaben waren
jedoch blos 8-01 Millionen verfiigbar, da die Retinenda der Länder
über 4 Millionen ausmachten; ja, es war fraglich, ob es gelingen
werde, die präliminierten Beträge einzubringen. Li Nieder-Oesterreich
war namentlich der halbe vierte Stand unvermögend, in Tuner-
Oesterreich weigerten sich die Stände, das Extraordinarium zu
bewilligen; der Hofkammer-Präsident klagte, dass im Camerale alles
aufliege, niemand bezahlt werden könne; die besten Gefalle seien
mit Schulden überladen, man könne nichts weiter verpfänden, man
müsse das Unvermögen der Länder zugeben, da die Wasserschäden
im Frühjahre die Unterthanen in die grösste Armuth gestürzt
haben.
Ln Jahre 1736 war den Ständen versprochen worden, dass
die Vermögens-Steuer zum letzten Male zur Erhebung gelangen
solle. Hieran musste festgehalten werden. Man gab nun dem Kinde
einen anderen Namen: Türkensteuer. Seit December 1736 stand
die Einfiihrung derselben auf dem Programm der Regierung und
man erwartete eine Einnahme von drei Millionen Gulden. ^) Der
Erlass eines Patentes wurde jedoch für den Zeitpunct vorbehalten,
wenn die damals versammelten Stände das Ordinarium und Extra-
ordinarium für das kommende Jahr bewilligt haben würden, da
man befürchtete, dass, wenn während der Verhandlungen die Ein-
führung einer neuen Steuer ruchbar würde, die Contribution nicht
in der beanspruchten Höhe zugestanden werden dürfte. Erst im
April 1737 gelangten die Berathungen über die neue Steuer zum
reich 500.000, ob der Enns 100.000, Steyermark 160.000, Kämthen 50.000, Krain
40.000, zusammen 2*84 Millionen Gulden.
Im April 1736 waren im Rückstände :
In Böhmen 1,659.428 fl.
In Mähren 322.900 „
In Schlesien 62.000 „
In Nieder-Oesterreich 410.264 „
In Steyermark 67.719 „
') Conferenz-ProtocoUe vom 17. und 28. December 1736.
Digitized by
Google
248
Abschlüsse. Dieselbe sollte nicht als ein Postulat an die Länder
gelangen, sondern durch ein Patent „in Ansehung der drückenden
Noth aus landesfiirstlicher höherer Gerechtsame und landesväterhcher
Vorsorge publiciert, angelegt und zur Execution gebracht werden".
Wenn die Stände, wie bei der Vermögens-Steuer, die Geneigtheit,
sich abzufinden, bekunden sollten, wollte man sich mit ihnen ver-
ständigen ; durch die Publicierung des Patentes wäre aber wenigstens
so viel gewonnen, „dass der Fundus selbst zu seiner Existenz
gelangen und durch unnöthige Vorstellungen, Deprecationen und
wiederholte ßescripte nicht Zeit verloren würde." Die Modalitäten
der Einhebung sollten die gleichen sein, wie bei der Vermögens-
Steuer, eine Hof-Commission in Wien mit der Einschätzung und
Einhebung für alle nicht in den Cataster der Provinz gehörigen
Parteien betraut werden, die Abzüge bei Besoldungen und Pensionen
wurden der Bancalität übertragen, endlich sollte mit den Ständen
ein Pauschbetrag vereinbart werden; wenn diese sich weigerten, von
ihnen ein Verzeichniss jener Parteien gefordert werden, welche zur
Vermögens-Steuer einbezogen wurden, um sodann etwa zu errich-
tenden Hof-Commissionen das Geschäft zu erleichtem. Man erwartete,
dass die Stände durch die in Aussicht zu stellenden Hof-Commissionen
sich geneigt zeigen werden, auf die Forderung einzugehen. Als
Vermögens-Steuer waren pro 1736 2,840.000 Gulden veranschlagt
worden, eine ähnliche Forderung sollte auch als Törkensteuer
gestellt werden. Nur in Schlesien erschien es nothwendig, einen
um die Hälfte geringeren Betrag zu beanspruchen, da das Land
im letzten Sonmier durch Regengüsse stark gelitten hatte. Im
Vorjahre war auch gestattet worden, dass die Vermögens-Steuer
innerhalb vier Jahren abgeführt werden solle und es erschien mit
Rücksicht auf die materielle Lage nicht möglich, nebst der Ver-
mögens-Steuer-Quote noch den vollen Betrag der Türkensteuer zu
erheben.
Das Patent vom 17. April 1737 verfiigte, dass Jedermann,
geistlichen oder weltlichen Standes, der unbewegUche Güter besitze,
von seinem Vermögen den hundertsten Theil zu entrichten habe,
niemand ausgenommen als der arme Bauersmann, welcher „mit
Contribution, Gaben und anderen Lasten belegt ist, nebst den
aimen Lileuten'*. Der Werth solcher Güter sollte nach dem Mittel
eines sechsjährigen Erträgnisses zu fünf Procent angeschlagen
werden, doch sollten diejenigen, welche ihre Häuser in Wien ganz
oder theilweise selbst bewohnten, von dieser ihrer Wohnung den
hundertsten Pfennig, doch nur mit dem vierten Theil dessen,
Digitized by
Google
249
was sie im Fall der Bestandverlassung ungefähr zu zahlen hätten,
abzustatten verbunden sein ; jene, welche das kaiserliche Hof quartier
gemessen, haben anstatt des hundertsten Pfennigs die Hälfte der
ausgewiesenen Quartiertaxe zu erlegen. Das todte Vermögen
unterliegt dieser Steuer nicht. Jeder Contribuent ist berechtigt,
seinen Creditoren oder anderen mit geistlichen oder weltlichen
Stiftungen, Apanagen, Wittwenunterhalt u. dgl. angewiesenen
Parteien den entrichteten Betrag in Abzug zu bringen. Die Be-
kenntnisse mussten von dem Steuerpflichtigen oder von dessen
Bevollmächtigten „sub nobili fide" eigenhändig unterzeichnet und
längstens bis Ende Mai bei der besonders bevollmächtigten Hof-
Commission, mit deren Vorsitz der niederösterreichische Statt-
halter Graf Sigmund Friedrich Khevenhüller betraut war,
„bei sonst verwirktem Duplo" eingereicht werden. Jenen, welche
ihre Schuldigkeit binnen drei Monaten erlegen, wurde ein Abzug
von zehn Procent gestattet. Fideicommiss- und Majoratsbesitzem
wurde die Aufiiahme eines Anlehens auf Hypotheken bewilligt,
doch musste die Rückzahlung binnen vier Jahren, alljährlich ein
Viertel, erfolgen. Alle Anlage-Oapitalien, sowie die „im Hause
feiernden Gelder" hatten „die Centesima" zu entrichten; der
Schuldner war berechtigt, dem Gläubiger den Betrag abzuziehen.
Ausgenommen blieben die in der Stadtbank und in der Bancalität
angelegten Gelder. Von allen Besoldungen, Pensionen und Adjuten
über fünfzig Gulden waren zwei Groschen vom Gulden von den
Aemtem abzuziehen. Die „Industrial-Einkünfte, welche durch Wissen-
schaft, Kunst, Gewerbe oder Hantierung erworben werden, sind
zwar gleichfalls unter dieser Steuer mit einem Zehntel ihres Nutzens
verstanden; da aber das Erträgniss derselben, des Credites und
anderer Umstände halber, schwer zu erforschen ist, so soll dieses
Zehntel nicht einzelweis, sondern von den gesammten CoUegien,
Classen, Zünften und Gewerkschaften in corpore eingebracht und
falls sie sich zu einem billigen Quantum in der Güte nicht ver-
stünden, selbe nach Ermessen der Hof-Commission ex officio taxiert
und erlegt werden". Hinterziehung wurde mit Entrichtung des
doppelten Betrages bestraft. ^)
*> Die Patente vom 7. Januar 1738 und 7. Janiiar 1739 gleichlautend:
C. A. IV. 922, 1012 und 1055.
Die Verhandlungen mit den Ständen wickelten sich langsam ah. Böhmen
willigte ein, eine Mülion aufzubringen, nachdem das Anbot auf 800.000 ab-
gelehnt worden war. In dem Patente war ein zehnpercentiger Abzug Jenen zu-
gesagt, welche innerhalb drei Monaten die geforderte Summe abliefern; die Stände
Digitized by
Google
250
Eine nicht in's Gewicht fallende Einnahme bildeten die
Toleranzgelder der Juden. In Mähren beliefen sich dieselben
früher auf 12.000 Gulden und unter Carl VI. Anfangs auf 4000
Gulden. Im Jahre 1717 stellte die Finanz-Conferenz den Antrag,
den Betrag wieder auf 12.000 Gulden zu erhöhen, da sich die Anzahl
der Juden vermehrt habe und von dem mährischen Rentmeister
berichtet worden war, dass die Judenältesten jährlich diese Summe
erbaten einen sechsmonatlichen Termin, der gegen eine Verzinsung von drei-
viertel Procent zugestanden wurde, auch wurde ihnen gestattet, 4 bis 500.000
Gulden durch Credit aufzubringen. Nieder-Oesterreich übernahm 500.000,
wovon auf Wien 100.000 Gulden entfielen. Jene, welche die Steuer binnen zwei
Jahren entrichten woUten, hatten überdies fünf Procent an Zinsen zu zahlen.
Intimation der Stadt Wien, 1. October 1787 C. A. IV. 1001, 18. April 1738
IV. 1021.
Wie bedeutend die Last war, welche Böhmen zu tragen hatte, geht aus
einer Consignation der Prästationen hervor.
Das Ordinarium betrug im Jahre 1739 2,000.000 fl.
Das Extraordinarium 1,132.800 „
Femer belief sich die Türkenateuer nach Abzug der
zehn Prooent auf 900.000 „
Die Einbusse bei der Hecrutenreluition 96.110 „
„ „ „ „ Eemontenreluition 44.538 „
Der Landesbeitrag für die sechs Wintermonate des
Jahres 1736 für die im Feld gestandenen General-
stabs-Parteien und die Artillerie 60.954 „
Es muss nämlich bemerkt werden, dass ein „reluierter Kecrut" dem Lande
61 fl. kostete, die Bonification von Seiten des Staates betrug 41 fl., die Ein-
busse daher per Kopf 20 fl. ; ein „in natura gestellter Eecrut" kostete wegen
mai^gelnder Mannschaft 90, 100 und auch mehr Gulden und die Einbusse, welche
das Land erlitt, betrug daher 29 bis 39 fl. und darüber.
Das Tranksteuergefälle belief sich auf 620.000 fl.
wobei bemerkt wird, dass dieser Anschlag zu gering
angesetzt zu sein scheint und jedenfalls mehr betrug.
Das Salzgefälle betrug 120.000 „
Das ZoUgefälle 259.000 „
Aufschläge 50.000 „
Das kleine Umgeld 25.000 „
Der Fleischkreuzer 140.000 „
Der Ball-Impost 40.000 „
Das Tabakgefälle 225.000 „
Anderweitige Beiträge bei der Natural-Recruten- und
Remontenstellung, dann fiir die Durchmärsche, sowie
fär die Verpflegung der Hecruten beiläufig 200.000 „
Daher im Ganzen 5,913.402 fl.
überdies auch noch die Beiträge zu den Landes-
ausgaben u. dgl. m.
Digitized by
Google
251
einoassieren und den Ueberschuss von 4000 Gulden zu Schenkungen
und zu eigenem Nutzen verwenden. In Böhmen hatten die Juden
den fiinfondvierzigsten Theil der von den Ständen bewilligten
Contribution und überdies 12.000 Gulden Toleranzgeld zu zahlen.
In Nieder-Oesterreich hatte siclf der Magistrat der Stadt Wien, als
im Jahre 1699 die Juden abgeschaflft wurden, unter gewissen
Bedingungen anheischig gemacht, die Wiener Judenstadt mit Ein-
schluss aller Privathäuser, wie auch die alte und neue S3niagoge,
um 100.000 bis 110.000 Gulden zu kaufen, damit die abziehenden
Juden von diesem Kaufschilling ihre Gläubiger befiiedigen könnten.
Auch verpflichtete sich der Magistrat, zur Entschädigung fär die
entfallenden Toleranzgelder jährlich 14.000 Gulden zu bezahlen,
unter der Bedingung, dass dieselben in ganz Oesterreich unter
der Enns nicht mehr geduldet werden sollen. Die beiden Anträge
erhielten auch die kaiserliche Genehmigung. Im Jahre 1704 wurde
auf Ansuchen der Stadt Wien die Summe, welche sie übernommen
hatte, auf 6000 Gulden herabgesetzt und der Stadt Wien ver-
sprochen, dass man den Juden überhaupt nur eine sehr beschränkte
Toleranz werde angedeihen lassen.
Ausserordentliche Einnahmen waren während der Zeit der
Türkenkriege die „Decima", der Geistlichkeit, wozu die Bewilligung
des Papstes eingeholt und auch ertheilt wurde. Beträchtlich waren
dieselben nicht; wir finden die Bemerkung, dass die Geistlichkeit
in Mähren zu geringe Beiträge liefere. ^) Auch in den Dreissiger
Jahren wurde ein Subsidium ecclesiasticum auf fönf Jahre be-
willigt ; die Eepartition erfolgte unter Mitwirkung des Nuntius. ^)
Die verfügbaren Einkünfte des Deutschen Reiches waren
unbedeutende, in Kriegszeiten wurden die Römermonate von
den einzelnen Eeichsständen erhoben, die jedoch, wie aus den
Finanz-ProtocoUen ersichtlich, nur unregelmässig eingiengen. Dazu
kamen Reichs-Türkensteuem während des Krieges mit der Pforte,
femer Beiträge der Reichsritterschaft, der Hansastädte, sowie der
Reichslehensträger in Italien. Alle diese Beträge waren jedoch
insgesammt geringfiigig und konnten namentlich im Reiche nur
mühsam eingebracht werden.
») F.C.P. vom 22. Februar 1717.
«) Die Decima der Geistlichkeit betrug 1716—1718 418.670 Gulden llVe,
das Quinquennalcontingent 849*402 Gulden 81 V4. Derselbe Betrag an Decima
sollte auch 1787 gefordert werden. Deputations-Protocoll vom 1. Aug. 1737.
Digitized by
Google
252
Die indirecten Abgaben.
Die Contribution war ausschliesslich für militärische Zwecke
bestimmt. Zur Bestreitung der anderweitigen Staatsausgaben wurden
die gegenwärtig als indirecte Steuern bezeichneten Einnahmen
verwendet, deren es unter den verschiedenartigsten Namen viele
gab. Einige wurden auf Grund kaiserlicher Patente erhoben,
während andere an eine Bewilligung der Stände geknüpft waren.
Die Regierung machte wiederholt Versuche, die Zustimmung der
Stände zu umgehen, sah sich aber genöthigt, von dem Grundsatze,
dass die Krone freie Hand bei Auflegung indirecter Abgaben habe,
abzugehen und den ständischen Forderungen, die namentlich bei
höheren Ansprüchen an Contribution gestellt wurden, zu willfahren.
Die Bewilligung erfolgte auf eine bestimmte Zeit. Unter Carl VI.
wurde, wie es scheint, in einigen Ländern für einige Abgaben die
Genehmigung für immerwährende Zeiten erstrebt und erlangt. Eine
Gleichartigkeit bei der Erhebung bestand nicht. Die verschiedenen
Auflagen waren nicht gleichzeitig in allen Länderm eingeführt
worden und wurden den eigenartigen Verhältnissen derselben an-
gepasst, namentlich dann, wenn die Stände darauf Einfluss nahmen.
„Die Vielgliedrigkeit der Verwaltung," bemerkt Plenker ganz
richtig, „bedingte nicht nur eine Vielgliedrigkeit der Steuerformen,
sondern erschwerte auch die Uebersicht über deren Wirkungen,
die man am klarsten in Staaten von grösserer innerer Einförmigkeit
wahrnimmt." Die Verwaltung war eine imgenügende, die Regie-
kosten verhältnissmässig hohe. Der grösste Theil wurde allgemach
an die Stadtbank verpfändet, der es gelang, die Einnahmen zu
steigern. Auch sah man sich genöthigt, einige Gefälle den Ländern
zu überlassen, die dafür Schulden übernahmen oder eine grössere
Contribution bewilligten. Nicht selten wurden Gefälle von den
Länderstellen verwaltet, welche keine Rechnung legten, mit den
Geldern nicht ordnungsmässig gebahrten, bis man sich dann genöthigt
sah, denselben die Verwaltung wieder abzunehmen. ^) Die Regalien,
deren Anzahl grösser war als gegenwärtig, waren zum Theil ver-
pachtet. Durch „Appaltierung", wie man die Verpachtung benannte,
erzielte man wenigstens für einige Zeit höhere Einnahmen und
half sich über manche Verlegenheit zeitweilig hinweg.
Vielleicht die beträchtlichste Einnahme war im XVm. Jahr-
hundert das Salzregale, dessen Entwicklung seit der Mitte des
*) So z. B. der Ross- \md Zillen- Aufschlag in Wien, der 16.000 (Luiden
abwarf. F.C.P. vom 26. Aug. 1718.
Digitized by
Google
253
XVI. Jalirhunderfcs angestrebt wurde. In den deutsch - öster-
reichischen Ländern wurden die Salzwerke zu Gmunden, Ischl,
HaUstatt und Aussee frühzeitig ausgebeutet; seit der Erwerbung
Ungarns kamen die reichen marmaroser Salzwerke hinzu; die
galizischen zu Wieliczka gehörten eine Zeit lang zu Oesterreioh.
Der Salzbezug einer jeden Provinz war streng geregelt. So z. B.
bezog Nieder-Oesterreich, wo der Handel mit Salz seit 1571 ein
Begale war ^), seinen Salzbedarf aus Gmunden ; fremdes Salz durfte
nicht eingefiihrt werden, nur in einem kleinen, genau umschriebenen
Bezirke war die Einfuhr von Sudsalz aus Aussee unter gewissen
Bedingungen auf bestimmten Strassen gestattet. Schwieriger ge-
staltete sich die Regelung des Salzregales in Böhmen, obgleich
durch die Ferdinandeische Bergordnung und den mit den böhmischen
Ständen abgeschlossenen Bergwerksvertrag der Salzbergbau dem
Landesftirsten ausdrücklich vorbehalten war. In Böhmen und
Mähren musste die Salzeinftihr aus Polen verhindert werden, um
die Einnahmen aus diesem Monopole nicht zu verkürzen und den
ausschliesslichen Bezug aus Gmunden durchzufilhren. Salzlegestätten
waren Budweis und Moldau-Thein. In Mähren war in der ersten
Hälfte des XVI. Jahrhunderts das polnische Salz mit zwei Gulden
ftinfeehn Kxeuzer per Centner belegt und wurde in grossen Mengen
eingeschwärzt, der Schmuggel durch die ungenügende Besoldung
der „Salzversilberer" befördert. Zahlreiche Patente beschäftigten sich
mit der Regelung des Salzhandels, besonders mit den Verboten der
Einfuhr des ungarischen und siebenbürgischen Salzes nach Mähren;
die Einfuhr polnischen Steinsalzes wurde gegen einen Zoll von
drei Gulden dreissig Kreuzer in dem Hradischer und Olmützer
Kreise für den Gebrauch des Viehes gestattet, allein bis in's
XVIU. Jahrhrhundert hinein waren die Unzukömmlichkeiten im
Salzhandel nicht beseitigt, ja zeitweilig noch verschärft, da Er-
höhungen der Preise vorgenommen wurden. Die strengen Einfuhr-
verbote blieben erfolglos *) und hinderten das Eindringen fremden
Salzes nicht. Man entschloss sich daher, mit den mährischen Ständen ein
Abkommen zu treffen, womach sich diese zur Abnahme von 4200
Pfiind Salz verpflichteten. In Ober-Oesterreich wurde 1737 das Salz-
monopol den Ständen auf einige Jahre überlassen. In Schlesien, wohin
polnisches Salz in beträchtlichen Mengen kam, erschwerte die Rück-
*) Patent vom 20. März 1571; die späteren Patente theils gedruckt,
theils in Abschriften.
«) Patente vom 15. October 1706 und 2. Februar 1722.
Digitized by
Google
254
sichtnahme auf den Handel mit Polen eine endgiltige Regelung.
In Inner-Oesterreich deckten Aussee und das Meersalz von den
Salinen zu Grado den Salzbedarf. In Kämthen bezogen einige
Districte Salz aus Hallein. Tyrol wurde durcb HaU versorgt. Die
Einnahmen aus dem SalzgeÄlle blieben jedoch bis in die Mitte
des XViii. Jahrhunderts gering. Im ersten Jahrzehnt beliefen sie
sich auf zwei einhalb Millionen.^) Abgesehen von dem ausgebreiteten
Schmuggel hatten die Klöster und viele Standespersonen das Recht
zum unentgeltlichen Bezüge von Salz. ^
Die Besteuerung des Tabaks reicht in Mähren in
das XVII. Jahrhundert zurück. Ein Landtagsbeschluss vom Jahre
1652 verbot den Gebrauch des Tabaks. Nachdem aber in Schlesien
die Stände bereits 1657 einen Tabakaufschlag eingeführt hatten,
wurde in Mähren zwei Jahre später jedes Pfund mit einem Eüreuzer
belegt, den Käufer und Verkäufer zu entrichten hatten. Böhmen
folgte 1664, wo bisher der Tabak wegen der daraus entstehenden
Feuersbrünste verboten war, mit einem Aufschlag von zwei Thalem
per Kiste. 1665 trat Verpachtung ein. In Ober-Oesterreich erhielt
Khevenhüller, der Sohn des Geschichtsschreibers, 1670 das
*) Die ausführlichste, leider zu wenig lichtvolle Darstellung des Salz-
monopols bei D'Elvert, Zur österreichischen Finanzgeschichte im XXV. Bande
der Schriften der historisch-statistischen Section. Brunn 1881. 398. Nicht alle
hierauf bezüglichen Patente sind im Codex austriacus enthalten. Das Hof-
kammer-Archiv bewahrt eine grosse Anzahl, die indessen nicht verwerthet wurde.
Eine aus archivahschen Quellen gearbeitete Geschichte des Salzmonopols,
wofiir im Hof kammer- Archiv ein reichliches Materiale vorhanden ist, wäre eine
verdienstliche Arbeit.
2) Einige Angaben mögen hier Platz finden. Der Präsident des kais.
Münz- und Bergwesens erhielt fünfzehn Fuder, die Eäthe ebensoviel, die
Secretäre acht, die Concipisten sechs, die Kanzlisten drei Fuder; der Hof-
kanzlei-Buchhalter acht, die Raiträthe ebensoviel; der Landmarschall von Nieder-
esterreich fünfzehn Fuder, ebensoviel die geheimen Räthe, der Vice- Statt-
halter, der Kanzler \md die Räthe des Herrenstandes. Die „Salzdeputate"
wurden auf Grund des Salzstatuts vom Jahre 1622, sowie des von Ferdi-
nand in. im Jahre 1 655 sanctionierten und von Leopold I. 1659 bestätigten
ReformationslibeUs geliefert. Erst unter Maria Theresia wurde die Salz-
lieferung an die Beamten eingestellt. Dietrichstein legte nämlich der
Kaiserin einen Individual-Salzstatus vor (Vortrag 7. Juni 1748) und befürwortete,
das „Beneficium des Salzdeputats" „den Ministem, Räthen und Bedienten bei
den ihnen so unregelmässig ausgezahlten Besoldungen imd dem durch so
viele Jahre erlittenen Vermögens-Steuer- Abzug angedeihen zu lassen". Maria
Theresia resolvierte : „Placet vor dieses Jahr das leztemahl, indeme es
nicht mehr confirmiere und also die expeditiones gleich zu verfertigen."
Digitized by
Google
255
ausschliessliche Recht der Tabakeinfohr, woftir er das kaiserliche
Jagdgeräthe in Stand zu halten hatte. Um dieselbe Zeit bekam
in Nieder-Oesterreich das gleiche Recht ein Graf Königsegg.
Die „Aufirichtung erues Appalto von allerhand sowohl Schnupf- als
Rauchtabak" in Böhmen, Mähren und Schlesien wurde 1688 an-
geregt und der Reinertrag auf über 100.000 Gulden berechnet.
Die böhmische Kammer, darüber befragt, sprach sich jedoch da-
gegen aus, die schlesische befürwortete Verzollung mit einem
Kreuzer per Pfund; die mährische Rentbank war dafür mit der
Bemerkung, dass einige Herrschaften den Handel mit Schnupftabak
betreiben lassen oder verpachten und ihre Unterthanen zwingen,
den Tabak ausschliesslich von ihren Verwaltern oder Pächtern zu
kaufen. Das erste Tabakpatent wurde am 20. Mai 1701 erlassen^);
Erzeugung und Verschleiss des Tabaks wurde der Hofkammer vor-
behalten ; der Tabakanbau blieb gegen Ablieferung des Erzeugnisses
gestattet; das Monopol wurde in den verschiedenen Ländern ver-
pachtet. In Mähren betrug der Pachtschilling 6100, in Schlesien
13.000, in Glatz 2000 Gulden. In Ungarn, wo der Versuch gemacht
wurde, das Monopol einzuführen, weigerten sich die Behörden,
das Patent zu veröflfentlichen. Im Jahre 1704 wurde das Monopol
wieder aufgehoben und ein Aufschlag nach dem Gewichte ein-
gefÜhrt^; der Verschleissberechtigte hatte überdies eine Taxe zu
entrichten. Im Jahre 1720 wurde das Tabakgefälle in sämmtlichen
österreichischen und böhmischen Erblanden an Johann Anton
Nütz, Grafen tmd Herrn von und zu Wartenberg für einen
jährlichen Pacht von 103.000 Gulden übergeben, alleiu bereits nach
einigen Jahren erfolgte eine kaiserliche Verfügung, den Contract
aufzuheben und das Tabakgefälle wieder in ein Regale umzu-
gestalten. Die Fabrikation des Tabaks wurde nun allgemein ver-
boten, ebenso die Einfiihr aus dem Auslande. Der Handel im
Inlande und die Verwaltung dieses Gefälles wurde an die Hof-
kammer übertragen, Tabakfabriken wurden an einigen Orten er-
richtet, so in Hainburg, Prag, Königgrätz, Budweis, Mährisch-
Neustadt, Troppau, Neumarkt, Enns, Fürstenfeld und Triest. Der
Erfolg entsprach nicht den Erwartungen. Der Haupt-Director war
ein kaiserlicher Kammerdiener, dem, sowie seinen Untergebenen
Geschäftskenntnisse mangelten. Das Jahres - Erträgniss betrug
300.000 Gulden.^ Das Tabakregale wurde sodann an Diego
') C. A. m. 489.
«) C. A. m. 471.
*) Plenker in der „Oesterreichischen Revue". 108.
Digitized by
Google
256
Aquilar verpachtet. Im Jahre 1726 erhielt Max Hildebrand
Prandau die Pachtung in allen österreichischen Erblanden für
350.000 Gulden, im Jahre 1728 Domenico di San Nicolo um
460.000 Gulden. Im Jahre 1734 wird Margutti als Pächter
genannt; der Pachtschilling betrug 640.000 Gulden. Seit dem
Jahre 1737 wurde das Gefalle den Ständen Böhmens, Mährens,
Schlesiens nach Auflösung des Contractes übertragen gegen eine
Summe von 450.000 Gulden. In den österreichischen Ländern
übernahm Aquilar im Jahre 1738 das Gefälle gegen einen Pacht-
schilling von 206.000 Gulden, später bis 1748 um 260-000 Gulden.
Das Pulver- und Salpetermonopol wurde nicht zu finan-
ziellen Zwecken eingeführt, sondern in der Absicht, die Versorgung
der kaiserlichen Zeughäuser mit Schiesspulver zu erleichtem. Saliter
zu graben war gegen Lösung eines Patents gestattet, das Erzeugniss
musstejedochgegen billige Entschädigung an dieZeughäuserabgeliefert
werden. Der Handel war einigen privilegierten Personen gestattet. *)
Die Abgaben auf Getränke waren mannigfacher Art. Vor
1680 bestand in der Stadt Wien ein Bieraufschlag, indem von dem
Eimer Bier, der in die innere Stadt eingeführt wurde, fünfzehn
Kreuzer entrichtet wurden, welche aber der Gasse des Wiener
Bürgerspitales zuflössen; in den Vorstädten wurde der Betrag fiir
die landesfiirstliche Gasse erhoben; 1691 wurde die Einhebung des
landesfiirstlichen Bieraufscblages dem niederösterreichischen Land-
grafenamte übergeben. Eine Verdoppelung des Bieraufschlages in
der Stadt und in den Vorstädten trat 1697 ein, von dem innerhalb
der Linien gebrauten Bier kamen fünfzehn Kreuzer zur Erhebung.
Der Bieraufschlag war daher von dem innerhalb der Linien ge-
brauten Bier, sowie von dem eingeführten Bier in den Vorstädten
ein landesfürstliches Gefalle, während in der inneren Stadt die
eine Hälfte dem Staate, die andere Hälfte der Stadt Wien für das
Bürgerspital zufloss. Unter Carl VI. wurde bei der Einfuhr von
Bier überdies noch ein sogenannter Fünfkreuzer- Aufschlag erhoben,
dessen Erträgnisse für die Hof kanzlei bestimmt waren ^) und später
der Wiener Stadtbank überlassen wurden.
Li Nieder-0 esterreich scheint der Weintaz 1622 eingeföhrt
worden zu sein; er wurde von den „Ober- und Ausländem'' mit
n Patente vom 28. März 1724 und 17. März 1727 : C. A. IV. 264 u. 420.
*) Allerhöchste Entschliessung vom 15. Juni 1723.
Digitized by
Google
257
fiinfzehn Kreuzer pro Eimer entrichtet. ^) Eine Erhöhung wurde
1703 in Antrag gebracht und zwar auf dreissig Kreuzer. Dieser
Aufschl«bg, meinte die Hofkammer, sei „insensible" und nicht
empfindlich, da man derzeit für jeden Eimer Bier dreissig Kreuzer
bezahle.*) Später wird ein* Grenzaufschlag vom Weine, der
zu Wasser und Land eingeführt wurde, erwähnt; derselbe betrag
dreissig Kreuzer per Eimer von dem aus den Vierteln ober und
unter dem Wiener Wald über den Tabor ausser Lands gehenden
Weine, zwanzig Kreuzer hatte Wein aus den Vierteln ober und
unter dem Mannhartsberg zu zahlen. Specialaufschläge waren
ferner der Drei- und Einschillingaufschlag zu Ybbs und den dazu
gehörigen Filialämtern, ferner ein Zehnkreuzeraufschlag zu Struden.*^)
Seit 1717 fanden Verhandlungen mit den niederösterreichischen
Ständen statt, welche blos fiinfzehn Kreuzer per Eimer bewilligen
wollten, während die anderen Aufschläge aufgehoben werden
sollten. Die Hofkammer war dagegen, indem sie hervorhob, dfiiss
der Aufechlag nur den Weinhändlern zu Gute komme und Bayern
*) Diese Angabe findet sich in dem Finanz -Conferenz-Protocolle vom
18. Januar 1717, wo bemerkt wird, dass der Weiaaufschlag vor funfundneunzig
Jahren in Nieder- Oesterreich eingeführt worden sei.
*) Im weiteren Verlaufe des Vortrages der Hofkammer vom 4. Sep-
tember 1703 heisst es : „wan aber berührter impost universal, volglich biUich
Vndt ergäbig Seyn solte, so mues dassfahlss Kheine Exemption Stathhaben
mithin dise gaabe auch, auf die hiesige Clösster Vndt Geistliche Kheller,
alswo es schier das maisste ausstragen derflPbe, Extendiret werden, dan dise
Ecclesiastici treiben notorife einen grossen Handel damit, Vndt Ziechen dar-
durch aliärUchen Vil Tausend Gulden profit, es wierdet im übrigen aber, circa
ipsam praxim, et quaestionem quomodo ? sich noch ein mehrers reden lassen,
absonderlich ds in das Khüniftige auch, Vndt, nach demnegster Expirirung des
appalto bey der alhiesigen Haupt Vndt Thabor Mauth auf al : Vndt ieden ein-
führenden Extra oder frembden Wein, gegen aufhebung der vorhin auf ge-
wisse Sorthen gesezten 2 fl: indifferenter auf ieden Emer 30 Kr. Mauth-
gebühr, ad Exemplum Anderer frembder Khönigreich Vndt Landen, wo derley
imposti, von ohnvergleichlich grösserer beschwährlichkeit seynt, geschlagen
werden Khönten, wan nur Eur Khay: May zuf orderist in praesenti casu, die
quaestionem an allergdgst zu resolviren geruehen wollen." Die Resolution des
Kaisers lautet: Die HofCamer Thuett zwahr gar guett, alle mögliche mittel
vorzuschlagen, allein würdet weegen dises zu consideriren seyn, wie mann es
wierdt erhalten Khönen, Indeme 1658 Vndt 1659 denen Ständten weegen
einer Million So Sie geben, Versichert hat, den Wein zu Ewiger Zeitt
nicht zu beschwahren, will also vememben, wie man dieses vermeinet zu
Superiren."
") Der Weinaufschlag zu Ybbs und Struden brachte 88.000 Gulden ein.
F.C.P. vom 18. Januar 1717.
Oesterreiohisoher Brbfolgekrieg. I. Bd. 17
Digitized by
Google
258
am meisten Nutzen ziehen würde. Später kam ein Uebereinkommen
mit den niederösteireicliischen Ständen zu Stande, indem ihnen die
Einhebung zu Struden unter besonderen Bedingungen gegen ein
Aequivalent von 82.000 Gulden bis Ende 1727 überlassen wurde;
in den darauffolgenden zwei Jahren sollte die Einhebung ohne
Entgelt stattfinden, wenn sie sich verpflichteten, Kasernen zu er-
bauen, vom 1. Januar 1730 die Abgabe jedoch gänzlich aufhören.
Dies fand jedoch erst 1748 statt. ^) Der Fünfeehnkreuzer- Aufschlag
wurde 1728 neuerdings bewilligt und 1731 auf dreissig Kreuzer
erhöht. ^)
Die böhmische ordinäre Tranksteuer oder der sogenannte
böhmische Erbtaz musste von Wein und von Bier bezahlt werden,
späterhin auch von Branntwein, der in den Städten imd auf dem
Lande vom Zapfen verschänkt wurde ; er betrug von jedem Eimer,
der im Jahre 1737 zweiunddreissig Finten enthielt, vier Finten
das Fint zu vier Seidel Frager Mass, oder den Werth desselben
nach dem Verkaufspreise berechnet und wurde desshalb auch dai
Vier-Pinten-Regale oder der Vier-Finten-Taz genannt. Die ordinäre
Tranksteuer scheint in Böhmen ohne Bewilligung der Stände ein
geführt worden zu sein^), während die böhmische ausserordentlich(
Tranksteuer, welche, sowie die böhmische ordentliche Traukst^ue
von allen unter dem Zapfen laufenden Getränken, sie mochtei
verschänkt oder zum eigenen Gebrauche vertrunken werden, bezalJ
werden musste, von jeher von der Bewilligung der Stände abhin^
Wie es scheint, haben die Stände im Jalire 1451 die ausserordent
liehe Tranksteuer zum ersten Male und seit 1664 wiederholt an
eine bestimmte Anzahl von Jahren bewilligt. Im Jahre 1701 wurd
diese Tranksteuer den böhmischen Ständen vom 1. Januar 170
an auf fünfzehn Jahre überlassen, nachdem sie sechs MiUioue
Gulden Staatsschulden sammt Literessen binnen fünfizehn Jahre
zu bezahlen übernommen hatten. Als den Ständen im Jahre 170
eine andere Sicherstellung gewälnt wurde, bewilligten sie di
ausserordentliche Tranksteuer unter der ausdrücklichen Bedingung
dass hieraus keine immerwährende Abgabe entstehen sollte b;
Ende 1716, sodann nach Verlauf dieses Zeitraumes bis 1731 ii
>) Bancal-Act vom 30. October 1748.
«) Patent vom 27. August 1731.
*) Ueber die Einführungszeit schwanken die Angaben. In einem Schrif
stücke findet sich die Notiz, dass Ferdinand I. zur Bestrafung der Prag
Städte und anderer Orte nach dem schmalkaldischen Kriege diese Steuer ei
geführt habe, daher auch Pönal-Taz genannt.
V
Digitized by
Google
259
jährlichen Betrage von 500.000 Grulden. Bei den Verhandlungen in
diesem Jahre wiesen die Stände darauf hin, dass die Extrasteuer
in den übrigen Ländern nicht erhoben werde, fugten sich aber der
Forderung auf Verlängerung für weitere fünf Jahre, bis einschliess-
Uch zum Jahre 1746. ^
Der Weintaz in Mähren bestand seit 1626 und wurde wahr-
scheinlich nur auf eine bestimmte Zeit bewilligt, seit 1716 auf
immerwährende Zeit eingeführt imd zwar in den königlichen
Städten Olmütz, Znaym, Iglau, Hradisch, Neustadt und Gaya.
Ausserdem wurden auch Nebengebühren, wie der Visiergroschen für
jedes zum Ausschank bestimmte Fass eingehoben. Gleichzeitig
wurde auch eine Abgabe vom Bier eingeführt und ebenfalls von
Zeit zu Zeit auf eine bestimmte Anzahl von Jahren bewilligt. Im
Jahre 1 644 bewilligten die mährischen Stände zur Verpflegung des
Militärs von einer jeden Braupfanne oder einem Kessel semel pro
semper so viele Gulden, als darin viereimerige Fässer Bier auf
einmal gebraut werden können. Im Jahre 1646 wuri3e diese Abgabe
abermals auf drei Jahre zugestanden. Angaben über die zweite
Hälfte des XVil. Jahrhunderts sind nicht zugänglich gewesen.
Erst im Jahre 1716 wird eines Bier-Taz-Patentes Erwähnung gemacht,
wonach von dem in den mährischen Städten gebrauten Bier ein
Gulden vom Fass entrichtet werden musste; das vierzehnte Fass
war frei.
Die allgemeine Einführung des Fleischaufschlages
datirt vom Jahre 1698, in Oesterreich unter und ob d(T Enns, in
Inner-Oesterreich, Görz, Triest und Fiume (damals noch St. Veit
am Pflaum genannt), femer in Böhmen, Mähren und Schlesien,
jedoch nur auf drei Jahre. In Oesterreich unter und ob der Enns
sollte der Aufschlag nur von dem zum Verkaufe verschlachteten
Rind-, Schaf- und Schwein vi eh erhoben werden, wiu'de jedoch
einige Monate später durch Patent vom 22. September 1698 auch
von dem zum eigenen Hausbedarf geschlachteten Vieh entrichtet
und betrug einen Kreuzer vom Pfund, wesshalb man diesen Aufschlag
auch den Fleischkreuzer- Aufschlag oder kurzweg den Fleischkreuzer
nannte. In Inner-Oesterreich war die Hausschlachtimg von Anfang
an nicht frei. In Mähren wurde der Aufschlag ausnahmslos mit
einem Pauschalbetrage für jedes einzelne Stück eingehoben. Im
*) Bedingung war, dass „dieser von der Ordinari-Tranksteuer ganz
separierte und von der freien DiätalverwiUigung dependierende fundus provin-
ciabs in keine Perpetuität, noch viel weniger in einiges Camerale würde
gezogen werden".
17*
Digitized by
Google
260
Jahre 1701 wurde auf Wunsch der Stände der gesammten österreichi-
schen Erblande der Fleischkreuzer au%ehoben und die Vieh-
schlachtung nur in der Hauptstadt einer jeden Provinz mit einer
Abgabe auf drei Jahre belegt, welche einen halben Kreuzer vom
Pftmd betrug. Im Jahre 1703 wurde die Einführung des Fleisch-
kreuzers in Oesterreich unter und ob der Enns, in ganz Inner-
Oesterreich, dann in Böhmen, Mähren und Schlesien auf die früher
übliche Art neuerdings beschlossen. Die Einhebung gieng jedoch nie
vorschriftsmässig vor sich. Das Gefälle befand sich in den Händen
einer Privat-Gesellschaft, die mit ihrem Pachtschilling im Rückstande
blieb. In Nieder-Oesterreich wurde durch Recess mit den Ständen
vom 17. December 1717 die Einhebung des Fleisohkreuzers auf
zwanzig Jahre vereinbart. Als die Ministerial-Banco-Deputation
sodann dieses Gefälle übernahm, war es kaum in einigen Ländern
ordentlich eingeführt.
Femer bestanden Aufschläge auf Mehl, durch Patent von 1714
neuerdings eingeführt; Haarpuder und Stärke tmterlagen einer
Abgabe. ^) In Wien bestand ein Illuminationsaufschlag, um die Kosten
der Beleuchtung aufzubringen; Wachs, Oel, Unschlitt und Kerzen
waren mit einer Auflage belegt. Der unter Joseph I. eingeflihrte
Tanz-Impost von allen Tanzbelustigungen, an welchen Musiker mit-
wirkten, im Betrage von einem bis fünf Gulden an öffentlichen
Orten, flinfzehn bis dreissig Kreuzer fär jeden Musiker in Privat-
wohnungen, wurde später in einigen Ländern von den Ständen gegen
eine jährliche Pauschsumme übernommen. Der Karten- Aufechlag,
unter Ferdinand HI. eingefiihrt, später au%ehoben und durch
eine Kartenfabrik ersetzt, welcher die Erzeugung der planierten
Karten zustand, wurde nach Auflassung dieser Fabrik unter
Carl VI. wiedereingeführt. Die Abgabe bei der Erzeugung betrug
sechs bis vierundzwanzig Kreuzer, bei der Einfuhr von Karten neun
bis sechsunddreissig Kreuzer. ^
Eine Belästigung des Verkehres waren die vielen Privat-
mauthen. Seit Jahrzehnten hörten die Klagen nicht auf und mannig-
faltige Anläufe wurden gemacht, die eingeschlichenen Missbräuche
zu beseitigen. In Mähren zählte man, wie eine Untersuchung ergab,
132 Privatmauthen. Der Adel hatte auf seinen Herrschaften, Märkten
und Flecken Abgabestellen errichtet, oft ohne Bewilligung für die
Mauthgerechtigkeit anzusuchen, dehnte die genehmigten Mauth-
1) Patent 13. August 1721.
«) Cod. Austr. m. L.
Digitized by
Google
261
gefalle auf andere Orte, als nrsprünglioh in Aussicht genommen
waren, aus und erhöhte nach eigener Willkür die Gebühr; dass
dieses nur zum Nachtheil des Handels gereichte, wurde allseitig
hervorgehoben und Mauth-Commissionen erhielten die Aufgabe, eine
Prüfting der Urkunden vorzunehmen, ohne jedoch irgendwie
erspriessliche Ergebnisse zu erzielen, denn nicht selten lehnten
die Besitzer die Nachweisung ihrer Mauthgerechtigkeit ab. Unter
Carl VI. wurden die Befehle an die Landeshauptmannschaft
erneuert, aber wenn auch in einigen Gebieten mancher Missbrauch
abgestellt wurde, noch tief in der theresianischen Zeit war trotz
aller Verfügungen denselben nicht durchweg Rechnung getragen.
In Oesterreich unter der Enns gab es noch in der Mitte des
XVni. Jahrhunderts zahlreiche Privatmauthen, die, insoweit sie
auf Besitztiteln beruhten, unter Maria Theresia eingelöst
wurden.
Nicht minder zahlreich und den Handel erschwerend waren die
landesfürstlichen Mauthen, auf deren Aufeählung verzichtet werden
muss, da die Verhältnisse in den verschiedenen Ländern mannigfaltig
waren. Die in Nieder-Oesterreich erhobenen Abgaben mögen an
diesem Orte Erwähnung finden. Abgesehen von den eigentlichen
Zöllen, oder sogenannten ordinären Mauthen, welche von allen ein-,
durch- und ausgeführten Waaren entrichtet werden mussten,
vnirden erhoben : Aufschläge, welche Erhöhungen der ordentlichen
Mauthgebühren waren, Aufschläge auf Lebensmittel nicht nur
von den ein-, durch- und ausgeführten, sondern auch von den
im Bezirke erzeugten und daselbst consummierten Artikeln; die kleine
Mauth in einigen Ortschaften, zumeist von Nahrungsmitteln nach
besonderen Tarifen. Die kalte Mauth kam in einigen Ortschaften
in der kältesten Jahreszeit, nämlich vom St. Colomantage bis
zum heiligen Dreikönigabend von Nahrungsmitteln zur Erhebimg,
und zwar firüher in natura, seit dem 14. October 1734 nach einem
eigenen Tarife. Diese Gebühr bestand seit 1524. Das GemeingefäUe
von den in die Stadt Wien eingeführten Feilschaften wurde vor-
nehmlich von Nahrungsmitteln entrichtet.
Die Gefälle des Mauth-Oberamtes oder des sogenannten
Schlüssel- und Kastenamtea^ zu Krems, dem alle Mauthämter in dem
Viertel ober dem Mannhartsberg unterstanden, waren 1714 folgende:
Die eigentlichen Zölle, welche bei den Mauthämtem und vor-
nehmlich bei dem Mauth-Oberamte in Krems tarifinässig bei der
Ein-, Aus- und Durchfuhr der Waaren eingehoben wurden; die
mauthamtlichen Aufschläge waren Erhöhungen der schon beste-
Digitized by
Google
262
henden Mauthen, so der Sensenaufschlag, welcher von den in
Oesterreich ob der Enns verfertigten Sensen, Sicheln und Stroh-
Messern bei ihrer Einfuhr nach Oesterreich unter der Enns bezahlt
werden musste ; die sogenannte kleine Mauth in Krems, die Brücken-
mauth zu Stein, welche seit dem Jahre 1589 bestand und durch
Patent vom 8. März 1736 neu geregelt wurde, eine Wegmauth,
welche sowohl von den über die Brücke gehenden Personen, als
auch fiir jedes Stück Vieh bezahlt werden musste. War die Brücke
weggerissen, so musste eine Ueberfuhrgebühr entrichtet werden von
Personen, für Vieh, Wagen und Waaren aller Art nach einem be-
sonderen Tarife. Von den sonstigen Gefällen, welche zu Krems,
Stein, Langenlois und Hadersdorf eingehoben wurden, sollen nur
einige hervorgehoben werden : das Kastenrecht oder das sogenannte
Kastenmassl, welches von Getreide, Gerste und Hafer auf den
Wochenmärkten zu Krems, Stein, Langenlois und Hadersdorf
verkauft wiu*de (die niederösterreichischen drei oberen Stände
waren durch den am 12. April 1713 mit ihnen errichteten Recess
von dieser Abgabe befreit); das Standgeld, welches von den auf
den Kremser Markt kommenden Parteien, wenn sie daselbst einen
Stand errichten woUten, bezahlt wurde. Endlich wurde in Krems
von allen den Markt besuchenden fremden Juden eine Kopfsteuer
seit 1641 eingehoben.
Das Umgeld scheint unter König Johann von Luxem-
burg in Böhmen bereits im Jahre 1336 eingeführt worden
zu sein.^) Es war ein von dem ZoUe ganz verschiedenes
Gefälle und wurde blos von den eingeführten Waaren in den
sogenannten Umgeldstätten an der Grenze oder in Prag bezahlt.
Später trat eine Erhebung für eine Anzahl böhmischer Waaren
ein, welche bei der Einfuhr in den Umgeldstätten und in Prag
zu erlegen war und zwar werden folgende böhmische Waaren
namhaft gemacht: Ochsen, Rindviehhäute, Wein, Bier, Käse,
Leinwand, Schleier, böhmische Tücher, Eeichenberger Boy, Ellen-
bogener Sicheln. Das mährische Umgeld wurde in ähnlicher Weise
erhoben wie in Böhmen. Das sogenannte kleine Umgeld hatten
die im Lande erzeugten Kunst- und Naturproducte, welche daselbst
consumiert wurden, zu bezahlen. Li Oesterreich unter der Enns
wurde das Umgeld, wie es scheint, im Jahre 1359 mit Bewilligung
*) Don Zeitpimct der Einfühning entnehme ich ans einem Finauz-Con-
ferenz-ProtocoUe.
Digitized by
Google
263
der Stände als ein landesftirstliclies Gefalle emgefiihrt und musste
von Obst- und Beerenmost, von Wein, Meth, Bier und von allen
süssen Getränken bezahlt werden.
Schon 1716 wurde die Aufhebung des Umgeldes von der
Finanz-Conferenz empfohlen, als gegen die gesunden Grundsätze
des Handels verstossend, „massen die Wohlfeilheit zu erhalten und
die naturalia nicht zu belegen wären; durch das Umgeld werden
die Inwohner härter als die Fremden im Handel und Wandel
gehalten*\ Die Hofkammer stemmte sich natürlich gegen die Auf-
hebung, da ihre Einnahmen ohnehin nicht ergiebig genug waren. ^)
Eine Regelung in den Bezirken von Wien erfolgte durch Patent
vom O.December 1726. Die böhmischen Stände klagten unermüdlich
über das sogenannte „kleine UmgeW, d. h., die Abgabe von den
einheimischen Waaren und forderten mit dem Hinweise auf Mähren,
wo das Umgeld 1731 beseitigt worden war, die Aufhebung ent-
schieden bei den Verhandlungen über die Vermögens-Steu©r. Durch
Landtagsbeschluss vom 23. November 1734 erfolgte dieselbe im
Jahre 1735 gegen 25.000 Gulden, welche die Stände an die Hof-
kammer zu entrichten hatten. *)
F.C.P. 13. October 1716.
•) Im Durchschnitte der Jahre 1723 — 1727 betrugen die Einnahmen aus
den sämmtUchen Cameralgefällen 7*126 MiU. Guld.
Die Amtsbekostung und Besoldung 1*129 „ ,,
Es stand daher ein Nettobetrag von 5*997 „ „
zur Verfügung.
Die Ausgaben beliefen sich auf 6 668 Mill., wonach sich also ein be-
trächtlicher Abgang herausstellte. In Wirklichkeit war das Deficit noch
grösser, da jene Zahlungen, welche auf die Stadtbank angewiesen waren,
in den obigen Summen nicht inbegriflen sind. In dem mir vorliegenden Schrift-
stücke sind leider die Gefälle, aus denen die Einnahmen flössen, nicht durchweg
angegeben, sondern die Erträgnisse nach den einzelnen Ländern beziffert.
Einige Angaben mögen daher genügen :
Die ungarischen Salzämter lieferten 1*144 Mill. Guld.
Das Salzamt in Belgrad 0*103 „ „
„ r, „ Temesvar 0*122 „ „
Das Tabakgefälle 0*488 „ „
Was die Ausgaben anbelangt, so betrugen dieselben :
Bei dem Hofstaate des Kaisers und der Kaiserin 724.500 fi.
Geheime und aus besonderen Ursachen angewiesene Ausgaben , . 249.000 .,
Hofstaat-Besoldungen, Adjuten und Pensionen 674.374 „
Hofamter-Bekostung 655.181 „
Anderweitige ordentKche und ausserordentliche Haus- Ausgaben . . 880.360 „
Bot- und Gesandtschaften, Couriere 639.783 ,,
Digitized by
Google
264
Schulden.
Der jährliche Abgang im Staatshaushalte konnte nur durch
Anlehen gedeckt werden. Bei den unentwickelten wirthschaftlichen
Verhältnissen der österreichischen Länder war im Inlande das
Capital nur spärlich vorhanden und die Beschaffung der erforder-
Hchen Summen schwierig genug. Man war auf einige Banquiers
angewiesen, zumeist Juden, welche die Greldgeschäfte fast aus-
schliesslich vermittelten. Die Oppenheimer und Wertheimer imd
wie sie alle hiessen, waren dem Staate unentbehrUch und auch
später noch, als die Wiener Stadtbank sich in den weitesten
Kreisen Vertrauen errungen hatte, saJi man sich zeitweilig ge-
nöthigt, die Unterstützimg der jüdischen Häuser in Anspruch zu
nehmen. Die Zinsen für die Darlehen betrugen sechs bis zwölf
Procent, manchmal auch mehr; überdies wurde auch bisweilen
eine Pro\ision gewährt und fär den Fall, als die Rückzahlimg nicht
innerhalb der vereinbarten Frist erfolgte, ein höherer Zinssatz zu-
gesagt. Nicht blos jüdische Banquiers suchten aus der Noth des
Staates Vortheile herauszuschlagen, auch Staatsbeamte eiferten
diesen Vorbildern nach. Letztere bedangen sich nebst Verzinsung
und Eückzahlimg auch eine staatliche Anstellung. Die Geschäfte,
welche der Hofkammer-Präsident Graf Salaburg mit dem Staate
machte, waren gerade nicht reinlicher Natur. Sein eigenes Ver-
mögen war nicht bedeutend, sein persönlicher Credit durch seine
Stellung ein grosser, wodurch es ihm während seiner Verwaltung
gelang, nicht selten beträchtliche Summen aufzubringen und dem
Staate zur Verfügung zu stellen.
Ständische Aerarial- Schulden.
Eine der üblichen Formen der Anlehen waren die stän-
dischen Aerarialschulden, d. h. der Credit und die Ver-
mittlung der Stände wurden bei neuen Anlehen oder bei Ueber-
nahme alter Schulden in Anspruch genommen. Der Staat haftete
den Ständen durch Ueberweisung der Contribution oder anderer
Von den Gesammtaiisgaben in aolico et civili entfielen in Wien 4-6 xmd
in den Ländern nahezu 2 Millionen. Die Rückstände imd Schulden werden
auf 5*3 Millionen angegeben. In diesen Zittern sind die auf die Stadtbank
angewiesenen Zahlungen nicht inbegriffen.
Digitized by
Google
266
Einnahmen ftir die Rückzahlnng und Verzinsung. Die Anlehen
wurden entweder unmittelbar von den Ständen aufgenommen oder
dieselben übernahmen Verzinsung und Tilgung des Capitals der
von der Hofkammer oder der Militär- Verwaltung contrahierten An-
lehen, woftlr ihnen nicht selten Begünstigungen eingeräumt werden
mussten.
In den mit den Ständen abgeschlossenen Becessen wurden
jene Summen namhaft gemacht, welche von der Jahres-Contribution
in Abzug gebracht werden konnten und manchmal auch die Zu-
sage gemacht, dass eine Steigerung derselben nicht eintreten werde,
ein Versprechen, das nicht eingehalten werden konnte. Bisweilen
war ein Land nicht in der Lage, den übernommenen Verpflichtimgen
nachzukommen und die demselben überwiesene Schuld musste
dann von dem Staate wieder übernommen werden. Wann zuerst
derartige ständische Aerarialschulden, die mit den eigentlichen
Landesschulden, Domesticalschulden geneuint, nicht ver-
wechselt werden dürfen, aufgenommen wurden, lässt sich mit
Sicherheit nicht angeben; nur eine Durchforschung der Landes-
Archive könnte hierüber volle Klarheit verschaffen. Li der zweiten
Hälfte des XVI. Jahrhunderts wurde jedenfalls die Mitwirkung der
Stände zur Geldbeschaffung in Anspruch genommen, beträchtlich
wurden jedoch die Aerarialschulden erst in der ersten Hälfte des
XVin. Jahrhunderts. Der unter Carl VI. mit den Ständen ab-
geschlossene „Decennal-Impegno" bezweckte die Aufiiahme einer
Schuld von acht bis neun Millionen Gulden, welche Summe auf
die einzelnen Länder vertheilt wurde und vom Jahre 1714 an in
zehn Jahren rückgezahlt werden sollte. ^) Der Krieg erheischte
einen beträchtlichen Aufwand. Die beiden damals schon bestehenden
Banken waren nicht in der Lage, die grossen Beträge aufeubringen
und es schien, dass nur durch die Bürgschaft der Stände Hilfe
gebracht werden könne. Allein der voUe Betrag wurde, wie es
scheint, von den Ständen nicht angebracht.*)
Nebst der Wiener Stadtbank haben die Stände in kritischen
Zeitläuften die grössten Beiträge zur Unterstützung des Staates
>) Der Becess mit Mahren, abgedruckt bei D'Elvert, Zur öster-
reichischen Finanzgeschichte, IE. 91. — lieber Nieder-Oesterreich vergl.
M e n 8 i, 76.
*) Der öesammtbetrag belief sich auf 2*19 Millionen; es entfielen auf
Nieder-Oesterreich 0-66, auf Ober-Oesterreich 0-18, auf Steyermark Ol, auf
Böhmen 0.6, auf Mähren 0*2, auf Schlesien 0-4 Millionen, der Best auf
Kämthen mit 60.000 und auf Krain 40.000 Gulden.
Digitized by
Google
266
geliefert. Der Credit derselben war ein grösserer als jener des
Staates.
Zur Sicherstellung der meist zu sechs Procent verzinslichen
Anlehen erhielten die Stände, wie erwähnt, bestimmte Ein-
nahmen zugewiesen, welche „Eetentionsposten" natürlich die staat-
lichen Einnahmen stark verminderten. Auch Gefälle wurden dort,
wo die Contribution als Hypothek nicht genügend war, fiir die
Verzinsung imd Rückzahlung angewiesen oder die Einführung
neuer Auflagen gestattet. In den von Zeit zu Zeit abgeschlossenen
Recessen wurden diese Schuldverhältnisse geregelt. Der Staat
konnte jedoch den übernommenen Verpflichtungen nicht immer
nachkommen; die Schulden mehrten sich, indem nicht selten die
Zinsen dem Schuldcapitale zugeschlagen werden mussten. Be-
trächtlich waren die ständischen Darlehen während des Türken-
krieges 1716 — 1718 und in dem letzten Jahrzehnt der Regienmg
Carl VI. Statt einer Erhöhung der Contribution gewährten die
Stände nicht selten Anlehen, in Jahresraten durch Abzüge von
der Jahrescontribution oder aus Gefällen rückzahlbar und mit
sechs Pro Cent verzinslich. ^)
In den letzten Jahrzehnten der Regierung C a r Fs musste zur
Bestreitung des Krieges in ähnlicher Weise, wie während des
spanischen Erbfolgekrieges, zu Zwangsdarlehen geschritten werden,
so 1735 und 1736. In dem erstgenannten Jahre wurde die Beitrags-
pflicht nach der Leistungsfähigkeit bestimmt. Je nach der Classe
wurden 500, 1000 und 2000 Gulden gefordert, das Capital wurde
von der Stadtbank mit fünf Procent verzinst und sollte vom Jahre
1739 an in vierteljährigen Raten rückgezahlt werden. Der Gesammt-
betrag belief sich auf 2*4 Millionen. Aehnlich war es bei dem Zwangs-
darlehen von 1739 der Fall, welches mit Beginn des Jahres 1742
zur Rückzahlung gelangen sollte. Thatsächlich konnte der Staat
den übernommenen Verpflichtiuigen nicht nachkommen, denn 1749
mussten neue Vereinbarungen getroffen werden.
Die bei Privaten aufgenommenen Anlehen waren nicht
unbedeutend. Eine Aufzählung derselben ist wegen der grossen
Anzahl nicht möglich, nur einige, besonders eigenthümliche, sollen
») Z. B. 1736 der Krainer Landschaft für ein Anlehen von 100.000 Gulden
von dem aus Friaul, IViest, Fiume, Istrien und anderen wälschen Orten ein-
geführten Wein ein Aufschlag von einem halben Kreuzer per Mass, vom
st€>Tischen Wein einen Pfennig per Mass zur Verzinsung und Kückzaiilung
des Capitals.
Digitized by
Google
267
erwähnt werden. Baron An dl er erbat in einem Gesuche eine
ordentliche Besoldung und erbot sich, pro sublevatione aerarii eine
Anticipation von 75.000 Gulden zu sechs Procent verzinslich mit
der Versicherung auf den schlesischen Biergroschen bis 1729
zahlbar, zu prästieren. Die Finanzverwaltung war dagegen, die
kaiserliche Entschliessung verfügte die Annahme des Anlehens.
Im Jahre 17-35 lieh Graf Gaisruck 50.000 Gulden gegen das
Versprechen einer unbesoldeten Rathsstelle bei der Hofkammer, zu
fünf Procent. Dr. P o u 1 1 e erhielt eine Hofkammerstelle, gegen
ein zu fünf Procent verzinsliches Darlehen im Betrage von 150.000
Gulden.
Zur Sicherstellung erhielten die Gläubiger die zur Verfugung
stehenden Cameralgefälle, die meisten waren jedoch bei der Stadt-
bank verpfändet. Auch die Erträgnisse der Cameralherrschaften
wurden als Specialhypothek verwendet mit und ohne Einräimimig
eines Pfandrechtes auf das betreffende Gut. In den letzten Jahren
der Regieirmg CarPs sah man sich zur Auf bringung der erforder-
lichen Summe auch genöthigt, Bückzahlung und Verzinsung auf
die Contribution einzehier Länder anzuweisen; die Gläubiger er-
hielten auch eigene ständische Obligationen. Auch die Recruten-
und Eemontengelder, die Vermögens-Steuer sowie die ausserordent-
lichen Einnahmen aus dem Reiche wurden verpfändet. ^) In Noth-
fällen, wenn eine Hypothek nicht zur Verfügung stand, wurden
bisweilen gegen höhere Verzinsung sogenannte schwebende Schulden
gemacht und wenn die Darleiher im Besitze älterer Forderungen
waren, wurde ümen die Begleichung derselben unter günstigen Be-
dingungen zugesagt.
Auch die Geistlichkeit wurde zu Anlehen herangezogen. Im
Jahre 1717 borgten drei geistliche Corporationen 136.000 Gulden
zur Begleichtmg von Schulden. Im Jahre 1733 verpflichtete sich
der Prälatenstand in Nieder-Oesterreich, 312.500 Gulden vorzu-
strecken, die oberösterreichischen Prälaten liehen 187.500 Gulden,
die steyrischen 150.000 Gulden; von den böhmischen erwartete
man mindestens 300.000 Gulden, von den Jesuiten der böhmischen
und österreichen Provinz 100.000 Gulden.^) Im Jahre 1734 wurde
von dem gesammten Clerus ein Subsidium praesentaneiun im Betrage
von 1-2 Millionen gefordert xmd zwar von den deutschen Erblanden
750.000, von den böhmischen 311.000, von Ungarn 170.000 Gulden.
*) Die Einzelschulden bei M e n s i, 669.
*) Deputations-ProtocoU vom 3. December 1733.
Digitized by
Google
268
Der gleiche Betrag von 1-2 Millionen Gulden wurde 1739 ver-
langt.^)
Carl VI. war kein Freund der Juden. Die Instruction vom
Jahre 1717 machte der Hofkammer zur Pflicht, die Anzahl der-
selben möglichst zu beschränken^, allein in Zeiten der Noth sah
man sich doch genöthigt, die Mitwirkung und Unterstützung
jüdischen Capitals in Anspruch zu nehmen. Die Wiener Juden-
schaft wurde wiederholt zu Zwangsdarlehen verhalten; anlässlich
der Kaiserkrönung zu Frankfurt musste sie 200.000 Gulden gegen
eine funfprocentige Verzinsung aufbringen; 1717 wurden 1*273
Millionen, 1727 0*66 Millionen gefordert. Die Eintreibiing wurde
einer besonderen Hof-Commission übertragen. Als im Jahre 1734
Berathungen gepflogen wurden, um für den Krieg das nothwendige
Geld aufzubringen, rechnete man stark auf Anticipation der Juden-
schaft in Vorder- Oesterreich und in Prag, sodann auf die Landes-
Judenschaft in Böhmen und Mähren. Die Hofdeputation betrieb
die Abgabe der Vorträge der Hof kanzlei und der Hof kammer über
die Gestattung der Heirathen der Secundogenitur der Juden. Be-
kanntlich bestand damals die Beschränkung, dass nur der älteste
Sohn heirathen durfte und man erwartete von dem Zugeständnisse,
dass auch dem zweiten -Sohne das Eingehen der Ehe gestattet
') Im Jahre 1739 hatte die erbländische Geistlichkeit folgende Vorschüsse
als Subsidium praesentaneum gemacht :
Der Prälatenstand in Nieder-Oesterreich 200.000 fl.
„ „ im Lande ob der Euns 100.000 „'
„ „ in Steyermark 100.000 „
„ „ in Kärnthen • . . 40.000 „
„ „ in Tyrol 81.000 „
„ „ in Krain 6.500 „
„ „ im Breisgau und in Schwaben . . . 55.450 „
„ „ in Böhmen 115.000 „
Jesuiten in Böhmen 100.000 „
Der Prälatenstand in Schlesien 85.000 „
„ „ in Mähren 90.000 „
Oesterreichische Jesuiten-Provinz 80.000 „
Karmeliter Barfüsser der österreichischen u. böhmischen
Provinz . 26.000 „
Serviten in Oesterreich und Tyrol 15.000 „
Einige JtmgfrauenklÖster 58.000 „
Einige Frauenklöster in Inner- Oesterreich 17.800 „
Einige Mannesklöster in Inner-Oesterreich 9.000 „
*) Vergl. Kescript vom 15. April 1717 über den Handel der AkathoUken und
der Juden in Brunn und Mähren überhaupt bei D'El vert, Notizenblatt, 1889, Nr. 9.
Digitized by
Google
269
werden sollte, bereitwillige Unterstützung von Seite der Juden. ^)
In einem Verzeichnisse der für den Krieg im Jahre 1734 zur
Verfügung stehenden Fonde ist der Betrag von der böhmischen und
mährischen Judenschaft mit 400.000 Gulden, von der Frankfurter
Judenschaft mit 70.000 Gulden, endlich von dem Juden Greils-
heim mit 15.000 Gulden angesetzt.
Die Stände der wohlhabenden niederländischen Gebiete
wurden in dem letzten Jahrzehnte der Regierung Carl VI. zur
Aufiiahme von Anlehen herangezogen. Die Verhandlungen mii den
Hennegauer Ständen führte Hofkammerrath v. Prandau und
wurde von der Statthalterin, einer Schwester des Kaisers unter-
stützt. ^ Das Anlehen betrug 2V2 Millionen Brabanter Wechsel-
geld; Verzinsung und Rückzahlung sollten aus den Landes-
mitteln (moyens courants) entrichtet werden, wofür die nieder-
ländischen Finanzen aus dem Tabakgefälle entschädigt werden
sollten, dem Camerale wurde für den Entgang der entsprechende
Betrag aus der böhmischen Contribution zugewendet. Ueber
die Höhe der Zinsen konnte man längere Zeit eine Einigung
nicht erzielen. Auch weigerten sich die hennegauischen Stände,
die Garantie ftlr die richtige Bezahlung zu übernehmen, während
in Wien befürchtet wurde, dass ein blosses Garantien-Instrument
den gewünschten Effect nicht erreichen und auf kaiserliche
Obligationen die Gelder spät und ungewiss eingehen würden,
mithin der dringenden Noth nicht geholfen wäre. Ein Schreiben
des Kaisers an die Statthalterin hat den Abschluss der Verhand-
lungen beschleunigt und eine Einigung bewerkstelligt, womach die
hennegauischen Stände gegen eine Annuität von sechs Procent (vier
Procent Zinsen und zwei Procent Rückzahlung) in die Aufnahme
des Anlehens willigten. ^)
*) Vortrag der Deputation v. 12. Mai 1734. Der Kaiser genehmigte die Anträge.
*) Max Emanuel Hildebrand v. Prandau gehört zu den verdienstvollsten
Finanzbeomten jener Tage und hat auch noch in den ersten Jahren der
Regierung Maria Theresia's eine erspriessHche Wirksamkeit entfaltet. 1730
wurde er Director der orientalischen Compagnie, deren Erzeugung und Ver-
schleiss sich unter seiner Leitung beträchtlich hoben. Im Jahre 1733 wurde er
nach den Niederlanden entsendet, um daselbst mit den Finanzmännem über
Anlehen zu verhandeln. Nach dem Rücktritte des Grafen KoUowrat wurde
er mit der Leitung der Bancalität betraut, noch im ersten Jahrzehnt der
Regierung Maria Theresia's besass er massgebenden Einfluss.
') Conferenz-Protocoll vom 3. Mai 1735, das kaiserliche Handschreiben
an die Statthalterin vom 6. Mai und andere bisher unbenutzte Schriftstücke.
Digitized by
Google
270
Ausländische Schulden.
Die Formen der im Auslande aufgenommenen Anlehen
waren mannigfacher Art. Einige waren auf Grund von Aller-
höchsten Schuldverschreibungen abgeschlossen, manchmal mit
Sichersfcellung auf eine Hypothek*), die meisten wurden jedoch
von der Hofkammer vertragsmässig contrahiert und als Hypothek
die Contribution eines Landes oder das Bergwerkregale verschrieben.
Den in Holland während des spanischen Erbfolgekrieges auf-
genofhmenen Anlehen dienten die Erträgnisse des Quecksilber-
bergwerks in Idria zur Q-rundlage, ebenso auch den Anlehen in
den Jahren 1734 und 1739. Bis in die Mitte des XVill. Jahr-
hunderts wurden die europäischen Märkte in erster Linie von
Oesterreich mit Quecksilber versorgt und mit grosser Aufmerksamkeit
verfolgte man daher die Preise dieses Artikels. Auch die Kupfer-
bergwerke in Ungarn zu Schmöllnitz und Neusohl wurden als Pfand
verschrieben.
Eine wichtige Hypothek war auch die Contribution, in erster
Linie die schlesische ; die Stände verpflichteten sich zur Verzinsung
und Tilgung der Anlehen. Die meisten in Holland und England
aufgenommenen Anlehen wurden auf den schlesischen Contributions-
fond versichert. Auch die mährische und böhmische Contribution
diente als Hypothek.^) Die niederösterreichischen Stände über-
nahmen 1739 die Garantie für ein in Brabant aufgenommenes An-
lehen im Betrage von 3 Millionen Gulden. Der Zinsfuss der im
Auslande aufgenommenen betrug 6V4 bis 8 Procent, femer musste
dem Banquier, der die Vermittlung übernahm, eine Provision von
einem Procent zugestanden werden.
Vornehmlich in Holland und England wurden die meisten
Anlehen abgeschlossen, was, abgesehen davon, dass diese Länder
zu den capitalreichsten gehörten, durch die innigen politischen
Beziehungen derselben zu Oesterreich Erklärung findet. Auch nach
Herstellung des Friedens blieben Anfangs die Generalstaaten geneigt,
die österreichische Regierung bei den daselbst zu contrahierenden
*) Eine Allerhöchste Schuldverschreibung war noch 1855 Gegenstand
finanzministerieller Verhandlung; dieselbe war 1740 über 3000 Gulden auf Leopold
Prekenhueber ausgestellt worden. (Vergl. die Acten 11109, 14189 und 17362
ex 1855.)
*) Nach einem mir vorliegenden Ausweise waren in den Jahren 1730 — 1789
über 17-2 Millionen Gulden, meist Anlehen in England und Holland, auf
Schlesien versichert.
Digitized by
Google
271
•
Anlehen zu unterstützen. Während des Türkenkrieges gelang es
dem nach HoUand entsendeten Hofkammerrath Tinti im October
1716 eine Summe von 2V2 Millionen Holländisch durch Vermittlung
der Amsterdamer Firma Clifford unter drückenden Bedingungen
aufeubringen. Schwieriger waren die Verhältnisse in den Zwanziger
Jahren, als die politischen Verhältnisse Oesterreichs zu den See-
mächten sich getrübt hatten und die Generalstaaten ihre Zustimmimg
zur Aufnahme eines Darlehens verweigerten. In dem letzten Jahr-
zehnt der Eegierung Carl VI. zeigten sich die Holländer, nach-
dem die Differenzen über die Ostende-Compagnie geschlichtet waren,
williger, Oesterreich zu unterstützen. Die Anlehen in den Jahren
1733 und 1734, welche der nach Holland entsendete Hofkammerrath
Hildebrand von Prandau vermittelte, wurden für Kriegsrüstungen
verwendet und nach dem Frieden kam auch ein Anlehen zu Conver-
tierungszwecken zu Stande. Endlich gelang es, während des Türken-
krieges 1737 bis 1 739, holländisches Capital zu erhalten. Auch inEngland
wurden, seitdem die Beziehungen in Folge des spanischen Erbfolge-
krieges inniger geworden waren, grössere Beträge aufgebracht, so im
Jahre 1716 ein Anlehen von 2 Millionen Gulden, welches mit dem
Amsterdamer Banquier Clifford abgeschlossen, zumeist von englischen
Capitalisten gegen achtprocentige Verzinsung gezeichnet wurde.
Das Anlehen im Jahre 1737 im Betrage von 250.000 Pfimd Sterling,
welches nach mühevollen Verhandlungen durch Vermittlung der Bank
von England zu Stande kam, wurde mit sieben Procent verzinst und
sollte von 1741 angefangen in fünf Jahren rückgezahlt werden. Als
SichersteUung diente der schlesische Contributionsfond. Das Anlehen
von 1737 im Betrage von 320.000 Gulden wurde auf den Kupferfond
aufgenommen und sollte vom Jahre 1743 angefangen binnen zehn
Jahren rückgezahlt werden. Auch in Genua wurden in den Jahren
1736 — 1738 drei Anlehen im Gesammtbetrage von 2*3 Millionen
Gulden abgeschlossen.
In Deutschland borgte man bei einigen Landesfürsten, so bei
den Churfürsten von der Pfalz und Bayern, bei den geistlichen
Eeichs-Ständen imd einzelnen Städten, vornehmlich Frankfurt am
Maiti imd Nürnberg. Dagegen führten Anlehensverhandlungen mit
der Schweiz, die auf Befehl des Monarchen im letzten Jahrzehnt
seiner Regierung wiederholt versucht wurden, zu keinem Er-
gebnisse.
Eine neue Schuldgattung war die Tontine. Der kaiserliche
Gresandte in Genua brachte nämlich die Errichtung derselben im
Digitized by
Google
272
Betrage von einer Million Gulden in Vorschlag. Es sollten 2000
Einlagen k 500 Gulden ausgeschrieben werden, zu acht Procent
verzinslich. Die Actien sollten übertragbar sein gegen Entrichtung
von zehn Procent der Einlagssumme. Die Hofkammer fand die
Bedingungen nicht vortheilhaft und machte einen anderen Vorschlag,
allein es musste zunächst, ehe an die Verwirklichung des Projectes
geschritten werden konnte, die Zustimmung des Magistrates von
Bozen für die Uebemahme der Garantie verlangt werden. Der
Secretär des kaiserlichen Gesandten in Genua, Poli, wurde nach
Wien zur Auskunftsertheilung berufen und erhielt später den Auf-
trag, zu erkunden, ob die Geneigtheit bestehe, ein derartiges An-
lehen zu leisten. ^) Es dauerte indess längere Zeit, ehe die An-
gelegenheit zum Abschlüsse kam. Erst am 26. Januar 1737 wurde
das darauf bezügliche Patent erlassen. *) Die hervorragendsten
Wechsler in den verschiedensten Städten werden in der Ankündigung
bezeichnet, welche die Antheilscheine gegen baare Bezahlung aus-
händigen sollten; das Anlehen fand jedoch keinen Anklang und
musste im Jahre 1739 gänzlich angelassen werden.
Die Banco- Schulden.
Die nachhaltigste Aushilfe gewährte die Wiener Stadt-
bank. Als in den ersten Jahren des XVlil. Jahrhimderts der
Gredit des Staates vollständig damiederlag, eine Erhöhung der
Steuern unmöglich schien, selbst geringfügige Summen zur Be-
streitung nothwendiger Erfordernisse mangelten, wähnte man in
einem Creditinstitute das finanzielle Heil zu finden. Schon seit
Jahren hatte man sich mit darauf bezüglichen Projecten beschäftigt.
Am 15. Jimi 1703 trat das neue Institut unter dem Namen Banco
del giro iq's Leben, wie das Diplom besagt: wegen der Elriegs-
erfordemisse für die Erhaltung von zwei grossen Armeen, dann zur
Hebung des damied erliegenden Handels nach dem Muster der
Anstalten Venedigs, Amsterdams, Hamburgs und Nürnbergs. Die
Dotation des Banco wurde mit vier Millionen Gulden bestimmt.
») Conferenz-Protocoll vom 80. Juli 1736.
*) Es sollten 4000 Actien k 500 Gulden ausgegeben werden, die Aotionäre
waren nach dem Alter in vier Classen eingetheilt, wenn eine der Classen „durch
zeitliches Hinscheiden aller Interessenten" erlosch, erbten die übrigen drei
Classen die Hälfte „desjenigen Nutzens, welchen vorhin der Letzte der extin-
guierten Classe genossen".
Digitized by
Google
273
welcher Betrag aus den Contributionen der Länder jährlich ein-
fliessen sollte. Für das erste Jahr war über die Contribution schon
anderweitig verfügt worden nnd es sollten daher zwei Millionen
aus den erstbesten ausserordentlichen Einnahmen dem Institute
zugewendet werden, eine hypothetische Bestimmung, da vorläufig
keinerlei verfiigbare Einnahmen vorhanden waren. Die Hofkammer
sollte Anweisungen an die Bank, ohne den Betrag des Fondes zu
überschreiten, ausstellen dürfen, auch Private Geldeinlagen machen
und für ihr Guthaben Anweisungen ausfertigen können. Den Theil-
nehmem am Institute wurden mannigfache Privilegien eingeräumt,
so die Uebertragbarkeit der Assignationen durch Giro^ Befreiung
der Banco-Einlagen von Sequestration und Execution u. dergl.
Die Assignationen hatte jedermann vom Aerar und Privaten
an Zahlungsstatt anzunehmen. Bedenklich war die Bestimmung,
dass alle Wechsel und Anweisungen von Kaufleuten bei Verlust
des zehnten Theiles des Betrages durch den Banco laufen müssen.
Der Grundgedanke, bemerkt Schwabe treffend, zielte unverkennbar
dahin, Schuldpapieren des Staates wieder Credit zu verschaffen.
Es sollte nämlich die neue Anstalt durch in reichlichem Masse bei
ihr zur Einlage kommende Privatcapitalien und gezwungen durch-
laufende Geschäftsabwicklungen sicher zahlungsfähig, wie ein grosses
Zahlungshaus dastehen, den Schuldverschreibimgen des Staates die
Eigenschaft allerbester Papiere, die von Hand zu Hand wie Baargeld
giengen, verliehen werden, indem sie den „Giro des Instituts" erhielten.
Zur Befestigung des Vertrauens in die neue Anstalt wurde auch
die Mitwirkung der niederösterreichischen Stände und des Stadt-
magistrates von Vitien, endlich des Handelsstandes in Anspruch
genommen, indem Mitglieder dieser Körperschaften der Direction
zugezogen wurden.
Die von der Regierung an das neue Institut geknüpften
Erwartrmgen verwirklichten sich nicht. Gerade jener Stand, von
dessen Unterstützung am meisten erhofil wurde, der Handelsstand,
TV'ar voU Misstrauen. Die niederösterreichischen Stände erhoben
gegen die Einrichtung Protest ; die Verpflichtung, die Assignationen
an Zahlungsstatt anzunehmen, war eine unglückliche Bestimmung.
Man erblickte darin die Absicht, einen Papierhandel einzuführen
und als Folge Ruin des Gredits und Hemmtmg des Handels. Vi^ie
konnte auch die Handelswelt Vertrauen einem Institute entgegen-
bringen, dessen Dotation ungenügend war! Die Nothwendigkeit
einer Abänderung machte sich fühlbar und nach einem Jahre fanden
die mannigfachsten Berathungen einen Abschluss. Das Patent vom
Oesterreichisclier Erbfolgekriog. I. Bd. 18
Digitized by VjOOQIC
274
3. Jiini 1704 erhöhte die Dotation von vier auf fünfeinhalb
Millionen und vorfügte, dass zu diesem Zwecke einige Cameral-
gefäUe der Bank übergeben und derselben die Einhebung und
Verwaltung in voUer Unabhängigkeit von der Hofkammer und
anderen Behörden zu übertragen sei. Nur die Ueberschüsse wären
an die Hofkammer abzuführen. Diese soUte Anweisimgen auf die
Bank bis zum Betrage von vierzig Millionen ausstellen können,
welche mit dem Giro versehen, in Umlauf zu bringen und binnen
zwölf Jahren rückzuzahlen waren. Je nach der früheren oder späteren
Fälligkeit der Anweisungen betrug der Zinsfuss vier bis acht Pro-
cent. ^) Aber auch in dieser verbesserten Form konnte die Bank eine
gedeihliche Wirksamkeit nicht entfalten, die Aufiiahme von Staats-
anlehen nicht erleichtem und das Vertrauen derjenigen, welche
dem Staate Gelder vorstrecken konnten, nicht festigen. Das
Misstrauen war nicht zu bannen, dass aus den staatlichen Ein-
nahmen beträchtliche Summen der Bank überwiesen werden könnten,
während die verfügbaren Mittel zur Bestreitimg der Krieg5kosten
nicht hinreichten. Graf Gundaker Starhemberg hatte auch mit
einleuchtenden Gründen die Mängel des reorganisierten Institutes
hervorgehoben : Für die Finanzen sei es geradezu unmöglich, die
demBanco zugewiesenen Beträge zu entbehren; die Staatsverwaltung
müsste auf beträchtliche Einkünfte Verzicht leisten, ehe noch die
Darlehen eingeflossen wären ; der Ruin des Camerale, wie der König-
reiche und Länder werde die Folge sein*). Unter den der Bank über-
wiesenen Zuflüssen war auch die ungarische Contribution, auf welche
jedoch nicht verzichtet werden konnte, da dieselbe für die Truppen
jenseits der Leitha imentbehrlich war. Auch einige der zugesicherten
Gefälle konnten der Bank nicht überantwortet werden. In der That
half die Bank den finanziellen Nöthen nicht ab. Die Beträge, welche
in der nächsten Zeit der Regierung zuflössen, waren daher winzige.
Die Hilflosigkeit der Anstalt, die nicht einmal im Stande war, ihre
Beamten zu besolden, wurde nach Kurzem offenbar.
Die Gründung eines reinen Staatsinstitutes hatte Schiffbruch
gelitten. Bei der Eim-ichtung einer neuen Bank, des „Wiener
Stadtbanco-Institutums", schlug man einen anderen "Weg ein.
„Ziu- Eectificiorung, Verbesserung und Feststellimg des Banco-
Instituts", heisst es in der Ankündigung, „wird, um den Gläu-
bigem eine grössere Sicherheit zu verschaffen, die Leitung und
') Die Patente im Cod. Aust. II. 81—85, III. 464-467.
«) Vortrag 3. Juli 1704. Schwabe a. a O. 80. Mensi, a. a. 0. 179 f.
Digitized by
Google
275
Administration der Bank an „ein notorie acereditierte^ Corpus civile",
nämlich an die Stadt Wien übertragen und zur Aufsicht eine aus
Mitgliedern der niederösterreichischen Regierung und der Hof kammer
zusammengesetzte Deputation errichtet. Die Stadtbank leistete bereits
in den ersten Jahren dem Staate nicht unbeträchtliche Dienste. Sie
übernahm die auf den Cameralgef allen haftenden Schulden, machte
Vorschüsse und bezahlte auch staatliche Verbindlichkeiten, z. B. die
Deputationsgelder der Kaiserin -Wittwe. Namentlich seit Graf
Starhemberg die ausschliessliche Leitung der Stadtbank über-
nommen hatte (1711), befestigte sich das Vertrauen in den weiteren
Kreisen, freiwillige Capitalseinlagen flössen ihr zu, wodurch es
möglich wurde, dem Staate unter die Arme zu greifen, so durch
Einlösung verpfändeter Cameralgefalle und Cameralherrsohafben, die
jedoch der Verwaltung der Bank imterstellt wurden. Die dem
Staate gewährten Darlehen mussten mit einem zehn Procent
betragenden Fonde bedeckt werden, wodurch natürlich die für
die sonstigen Ausgaben erforderlichen Summen eine Herab-
setzung erfuhren, ein Entgang, der um so drückender empfunden
wurde, als eine Steigerung der Einnahmen nicht leicht bewerkstelligt
werden konnte.^)
Seit dem Regierungsantritte Carl VE. standen mannigfache
Pläne über die Reorganisation der gesammten Finanzverwaltung
auf der Tagesordnung. Eine bessere Einrichtung der Hofkammer
schien nicht genügend, denn auf diesem Wege konnte eine rasche
Besserung der Finanzlage unter einem vorsichtigen und kühnen
Neuerungen abholden Hofkammer-Präsidenten, wie Graf Starhem-
berg war, nur allmälig bewerkstelligt werden. Allein der Staat
bedurfte Geld und die Wiener Stadtbank konnte den Ansprüchen
nicht immer Genüge leisten. Man fasste Anfangs eine Umgestaltung
der Girobank in's Auge, um dieselbe creditfäliiger zu machen, allein
die Veröffentlichung des bereits am 24. März 1713 fertiggestellten
Patents erfolgte nicht, da von der Hof kanzlei und von den nieder-
österreichischen Ständen Einwendungen gegen die neue Einrichtung
vorgebracht wurden, mittlerweile auch ein neues Project vorlag,
welches unter dem sonderbaren Titel „Universal-Bancal-Finanzen-
Oekonomie-Demonstration" sich die Herstellung der Ordnung des
Staatshaushaltes, insbesondere die Regelung des Gassen-, Control-,
Oredits- und Schuldenwesens zur Aufgabe stellte. Der Verfasser des
') lieber die Wiener Stadtbank, Schwabe a. a. 0. 84 f. und mit reich-
lialtigen Einzelheiten Mensi a. a. O. 207.
18*
Digitized by
Google
276
neuen Vorschlages war der Hofkammerrath Bernhard Georg von
M i k o 8 c h, der in umfassenden Denkschriften die Anträge er-
läuterte und vertheidigte. Der Kaiser verfügte commissionelle
Berathung durch eine Hof - Deputation, welcher jedoch der
Hof kammer - Präsident Graf Starhemberg nicht beigezogen
wurde, gewiss bezeichnend für die gegnerische Strömung, womit
der tüchtigste Finanzmann des damaligen Oesterreichs zu kämpfen
hatte, die auch in den ProtocoUen ihren Ausdruck fand, indem die
Wirksamkeit der Hofkammer einer abfälligen Kritik imterzogen
und dem Monarchen sogar widerrathen wurde, dieselbe über das
Project zu vernehmen.
Die Aufgabe, welche dem neuen Institute in erster Linie zu-
gewiesen wurde, war, „dem so erschöpften Aerario zu Hilfe kommen",
wie Prinz Eugen in der ersten Sitzung am 14. Juli 1714 hervorhob,
„Restabilierung des so sehr gesunkenen Credits und Aufrichtung
einer Generalbancalität, wodurch alle, sowohl Militär- als Cameral-
gelder distribuiert werden sollen". Die Conferenzmitglieder hatten
wohl mannigfache Bedenken imd ein Schriftstück von dem Ver-
fasser des Projectes, „Zur Dillucidienmg des Werks" betitelt, dürfte
die Zweifel über die Erspriesslichkeit und Durchfiihrbarkeit der
Vorschläge nicht behoben haben. Sinzendorff, bekanntlich ein
Schwätzer ersten Ranges, bemerkte, das Werk berühre in etwas
die alten Verfassungen und Aenderungen wären öfters schädlich,
allein wenn das Alte nicht erklecklich sei, so müsste man zur
Emporbringung des Credits und zur Tilgung des eingerissenen
Wuchers endlich doch auf Neuerungen denken. Animosität gegen
die Hofkammer leuchtet aus allen Voten hervor. Der Credit könne
durch die Hofkammer nicht restabiliert werden, meinte Sinzendorff,
und Graf Harr ach pflichtete ihm voll bei; das ganze Camerale
stünde in grosser Unordnung, Hess er sich vernehmen, das Aerar
sei schlecht versehen, die Hofbediensteten gerathen aus Mangel an
Bezahhmg in grosse Noth, die Kammer wisse sich nicht zu helfen.
Er imd Schlick waren der Ansicht, dass der grossen Noth durch
die Bancalität gesteuert und die Einnahmen und Ausgaben in
gehörige Ordnung gesetzt werden dürften. ^)
*) Die Behauptung, dass auf die glänzenden Erfolge der verschiedenen
ausländischen Banken hingewiesen wurde, ist übertrieben. Nur ein Mitglied
der Minis terial-Deputation machte eine darauf bezügliche Aeusserung. Die Stelle
im Pro to coli lautet : . . . .Graf von Sinzendorff hat in seinem dissfähligenvoto
gemeldet, wie er ab experientia wissete, dass sowohl in Statu Monarchico, alss
Bey anderen Republiquen, Banquen introduciret seynd, Vnd in utroque Statu,
Digitized by
Google
277
Es scheint, dass der Kaiser für die Errichtung der Bancalität von
vorneherein günstig gestimmt war, was auf die abgegebenen Gut-
achten der Hof-Deputation nicht ohne Einfluss blieb. Welche Er-
wartungen an die neue Einrichtung geknüpft wurden, ist aus dem
Eingange des Patents vom 14. December 1714 ersichtlich. In damals
üblicher "Weise wurden die massgebenden Gründe für die neue
Schöpftmg dem Publicum verkündet. Die Ergebnisse der Cameral-
einnahmen sollten gesteigert, die Schuldenlast verringert, die Miliz
richtig bezahlt, die Insassen und Unterthanen verschont, der Credit
erhöht, der beschwerliche Wucher abgestellt, Zinsen erspart, das
Erfordemiss des Hofstaates rechtzeitig beschafft, dem Handelsmann
und Gewerbetreibenden durch billige Darlehen geholfen, dem
Bauer zur leichteren Bestreitung seiner Abgaben die Mittel an
die Hand gegeben werden. Natürlich mussten der Bancalität zur
Lösung dieser umfassenden Aufgaben die erforderlichen Zuflüsse
behufs Bildung eines sicherstellenden Fondes zugewiesen und die
Unantastbarkeit desselben für ewige Zeiten zugesichert werden.
Nicht nur der Staat sollte Credit finden zur Bestreitimg der unum-
gänglichen Ausgaben, sondern auch Private Darlehen gegen eiue
dreiprocentige Verzinsung erhalten, Hofstaat und Militär, sowie
die Beamten in allen Erb-Königreichen und Landen die Besoldung
vierteljährlich richtig empfangen.^)
Graf Starhemberg sprach sich über das neue Institut in
einem schriftlich abgegebenen Votimi abfällig aus. Von der Ban-
calität konnte nicht erwartet werden, dass sie Erspriessliches zu
leisten in der Lage sei, wenn man die Geldmittel einer kritischen
Prüfung unterzieht, welche zur Bildung eines Fondes bestimmt
waren. ^ Bei Berechnung derselben spielte die Phantasie desProjec-
wan solche recht Bestellet, mit sonderem guten effect Succediren können. Vor
anderen aber seyn dahin zu gedeacken, dass man soviel möglich das Werck
mit guten willen anfange, Vnd darzu keinen Zwang nit gebrauche, dan mit
Zwang wird kein Credit gemacht ; man müste schon alle Hilff zu Beförderung
des Wercks, vornehmlich aber noch mehrere fundos Beyzubringen, vermittelst
deren der Credit nicht allein gleich anfänglich formiret, sondern auch in
Succession befestigt werde. (Referat der kaiserlichen Ministerial-Hof-Deputation
nnter dem Vorsitz des Prinzen EugenvonSavoyen, betreffend die projectierte
XJniversal-Bancal-Finanzen-Oekonomie ddo. 29. August 1714).
') Die Darstellung beruht auf handschriftlichem Material. Vergl. Schwab e,
113 und Mensi a. a. O.
*) Diese Zuflüsse waren alle ausständigen Forderungsposten desStsiates:
Abfahrtsgelder, Caducitäten, Tax- und Strafgelder, die Beträge jener Personen,
Bancal-Legitimations-Ärrhen genannt, welche Bancalisten werden wollten, denen
Digitized by
Google
278
tanten eine grosse Rolle, da er namentlich von den freiwilligen
Zuflüssen bedeutende Summen erwartete.
M i k o 8 c h befürwortete die Geltung der Bancalität auch
in Ungarn, schon aus dem Grunde, „da bei einer monarchischen
Oekonomie es nicht richtiger und ordentlicher zugehen kann, als
wenn die Einnahmen und Ausgaben durch eine Richtschnur und unter
einer Verrechnung geführt werden, mithin die aus allerlei particulären
Zahlämtem bisher geflossenen Unrichtigkeiten abgestellt werden".
Auch könnte die Bancalität sonst einen imiversalen Anordnungs-
staat nicht verfassen, die Meliorationen der Cameralfonde würden in
Ungarn unterbleiben. Die Deputation machte daher auch den
Vorschlag, das Bancalitätspatent in Ungarn zu publicieren mit der
Bemerkung, „dass solche qua Länder zwar eximiert, die Kammer und
Miliz aber zur Befolgung des Patentes angewiesen werden". Die Reso-
lution des Kaisers lautete aber dahin, wegen Ungarn werde er sich
noch vor Publicierung des Patentes resolvieren. ^) Die Militär- und
Cameralgef alle Ungarns wurden den Bancal-Cassen überwiesen, das
Patent aber aus staatsrechtUchem Grunde nicht verlauthart.
Die Bancalität war ursprünglich eine vollständig unabhängige
Behörde und erst nach Schaffung der Finanz-Conferenz derselben
untergeordnet, nachdem das Bancal-Gubemium beseitigt und ein
gewisse Rechte eingeräumt waren und die jährlich je nach ihrem Stande und
ihrer Beschäftigung einen Betrag von 3 bis 200 ü. zu leisten hatten ; die Dienst-
Arrhen aller Hof-, Civil- und Militärbeamten, in Abzügen von ihrem Gehalte
bestehend und zwar der bereits im Dienste stehenden mit sechs Procent ein
für alle Mal, der neu angestellten mit Erlegung von Quartalen ihres Gehaltes ;
Assignations-Arrhen mit drei Procent der Gelder, welche Müitär- und andere
Personen zurückzulassen hatten, die durch die Bancalitätscassen ihre Bezüge
erhalten wollten; Reservations- Arrhen, d. i. einprocentige Abzüge bei Erhalt
von Geldern, die bei der Bancalität angelegt waren, endlich jüdische Beitrags-
Arrhen, welche die Juden, um Bancalisten zu werden, im Betrage von 6 bis
300 ü, zu entrichten hatten, wofür sie berechtigt waren, mit dem Staate
Geschäfte zu machen und in der Residenz zu bleiben. Ausser diesen ständigen
Zuflüssen erwartete man auch freiwillige. Jeder Bancalist sollte nämlich be-
rechtigt sein, Geld bei dem Institute einzulegen und zwar nach der Höhe der
Legitimationsarrhe bei 8 bis zu 100 fi., bei 2C0fl. bis zu 6666 fl. 40 kr. Für den
angelegten Betrag erhielt er eine dreiprocentige Verzinsung (Agio genannt) in
Bancalitätsvaluta, das ist eine Assignation auf die Anstalt, welche wie baares Geld
verwendbar sein sollte. Die angelegten Capitalien blieben von jeder Vermögens-
Steuer befreit und unterlagen keiner Confiscation. Alle Bancalisten sollten in
allen Aemtem und öffentlichen Functionen verbleiben und künftig nur solche
angestellt werden, die mindestens ein halbes Jahr Bancalisten waren.
*) Vertrag 22. November 1714. Die kaiserliche Entschliessung langte am
14. December 1714 9 Uhr Abends herab.
Digitized by
Google
279
Bancalitäts-Präsident mit der Leitung betraut worden war. Die
Hälfte des Reingewinnes sollte dem Staate zufliessen. Die Ban-
calität war in ausserordentlichen Fällen zu Darlehen an den Staat
gegen Sicherstellung verpflichtet.
Die grossen Erwartungen von der Wirksamkeit der Bancalität
fiir den Staatscredit erfüllten sich ebenfalls nicht. Die derselben
zugewiesenen Einnahmen liefen nicht in der Höhe ein, wie voraus-
gesetztwar, wodurch die Creditf ähigkeit schon in den ersten Anfängen
verringert wurde. Man erhofile, dass das von der Anstalt ausgegebene
unverzinsliche, nach einer halbjährigen Kündigungsfrist rückzahlbare
Papier in grösseren Mengen in Umlaiif kommen werde; man erwartete
beträchtliche Einlagen, zu drei Procent verzinslich, was schon aus
dem Grunde nicht wohl eintreten konnte, weil die Stadtbank die
Einlagen mit sechs Procent nach Sicht rückzahlbar verzinste. Mit
der Leitung der Stadtbank war überdies die erste Finanzcapacität
damaliger Tage betraut, die schon Proben ihrer Tüchtigkeit durch
eine mehrjährige Thätigkeit an der Spitze der Hofkammer abgelegt
hatte, während die Leitung der Bancalität Männern übertragen war,
deren Befähigung fiir den schwierigen Posten sich erst bewähren
musste. Es muss jedoch dahingestellt bleiben, ob eine begabtere
Persönlichkeit, als Fürst Trautson und später Graf Kolowrat,
im Stande gewesen wäre, einer Anstalt Lebensfähigkeit einzuhauchen,
deren Organisation von Kennern als eine verfehlte bezeichnet wurde.
Starhemberg's kritische Bemängelimgen wurden in der Folge
durch die Thatsaohen erhärtet. Nach kurzem Bestände trat die
Leistungsunfähigkeit der neuen Schöpfung klar zu Tage. Der Credit
der Bancalität sei mit Ende Januar bereits periclitiert, heisst es
in dem Finanz-Pro tocolle vom 17. Februar 1720, wenn nicht der
Jud Wertheimer mit einer Anticipation von 300.000 Gulden aus-
geholfen hätte, und am Schlüsse des Jahres wird bemerkt, die Ban-
calität finde keinen Credit mehr. ^) Ja, es wird darauf hingewiesen,
dass der Credit des Stadtbanco leide, weil jener der Bancalität
„zerfallen" sei und die Li- und Ausländer zwischen Banco und
Bancalität den Unterschied nicht zu machen wüssten, die Ausländer
daher ihre Gelder aus dem Stadtbanco zurückziehen. ^) Um einen
Bankerott der Bancalität zu vermeiden, mussten die Schulden von
der Stadtbank übernommen werden und ihre Thätigkeit als Credit-
institut hatte damit ein Ende. Erst in den letzten Jahrzehnten der
*) Finanz-Conferenz-Protocoll, Decembei' 1720.
*; Conferenz-Protokoll vom 13. December 1721.
Digitized by
Google
280
Regierung Carl VI. hat die Baiicalität bei den damals für den
Krieg erforderlichen Finanzoperationen eine, wenn auch nicht um-
fassende Thätigkeit entfaltet, indem ihre Mitwirkung fiir die Be-
schafiiing von Wechseln in Anspruch genommen wurde, um für
die Bedürfhisse des Heeres in Italien und zum Theil auch in
Deutschland Vorsorge zu treffen ^). Die vielfach aufgestellte Be-
hauptung, dass durch die Bancalität eine einheitliche Controle und
Gebahrung im Staats-Cassenwesen im Grossen und Ganzen erreicht
worden sei, kann nur mit Einschränkung als richtig bezeichnet werden,
denn sie gilt nicht für die ganze Zeit des Bestandes der Bancalität,
Die Bancalität sollte auch als Central-Casse dienen, deren Mangel schon
längst fühlbar war, da bei der damaligen Organisation die Möglich-
keit, eine Uebersi(jht über die gesammten Einnahmen und Ausgaben
des Staates zu gewinnen, nicht vorhanden war. Hierauf bezügliche
Berathungen wurden, wie bereits erwähnt, schon unter finiheren
Regierungen wiederholt gepflogen. In einem Decret an den Fürsten
Trautson wird auf die Thätigkeit der Bancalität als Staats-Central-
Casse besonders Gewicht gelegt. Die gesammten Einnahmen der
Cameral- und Militär-GefiÜle sollten den Bancal-Cassen zufliessen
und von jenen Einkünften, welche den perpetuierlichen Fond der
Bancalität zu bilden hatten, allstets separiert verbleiben.^) Allein
auch in dieser Beziehung konnte die Bancalität der ihr zugewiesenen
Aufgabe nicht entsprechen. *) Nicht blos die Hofkammer erhob
gegen die Competenz der Bancalität hinsichtlich einiger SpeciaJfonde
Widerspruch; noch in den Dreissiger Jahren wurde geklagt, dass die
Hof kanzlei selbstständig über Gelder verfüge, ohne Hofkammer oder
Bancalität in Kenntniss zu setzen. Ihre Mitwirkung bei Verfassung
der Staatsvoranschläge blieb illusorisch; seit Errichtung derFinanz-
Conferenz wurde dieser Körperschaft die Prüfung derselben übertragen.
Während Girobank und Bancalität den Forderungen des
Staates nicht entsprechen konnten, hat die Stadtbank beträcht-
liche Dienste geleistet. Sie übernahm Cameralschulden , sowie
verpfändete Gefälle und Domänen, gewährte Vorschüsse und
ermöglichte es, dass Mitglieder des Kaiserhauses ihren Haushalt
bestreiten konnten; nicht selten wurden Rückstände der Hof-
zalilungen, Gnadengaben, Apanagen an die Bank überwiesen .
*) Deputations -Pro tocoUe aus den Jahren 1734—1739.
*) Decret vom 1. October 1714.
^) Auch Schwabe a. a. 0. 148 ist derselben Ansicht, dagegen Mensi
a a. O. 475, ohne für seine Ansicht einen Beleg zu bringen.
Digitized by
Google
281
Je fester sich ihr Credit gestaltete, um so grösser wurden die An-
sprüche der Hof kammer, da diese den Privatgläubigem in der
Regel höhere Zinsen zahlen musste, während die Bank Darlehen
zu sechs Procent gewährte. Die Vereinbarungen zwischen Hof-
kammer und Stadtbank, Recesse genannt, enthielten Bestimmungen
über die Höhe des dargeliehenen Betrages, sowie über die der Bank
zur Sicherstellung überwiesenen Gefälle. Durch Vereinbarung vom
29. Juni 1719 mit der Hofkammer übernahm sie auch die Ver-
pflichtung, alljährlich einen Beitrag von 500.000 Gulden zu leisten.
Auch bürgerte sich ein neuer Grundsatz bei der Bedeckung für
die von der Bank übernommenen Leistungen ein. Da die statuten-
gemässe Sicherstellung von zehn Procent für Zinsen und Rück-
zahlung durch Ueberweisung neuer Gefälle nicht gewährt werden
konnte, wurden die der Bank bisher übergebenen Gefälle prolongiert,
wodurch mancherlei Fährlichkeiten erwuchsen, wenn in kritischen
Zeiten die neuen Einlagen zur Erfüllung der Verbindlichkeiten
nicht hinreichten. Auf den jährlichen Beitrag von 500.000 Gulden
-wurden von Seite der Hof kämm er bestimmte Zahlungen angewiesen,
so Deputatgelder, Gnadengaben u. s. w. ^) Der Rest wurde von der
Hofkammer zur subsidiären Sicherstellung für neue Bankvorschüsse
an den Staat benützt, und wenn diese nicht ausreichend waren,
musste sich die Bank trotz allen von Starhemberg mit Recht
erhobenen Einwendungen zur Aushilfe ohne Einräumung neuer
Fonde bequemen.
Die freiwilligen Capitalsanlagen der Privaten waren mit sechs
Procent verzinslich und nach Sicht oder gegen Kündigung rückzahlbar.
Seit Herstellung des Friedens nahmen die Capitalseialagen stetig
zu, wodurch die Bank in die Lage kam, dem Staate unter die Arme
zu greifen, sei es durch Darlehen, oder durch Uebemahme von
') Aus einem Vortrag des Grafen Starhemberg vom 25. Mai 1730.
Folgende Posten sind auf Eechnnng der 1724 jährlich accordierben 500.000
Gulden mit baarer Bezahlimg von der Bank übernommen worden, als :
Jahr 1723 Managetta Gnadengabe per 25.000 11.
„ 1723 Graf Sinzendorff 45.000 „
„ 1723 Schluga (Szluha), Gnadengabe 20.000 „
„ 1723 Graf Althann 70.000 „
„ 1724 Graf Stürckh 40.000 „
„ 1725 Churprinzessin in Bayern 100.000 „
„ 1725 Graf Nagy, Gnadengabe 24.000 „
„ 1726 Buol, Gnadengabe 30.000 „
„ 1729 Gräfin Brenner, Gnadengabe 30.000 „
„ 1729 Graf Harrach 10.660 „
Digitized by
Google
282
Cameralschulden. Der Credit des Institutes steigerte sich von Jahr
zu Jahr und die Bank konnte für die Rückzahlung bestimmte
Termine, je nach der Höhe der Einlagen, feststellen. Auch vom
Auslande kamen in Folge der Consolidierung der Bank Capitals-
einlagen. Die Ausländer erhielten seit 1717 Befreiung von dem
Abffithrtsgelde, d. h. von der Gebühr, welche von den in's Ausland
gehenden Erbschaften erhoben wurde.
Hatte die Stadtbank dem Staate bereits seit Beendigung des
spanischen Erbfolgekrieges beträchtliche Summen vorgestreckt, so
steigerten sich die Ansprüche während des Türkenkrieges bedeutend. Für
den Feldzug 1716 betrug das Darlehen der Stadtbank im September
bereits drei Millionen ; im darauffolgenden Jahre wurde ein weiteres
Darlehen von zwei Millionen geleistet und Staatsschuldposten von
mehr als dritthalb Millionen übernommen. Namentlich seit die
Bancalität ihre Bedeutung als Creditinstitut eingebüsst hatte, musste
die Bank dem Staate beträchtliche Unterstützungen gewähren und
sich auch zu einem jährlichen Beitrage für die laufenden Staats-
bedürftiisse verpflichten. Den fortwährenden Forderungen des Staates
trat jedoch Starhemberg in der Finanz-Conferenz nicht selten
mit Erfolg entgegen. „Gott und die Casualität hätte es geschickt,"
heisst es in dem Finanz-Conferenz-ProtocoUe vom 28. October 1720,
„dass so viel Geld in der Stadtbank eingelegt wird imd gleichwie
dieser Schatzkasten der landesfürstlichen Unterthanen, worin ihr Hab
und Gut depossediert ist, wäre es nicht rathsam, den Credit derselben,
der bereits über fünfzig Millionen extendiert sei, zu exponieren."
Die Bemühungen Starhemberg's, die Ansprüche des Staates
einzuengen, blieben erfolglos. Auch die Schulden der Girobank
wurden an die Stadtbank übertraigen, die statutengemäss für
die Bedeckung festgestellten Normen nicht eingehalten. Die
Stadtbank übernahm die Bancalitätschulden im Betrage von
25 Millionen Gulden, welche sammt den mit 28*8 Millionen
berechneten Banco-Schulden in dem Zeiträume von 1721 — 1738
getilgt werden sollten. Das Erträgniss der ihr eingeräumten
Gefälle belief sich auf IV2 Millionen, während statutengemäss die
sicherzustellenden Einnahmen 2Va Millionen betragen sollten.
Stetig wurden erhöhte Ansprüche von der Hofkammer gemacht.
Die Bank musste Zahlungen übernelmien, sei es, wenn es sich
um Apanagen handelte, wofür die Hofkammer mit ihren Mitteln
nicht aufkommen koimte , oder auch bei Gewährung beträcht-
licher Gnadengaben, endhch bei Bezahlung von Rückständen der
Beamtengehalte. Nicht selten waren es geringfügige Summen,
Digitized by
Google
283
welche der Hofkammer Verlegenheit bereiteten und welche sie
einfach mit oder ohne Bedeckung zur Berichtigung der Bank
überwies. In Zeiten, als Einlagen der Bank in reichlichem Masse
zuflössen, konnte sie mühelos den staatlichen Anforderungen ent-
sprechen, aber zeitweilig hatte auch ihre Leistungsfähigkeit ihre
Grenze. In solcher Lage sah sich die Bank genöthigt,^ die bean-
spruchten Beträge bei Privaten aufzunehmen, nicht selten gegen
hohe Verzinsung. So oft die Hof kammer mit den ihr zur Verfligung
stehenden Einnahmen das Erfordemiss zu decken nicht im Stande
war, verlangte sie die Unterstützung der Bank, wogegen sich
Starhemberg vergebens sträubte. Die Bank wurde durch kaiser-
liche Entschliessung vom 31. December 1721 angewiesen, allmonatlich
einen Vorschuss von 100.000 Q-ulden an die Hof kammer zu leisten.
Die gewichtigen Bedenken des Grafen Starhemberg, dass die
Stadtbank den Betrag nicht zu leisten im Stande sei, da die Ein-
lagen nicht mehr so bedeutend wie bisher wären, da bereits
der grösste Theil des in Oesterreich befindlichen Vermögens in der
Bank angelegt sei, bestimmten den Kaiser, drei Commissionen mit
der Prüfung der Angelegenheit zu betrauen, die zwar in ihren
Voten von einander abwichen und nur in Bezug auf eine abfällige
Kritik der Stadtbank und in der Forderung einig waren, dass der
Hofkammer und den Hofkanzleien ein grösserer Einfluss auf die
Stadtbank einzuräumen sei. In einem ausgezeichneten Schriftstücke,
formell und inhaltlich ein Meisterstück, widerlegte Starhemberg
die Angriffe und Anträge der Commissionen. Man forderte Einfluss-
nahme der Behörden auf das Bankinstitut, während sich der grosse
Credit desselben zumeist durch die Unabhängigkeit von der Hof-
kammer befestigt hatte ; die der Bank überwiesenen Gefälle hatten
unter ihrer Verwaltimg beträchtlichere Ergebnisse geliefert, als
unter der Hof kammer. Der klaren, einleuchtenden Darstellung des
Banco-Deputations-Präsidenten gelang es, die weitgehenden Forde-
rungen der Hofkammer insoweit abzuwehren, als die Geldaushülfe
von 100.000 Gulden monatlich nur bei zulänglichem Cassabestande
der Bank gegen Prolongierung der Gefälle geleistet werden sollte.
Hiemit war jedoch die Angelegenheit nicht abgethan. Die Bank
fiihrte im Jahre 1723 über eine Million Gulden ab, die Hofkammer
forderte aber unbedingt eine jährliche Aushilfe von 1*2 Millionen.
Nicht ohne harten Kampf gelang es Starhemberg, die
neuerUchen Angriffe gegen die Bank abzuwehren. Die Schriftstücke
Starhemberg's, worin er die Ztunuthungen der Hofkammer in
energischer Weise zurückwies und die Nothwendigkeit einer soliden
Digitized by
Google
284
Wirthschaft beleuchtete, sind musterhafte Arbeiten und für seinen
Charakter und Verstand ungemein ehrenvoll. Er müsse, heisst es
in einem Referate, dringende Vorstellungen gegen die der Wiener
Bank von der Hofkammer zugemutheten, ganz unbedeckten Vor-
schüsse erheben, „damit, im Falle untereinsten das Stadtbanco zu-
grunde und hingerichtet werden sollte, ich weder bei Eurer Maje-
stät noch vor der ganzen Welt, am allerwenigsten aber bei dem
allerhöchsten Gott mich einiger schwerer Verantwortung diesfalls
schuldig wissen möge, noch auch, dass durch den, des ganzen
Universi Zerfall nur allzu gewiss involvierenden Umsturz des an
sich so heilsamen Bankinstitutes viele Tausende deren treuherzigsten
Darleiher so unschuldiger, als unverantwortlicher Weise in das
äusserste und unwiederbringliche Verderben gestürzt würden, ich
vor dem strengen Richterstuhle des allwissenden Gottes, ubi nulla
est exceptio personarum et nihil inultum remanebit, zwar bereuend,
aber allzu spät imglückselig seufzen müsse: Vae mihi quoniam tacui".
Wenn es der einleuchtenden Darstellung Starhember g's
gelang, die Angriffe der Hofkammer zurückzuweisen und die
Unabhängigkeit der Bank zu wahren : die Uebemahme von Cameral-
schulden „durch Einräumung einer Scheindotation" konnte er nicht
abwehren. Auch ohne Bedeckung mussten zahlreiche Vorschüsse
gewährt werden. In dem Zeitramne von 1721—1729 betrug die
Gesammtleistung der Bajik über 44 Millio^ien Gulden, wovon sechzig
Procent ohne statutenmässige Bedeckung. ^) Es war dies nur möglich,
weil der Credit der Bank sich hob, so dass auch eine theilweise
Herabminderung der Zinsenauslagen von sechs auf fünf Procent
vorgenommen werden konnte. ^
So bedeutend auch die Unterstützung war, welche die Bank
gewährt hatte, die Ansprüche der Hof kammer waren unerschöpflich.
Am Schlüsse des dritten Jahrzehnts beliefen sich die Zahlungs-
rückstände und die Cameralschulden abermals auf sechs Millionen
Gulden, welche 1731 von der Bank übernommen werden mussten,
und zwar ohne Bedeckung, blos durch Prolongierung der bereits
überwiesenen Gefälle. Auch die Militär- Verwaltung erhielt ein
Darlehen von zwei Millionen Gulden gegen Ueberweisung von
200.000 Gulden jährlich aus der Contribution Nieder-Oesterreichs auf
fünfzehn Jahre. Vorstellungen Starhember g's gegen die stetigen
*) Die Einzelschulden ausführlich bei Mensi a. a. 0. 594 f.
*) 1725 Herabsetzung auf fünf Procent, durch Verordnung vom 24. März
1727 auf sechs Procent erhöht; 1729 neue Einlagen mit fünf Procent verzinst.
Digitized by
Google
285
Forderungen von Aushilfen ohne statutengemässe Bedeckung hatten
zwar vorübergehenden Erfolg, indem der Monarch der wahrheits-
getreuen und eindringlichen Darlegung des Banco-Deputations-
Präsidenten sich nicht verschliessen konnte, aber die Noth war
gross und die Staatsbedürfnisse heischten Befriedigung. ^)
Im Jahre 1730 war fast der dritte Theil der von der Bank
dem Staate vorgeschossenen Summen unbedeckt und wenn
Starhemberg auf die Missverhältnisse aufmerksam machte
und darauf hinwies, dass die Bank dadurch vielleicht in die Lage
gebracht würde, dem Staate in Kriegszeiten keine Hilfe gewähren
zu können, so fruchteten die Vorstellungen nur insofeme, dass eine
Zeit hindurch neue Fordenmgen an die Bank nicht gestellt wurden.
Ja, die Bank musste darein willigen, ihr überlassene Einnahmen an
die Hofkammer abzutreten, wofür ihr die Prolongierung der anderen
Gefälle auf eine grössere Anzahl von Jahren eingeräumt wiurde.
Die Hofkammer konnte dann jene Gefälle, worüber sie durch das
Entgegenkommen der Bank wieder verfügen konnte, zu einer
anderweitigen Anlehensoperation benützen.
Das Jahr 1732 kann als der Höhepunct des Bankcredits
bezeichnet werden. Der Cassastand der Bank belief sich auf mehr
als dritthalb Millionen, Einlagen flössen reichlich zu und Graf
Starhemberg schritt auch an die Herabsetzung des Zinsfusses
*) Für die Finanzlage des Staates bezeichnend ist die Thatsache, dass
es sich bei den steten Ansprüchen der Hofkammer nicht immer um grosse
Beträge handelte. Sehr oft musste die Bank verhältnissmässig unbedeutende
Cameralschulden und verpfändete Objecte, sowie die Bezahlung von Schulden
der Mitglieder des Kaiserhauses übernehmen.
Aus einem geheimen Schriftstücke vom Jahre 1729 sind die verscliiedenen
Cameralschulden, zu deren Uebernahme sich die Bank verpflichten musste,
ersichtlich. Ich hebe aus denselben einige Angaben hervor :
Für geheime Hofausgaben, an die geheime Casse,
wie auch an die regierende und verwittwete Kaiserin,
dann an die Erzherzoginnen 226.125 11.
Für das Hofküchenamt Rückstände 8.164 „
Rückstände des Hof keUeramtes, welche verzinst werden
raussten 126.892 „
Rückstände des Hoffutteramtes, ebenfalls verzinsb'ch 892.623 „
Für Pensionen 145.000 „
Für Gnadenrückstände 481.244 „
u. s. w., der Gesammtbetrag beÜef sich auf 6.520.199 Gulden, wobei aber
bemerkt wird, da ,.verschiedene Cameral-Zahlamts-Extracte abgängig seien",
könne man die Höhe des Betrages nicht ganz genau angeben.
Digitized by
Google
286
von sechs auf fünf Procent und an die Aufliündigung von, in festen
Terminen rückzahlbaren Capitalien. Die Einlagen verminderten
sich trotz dieser Conversionsoperation nioht tmd die Bank hatte
ein nicht unbeträchtliches Zinsenerspamiss erzielt. Diese günstige
Lage der Bank dauerte jedoch nur kurze Zeit. Die Anforderungen
der Regierung in den nächsten Jahren waren beträchtlich; die
Bank masste für den Krieg Vorschüsse machen, die neu eingeführten
Steuern, wie: das ungarische Extraordinariimi, die Vermögens-Steuer
und später die Türken-Steuer, das Subsidium charitativum der
deutschen Reichsritterschaft, die geistliche Decima bildeten die
Grundlage für die neuen Darlehen, allein es wurde auch an die
Bank die Forderung gestellt, 800.000 Gulden ohne Sicherstellung
vorzustrecken, wogegen Starhemberg in beweglichen Worten
die Bedenklichkeit eines derartigen Vorgehens schilderte. Sein
hohes Alter und sein Gewissen, fügte er hinzu, gestatteten ihm nicht,
sich in diesem Geschäfte gebrauchen zu lassen, er verlange nichts,
als sein Gewissen nicht zu verletzen und als ehrlicher Mann zu
sterben. ^) Derartige Vorstellungen wirkten zumeist nur vorüber-
gehend. Da die Einlagen nicht so reichlich flössen, sah sich die
Bank genöthigt, das erforderliche Geld bei Privaten aufzubringen
und höhere Zinsen zu entrichten. Die Gebrüder Palm und das
Haus Tinti bildeten die Vermittler. Allein nicht blos für den
Krieg gewähi'te die Bank Aushilfe. Im Jahre 1736 übernahm sie
diu*ch Contract vom 15. December die Bezahlung der Apanage
für die Erzherzogin Maria Theresia im Betrage von 20.000
Gulden gegen Ueberlassung der Zollgefälle im Glatzischen *), femer
kaiserliche Gnadengaben an einzelne hervorragende Personen,
Gehalt-sansprüche der Beamten u. s. w. Sie verpflichtete sich zur
Verzinsung und Rückzahlung eines Zwangsdarlehens, wozu durch
Hofdecret vom 3. September alle Wohlhabenden geistlichen und
weltlichen Standes verhalten wurden. Während des zweiten
Türkenkriegos waren die baaren Vorschüsse der Bank zwar nicht
bedeutend, aber sie unterstützte die Hofkammer dadurch, dass sie
den ihr verpfändeten schlesischen Fleischkreuzer, sowie auch die
ihr überwiesene Quote des niederösterreichischen Contributionsfondes
gegen Prolongierung der übrigen Bankgefälle abtrat, wodurch es
möglich wurde, bei den niederländischen Ständen und in Holland
*) Conferenz-Protocoll vom 20. December 1734.
*) Die Zollgefälle betrugen 6000 Gulden jährlich, reichten daher nicht
aus. Der Abgang wurde durch Prolongierung der übrigen incorporierfcen
Gefälle bedeckt.
Digitized by
Google
287
neue Anlehen zu machen. *) Auch musste die Bank auf beträcht-
liche Guthaben an das Aerar, im Ganzen 11*6 Millionen, verzichten.
Wie ersichtlich, hat die Bank unter Carl VI. dem Staate
die grössten Dienste geleistet. Eine Darlegung von Starhemberg
beziflfert die gesammten, von der Bank übernommenen Staats-
schulden seit ihrer Errichtung auf 60 Millionen. Allein auch viele
Darlehen an Private wurden auf kaiserlichen Befehl gegeben. So
nicht unbeträchtliche Summen an den Herzog Franz von Loth-
ringen, an die orientalische Compagnie u. dergl.
Schuldentilgung.
Bald nach der Errichtung der Bancalität wurde auch eine
Schulden-Commission zur Prüfung der aus der Zeit vor dem Jahre
1715 herrührenden Schuldforderungen errichtet. Dieselbe war einer
Schulden-Conferenz untergeordnet, an deren Spitze der Bancal-
Gubemator Fürst Trautson stand. Derselben gehörten auch der
Präsident und der Vice-Präsident der Hofkammer an. Von dieser
ergiengen die Aufträge an die Schulden-Casse. Zur Tilgung der
Schulden wurde der Schulden-Casse eia bestimmter Fond zugewiesen.
^) Welch bedeutende Aushilfen die Stadtbank dem Staate gewährt,
machen folgende Angaben anschaulich:
1715—1720 wurden von der Bank haar vorgestreckt 18,049.764 fl.
An Schulden übernommen gegen Fond . 41,322.287 „
An Schulden übernommen ohne Fond . 505.689 „
Einlösung verpfändeter Cameralgefälle . 579.842 „
1721—1729 Cameralschulden übernommen 17,118.501 „
Verschiedene Posten zur Zahlung über-
nommen 12,150.502 „
Cameralgefälle eingelöst 332.611 „
Auf Rechnung der jährlichen Beitrags-
summe von 500.000 fl 4,446.580 „
Femer im Jahre:
1719 den oberösterreichischen Ständen 500.000 „
den niederösterreichischen Ständen 240.000 „
1730 dem Staate vorgestreckt 8,884.549 „
1731 „ „ „ 883.033 „
1732 „ „ „ 898.932 „
1785 „ „ „ 3,333.641 „
1736 „ „ „ 624.752 „
1737—1739 dem Staate vorgestreckt 5,200.000 „
Ueberdies schuldete die Hofkammer der Bank: 1732: 449.539, 1733:
1,289.950, 1734: 390.483.
Digitized by
Google
288
Die Schulden-Commission hatte eine grosse Aufgabe, deren
entschiedene Lösung jedoch nur dann möglich gewesen wäre, wenn
die Mittel zur Tilgung der Staatsschuld aus Ueberschüssen der
staatlichen Einnahmen vorhanden gewesen wären. In Folge der
Verwirrung in allen finanziellen Angelegenheiten hatte man von
der Höhe des Schuldenstandes keine genaue Kenntniss und eine
vollständige Uebersicht scheint man auch nach längerer Zeit nicht
gewonnen zu haben. Namentlich über die Höhe der Cameral-
schulden herrschte Unwissenheit, da die Cameralämter Rückzahlungen
oft gar nicht verbucht haben. ^) Die Schuld en-Conferenz entschied
nicht selbstständig. Ihre Anträge wanderten zunächst zur Hof-
kammer und Bancalität, in letzter Instanz an die Finanz-Conferenz,
wodurch die Erledigung sich natürlich verzögerte. Die Grundsätze,
welche bei den eingehenden Berathungen als Richtschnur für die
Rückzahlung aufgestellt wurden, erfuhren auch später manche Ab-
änderungen. Während Anfangs eine Liste je nach dem Alter der
Schuld entworfen wurde, erhielten jene Gläubiger später eine
Begünstigimg, die sich zu einem Nachlasse vom Capitale herbei-
liessen, ja man nahm auch Anlehen auf, um derartige Rück-
zahlimgen zu leisten, wofür nicht selten höhere Zinsen, als für die
bisherigen Schulden gewährt werden mussten. Mancher Gläubiger
bequemte sich zu einem Anlehen, um für seine alte Forderung
bessere Rückzahlimgs-Bedingnisse zu erlangen. Während der Jahre
1716 bis 1719 wurden neue Anlehen im Betrage von 5-35 Millionen
Gulden aufgenommen und von den alten Schuldposten gleichzeitig
3-G5 Millionen in die neue Schuldforderung eingerechnet. Nach
mehrjährigen Prüfimgen der Schuldposten (der Militär- und Cameral-
schulden) hatte man endlich annähernd eine vollständige Ueber-
sicht über den gesammten Schuldenstand gewonnen, welche durch
die kaiserlichen EntSchliessungen vom 17. Juli 1717 imd 31. Juli
1718 genehmigt und die Rückzahlungstermine festgestellt wurden.
Natürlich konnten diese bei der Finanzlage nicht immer eingehalten
werden. Die Thätigkeit der Commission erhielt nach einigen Jahren
ihren Abscliluss, nachdem der Credit der Bancalität so gesunken
war, dass, wie erwähnt, die gesammten Bancaütäts-Schulden von
der Stadtbank übernommen werden mussten. Eine statutenmässige
Schuldentilgung wiu*de erst nach Beendigung des österreichischen
Erbfolgekrieges in Angriff genommen.
') Finanz-Conferenz-Protoooll vom 7. März 1720.
Digitized by
Google
289
Die venetianischen Botschafter spenden Carl VI. grosses
Lob. Sein ausserordentliolier Fleiss bei Erledigung der Geschäfte,
sein Eifer, sich mit den Verhältnissen der auswärtigen Politik und
mit den inneren Zuständen seiner Länder vertraut zu machen,
leuchten aus der Sorgfalt, welche er der Prüfung der ihm vor-
gelegten Schriftstücke zuwendete, hervor; sie strotzen von eigen-
händigen Randbemerkungen. Nahmen auch die schwierigen Be-
ziehungen zu den europäischen Mächten den Monarchen stark in
Anspruch, auch den inneren Verhältnissen, den wirthschaftlichen
und finanziellen, wendete er vollste Aufmerksamkeit zu ; fortwährend
beschäftigte ihn die Ordnung der trostlosen Fiaanzen und seine
EntSchliessungen bekunden auch eine nicht gewöhnliche Vertraut-
heit mit den einschlägigen Fragen. Nach einer mehr als drei Jahr-
zehnte andauernden Regierung war es ihm nicht geglückt, das in^s
Auge gefasste Ziel zu erreichen. Waren auch die Anforderungen
an den Staatsschatz von Seite der Heeresverwaltung beträchtlich
und in erster Linie die Ursache des chronischen Deficits, so kann
doch darin allein nicht die Erklärung gesucht werden, dass die
unleugbaren Bemühungen zur dauernden Ordnung des Staatshaus-
haltes von Erfolg nicht gekrönt waren. Die Finanzverwaltung war
eine mangelhafte. Graf Dietrichstein, seit 1719 mit der Leitung
der Hofkammer betraut, war seiner Aufgabe nicht gewachsen.
Viele Rathgeber, denen der Monarch mit besonderer Vorliebe
lauschte, zeigten selbst mit den elementarsten Kenntnissen der
Finanzwirthschaft geringe Vertrautheit. In der ersten Zeit scheint
JPürst Trautson das volle Vertrauen OarTs besessen zu haben,
der, wie schon erwähnt, das offene Geständniss ablegte, dass er in
Cameral-Angelegenheiten nicht bewandert sei. Später war Graf*
Harr ach mit der schwierigen Aufgabe beladen. Ersparungen zu
ermitteln, ohne dass die mühevolle Arbeit erspriessliche Ergebnisse
zu Tage gefördert hätte. Die grossen Verdienste des Prinzen von
Savoyen, dessen Kraft auch auf diesem Gebiete in Anspruch
genommen wurde, lagen auf anderen Feldern. Als Feldherr und
Staatsmann ersten Ranges ist es nicht ersichtlich, dass er seinen
mächtigen Einfluss darauf verw^endet hätte, dem Monarchen den
richtigen Weg anzudeuten, der eingeschlagen werden musste, um den
vielfachen Uebelständen ein Ende zu machen. Wie berichtet wird,
waren die Beziehungen des Prinzen zum Grafen Starhemberg
keineswegs inniger Natur, und wenn überhaupt, konnte nur diesem
Manne die Ordnung des Staatshaushaltes gelingen. Von der Tüchtig-
keit dieser an schöpferischen Ideen reichen Persönlichkeit kann
Oesterreichiicher Erbfolgekrieg. I. Bd. 19
Digitized by
Google
290
man nicht hoch genug denken. Die zahkeichen, seiner Feder ent-
stammenden Schriftstücke zeichnen sich durch lichtvolle Klarheit
und ausserordentliche Sachkenntniss aus. Starhemberg hatte
aber auf die Finanzverwaltung keinen massgebenden Eiofluss.
Als Präsident der Muiisterial-Banco-Deputation verwendete er seine
ausgezeichnete Kraft, die Stadtbank musterhaft zu verwalten imd
dadurch allein zu ermöglichen, dass dieses Institut dem Staate
die Mittel gewährte, um seine finanzielle Existenz zu jßristen. Von
allen Seiten angefochten, weil er den fortwährenden Forderungen
der Hofkammer nicht selten energischen Widerstand entgegensetzte,
hat er sich nur durch seine geistige Superiorität auf seinem
schwierigen Posten behauptet. Mit berechtigtem Stolze sprach er
einmal in einem Vortrage die selbstbewussten "Worte aus, dass er
im Stande wäre, eine Vermehrung der staatlichen Einnahmen zu
bewerkstelligen, wenn die Finanzverwaltung nur einige Monate in
seinen Händen läge. Die Uebertragung aller, auf die Finanzen
bezüglichen Angelegenheiten an Starhemberg wäre gewiss von
folgenreicher Tragweite gewesen.
Die Finanz-Conferenz konnte der ihr zugewiesenen Aufgabe
schon aus dem Grunde nicht entsprechen, weil die OentraJ-Behörden, in
erster Linie die Hof-Kanzleien, ohne Rücksicht auf die zur Verfügung
stehenden Einnahmen sich in finanzieller Beziehung keinerlei Be-
schränkung auferlegten und den Aufwand nicht herabminderten.
Es fehlte an einer Körperschaft, welche die Leiter aller Central-
stellen in sich vereinigte, ein Mangel, der von einsichtigen Staats-
männern wohl empfunden wurde. Ueber Eingriffe der böhmischen
Kanzlei wurde in der Finanz-Conferenz fortwährend Klage geführt,
namentlich darüber, dass von ihr Zahlungsanweisungen erlassen
wurden, und der Antrag gestellt, dass die Referate der politischen
Stelle der Conferenz mitzutheilen und erst dann die erforderlichen
Beschlüsse zu fassen seien. *)
An gutem Willen, das Gleichgewicht im Staatshaushalte
herzustellen und zu erhalten, fehlte es zwar nicht, Anläufe zur
Erreichung dieses Zieles wurden wiederholt gemacht, allein die-
selben verpufften. Soweit wir die Dinge überblicken können,
stimmten die Rechnungsabschlüsse selten mit den Voranschlägen
überein, die in der Regel optimistisch gefärbt waren. Die
eigentliche Verwaltung entsprach auch massigen Anforderungen
nicht imd die Apaltierung der Gefälle, d. h. die Verpachtung der-
*) Finanz -Conferenz-ProtocoU vom 25. September 1719.
Digitized by
Google
291
selben lieferte weit geringere Erträgnisse als unter staatlichen
Organen. Die von der Pinanz-Conferenz gefassten Beschlüsse stiessen
bei der DurohfÖhrung auf stetige Gegnerschaft. Die Hofkammer
klagte, dass sie die Pächter der Gefalle in ihren Contracten nicht
„manutenieren" könne, weil sie von den politischen und judiciellen
Stellen vielfach gehemmt werde und die nöthige Unterstützung
und schleunige summarische Justiz zu erhalten, nicht im Stande sei. ^)
Dass die Militärverwaltung mit dem veranschlagten Betrage das Aus-
langen schwer finden konnte, ist begreiflich, wenn die territorialen
Verhältnisse und die politische Lage der Monarchie in Anschlag ge-
bracht werden; allein alle Weisungen, bei der Civilverwaltung und
bei dem Hofstaate eine Verminderung der Ausgaben eintreten zu lassen,
hatten nur einen vorübergehenden Erfolg, da dieselben nach kurzer
Zeit in Vergessenheit geriethen und die angeordnete Verminderung
der Beamten im vollen Umfange nicht vorgenommen wurde. "Während
die Bezüge der Staatsdiener nicht bezahlt werden konnten, spendete
man anderseits mit vollen Händen und die Freigebigkeit des Monarchen
bereitete der Finanzverwaltung Verlegenheiten. Die activen Beamten
mussten sich eine Verkürzung ihrer Bezüge gefallen lassen, während
hochgestellten Personen Geschenke und Pensionen in einem höheren
Ausmasse, als sie forderten, zugesprochen wurden.
Ein grosser Uebelstand für die Verwaltung wcu:, dass die
verschiedenen Oentralstellen ohne strengen Zusammenhalt unter
einander waren, daher bei Fragen, woran mehrere derselben betheiligt
waren, die Entschlussfassung verzögert wurde. Auch durch die
Finanz-Conferenz, die für Finanzfragen in letzter Instanz als be-
rathende Körperschaft bestellt war, wurden die Uebelstände nicht*
beseitigt. An den Verhandlungen der Deputation in dem letzten
Jahrzehnt der Regierung des Kaisers nahmen bei wichtigeren An-
gelegenheiten die Präsidenten der österreichischen Oentralstellen,
sowie der Lsuidmarschall in Nieder-Oesterreich und der Obristland-
marschall in Böhmen Theil. Wurde nun ein Beschluss gefasst, der
Ungarn, die Niederlande oder die italienischen Länder betraf, so
musste wieder mit dem italienischen oder niederländischen Rathe
unter grossem Zeitverlust Rücksprache gepflogen werden, ehe die
betreffende Angelegenheit zum Abschlüsse gebracht werden konnte.
Es fehlte an Politikern nicht, welche dieses sogenannte „Conferenz-
system" bemängelten, dasselbe als „insufficient" bezeichneten und
*; Finanz-Conferenz-Protocoll vom 29. November 1721.
19*
Digitized by
Google
292
einer Conferenz, woran sich alle Minister ausnahmslos zu betheiligen
hätten, warm das "Wort redeten. An den Deputations- Verhandlungen
nahmen zwar die ersten Würdenträger des Staates theil, aber sie
beschäftigten sich nur damit, durch welche Mittel der finanziellen
Noth abgeholfen werden könne, ohne auf den Grang der Verwaltung
Einfluss zu nehmen. Und gerade in dieser Beziehung wäre eine
durchgreifende Neuordnung nothwendig gewesen. Die Verhandlungen
mit den Ständen nahmen Kraft und Zeit in Anspruch und führten
oft zu einem wenig befriedigenden Ergebniss. Von Starhemberg
wurde ein Vorschlag gemacht, mit der Feststellung eines „äqualen
beständigen Steuerfiisses'' und der Ordnung der Regalien eine
Deputation zu betrauen, Abgeordnete aller Landtage und Vertreter
des „gemeinen Mannes" beizuziehen; während die Deputation tage,
die Landtage versammelt zu halten, um mit denselben rasch zur
Erledigung der Geschäfte in Verbindung treten zu können. Eine
Concentration der Geflllle, welche dem föderalistischen Charakter
des Staates gemäss zersplittert waren, wäre die Folge gewesen.
Dieser für die damalige Zeit gewiss grossartige Plan gelangte nicht
zur Ausführung, ebensowenig andere Vorschläge, welche von Zeit
zu Zeit auftauchten und der Vergessenheit anheimfielen.
Selbst auf jenen Grebieten, wo die Verwaltung durch lang-
wierige Verhandlungen mit den Ständen nicht eingeengt ward,
war dieselbe eine schleppende und erst nach langjährigen Be-
rathungen kamen Fragen zum Abschlüsse, deren rasche Erledigung
auch im Literesse der Finanzen nothwendig gewesen wäre. Carl VL
bekundete für die wirthschaftlichen Verhältnisse, namentlich für
Handel und Lidustrie, grosses Literesse, wofür beredte Zeugnisse
in zahlreichen Weisimgen vorliegen, die Entwicklung Triests nahm
seine Aufmerksamkeit in Anspruch, seine Rathgeber standen nicht
auf der Höhe ihrer Aufgaben. Seit dem Passarowitzer Frieden for-
derte der Monarch eine Neugestaltung des Zollwesens, eine Hof-
Commerz -Commission wurde zu diesem Zwecke geschajffen; es
dauerte Jahre, ehe die Berathungen zum Abschlüsse gelangten
und die gefassten Beschlüsse Hessen viel zu wünschen übrig.
Ein trostloses Bild gewähren die letzten Jahre. Die Contri-
bution stand nicht in der von den Ländern bewilligten Höhe zur
Verfugimg. Nahezu die Hälfte musste den Ländern zur Verzinsung
und Rückzahlung der von ümen übernommenen Schulden zurück-
gelassen werden, der Rest war schwer einbringlich. Man unter-
handelte im Auslande über neue Anlehen, aber der unglückliche
Krieg war nicht ohne Einfluss, dass die Capitalisten sich spröde
Digitized by
Google
293
verhielten und viele Versuche, Gelder zu hohen Zinsen zu be-
schaffen, scheiterten. Auch nach Herstellung des Friedens reichten die
ordentlichen Einnahmen nicht aus. In einem Vortrage bemerkte
die Hofkammer, dass selbst, wenn bessere Wirthschaft und eine
grössere Ersparung beim Militär platzgreifen würden, der Staats-
haushalt nicht ohne Anticipationen bestritten werden könne, und
selbst, wenn es gelänge, gewisse Summen zu leidlichen Zinsen zu
bekommen, neue Fonde zur Einhaltung der Verpflichtungen erst
ausfindig gemacht werden müssten, da keine vorhanden seien. Für
1740 waren nicht unbedeutende Summen erforderlich, um die
fälligen Zahlungs Verbindlichkeiten bestreiten zu können. Das
Camerale war mit Schulden so beladen, dass kaum „der Hof zu
leben finde". Die Stadtbank hatte Millionen ohne Fonde über-
nommen, dass man ihr nicht mehr zumuthen konnte. Zur Bestreitung
der Erfordernisse wurde Herabsetzung der Zinsen bei den Länder-
schulden und die Verlängerung der Abzahlungstermine geplant,
Tvozu jedoch erst Verhandlungen mit den Ständen eingeleitet werden
mussten, während die Noth drängte. Der in Sicht stehende Krieg
zwischen Spanien und England drohte, eine reiche Geldquelle zu
verschliessen, da befürchtet wurde, dass die Holländer es vorziehen
würden, sich an englischen Anlehen zu betheiligen. Von einigen
Ejreisen Deutschlands erwartete man Geneigtheit zu Anlehen, wenn
ihnen die „Malefizgerechtigkeit", wie Bartenstein anrieth, über-
lassen würde, da diese „Jura dem Kaiser nichts eintragen, wohl aber
grosse Kosten verursachen und vornehmlich die schwäbischen Ki*eis-
stände sich sehr gekränkt fühlen und wider die Neckereien der ober-
österreichischenBeamten sich beschweren", ein Gedanke, den natürlich
die bedürftige Hof kammer vortrefflich fand und dringend empfahl. ^)
Zu solch' kleinlichen Massnahmen musste man greifen, um nur
die Mittel zur Bestreitung des Staatshaushaltes zu finden. In den
Staatscassen war vollständige Ebbe und die Eathgeber des Monarchen
hielten nach allen Richtungen Umschau, um nur die nothwendigsten
Summen zu beschaffen. Der Ansicht, dass „die Finanzlage im Todes-
jahre Carl VE. unverkennbar eine weit minder ungünstige, als bei
seinem Regierungsantritte" war, wird man schwerüch beistimmen
können. Die Länder erschöpft, mit einer für die damalige Zeit grossen
Staatsschuld beladen: in diesem Zustande hinterliess der letzte Habs-
burger seine Staaten seiner grossen Tochter.
{Adolf Beer.)
») Conferenz-Protocoll, 23. November 1739.
Digitized by
Google
294
Uebersicht der Bewilligungen
Jahren 1716
Jahr
Böhmen
Mähren
Schlesien
Nieder-
Oesterreich
fl. Ikr.
1
fl.
kr.
fl.
kr.
fl.
kr.
1716
2j6ß6,GG6
40
888.888
53V8
1,777.777
46V3
820.000
1717
2,700.000
—
900.000
—
1,800.000
—
900.000
—
1718
3,200.000
—
888.888
40
2,133.000
20
900.000
—
1719
2,866.666
40
955.555
20
1,911.102
40
900.000
—
1720
2,666.666
40
888.888
53V3
1,777.777
46«/3
866.666
40
1721
2,550.000
—
850.000
—
1,700.000
—
866.666
40
1722
2,400.000
—
800.000
—
1,600.000
—
700.000
—
1723
2,325.000
—
775.000
1,550.000
—
700.000 —
1724
2,275.000
—
758.333
20
1,516.666
40
700.000
—
1725
2,250.000
—
750.000
—
1,500.000
—
700.000
—
1726
2,225.000
—
741.666
40
1,483.333
20
700.000
—
1727
2,200.000
—
733.333
20
1,466.666
40
700.000
1728
2,500.000
—
833.333 20
1,666.666
40
700.000
—
1729
2,425.000
—
808.333
20
1,616.666
40
700.000
—
1730
2,425.000
—
808.333 20
1,616.666
40
733.333120
1731
2,600.000
—
866.666 ' 40
1,733.333
20
833.333,20
1732
2,400.000
—
800.000 1 —
1.600.000
—
733.333,20
1733
2,300.000
—
766.666 1 40
1,533.333
20
733 333
20
1734
2,300.000
—
766.666 ' 40
1,533.333
20
733.333 20
1735
3,152.000
—
1,050.666 40
2,101.333
20
900 000 —
1736
3,147.200
—
1,049.066,40
2,098.133
20
900.000; —
1737
3,142.400
—
1,047.466
40
2,094.933
20
900.000
—
1738
3,137.600
—
1,045.866 40
2,091.733
20
900.000
—
1739
3,132.800
—
1,044.266 '40
2,088.533
20
900.000
—
Summe
62,987.000
20,817.888
26^3
41,991.324
53 V2
19,120.000
Digitized by
Google
der Erblande für Militärzwecke
den
bis 1789.
295
esterreich
ob der Enns
Steyermark
Kämthen
Krain
Zusammen
fl.
kr.
fl.
kr.
fl.
kr.
fl.
kr.
fl.
kr.
1
410 000
430.000
_
100.000
_
70.000 ! —
7,163.333
20
450 000
—
430 000
—
150.000
—
70.000
—
7,400.000
—
450 000
—
390.000
120.000
—
70.000
—
8,152.222
—
450 000
—
320.000
100.000
—
60.000
—
7,563.324
40
1 400 000 —
j
280.000
—
120.000
—
60.000
—
7,060.000
—
400.000
—
280.000
—
120 000
—
60.000
—
6,826.666
40
375 000
—
290.000
—
120.000
—
60 000
—
6,345.000
—
350.000
—
290.000
—
120.000
—
60.000
—
6,170.000
—
350 000
—
290.000
—
100.000
—
60.000
—
6,050.000
—
350.000
—
260 000
—
100.000
—
60.000
—
5,970.000
—
350 000
—
260.000
120.000
—
60.000
5,940.000
—
350.000
—
260.000
—
120.000
60 000 -
5,890.000
—
350 000
—
280.000
—
120.000
60.000 i —
6,510.000
—
350.000
—
280.000
—
120.000
60.000 ; —
6,360.000
—
S6ßM6
40
250.000
—
120.000
60.000 —
6,380.000
—
450 000
—
300 000
—
120.000
—
80 000 —
6,983.333
20
see.eeß
40
280.000
—
120 000
—
60.000 —
6,360.000
—
350.000
—
280.000
—
120.000
—
60.000 ,—
6,143.333
20
350.000
—
280.000
—
120.000
—
60.000 | —
6,143.333
20
450.000
—
300.000
—
160.000
—
60.000 —
8,174.000
—
450.000
300 000
—
120.000
—
60.000 —
8,124.400
—
425 000
—
300.000
—
120.000
—
60.000 1 —
8,089.800
—
450.000
—
300.000 ' —
120.000
—
60.000 —
8,105.200
—
400.000
—
300.000 —
120.000 1 —
60.000 —
8,045.600
—
9,443.333
20
7,230.000
—
2,870.000
—
1,490.000
—
165,949.546
40
Digitized by
Google
Digitized by
Google
Das Wehrwesen in Oesterreich.
Digitized by
Google
Digitized by
Google
k
Das Wehrwesen Oesterreichs in den ersten Eegierungsjahren
Maria Theresia's hat bis jetzt keine eingehende Darstellung
geftinden ; die vorhandenen Werke über die österreichische Heeres-
geschichte berühren diese Zeit meistens nur kurz, indem sie von
der glorreichen Periode unter Prinz Eugen von Savoyen mehr
oder minder rasch zu der mit dem Jahre 1748 beginnenden Reform
des Heeres übergehen. ^) Und doch bilden die Jahre 1740 bis 1748
einen sehr wichtigen Zeitabschnitt in der Geschichte der öster-
reichischen Armee ; denn innerhalb derselben erhob sich die letztere
aus einem, nicht nur allein durch die unglücklichen Kriege im
letzten Jahrzehnt Carl VI., sondern nicht weniger durch die XJebel-
stände der staatlichen Verwaltung, durch die geringe Fürsorge, welche
dem Heere gewidmet wurde und durch die Schwäche so mancher mass-
gebender Personen bei den obersten Stellen der Heeresleitung, ver-
ursachten Zustand des Verfalles zu neuem Glänze und innerhalb der-
selben vollzog sich ein bedeutsamer Schritt in der Fortführung des
von Prinz Eugen begonnenen Baues ^, jener Schritt, welcher die
Voraussetzung der späteren Reform wurde. In dem gewaltigen
Ringen auf vier Kriegs-Schauplätzen, zum Theile mit überlegenen
Gegnern, fand die Armee wieder das Bewusstsein neuerwachender
BIraft. Diese Zeit harter Kämpfe zwang die junge Erbin des
*) Von den in Italien und den Niederlanden obwaltenden Verhältnissen
wird dabei gewöhnlich abgesehen. So weit als thiinlich wurde auch auf diese
in der Darstellung eingegangen. Die erhaltenen Acten sind hierüber leider
wenig zureichend und auch sonstige Behelfe ergeben nur ein unvollständiges
Büd. Muss doch ein im Jahre 1874 in Loewen erschienenes Buch (P i o t, Le
r6gne de Marie - Th6r6se dans les Pays-bas Autrichiens) hinsichtlich der
Niederlande für die Jahre xim 1740 von einer Darstellung des Wehrwesens
überhaupt ganz Abstand nehmen und die Schilderung erst mit dem Aachener
Frieden beginnen.
. ') Vergl. „Feldzüge des Prinzen Eugen", I, 182 f.
Digitized by
Google
300
habsburgischen Thrones, viel intensiver und umfassender, als e
bis jetzt geschehen war, ihre Völker unmittelbar zur Vertheidigung
von Thron und Vaterland aufzurufen ; damals zuerst drang das Wort
„Patriotismus" in das Volk und in das Heer, welches bis jetzt
lediglich durch das Band des Eides und der Fahnentreue an das
Herrscherhaus geknüpft gewesen. ^) Wenn dieser Begriff auch noch
lange nicht jene zündende Wirkung ausübte, wie später in den
napoleonischen Kriegen, so rückte er doch den Bürger und
Soldaten unvermerkt einander näher. Während die einzelnen
Truppenköi^er der unmittelbar habsburgischen Länder sich früher
immer nur als ein Theil des Heeres römisch-kaiserlicher Majestät
fühlten, lernten sie sich jetzt, ohne Bundesgenossen „aus dem Reiche",
ja, von dorther am meisten angefochten, als eigentlich öster-
reichische Truppen kennen; dieses nur österreichische
Heer, vorwiegend aus den österreichischen Kronländem sich
recrutierend und von den verschiedenartig alt- und neugeformten
Milizen dieser Länder willig und oft kräftig unterstützt, weckte und
verbreitete zuerst in allen Gauen bei Hoch und Nieder das Gefühl
der Zusammengehörigkeit, die Gesammtstaats-Idee.
Die ersten Kiiegsjahre unter Maria Theresia waren die
Lehrjahre für jene Männer, welche nach dem Frieden den Staat
und die Armee auf neue Grundlagen stellten und für fernere
Kämpfe widerstandsfähig machten : sie haben auch gezeigt, wie die
Länder, von der Monarchin klug zu gemeinsamem Ziele gelenkt,
trotz aller Schwierigkeiten und finanziellen Calamitäten in sich
selbst die Mittel zu ihrer Erhaltung und Vertheidigung in Hülle
und Fülle bargen.
Wahrlich, Johannes v. Müller hat Recht, wenn er sagt ^) :
„Aus der österreichischen Erde springen Männer und Hilfsquellen
hervor, sobald eine selbstherrschende Hand mit Geschick sie berührt."
Das österreichische Heerwesen bewegte sich der Hauptsache
nach noch in jenen Formen, die es unter Eugen's Hand an-
genommen hatte, weil auch die allgemein staatlichen, socialen und
volkswirthschaftlichen Bedingungen, von denen eine Armee immer
abhängen wird, bis nach dem Aachener Frieden im Grossen die-
selben blieben. Vielfach aber lassen sich die Bildungen nach dem-
selben in ihren Wurzeln bis weit in die Zeit vor 1748 erkennen ;
so z. B. die XJmgestaltiuig der Artillerie durch den Fürsten
*) Yergl ehendort I, 184.
2) J. V. Müller, Ueber die Geschichte Friedrich 11. (Berlin 1805.) 12 f.
Digitized by
Google
301
Liechtenstein, die „ordentliche Recrutierung und Ergänzung
der Miliz" des Jahres 1753 (in dem böhmischen Landmiliz-System),
die Umwandlung der Grenz-Truppen in reguläre Grenz-Regimenter,
die Ausgestaltung des Lagenieur-Corps und der technischen Truppen
u. 8. w. Auch die zahlreichen officiellen Reglements, welche von 1748
an erscheinen, sind als einNiederschlag'jener acht schicksalsschweren
und kämpfereichen Jahre zu betrachten. Dagegen ist der Dienst der
Chargen, der innere Dienstbetrieb bei den Truppen und in den
Garnisonen, die Handhabung der Disciplin und der Militärjustiz
bis zu den Reformen Daun's und theilweise selbst über diese
hinaus so geblieben, wie sich die Dinge während und nach dem
spanischen Erbfolgekriege entwickelt haben. Desshalb wurden
Fragen solcher Art in der folgenden Darstellung nicht in ab-
gesonderten Capiteln, sondern nur dort gelegentlich berührt, wo der
Zusammenhang oder die Verständlichkeit es zu erfordern schienen.^)
Als wichtigste Erscheinungen im Heerwesen während des
Erbfolgekrieges müssen bezeichnet werden: die grössere Centrali-
sierung der Armeeleitung im Hof-KJriegsrathe, welcher nur die gegen
Ende der Periode genehmigte Sonderstellung des General-KJriegs-
Commissariats einigermassen zu widersprechen schien, die Um-
gestaltungen in den verschiedenen Gebieten der Militärgrenze, der
Nachdruck, mit welchem die Heeres-Ergänzung sich mehr der
eigenen Landeskinder bemächtigte, damit im Zusammenhange
einerseits die wieder zunehmende Betheiligung des einheimischen
Adels am Officiersdienste an Stelle der bisher unverhältnissmässig
stark vertretenen Fremden, anderseits die erhöhte Bedeutung der
leichten Truppen, vor Allem aber die gegenüber dem wenig
soldatenfreundlichen Carl VI. sich gänzlich verändernde Werth-
schätzung, welcher sich das Militär bei Hofe zu erfreuen begann,
die allerdings erst nach dem Kriege in der Hoffähigkeit der
Officiersurdform ihren offenen Ausdruck fand.
Die Heeresleitung.
Der Allerhöchste Oberbefehl.
Es liegt in der Entwicklung der stehenden Heere, als Stütze
der sich den widerstrebenden Ständen gegenüber herausbildenden
absoluten Herrschermacht, dass der Oberbefehl über die gesammte
') Eine ausführliche und quellenmässige Schilderung derselben findet
sich in „Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen", I, 300 ff.
Digitized by
Google
302
Armee eines Staatswesens dem Landesfürsten zustand. So war
Carl VI., wie seine Vorgänger im Besitze der wiedervereinigten
habsburgischen Länder (deutscher Linie), der oberste Kriegsherr der
aus diesen Ländern hervorgehenden Hausmaoht und vererbte diese
Stellung auch auf seine Tochter Maria Theresia.^) Obwohl
diese bald nach ihrem Regierungsantritte ihren Gemahl Franz
Stephan, den Grossherzog von Toscana, zum Mitregenten er-
nannte und die Anerkennung dieser Eigenschaft auch schliesslich
durchsetzte (1741), Hess sie doch, wie überhaupt die gesammte
Oberleitung des Staatswesens, auch das oberste Verfügungs-
recht über das Heer nicht aus den Händen. Verhältnissmässig
selten finden sich EntschUessiingen und Entscheidungen in mili-
tärischen Dingen, die vom Grossherzog herstammen und dann
meist nur mit der Formel „nomine reginae". Noch seltener
geschah es und wahrscheinlich immer nur in Befolgung speciellen
Befehles, dass Berichte oder Vorträge an den Grossherzog
stilisiert wurden. Trotzdem darf man vielfach die Einfluss-
nahme des Grossherzogs voraussetzen. Aber trotz derselben und
trotz der pflichtgemässen Liformationen des Hof-Kriegsrathes bleibt
es eine ewig denkwürdige Thatsache, dass die geniale Tochter
Carl VI. wie in politischen, so auch in militärischen Fragen den
entscheidenden Punct stets zu treffen wusste, eine Thatsache, die
nur Derjenige voll zu würdigen weiss, der die äusserst zahlreichen
eigenhändigen Bemerkungen auf den Acten des Kriegs- imd des
Hofkammer- Archivs vor Augen gehabt. Und obwohl im Allgemeinen
mit Recht angenommen wird, dass das Weib einem Fürworte
leichter zugänglich sei, als der Mann, muss ausdrücklich betont
werden, dass die Entscheidungen dieses männlichen Geistes in
weiblicher Hülle stets mit dem Blick auf das Allgemeine, auf das
Gesammtwohl des Staates und der Armee im Besonderen getroffen
wurden und dass die mit hohem Gereohtigkeits- und Billigkeits-
gefuhl begabte Frau auf Habsburgs Throne nur dann einen Ein-
zehaen vor den Anderen bevorzugte, wenn sie dadurch dem Ganzen
zu nützen glaubte. Li der Armee erkannte sie ihre festeste Stütze,
als ihr der Thron von allen Seiten streitig gemacht wurde. Daher
*) Die Anneetrauer um Carl VI. (wie auch für Leopold L und
Joseph I.) trat dadurch in die äussere Erscheinung, dass die Officiere vom
Major aufwärts den Flor in der Form der Schärpe am Leibe, die Officiere vom
Hauptmann abwärts den kleinen Flor am Arme, alle Officiere aber den Degen,
Stock imd Hut durch sechs Wochen umflort trugen. (K, A., H. K. R. 1740,
November, 892 Exp.; Prot. Exp. Fol. 8220, 3549.)
Digitized by
Google
303
war sie auch unermüdlich in Vorsorge für das Heer und sie schrieb
am 4. December 1741 an ihren Gemahl, sie erkenne nur allzuwohl,
dass jetzt ihr eigenes Heil und das des Erzhauses Oesterreich nach
Gott auf den Truppen beruhe; mehr als Mutter, denn als Landes-
fürstin wolle sie für dieselben sorgen, in der Zuversicht, sie würden
sich dessen durch treue und tapfere Dienste würdig erzeigen. ^)
Und diese Zuversicht wurde nicht enttäuscht; gegen den halben
Welttheil vertheidigten die Truppen die Eechte imd das Erbe der
jungen Königin, so dass nach achtjährigen Kämpfen nur
Schlesien imd die kleinen italienischen Po-Herzogthümer verloren
giengen, wtJirlich nicht viel im Vergleiche zu den länderhungrigen
Projecten der Feinde. Die Truppen hatten auch das lebhafteste
Gefühl dafür, dass Maria Theresia mit Heranziehung aller nur
verfügbaren Kräfte des Staates für sie sorge imd desswegen erklärt
es sich, dass schon im dritten Jahre ihrer Kegierung eine Medaille
geprägt wurde mit der Umschrift „Mater castrorum". ^
Bei Antritt der Eegierung Maria Theresia's mussten alle
Theile der bewaffiaeten Macht folgenden Eid leisten *) :
„Der Allerdurchlauchtigsten und Grossmächtigsten Frauen
Frauen Maria Theresia, Königin in Hungam imd Böheim,
Erzherzogin zu Oesterreich, Herzogin zu Burgund, in Steyer,
Kämthen und Krain, dann Mailand, Mantova, Parma und Piacenza,
Gräfin zu Flandern, Tyrol und Görz, vermählte Herzogin zu
Lothringen und Bar, Grossherzogin in Toscana, als des weiland
Allerdurchlauchtigsten, grossmächtigsten und ohnüberwindHchsten
Fürsten und Herrn Herrn Carl des Sechsten, gewesten Römischen
Kaisers erstgebomen leibhchen Frauen Tochter und alleinigen
Erbnehmerin aller von dem Höchstseligen besessenen Erb-König-
reiche imd Lande
schwören wir Gegenwärtige
Dero Reich, Land und Leute zu beschützen, Dero Nutz und
Frommen zu befördern, Schaden und Nachtheil zu wenden, unsere
Fahnen und Estandarten nie zu verlassen, sondern als getreue
Soldaten, Unterthanen und Vasallen mit eben derjenigen Pflicht,
womit wir Allerhöchstgedachter weiland kaiserlichen Majestät ver-
bunden waren, gleich es unsere allerunterthänigste Schuldigkeit
*) Arneth, Maria Theresia, n, 2.
•) Meynert, Gresch. d. k. k. Armee, IV, 40.
») K. A., F. A Itaüen, 1740, X, ad 1.
Digitized by
Google
304
mit sich bringet, Höchstderoselben Gerechtsame zu verfechten
und zu handhaben, auch in allen Occasionen zu Wasser und zu
Land wider und gegen den Feind uns also zu verhalten, wie es
mannhaften, getreuen imd ehrlichen Kriegsleuten zu- und wohl
ansteht".
„Dass wir allem dem, so uns vorgelesen worden und wir wohl
verstanden haben, getreu und ohnverbrüchlich nachkommen sollen
und wollen, geloben wir mit au%ehobenen Schwörfingem, so wahr
uns Gott helfe und sein heüiges Evangelium. Amen."
Die Ausübung der militärischen Oberhoheit durch die Landes-
fürsten war übrigens um 1740 noch vielfach unterbunden und zwar
durch manche althergebrachte Gepflogenheiten, dann durch ererbte
Rechte und Pflichten der Stände in Bezug auf Stellung der Ee-
cruten, Verpflegung der Truppen auf Märschen und in den Quar-
tieren, Aufbringung des Geldes für die Armee, u. s. w. ; Graf
Haugwitz erkannte frühzeitig das Schädliche dieser Sachlage und
erklärte schon 1742 in einer kurz nach dem Breslauer Frieden an
Maria Theresia gerichteten Denkschrift für nothwendig, alle
Verfügungen, welche sich auf das Militärwesen bezögen, aus den
Händen der Landstände zu nehmen und in denjenigen der Re-
gierung zu vereinigen. ^) Li diesem Sinne setzte dann auch that-
sächlich die Reorganisation der Armee nach dem Aachener Frieden ein.
Li Ausübung des Oberbefehles standen der Monarchie zur
Verfügung: der Hofkriegsrath, die in einem der vorhergehenden
Abschnitte dieses Buches zu würdigende Hofkammer und das zu
diesen beiden in einem eigenthümlich schwankenden Verhältnisse
stehende, formell beiden untergeordnete und doch factisch fast
selbstständige , schliesslich ihnen gleichgestellte General-Kriegs-
Commissariat.
An kaiserlichen Leibgarden bestanden im Jahre 1740
die Arcieren- (Hartschier-) Garde zu Pferde und die Trabanten-
Garde zu Fuss. Beide unterstanden dem Obersthofmeister-Amte und
verursachten demselben unter Carl VI. eine Ausgabe von 37.578,
beziehungsweise 19.296 Gulden und unter Maria Theresia
(1747) von 32.000, beziehungsweise 18.600 Gulden. 2)
*) Arneth, Maria Theresia, IV, 11.
«) Hofk. Arch., Homnanz, 3. October 1747; Unter Ferdinand m.
26.924, beziehungsweise 14.748 fl., unter Leopold L 25.512, beziehungs-
weise 12.836 fl., unter Joseph J. 27.074, beziehungsweise 12.784 fl.
Digitized by
Google
305
Die Arcieren-Garde (welche erst 1763 in die deutsche
adelige G-arde verwandelt wurde, nachdem drei Jahre vorher die
ungarische adelige Leibgarde errichtet worden) hatte im Jahre 1740
folgenden Stand : ein Hauptmann (Feldzeugmeister Graf Heinrich
Dann), eia Lieutenant, ein Oberfourier, ein TJnterfourier, ein Adju-
tant, fünf (1747 : 5, 1748 : 4) Rottenmeister, 95 (1747 : 78, 1748 : 50)
Arcieren, sechs Trompeter, ein Pauker, ein Feldscherer, ein Schmied
und ein Wachtknecht.
Die Trabanten-Garde: ein Hauptmann (G. d. C. Graf
Cordova), ein Oberfourier, ein TJnterfourier, zehn (1747 und
1748:9) BrOttenmeister, neunzig (1747:89, 1748 : 68) Trabanten, ein
Tambour, ein Pfeifer und ein Wachtknecht. *)
Jeder Mann der beiden Qttrde-Oompagnien hatte seit den
ältesten Zeiten das Privilegium, in seinem Quartier "Wein und Bier
zu schänken oder dieses Recht an irgendjemand gegen Entgelt
abzutreten. Da sich aber die bürgerlichen Gustwirthe Wien's hiedurch
beeinträchtigt fiihlten, so zahlte die Stadt mit Zustimmung des
Hofes jedem Manne der Garden jährlich 60 Gulden „Zapfengeld" als
Privilegiums- Ablösung.
Jeder Mann der Arcieren-Gtu:de musste sich sein Pferd selbst
beschaffen, wozu er „das gewöhnliche Pferde-Adjutum" von 25
Gulden erhielt. *)
Im Jahre 1745 wurde die grossherzoglich toscanische
Schweizer-Garde in österreichische Dienste übernommen. ^)
Die Officiere derselben waren mit Partisanen, die Mannschaft
mit Hellebarden, Officier und Mann noch mit Säbeln bewehrt.
Die Schweizer-Garde, deren „Obrister" gleichfalls Graf Cordova
war, bestand im Jahre 1747 aus einem Hauptmann, einem Lieu-
tenant, einem Unterlieutenant, einem Fähnrich, einem Kaplan,
einem Secretär, einem Wachtmeister, einem Fourier, einem Feld-
scherer, einem Profossen, vier Corporalen, vier Spielleuten und
81 Mann; diese kosteten jährlich 15.710 7« Gulden.*)
») Staats-Kalender oder Hof-Schematismus 1740-1748; Hofk. Arch.,
Hoffinanz. 29. März 1747. Der Act: Hoffinanz, 28. März 1748 gibt fOr die
Trabanten-Garde mir zwei Rottenmeister imd vierzig Trabanten an; diese
Garde trog eine rothe Livree.
*) Hofk. Arch., 'Hoffinanz, 14 Juli 1747.
^ Ebenda, 19. August 1746.
*) Ebenda, 9. März 1747. — Adam Wolf (Oesterreich unter Maria
Theresia, 142) hält irrthümlich die Trabanten- und Schweiaer-Gfarde für eine
und dieselbe Garde.
Oesterreiohisoher Erbfolgekrieg. I. Bd. 20
Digitized by
Google
306
InBrüssel bestanden für den Dienst beim Greneral-Gouvemeur
zwei Leib-Oompagnien : 1. Die „Trabanten der adeligen Leibwache
Seiner Majestät" und 2. die Compagnie der Hellebardiere. *) Ueber
ihre Stärke und Kosten liegt keine weitere Nachricht vor.
Der Hof-Erlegsrath.
Nach der im Jahre 1705 „zur Verhütung grösserer Disconcerti"
erfolgten Auflösung des innerösterreiohischen Hof-Kriegsrathes in
Graz und der oberösterreichischen Kriegs-Stelle in Innsbruck war
der iinter Kaiser Ferdinand I. entstandene kaiserliche Hof-
Kriegsrath in Wien die alleinige Centralstelle für die Leitung des
kaiserlichen Kriegswesens. ^
Nach dem Tode Carl VL, wie jedesmal nach dem Hin-
scheiden eines Kaisers aus dem Hause Habsburg bis zur Neuwahl eines
solchen, führte der Wiener Hof-Kriegsrath den Titel „Ihrer römisch-
kaiserlichen Majestät hinterlassener kaiserlicher Hof-Kriegsrath",
auch kürzer „Hinterlassener kaiserlicher Hof-Kriegsrath". Erst nach
dem Frieden von Füssen (22. April 1746), in welchem Maria
Theresia nachträglich die Kaiserwürde Carl VJLL. anerkannte,
hiess der Hof kriegsrath „königlicher Hof-Kriegsrath".*) Seit der
Kaiserwahl Franz I. (13. September 1745) hiess er „kaiserlich-
königlich" und mit ihm ebenso die ganze Armee.**)
Die letzte Instruction, welche vor dem Tode Carl VI. für
den kaiserlichen Hof-Kriegsrath erlassen worden war, stammte aus
dem Jahre 1650.*) Sein Wirkungskreis, der sich im Laufe der Zeit
herausgebildet hat, ist in folgenden Puncten runschrieben :
*) Actenstücke, zur Geschichte der österreichischen Niederlande gehörig
(1787), 164.
•) Feldzüge des Prinzen Eugen, VHI, 57 £
«) K. A., H. K. R., 1745, April 1008, Exp. und 11, Reg.
*) K. A., H. K. R, 1745, Prot. Reg. fol. 2273 (September 6). Maria
Theresia hatte vor ihrer Abreise nach Frankfurt den Befehl hinterlassen, dass
nach solch' erwünschtem „glücklichem Ausgang der Wahl", der Hof-Kriegsrath
und die Armee sich selbst „kaiserlich-königUch" nennen tind von andern so
genannt werden sollten. (H. K. R. 1745, IX. 8).
^ K. A., Kanzlei- Archiv, IX, 7. Abgedruckt bei F im h ab er, Skizze der
Entstehung des Hof-Kriegsrathes (Archiv für österreichische Geschichte,
30. Band, 163). Die ebendaselbst, 165 flf. mitgetheilte „Instruction für den Hof-
Kriegsrath" vom 6. April 1675 gilt nicht, wie aus der unvoUständigen Ueber-
schrift geschlossen werden könnte und aucK geschlossen worden ist, för den
Hof-Kriegsrath zu Wien, sondern für den innerösterreichischen
zu Graz.
Digitized by
Google
307
1. Vermittlung des Befehles zwischen dem Kaiser und den Feld-
herm und Truppen durch Eeferate und Anträge an Allerhöchster Stelle,
dann durchFormulierung der vonletzterer getroffenenEntecheidungen.
2. Beantragung und Durchführung aller organisatorischen
Yerfiigungen.
3. Vorschläge zurEmennimg der Feldherren und ihrer Hilfs-
organe, der Festungs-Commandanten und Regiments-Inhaber, Be-
förderung der Generale, der Obersten und der ausserhalb der Regi-
menter stehenden Stabsofficiere, Ausfertigung der Patente und Be-
stallungsbriefe, Verfassung der Instructionen bei Verleihung besonderer
Coromanden und sonstiger Functionen. In diesen Angelegenheiten
sowohl, als auch bezüglich der Justizpflege über Individuen vom
Stabsofficier aufwärts, dann in Hinsicht auf deren Beurlaubung und
Entlassung blieb die Entscheidung dem Monarchen vorbehalten.
4. Die Heeresergänzung und Beschaflfimg des Kriegsmaterials
im Einvernehmen mit der Hofkammer und dem Öeneral-Kriegs-
Commissiariate ; mit letzterem auch die gesammte Standes-Controle.
5. Die Zusammenstellung von Directiven für das Gebühren-
und Proviantwesen, im Einvernehmen mit dem General-Kriegs-
Commissariate und dem Obrist-Proviant-Amte.
6. Das gesammte Artillerie- und Zeugwesen durch Vermittlung
und nach Anhörung des Obrist-Land- und Haus-Zeugamtes,
7. Das Befestigungs- und Militär-Bauwesen durch das Forti-
fications-Bau-Zahl-Amt und hiezu eigens berufene Ingenieure.
8. Die Angelegenheiten des Schiffs- und Brückenwesens durch
das General-Küegs-Commissariat und das Obrist-Schiff-Amt. ^)
Hienach war der Hofkriegsrath schon instruotionsgemäss nur
in wenigen Fragen ganz unbeschränkt und daher einer kraftvollen
Initiative nicht fähig, ausser wenn ein Präsident von der Bedeutimg
wie Prinz Eugen an seiner Spitze stand, dessen Gewicht übrigens
noch dadurch wesentlich vermehrt wurde, dass er auch die äussere
Politik des Kaisers leitete. Als aber diese Alle überragende Per-
sönlichkeit aus dem Leben geschieden war, da machte sich ein solches
Wettlaufen der verschiedenen Ministerien um den grösseren Einfluss
geltend, dass Carl VI. sich gelegentlich der Berathungen über
die Neugestaltung des Heerwesens nach dem letzten Türkenkriege
bewogen fand, die Nothwendigkeit scharf zu betonen, dass nicht
*) Ausser diesen militärischen Aufgaben oblag dem Hofkriegsrathe bis
1720 auch der diplomatische Verkehr mit Eussland imd der Türkei, seit dem
genannten Jahre bis zur Errichtung der Hof- und Staatskansdei (1742) nur
noch mit der Türkei allein.
20*
Digitized by
Google
308
jede Hofstelle und Kanzlei auf ihr Ressort allein, sondern dass
alle das Gesammtstaats-Interesse im Auge haben
m ü 8 s t e n, damit die nöthige Sparsamkeit und Schonung der Länder
mit der Sicherheit des Reiches in Einklang gebracht werde. ^) Aber
die Mahnung des Kaisers fruchtete nicht viel.
Das General-Kriegs-Oommissariat liess sich dem Hofkriegs-
rathe gegenüber manche Eigenmächtigkeiten zu Söhulden kommen,
welche in den Acten ihren gelegentlichen Ausdruck finden. Und
selbst nachdem das Commissariat im Jahre 1746 dem Hofkriegs-
rathe gleichgestellt worden war, bestand der alte Zwiespalt zwischen
beiden Behörden fort, so dass eine Stimme aus dem Jahre 1750
dem Hofkriegsrathe Mangel an genügender Autorität zuschrieb. ^
Nicht nur der italienische Hofrath in Mailand hinderte wieder-
holt die militärische Befehlsgebung der Wiener Centralstelle
durch ganz gegentheilige Anordnungen '), sondern auch die inner-
österreichische Kriegs-Stelle opponierte vielfach derselben trotz
wiederholter „scharfer Rescripte" aus Wien, indem sie z. B. im
Jahre 1736 durch Nichtanlage von Magazinen den Durchmarsch
der aus Italien kommenden Truppen bedeutend erschwerte.*) Die
Grazer Kriegs-Stelle war 1735 sogar so weit gegangen, dass sie
deutlichen kaiserlichen EntSchliessungen in Gtrenz-Angelegenheiten
direct entgegenhandelte. *)
Schlimmer stand es um den Hof-Kriegsrath, wenn dessen
Präsident auch in der Umgebung des Kaisers sehr gewichtige Ein-
flüsse zu bekämpfen hatte, welche zwar nicht die Verantwortung
für die Leitung des Militärwesens übernehmen, dieselbe aber doch von
sich abhängig zu machen versuchten. Feldmarschall Graf Harr ach
äusserte sich einmal sehr unwirsch darüber, dass Leute, die vom
Kriegswesen und Friedensystemen gar nichts verstünden, trotzdem
auch in militärischen Dingen auf den Kaiser Einfluss nähmen und
ihn so verwirrten, „dass der Letztere nicht wisse, wem er glauben
solle und in Gefahr stehe, allerlei verkehrte Resolutionen zu fassen.^
*) Hofk. Arch., Reichs-Acten, Fase. 165, Beputations-Protocoll, 5, No-
vember 1739 (Resolution des Kaisers).
>) K. A. Memoiren, IX, 259.
») K. A., H. K. R., 1743, Prot. Reg. 1291.
*)Angeli, Der Krieg mit der Pforte 1736— 1739 (Mittheilungen des
k. k. Kriegs-Archivs, VI, 1881), 262.
*) Vani6ek, Special-Geschichte der Militär-Grenze, I, 229 f.
^ K. A.; F. A. Türkenkrieg, 1739, XI, 5. Harrach an Prinz Hild-
burghausen, 16. November 1739. (Original). „Die Nachwelt wird sagen.
Digitized by
Google
809
Am bedenklichsten aber mnss es scheinen, dass sich innerhalb
des Hof-Kriegsrathes selbst Unregelmäesigkeiten eingebürgert hatten,
welche die herbste Kritik berufener Zeitgenossen hervorriefen. Zu
deren Verständniss ist es nothwendig, zuerst über die Zusammen-
setzung und den Geschäftsgang des Hof-Kriegsrathes das Wichtigste
zu sagen.
Im Jahre 1740 (respective 1741) hatte derselbe folgenden
Personalstatus : einenPräsidenten seitEnde 1 738 (Feldmarschall Joseph
Graf H a r r a c h) ; einen Vice-Präsidenten (Feldmarschall Ludwig An-
dreas Graf Khevenhüller); 25 (29) EÄthe aus dem Herrenstande;
davon waren jedoch instructionsgemäss nur die fünf ältesten der
nicht durch ein Commando oder Landesamt von Wien abgehaltenen
Ernannten zur Theilnahme an den Geschäften berufen und besoldet,
darunter jedenfalls der Stadt-Commandant von Wien ; elf (fünßzehn)
Käthe ausser dem Herrenstande (darunter die vier „geheimen
ßeferendarien" : G. v. Lachawitz, von W ö b e r , Ignaz v.
Koch und Ad. 0. Weingarten); femer 28 (27) Secretäre, 1
(1) Eegistrator, 2 (2) Adjuncten des Eegistrators, 3 (3) Kegistranten,
2 (2) Expeditores, 2 (2) Adjuncten der Expeditoren, 2 (3) Eegi-
stranten, 16 (15) Concipisten, 2 (2) Concipisten-Accessisten, 17
(16) Kanzlisten, 20 (25) Accessisten, 2 (1) Thürhüter, 4 (4) Kanzlei-
diener, 1 (1) Heizer, 1 (1) Archivar, 1 (1) Adjimct des Archivars,
1 (1) Archiv-Registrant, 1 (1) Archiv-Diener. ^) Von den Referen-
daren angefangen nach abwärts war das ganze Personale vom Civü-
stande.
Aus einer Zuschrift des Hof-Kriegsrathes vom 20. August 1743 ^
an die Hofkammer geht hervor, dass die Beamten des ersteren
schon seitEnde October 1741 keine Bezahlimg mehr erhalten hatten,
weil die ungarische Contribution, auf welche die Besoldimgen der
Hof -Kriegskanzlei bis dahin gewöhnlich angewiesen waren, von
diesem Zeitpuncte an ganz für die sechs neuen ungarischen
Infanterie-Regimenter verwendet wurde. Der Präsident des Hof-
der H a r r a c h, selbmaliger Kriegs-Präsident, muss ein rcjghter .... gewesen
sein, d&88 er dem Kaiser derlei verteufelte militärische Vor- und Anschläge
gegeben und resol vieren machen ; man wird nicht wissen, dass solches Alles
wider meinen Willen geschehe."
Auch unter Maria Theresia hat das auf grösseren Einfluss bei
Hofe hinarbeitende Intriguenspiel verschiedener Persönlichkeiten lähmend auf
den Hof-Kriegsrath eingewirkt, wie aus einem Schreiben des Hof kriegs-Justiz-
Rathes Dierling an Khevenhüller erhellt. (K, A., H. K. R 1743, 1, 1)
*) Staats-Kalender oder Hof-Schematismus der Jahre 1740, 1741.
^ Hofk. Arch., Hoffinanz, 20, September 1743.
Digitized by
Google
810
Kriegsrathes bezog als solcher jährlich 18.000 Gulden, ausserdem
die Q-ebühren eines activen Generals seiner Charge und wenn er
ein Eegiment hatte, auch die Gebühr des „wirklichen Obersten".
Die Bezüge des Vice-Präsidenten und der Eäthe aus dem Herren-
stande waren mit Rücksicht auf die von ihnen gewöhnlich noch
sonst bekleideten Aemter ziemlich gering bemessen, so z. B. für
den Feldmarschall KhevenhüUer, welcher zugleich comman-
dierender General -von Slavonien war und für den zugleich als
Stadt-Oommandanten von Wien fungierenden Feldmarschall Heinrich
GrafenDaunnur mit je 800 Gulden jährlich, wogegen dieGeneral-Feld-
waohtmeister Rudofsky und Löwenwolde als Hof-Kriegsräthe
jährlich je 2000 Gulden hatten. Von den eilf Hof-Kriegsräthen ausser
dem Herrenstande (1741) erscheinen einer (Lachawitz) mit 3200
Gulden, drei (W ober, Koch, Dierling) mit 3000 Gulden, einer
(Hefenstock) mit 2300 Gulden, vier mit 2000 Gulden und zwei
mit 1500 Gulden Jahresgehalt. Von den Secretären genossen nur
zehn einen Gehalt von je 1000 Gulden, die übrigen Secretäre und
alle anderen Beamten der Hof-Küegskanzlei Besoldungen ver-
schiedener Höhe unter 1000 Gulden. Die Gesammtkosten für das
Personale des Hof-Kriegsrathes betrugen einschliesslich der bewil-
ligten Pensionen jährlich 73.098 Gulden.
In allen Geld- Angelegenheiten hieng der Hof-Kriegsrath voll-
ständig von den Mitteln und manchmal auch von dem guten Willen
der Hofkammer ab. Sogar das Papier wurde von der letzteren zu-
gewiesen. ^) Nur die Taxen bildeten eine eigene Einnahms-Quelle,
welche dem Personale der Kanzlei zugute kam; deren ungleich-
massige Auftheilung gab aber zu mancherlei Klagen Anlass.
Die Geschäfte des Hof-Küegsrathes theilten sich in „Publica"
und „Judicalia". Letztere wurden meist von eigenen Hof-Kriegs-
Justizräthen besorgt, waren aber bis 1745 noch nicht strenge ge-
schieden, so dass hieraus manche TJebelstände erwuchsen. Die
„Publica" zerfielen in die eigentlichen militärischen und in die
*) Hofk. Arob. Hoffinanz, 22. August 1714. „Von uralten Zeiten her"
erhielt der Hof-Kriegsrath von der Hof kammer folgendes Quantum :
14 Ballen, 5 Eies weisses Papier, 8 Ballen, 5 Ries Concept-, 16 ßies Post-,
6 Ries Median-, 4 Ries Regal-Papier.
1744 verlangte der Hof-Kriegsrath „eine gefäUige Zulage" von acht bis
neun Ballen weissen, sechs Ballen Concept- und acht Ries Postpapieres. Der
Hofkammer-Präsident Graf Dietrichstein aber bewilligte eigenhändig
„so lang der Krieg dauert, mithin ein grösseres Erfordemiss an Papier nöthig,
jährlich über das ordinaro sechs BaUen Kanzlei-, vier Ballen Concept- und
sechs Ries Post-Papier".
Digitized by
Google
311
ökonomisch-administrativen Geschäfte, welch' letztere dem mass-
gebenden Einflüsse der Hof kammer und des General - Kriegs-
Commissariats unterworfen waren.
Innerhalb des Hof-Kriegsrathes sollten instructionsgemäss alle
Heeres-Angelegenheiten in commissionellen Sitzungen berathen
werden.
Für Verpflegs- und Quartier- Angelegenheiten, fiir das Waffen-
und Munitionswesen, für die Angelegenheiten der ungarischen
Garnisonen und der immobilen Besatzungs-Truppen, für die Invaliden-
Angelegenheiten, dann für die Truppenexcesse in den Winter-
quartieren bestanden stabile Oommissionen. In besonders wichtigen
Angelegenheiten, z. B. Truppen-Reductionen nach einem beendeten
Kriege, wurden auf Befehl des Kaisers oder auf Anregung des
Hof-Kriegsrathes die Gutachten hervorragender Generale eingeholt
und dann erst ein endgiltiger Vortrag an den Kaiser verfasst.
Militärische Fragen, bei welchen das Ressort einer oder mehrerer
Hofstellen berührt wurde, gelangten sehr häufig auf Grund von
gemeinsamen Oonferenz- oder Deputations-Sitzungen, deren Proto-
coUe dann dem Kaiser vorgelegt wurden, zur Entscheidung.
Der normale Geschäftsgang war im Allgemeinen schwerftLllig
und umständlich. Ueber die eingelaufenen Schriftstücke wurde ein
Referat verfasst, welches weitschweifig den Inhalt der Einlaufe mit
allen Gründen für und gegen wiedergab und mit dem Antrag des
Hof-Kriegsrathes schloss. Nur selten und wenn der Gegenstand
besondere Eile erforderte, fand eine Abweichung von dieser Ge-
pflogenheit statt.
Der Verkehr mit den anderen Hofstellen war gleichfalls ein
sehr langsamer ; gewöhnlich liegt zwischen dem Datum einer Aus-
fertigung des Hof-Kriegsrathes und der Präsentierung bei der Hof-
kammer eine Zeit von zwei bis vier Wochen. Nur sehr selten und
in besonders dringenden Fällen vermindert sich dieser Zeitraum
auf einen oder mehrere Tage. ^)
In der Armee empfand man die Schädlichkeiten dieses lang-
samen Verkehrs zwischen den Behörden, welche bei damaligen
*) Die Verständigung der Hofkammer von der Ernennung des Feld-
marschalls Grafen Königsegg zum Obrist-Land- und Haus-Zeugmeister war
beim Hofkriegsrathe unter dem 7. August 1741 ausgefertigt, gelangte aber
erst Anfangs Januar 1743 wirklich zur Hofkammer, welchen Umstand diese
selbst eben nicht sehr eilfertige Hofstelle eigens constatierte. (Hofk. Arch.,
Hoffinanz, 10. Februar 1743.)
Digitized by
Google
312
Post- und Wegverhältaiissen zwischen Wien und den Provinzen
sich nur potenzieren mnssten, . sehr wohl. ^)
Füi- den Verkehr zwischen den obersten Militärbehörden und
den Truppen bestand kein geregelter Dienstweg. Der Hof-Kriegsrath
verständigte zwar die General-Commanden von den Truppen-
bewegungen, verkehrte aber sonst mit den Regimentern, ausser
wenn sie bei der Armee im Felde eingetheilt waren, in allen An-
gelegenheiten direct.
„Es ist aber nöthig, dass man wegen der Correspondenz mit
dem Hof-Kriegsrath einige Ordnung einführe, dass nämlich keinem
Subalternen erlaubt sei, dem Hof-Kiiegsräth zuzuschreiben, es wäre
dann, dass Jemand sich zu beklagen habe und keine Aufrichtung
von seinen Oberen bekommen könnte. Dann dieser Abusus ist also
sehr eingeschlichen, dass sogar Fähndrich, auch Ünter-Officiers- und
Primaplana-Personen dem Hof-Kriegsrath ohne Vorwissen ihrer
Obern, um Avertamenten, Aggregationen, Verlaub, sich vom
Eegimente zu begeben, dann abermal Prolongationen, die ünter-
Of&ciers um Abschied etc. zugeschrieben, dass mehrmal die Com-
mandanten der Regimenter sich beklagt, dass sie zu Jahr und Tag
öfters die Officiere nicht gewusst, wo sie sind." ^ Ausdrücklich
giebt der Verfasser des „Vorschlages' ^ welchem die vorstehenden
Zeilen entnommen sind, Bestechung seitens der Officiere und
Eigennutz seitens der Functionäre des Hof-Kriegsrathes als Ursachen
der berührten Zustände an.
Kein Geringerer als Feldmarschall Graf Khevenhüller
bestätigt das Vorhandensein solcher und anderer Uebelstände im
Hof-KIriegsrathe. In einem Gutachten vom 7. September 1740^)
bezichtigte er direct die bei demselben eingeschlichenen Unord-
nungen und Missstäude der Mitschuld an dem im Militärwesen ein-
gerissenen Verfall.
Er tadelte, dass die Einlaufe ad publica nur vom Präsidenten
Grafen H a r r a c h und dem Referendar v. W ö b e r eröffiiet und
^) So bat Feldzeugmeister O'Gilvy in Prag im December 1740 den Hof-
Kriegsrath, es möge doch bezüglich der für Glatz zu treffenden Vertheidigungs-
anstalten die böhmische Hofkanzlei angegangen werden, diese Dinge direct
zu veranlassen, „massen durch die hin und wieder zu erstattenden Berichte
vieleZeit verzelirt und der Herrendienst gehemmtwerde. (Duncker, Die Invasion
Schlesiens 1740; 53, Anm. 3.) Mittheüungen des k. k. Kriegs- Archivs, X, 1885.
') K. A., Memoiren, IX, 56. Der Name des Verfassers dieses „Vorschlags"
über eine bessere Einrichtung des Hof-Kriegsrathes ist nicht bekannt.
8) K. A., H. K. K, 1740, September, 842, Exp. (Original)
Digitized by
Google
313
ohne jeden Einfluss der übrigen Hof-Kriegsräthe, aber doch im
Namen des gesammten Hof-Kriegsrathes erledigt würden; ins-
besondere handle Wöber oft nur allein nach seinem Ermessen;
das sei unter Guido Starhemberg und Prinz Eugen nicht so
gewesen. Durch verschiedene Anlässe hätten die Referendarien die
Erledigungen an sich gebracht, die fiiiher nur nach Rathssitzungen
getroffen worden seien. Die Referendare holten oft nur zum Scheine
des Präsidenten Befehle ein, träfen aber dabei die Entscheidungen
eigenmächtig, um ihre Macht und ihren Einfluss zu zeigen; wenn
sich aber hinterher ein Nachtheil herausstellte, so wälzten sie die
Schuld auf den Befehl des ahnungslosen Präsidenten. Auch liessen sie
aus Bequemlichkeit die Referate an den Kaiser, wie es doch
ihrem Titel nach ihnen zukomme, durch niederere Beamte und
auch sonst wichtige Erledigungen durch nicht informierte Subaltem-
beamte anfertigen und doch Namens des ganzen Hof-Kriegsrathes
mit der allgemeinen Formel, ohne specielle Namensbeisetzung unter-
zeichnen. So seien oft die gröbsten Irrthümer geschehen und der
Dienst in Gefahr gerathen; davon zu geschweigen, was für Unter-
schleife sieh bei dieser Art Geschäftsgebahrung einschleichen müssten.
Diese Missbräuche hätten sich schon in der letzten Zeit des Prinzen
Eugen eingebürgert. Der Kaiser habe nach dessen Tode schon
angeordnet, dass Alles wieder, wie vorher, gemeinsam berathen und
den Referendarien ressortmässig zur Erledigung zugewiesen, deren
Concepte aber nachher vom Vice-Präsidenten durchgesehen werden,
ob die Ausfertigung dem Rathsbeschlusse gemäss sei. Aber das
kam nicht ganz zur Durchführung ; denn : „Obschon die Referendarii
in denen Referaten zugegen seind, so weiss der Herr v. Wöber
sich dannoch das Ober-Directorium zu attribuieren und dasjenige,
was ihm beliebt und anständig, von anderen Departements heraus-
zuklauben und sich zu arrogieren, ja in die „hacklichen" Justiz-
geschäften selbst extra ordinem sich einzumengen und es existieren
Exempla, dass er sogar, was in dem Rath ausgemacht worden, auf-
gehalten (denen beliebten Parteien zu favorisieren) und autoritative bei
sich expedieren lassen. Von denen geschiehet es, dass durch dergleichen
a recto tramite deviierende Expeditionen die andern Referendarii,
die von dem Vorgegangenen weder Nachricht, noch Einsehen haben,
irre gemacht werden, änderst expedieren; mithin entstehen, wie
es bekannt, Contradiotionen; diejenigen, an welche rescribieret
wird, werden confus gemacht und in fine das ansehentliche Bjriegs-
Dicasterium selbst mit denen Capi und membris vor der Welt
prostituieret und verkleinert." Wenn er als Vice-Präsident, seiner
Digitized by
Google
314
Pflicht gemäss, die Concepte zur Einsicht verlange, so schicke man
ihm meist nur unwichtige und selbst diese enthielten oft nicht den
vollständigen Eathsbeschluss, nicht selten das Gegentheil desselben.
Referate an den Kaiser und dessen Entscheidungen erfahre er als
Vice-Präsident häufig von einem Dritten als Neuigkeit. Er müsse
sich oft schämen, wegen mangelhafter Informationen über Dislo-
cationen, Repartitionen, Commissions- Verhandlungen, Capitulationen
und andere wichtige Angelegenheiten nicht abstimmen zu können.
Ihm selbst sei dieser Zustand eigentlich nicht zur Unbequemlichkeit,
aber er sei nicht im Interesse des Dienstes. Daher müsse durch
feste Instructionen an die Referendarien jeder Eigenmächtigkeit
derselben und Untergebenen vorgebeugt werden, der Präsident und
Vice-Präsident müssten von allen Einlaufen und Ausfertigungen
wissen; Standes-Tabellen, Musterungs- und Recrutierungs-Relationen,
Magazins- und Sanitäts-Rapporte müssten sofort in eine Haupt-
Tabelle zusammengefasst werden, Justiz- Angelegenheiten seien aus-
schliesslich vom Justizrath zu behandeln und der Hof-Kriegsraths-
Präsident monatlich über die abgewickelten und laufenden Processe
zu informieren; eine Commission für das Fortificationswesen als
Beirath des Hof-Kriegsraths-Präsidenten sei zu creiren, endlich über
alle Einlaufe und Ausfertigungen an die commandierenden Generale,
Festungs- und Regiments-Commandanten, dann über die Conferenzen
und Correspondenzen mit den Hofstellen von nun die Register
und ProtocoUe genauestens zu führen.
Es müsse femer der Chargenkauf, das Petitionieren von Ober-
und selbst Unterofficieren bei dem Hof-Kriegsrath mit Umgehung
des Regiments-Commandos aufhören, es dürfe nicht mehr geduldet
werden, dass die Referendarien Urlaube und Verlängerungen der-
selben ohne Wissen des Regiments ertheilten, dass selbst Leute
aus der Kriegskanzlei Chargenhandel treiben und in dienstlichen
Angelegenheiten Privat-Correspondenzen führen. Nur gerechte und
gewichtige Beschwerden über den Regiments-Inhaber und Comman-
danten sollen femer noch direct an. den Hof-Kriegsrath eingesendet
werden dürfen. Sonstige directe Einlaufe sollen zur Begutachtung,
aber auch zur Bestrafung an die Regimenter zurückgehen. Wichtige
Entscheidungen solle der Hof-Kriegsraths-Präsident vorerst im Con-
cepte genehmigen und dann erst expedieren lassen. Alles aber
dürfe nur in der Kanzlei, nicht in den Privatwohnungen der
Referendare geschrieben werden. Kein Act dürfe beim Secretär
oder Referendar liegen bleiben, sondern solle sogleich in die
Registratur oder in das Archiv hinterlegt werden, wohin nach des
Digitized by
Google
316
Archivars eigener Aussage schon seit 1722 kein Act mehr ge-
kommen sei.
Endlich müsse auch eine feste Ordnung für die Einhebung
und Vertheilung der Kanzleitaxen gemacht werden; die letztere
habe bisher nur von dem Belieben des Eeferendeurs v. Laohawitz
abgehangen.
Noch deutlicheren Einblick in die Geschäftsführung des Hof-
Kriegsrathes, aber ein ebenso abträgliches Urtheil geben eines
gleichzeitigen Unbekannten „Allerunterthänigste, treugehorsamste,
wohlmeinende Gedanken" *) mit folgenden Worten :
„Selber (i. e. der Hof-Kriegsrath) besteht aus einem Präsidenten,
einem Vice-Präsidenten und aus Räthen, deren zwei Bänke sind:
eine die Herrenbank, darauf die Meisten Generalspersonen, die
andere die Bitter- und Gelehrtenbank, darauf auch die vier Referen-
darien als Räthe sich befinden und ein und andere Doctores, die
vormals dahier (in Wien) Advocaten gewesen sind".
„Die Räthe von der Herrenbank, nämlich die Generalspersonen,
werden dermalen nicht zu dem, was proprio militärisch ist, employieret,
sondern sie werden alleinig zu dem unter Praesidio des Vice-Präsi-
denten zweimal in der Woche gehaltenen Justiz-Rath gezogen.
Hingegen werden alle Militaria bei dem Präsidenten zweimal in dem
sogenannten Referat alleinig diu*ch die Referendarien tractiert und
abgehandelt. Diese Referendarien informieren und votieren nach
ihren Gedanken, schicken die machenden Concepte, ohne dass
selbe der Präsident sieht, zum Schreiben in die Kanzlei.
Sind es Decrete oder Intimationen, so wird daruntergesetzt: „Ex
Consilio Bellico" und von demjenigen Referendario, dessen Ex-
pedition es ist, alleinig unterschrieben; sind es aber hofkriegs-
räthliche Schreiben, die von hier weggehen, wird nichts anderes
daruntergesetzt als: „Von Ihro zu Hungam und Böheim Königl:
Majestät Hof-Kriegsraths-Präsident, Vice-Präsident und Räthe" und
weiter nichts. Sie, Referendarien, raisonnieren imd determinieren von
allen vorkommenden Ejriegsmaterien, exempli gratia von der Qualität
und Capacität eines Ingenieurs oder eines Artilleristen, ob er gut
oder schlecht sei, ob er eine Emploi oder ein weiteres Avancement
meritiere, wo doch keiner davon jemals die Ingenieurkunst oder
das Artilleriewesen erlernt hat, dass also der Supplicant
blos sich zu befleissen hat, vor allem andern, wie er sich
\ K. A., Memoiren, IX, 70.
Digitized by
Google
316
bei dem Referendarius gut zu insinuieren weiss: sonst ist alles
Sollicitieren umsonst".
„Was die Hof-Kriegskanzlei anbetrifft, so haben die Officianten
dabei, respective Andere, bei ihrer continuierliclien starken Arbeit
sonderlich an den Posttagen, da dieselben bis eilf Uhr Nachts, auch
öfters noch länger in der Kanzlei verbleiben müssen, eine recht
geringe Besoldung, als specifice ein Kanzellist mehrers nicht als
jährlich 450 Gulden Besoldung, mit welchen sie ohu möglich be-
stehen können, wann nicht die eingehenden Kanzleitaxen denjenigen,
die selbe zu gemessen haben, einiges Supplementum gäben.
Gleichwie aber sothane Geniessung deren Taxen sehr ungleich
ausgetheilt ist und einige schon viele Jahre Dienende zu diesem
Genuss nicht kommen können, hingegen aber Einige das Glück
haben, in Kurzem dazu zu gelangen, wie das Exempel an Hof-
Kriegsrath v. Hefenstock ist, welcher zum allerlängsten bei
der Kanzlei gedient, auch bereits etwelche Jahr vor dem Referen-
dario v. W ö b e r ^) das hungarische Referat gehabt und dannoch
nie höher, als in die Concipistens-Tax-Theilimg kommen können,
wohingegen ein und andere Referendarien gleich bei Antretimg des
Referats in die wirkliche Referendari-Tax-Theilung, welche jedesmal
für einen Referendario 1000 Gulden ausmachet und der gleichen
Theilung ein- und anderesmal, wann copiose Promotionen sind, drei-
zehnmahl in einem Jahr geschehen,, eintreten und mithin Einer gar
zu viel, der Andere wenig und Einige gar nichts davon bekommen".
„Also vermeinte ich, dass auch diesfalls eine andere Ordnung
. . . gemacht werden könnte und dieses ist die dermalige Einrichtung
des Hof-Kriegsraths imd der Kanzlei."
^) Der Hof-Kriegsrath Augustin Thomas v. Wöber war damals ungefähr
vierzig Jahre alt. Er besass Verstand von nicht gewöhnlicher Schärfe,
sowie das Talent, aus schwierigen Lagen leicht einen Ausweg zu finden. Er
hatte als Beamter unterster Stufe begonnen, bald aber die Aufmerksamkeit
des Prinzen Eugen auf sich gelenkt und besass dessen Vertrauen in so hohem
Grade, dass man oft behauptete, nicht der Prinz, sondern Wöber regiere
eigentlich den Hof-Kriegsrath. Wie Bartenstein, so war auch Wöber wegen
seines Einflusses einer der bestgehassten Männer Wiens. Er dürfte nicht
allein an den unleugbaren Missständen im Hof-Kriegsrathe die Schuld gewesen
sein. Jedenfalls war er eine ausserordentHche Arbeitskraft und sein Wort
wog nicht blos jetzt, sondern auch noch bei den Berathungen zur Reform des
ganzen Heerwesens im Jahre 1748 schwer. 1755 wurde er durch den Grafen
Neipporg verdrängt; Maria Theresia aber sah ihn ungern aus dem Hof-
Kriegsrathe scheiden und verlieh ihm, der nie Officier gewesen, auf seinen
Wmisch den Rang eines Feldmarschall-Lieutenants mit Gehalt und Ehren
eines solchen. (Arnoth, Maria Theresia, IV, 89 ff.)
Digitized by
Google
317
Dass die Schilderungen Khevenhüller's und der „aller-
nnterthänigsten, treugehorsamsten und wohlmeinenden Gedanken"
nioht tibertirieben waren, ja dass es noch viel mehr grosse und
kleine Uebelst&nde innerhalb des Hof-Kriegsrathes gab, erhellt am
Besten daraus, dass schon im Juni 1741 der Entwurf einer neuen
Instruction entstand, welcher durch Abstellung und Strafandrohung
für Unzukömmlichkeiten deren Existenz eben bestätigte, sonst aber
die damaligen Gepflogenheiten des Geschäftsganges möglichst
zxi schonen und zum Gesetz zu machen suchte. ^) Dieser Entwurf
scheint indessen nur provisorische Geltung gewonnen zu haben;
sonst hätte Maria Theresia nicht schon wieder bis zum Jahre
1744 einen neuen Entwurf ausarbeiten lassen. Der neue und in
vielen Puncten strengere, aber auch würdigere Entwurf, auf welchen
die vorstehend mitgetheilten Denkschriften unverkennbaren Einfluss
genommen haben, fand zwar weder die Zustimmung des Hof-Kxiegs-
raths-Präsidenten Grafen H a r r a c h, noch die des Hof-Eoiegsrathes
Wöber, wurde aber dennoch am 23. März 1745 im Wesentlichen
unverändert als Norm für die Zukunft in Kraft gesetzt. *) Das
Hauptgewicht derselben ruht, ausser auf einer Verminderung des
Personals, besonders auf einer möglichst festen Regelung des Dienst-
betriebes zum Zwecke der Vermeidung der bisherigen Unordnungen
und Missbräuche.
Für die Geschäfte ,,in publicis" (d. i. für alle, die nicht dem
J"ustiz-Collegium zufiele\i) blieben femer nur noch drei Referendare an-
gestellt: Wöber, Lachawitz und Weingarten. Ersterer blieb
auch jetzt wieder die wichtigste Person im Hof-Kriegsrathe, denn
ihm ^urde ausdrücklich „das Universum, als da ist: die Militär-
Systemata, Regulamente, Repartition und in's Feld bestellenden
Armeen zu besorgen** aufgetragen. Starb einer dieser drei, so sollten
fürderhia nur noch zwei Referendare bleiben. Der Hof-Schema-
tismus des Jahres 1746 weist gegen jenen des Jahres 1740 eine
Verminderung der Räthe vom Herrenstande von fünfundzwanzig
anf drei, der Räthe ausser dem Herrenstande von elf auf acht, der
Secretäre von aohtundzwanzig auf sechs, wovon vier für die Publica,
des gesammten übrigen Personals von achtundsiebzig auf achtund-
vierzig Köpfe auf.
>) K. A., Kanzlei-Archiv, IX, 11.
*) K. A., H. K R 1745, April, 1008 Exp. und 11. Heg.; Kanzlei- Archiv,
IX. 12. Die neue Instruction scheint aus der Feder des früheren Hof-Kriegsrathes,
nnnmehiigen Cabinets-Secretärs der Königin, v. Koch, zu stammen.
Digitized by
Google
318
Das Justizwesen sollte künftig j,als besonderes und separiertes
"Werk tractiert werden" ; die vier Hof-Kriegsräthe fiir Justiz- An-
gelegenheiten und ihr Grehilfenpersonale wurden abgesondert ernannt,
sollten aber auch dem Hof-Kriegsraths-Präsidenten unterstehen.
„Nach der bisherigen Observanz" blieben dem Hof-Kjiegsrathe
auch weiter untergeordnet : das General-Kriegs-Commissariat-Amt,
das Obrist-Land- und Haus -Zeug- Amt, das General -Auditoriat,
das Obrist-SchifF-Amt und der Feld-Schiffbrücken-Stand, „dann
Alles, was immer zum Militare gehört", also auch die in den Pro-
vinzen stehenden commandierenden Generale und Militär-Directoren,
Festungs-Commandanten, National- und Grenz-Milizen.
Mehrere Puncte betreffen die TJebemahme und Behandlung
der einlaufenden Geschäftsstücke durch den Präsidenten und Ee-
ferendare, sowie über die hierüber zu verfassenden Referate. Dem
Präsidenten stand zwar nicht das Kecht der Anstellung und Be-
förderung des Personales, — das hatte sich die Königin hia zum
letzten Accessisten hinab vorbehalten, — wohl aber das der Ein-
theüung und Verwendung desselben zu ; er hatte die Referate und
commissionellen Berathungen anzuordnen und eventuell die Bei-
ziehung von Fachmännern zu veranlassen. Jedes einlaufende Schrift-
stück musste er von nun an mit dem Präsentierungs-Datum ver-
sehen und jedes Concept vor Anfertigung der Reinschrift vidieren;
letzteres galt auch für die Referendare im Bereich ihres Ressorts.
Alle Erlässe an Armee - Commandaliten , oommandierende
Generale, Grenzfestungs-Commandanten, im Küege selbst an Ge-
nerale von minderem Range erforderten jetzt die Unterschrift der
Königin. Die Unterfertigung im Namen des Hof-Eüegsrathes wurde
nun auf weniger Fälle beschränkt als früher. Alle Ausfertigungen,
mit Ausnahme der geheimen, mussten in der Küegskanzlei selbst
geschrieben werden.
Officiere sollten nur in besonderen Fällen (z. B. wenn sie auf
Recrutierung, Remontierung standen) directe an den Hof-Kriegsrath
schreiben dürfen, letzteres auch dann, wenn es sich um Beschwerden
von Officieren gegen den Regiments-Commandanten oder Inhaber,
oder um Beschwerden der letzteren gegen den Commandierenden
handelte. Für alle übrigen Fälle wurde damals der Dienstweg in
auf- und absteigender Linie durch das Regiments- und General-
(Armee-) Commando angeordnet.
Die Expeditionen sollten rasch imd derart eingerichtet sein,
dass namentlich jene des Hof-Kriegsrathes und des Kriegs-Commis-
sariates sich nicht widerstritten, sondern sich viel mehr ergänzten ;
Digitized by
Google
319
aucli sollien correspondierende Stücke gleichzeitig laufen. Einzelnen
Personen des Hof-Kriegsrathes wurde das Correspondieren mit Offl-
cieren in Dienstes-Angelegenlieiten strengstens untersagt. Dem
Hof-Bjriegsratlis-Präsidenten wurde schliesslich ein jährlicher Gehalt
Ton 12.000 Grulden (gegen früher 18.000 Grulden) bestimmt.
Der Taxen, welche für die Ausfertigungen des Hof-Kxiegsrathes
an Parteien gezahlt werden mussten und deren willkürliche und
ungleiche Vertheilung bisher zu vielen Klagen Anlass bot, wurde
in dieser Instruction nicht gedacht; aber bald nach der Verlaut-
barung der letzteren, mit dem 2. April 1745, trat eine eigene
neue Tax-Ordnung fiir den Hof-Küegsrath in Kraft. ^)
Bei demselben wurde ein eigenes Tax-Amt eingerichtet und
unter Controle der Hofkammer eine genaue Verrechnung der ein-
laufenden Taxen eingeleitet. Um alle gleicher "Weise an den Taxen
theilnehmen zu lassen und doch jene, welche bisher im Genüsse
derselben gestanden waren, nicht zu benachtheiligen, wurde einer-
seits bestimmt, dass die Taxen in Zukunft, soweit sie ausreichten,
zur Bezahlung der Besoldungen beim Hof-Kriegsrathe verwendet
werden sollten, anderseits aber damit eine Gehaltserhöhung ver-
bunden, auch im Zusammentreffen mit der eben vollzogenen Ee-
duction des Personalstandes beim Hof-Klriegsrathe und den ihm
unterstehenden Feldkriegs-Kanzleien viele und ausreichende Ge-
halte bewilligt.
Dem Freiherm v. Wöber wurden „wegen Besorgung des
universi" jährlich 6000 Gulden zuerkannt, den beiden anderen
Eeferendaren je 6000 Gulden, vier Secretären je 2000 Gulden etc.
Sieben Beamte erhielten einen Jahres-Gehalt von je 1000 Gulden,
drei eine solche von je 852 Gulden, zwei von je 800 Gulden, drei
von je 700 Gulden u. s. w. zuerkannt.
Die Taxen wurden meist erhöht, oft um mehr als das Doppelte ^.
Zur schleunigen Administrierung der Justiz hinsichtlich aller
seit vielen Jahren zwischen den Militär- und Civil-Behörden ent-
standenen Jurisdictions-Irrungen hat Maria Theresia eine eigene
») K. A., H. K E. 1745, Mai, 1039, Exp. Hofk. Arch., Hoffinanz,
21. Juni 1745.
') Darauf beruht die Stelle: „Am 27. Juni (1745) nahm Maria
Theresia eine grosse Militär- und Generals-Promotion vor. . . . Damit aber
gleichwohl der Hof-Kriegskanzlei an ihren juribus nichts entgehe, so mussten
die promovierten Herrn Generals doppelte Taxgelder zahlen", in der „Ge-
schichte und Thaten der Königin Maria Theresia etc." (1745), lY, 366.
Digitized by
Google
320
Norm in den deutschen Erblanden publicieren lassen. ^) Im An-
schlüsse an die Eeorganisation des Hof-Kriegsrathes (in publicis)
vollzog sich auch eine innere Eeform des dem Hof-Kriegsraths-
Präsidenten instructionsgemäss untergeordneten Hof-Kriegsjustiz-
Rathes als der obersten Stelle in allen Militär-Rechts- Angelegen-
heiten. ^ Das Personale wurde festgesetzt mit drei Käthen aus dem
Herrenstand (Feldmarschall Graf Cord o va, Feldmarsohall-Lieutenant
Graf Löwenwolde und Q^neral-Feldwachtmeister E u d o f s k y),
vier Käthen auf der Ritter- oder Gelehrten-Bank (Dierling,
Seppen bürg, Doctor Schloissnig und Doctor Dreyling
mit je 3000 Gulden jährlich), ferner sieben Kanzlei-Individuen, «m
Hier einige Beispiele aus den äusserst zahlreichen Taxsätzen:
Nach
der alten — der neaen
Tax-Ordnnng.
Für das Patent eines Feldmarsohalls waren zu zahlen . . . 460 fl. 2000 fl.
V V u ji Feldzeugmeisters \
„ „ „ „ Generals der CavaUerie J ^öU „ luuu „
„ ,, „ „ FeldmarschaU-Lieutenants 450 „ 800 „
j, „ „ „ General-Feld- Wachtmeisters 450 „ 600 „
„ „ „ „ Ohersten (nicht Inhabers) 800 „ 400 „
„ „ Decret „ Oberstlientenants 100 „ 200 ^
„ „ „ „ Oberst- Wachtmeisters 75 „ 150 „
„ „ „ „ Hauptmanns (Rittmeisters) 50 „ 76 „
., ,, ,, „ Lieutenants 36 ,, 50 „
„ „ „ „ Fähnrichs (Comets) 30 „ 40 „
Für die könig^che Erlaubniss, eine Compagnie „zu verhandeln", hatte
nach der neuen Tax-Ordnung der bisherige Compagnie-Chef 109 Gulden, der
neue aber zugleich für den Hauptmanns-(Bittmeisters-)Charakter und die
Compagnie-Verleihung zusammen 200 Gulden zu bezahlen ; wenn er aber den
Charakter schon hatte, nur 100 Gulden. Gelangte ein Fähnrich (Comet) zu
einer Compagnie, so hatte er „den überspringenden Lieutenants- Gradum zu
bezahlen mit 50 Gulden, ein Fremder hingegen alle Gradus mit 290 Gulden".
Für Urlaube der Officiere in Privat- Angelegenheiten mussten per Monat
vier Gulden Taxen gezahlt werden. Eigene Taxen waren für die Feld- und
die Haus- Artillerie- Chargen ausgeworfen (für die Charge eines Oberstlieutenants
200 Gulden, eines Ober-Stuckhauptmannes oder Zeuglieutenants 150 Gulden,
eines Stuckhauptmannes 100 Gulden, eines Stuckjimkers oder Zeugwarts 50
Gulden u. s. w. Eine grosse Gruppe zahlte den Betrag einer Quartalsbesoldung
als Taxe. Für die Justiz- Angelegenheiten bHeb bis zur Neubemessung der
Taxen durch das Patent vom 16. Mai 1746 die Leopoldinische Ordnung vom
Jahre 1704 in Kraft.
*) Meynert, Geschichte des Kriegswesens etc., IIL 181. — „Norma,
wie es mit der Jurisdiction zwischen Militär- und Civilstellen gehalten werden
soll" vom 6. November 1745.
«) Hofk. Arch., HoMnanz, 9. October 1745.
Digitized by
Google
321
deren Spitze ein Hof-Kriegssecretär (mit jährlich 1500 Grulden)
stand. Jedem der Jostiz-ßäthe wurde ein streng abgegrenztes Eessort
zugewiesen, wöchentlich zwei Rathssitzungen festgesetzt und andere
Bestimmungen über den Geschäftsgang getroffen, auch das Justiz-
Personale Yon den fiir die Geschäfte in publicis bestimmten Kanzlei-
Beamten räumlich abgesondert.
Von allgemeinerem Interesse ist, dass die in Justiz-Sachen ein-
gesetzte hofkriegsräthliche Commission auch über Diejenigen ihr Gut-
achten abzugeben hatte, welche sich als Advocaten oder Agenten
beim Hof-Kriegsrathe meldeten ; „und diese Anordnung will so viel
nothwendiger sein, weil nach Zeugniss der täglichen Erfehrenheit die
meisten Parteien durch die saumselig, schlecht oder aufzügliche Be-
dienung der so oft ohnerfahrenen Bestellten in ihren Rechtshändeln
vernachlässigt oder wohl gar verkürzt oder in ohnnöthige grosse
Kosten gesetzt werden. . . . ^) Wäre auch zur Beförderung der
heilsamen Justiz allerdings nöthig, ein Circulare an alle Regimenter
zu erlassen, dass selbe keinen Auditor, der nicht vorher durch
mehrwiederholte hofkriegsräthüche Commission examiniert und
approbiert worden, annehmen sollen, in Bedenkung, dass von der
Tauglich- und Tüchtigkeit eines Auditors sowohl eines Of&ciers,
wie des gemeinen Mannes Ehre, Leib und Leben grösstentheils
abhanget, auch überhaupt dem Militärdienst Selbsten an einem ver-
ständigen, gewissenhaften Auditor Vieles gelegen ist." *)
Die innerösterreichische Kriegs-Stelle, welche
seit 1705 ihre Selbstständigkeit verloren hatte und dem Wiener
Hof-Kriegsrathe untergeordnet war, bildete bis zu ihrer, Ende
des Jahres 1743 erfolgenden vöUigen Auflösung, das Bindeglied
in gewissen, Liner-Oesterreich und die beiden Grenz-Generalate
betreffenden Fragen zwischen diesen Ländern und der Wiener
*) Im Jahre 1740 gab es laut „Staats-Kalender oder Hof-Schenfatisinus"
dreiunddreissig Hof-Kriegsraths- Advocaten und neunundneunzig beeidete, dann
vier nicht beeidete Agenten. In der letzten Instruction für den Grafen
£[ a r r a c h gab Maria Theresia die Ansicht kund, die Kriegs- Agenten
successive auf die Maximal zahl von zwanzig herabsinken zu lassen und sie in
TTinkunffc selbst zu ernennen. Diese Agenten waren Personen, welche mit der
Vertretung der Interessen der in den Provinzen stehenden Regimenter und
deren Officiere gegenüber dem Hof-Kriegsrathe, der Hofkammer, gegenüber
Lieferanten von Monturs- und Rüst\mgsoi*ten, Pferdehändlern etc. betraut
waren.
«) K. A., Kanzlei- Archiv, IX, 12; vergl. H. K. R 1745, November,
624 Exp.
Oesterreiohischer Erbfolgekrieg, I. Bd. 21
Digitized by
Google
322
Centralstelle. Ihr verblieben ressortmässig nur die Aufsicht über
die Landes- und Grenzbefestigungen, die Erhaltung und Ver-
waltung der in den Plätzen ihres Bereiches liegenden Haus-Artil-
lerie, die Gebahrung mit den Bau-, Proviant- und Munitionsgeldem,
die Aufsicht über die in Tnn er-Oesterreich und den Grenz-Generalaten
beßjidlichen Proviant- und Munitionsmagazine, endlieh die Prüfung
der hierauf bezüglichen Rechnungen. Bei Besetzung der Officiers-
und Commandanten-Stellen fiir die Grenz-Miliz und in den Grenz-
plätzen waren, soweit sie in den höheren Chargen nicht dem Kaiser
vorbehalten blieb, der Vice-Präsident (um 1740 Graf Heister)
und die Käthe der innerösterreichischen Stelle durch gewisse Vor-
rechte der Stände von Kämtlien und Krain beschränkt. Seit dem
Jahre 1737 unterstand die Warasdiner Grenze nur noch in Artil-
lerie- und Justiz- Angelegenheiten der Grazer Kriegs-Stelle, in allen
anderen aber unmittelbar dem Hof-Kriegsrathe in Wien. *) Dieser
fällte auch in rein militärischen Fragen, wie z. B. Werbung durch
die Regimenter, Bequartierung, hinsichtlich der hmerösterreichischen
Länder die Entscheidung, allerdings gewöhnlich im Wege der
innerösterreichischen Kriegs-Stelle. Die letzte Instruction für dieselbe
stammt vom 20. August 1722. ^)
Der Feldherr, der „en chef [oder auch „in capite"] im
Felde commandierende General", wurde vom Monarchen zumeist
auf Vorschlag des Wiener Hof-Kriegsrathes ernannt. Da nur dieser
vermöge seiner Verbindung mit der Diplomatie tmd weil er lange
Zeit hindurch selbst die Orientpolitik leitete, die politischen Grund-
lagen zur Aufstellung eines Kjriegs- oder Feldzugsplanes beschaffen
konnte und da es femer einen Generalstab im heutigen Sinne des
Wortes, ja, im Frieden gewöhnlich nicht einmal den General-Quartier-
meisterstab (den „kleinen Generalstab") gab, welch' letzterem im Felde
ohnehin nur ein sehr minderwerthiger Theil des heutigen General-
stabsdienstes zufiel, so ist es klar, dass dem Hof-EIriegsrathe ein sehr
wesentlicher Eiafluss nicht nur auf die erste Anlage des Krieges oder
Feldzuges, sondern auch auf die weiteren Operationen zukam.
War nun auch der Feldherr nur dem Kaiser allein verantwortlich,
so war er doch auch wegen Vermittlung der Befehle des Monarchen,
dann rücksichtlich der Beischaffimg von Kriegsmaterial und Kriegs-
bedürfnissen aller Art an den Hof-KJriegsrath angewiesen. An diesen
*) Vaniöek, Specialgeschichte der Militär-Grenze, I, 464.
») K. A., H. K. R. 1744, Mai, 866, Exp.
Digitized by
Google
323
mussten schliesslich auch die an die Person des obersten Kriegs-
herrn gerichteten Berichte des Feldherm aus mannigfachen Gründen
gelangen. An die Zusammenfassung der militärischen und vielleicht
mittlerweile geänderten politischen Situation und an die leicht sich
daranschliessenden Vorschläge knüpfte sich naturgemäss ein grosser
Einfluss des Hof-Kriegsrathes auch auf die nöthigen Abänderungen
des Operations-, eventuell selbst des Kriegsplanes. Wohl ist hiebei
nicht ausschliesslich an den eigentlichen Hof-Kriegsrath, sondern
auch an die Heranziehung erfahrener Generale zu denken und
auch dem General-Kriegs-Commissariate als Hilfsorgan des Hof-
Kriegsrathes fiel wegen der für grössere Heereskörper damals meist
sehr schwer zu beschaffenden Verpflegung tmd wegen der so häufig
nothwendigen Neubasierung der Operationen auf die ebenso schwierig
vorwärts oder rückwärts zu verschiebenden Proviantmagazine ein
Theil dieses Einflusses zu. ^) Ohne dass die Sachlage immer gründlich
erwogen worden wäre, wurden dem Hof-Kriegsrathe die angeführten
Verhältnisse bisher häufig, aber ungerechtfertigt zum Vorwiu:fe
gemacht.^)
Auch unter Maria Theresia blieb dem Hof-Ejriegsrathe der
alte Einfluss auf Kriegs- und Operationsplan, aber es dürften sich
wenige Beispiele finden lassen, einzelne Hof-Kriegraths-Präsidenten,
wie einst Mannsfeld, ausgenommen, nach welchen derselbe durch
Verschulden des Hof-Kriegsrathes wirklich ein hemmender gewesen
*) Der Hof-Kriegsraths-Referendarius v. Wöber erwähnt in seiner Begut-
achtung der neuen Instruction für den Hof-Kriegsrath vom Jahre 1744 — 1745
ausdrücklich, dass Maria Theresia „wöchentlich zwei Commissionen bei
S alab ur g (dem Oberst-Kriegs-Commissär) in Operationssachen anbefohlen" habe.
•) „Unter den Institutionen, welche mit so manchen historischen Ereig-
nissen und Persönlichkeiten das Schicksal theilen, für Alles verantwortlich
gemacht zu werden, was sich Generationen hindurch in dem Entwicklungs-
processe eines Volkes Widerwärtiges ereignete, ist der Wiener Hof-Kriegsrath
unbestritten diejenige, welche sich der Berücksichtigung aller Chronisten und
Historiker in nahezu unbegrenzter Ausdehnung erfreut. Und ob auch mit
Kecht? Um diese Frage endgiltig zu beantworten, müsste vorerst die
Eiesenaufgabe gelöst sein, aus dem gesammten Actenmateriale von mehr als
drei Jahrhunderten das Wirken des Hof-Kriegsrathes zusammenziifassen, die
Verhältnisse klarzulegen, die sein Handeln bestimmten und aus aU' den
verschlungenen Fäden .... ein übersichtliches Bild zu schaffen. Niemand noch
hat sich an dieses Problem gewagt. Das Verdict aber ist dessenxmge-
achtet längst schon vorweg gefällt: Alles Kriegsunglück während viert-
halbhimdert Jahren fällt dem Hof-Kriegsrathe zur Last, AUes, was in dem-
selben Zeiträume sich Günstiges ereignete, geschah — trotz ihm !" (Mittheilungen
des Kriegs- Archivs, VI. [1881] 239.)
21*
Digitized by
Google
324
wäre. Nicht nur dem Prinzen Carl von Lothringen oder hohen
Befehlshabern, wie z.B. den Feldmarschällen Lobkowitz und
Khevenhüller wurde von der Königin und ebenso vom
Hof-Kriegsrathe oft nahegelegt, dass man von "Wien aus die Ver-
hältnisse nicht richtig beurtheilen könne und sie daher nach
eigenem Ermessen handeln müssten, sondern selbst Generale von
geringerem Ea-nge mit selbstständigem Commando, wie z. B.
Feldmarschall-Lieutenant Browne in Schlesien, Feldmarschall-
Lieutenant Bärnklau in Bayern u. A. m. erhielten ähnliche
Weisungen. *)
Der G-eschichtsschreiber Maria Theresia's sagt in Bezug
auf die stehenden Anwürfe gegen den Hof kriegsrath :
„Es giebt Behauptungen, welche so oft wiederholt und so
unumstösslich geglaubt werden, dass selbst die begründetste Wider-
legung sich als machtlos erweiset und den Glauben an sie nicht
zu erschüttern vermag. Zu ihnen gehört die Angabe, der öster-
reichische Hof-Kriegsrath habe die Feldherren, welche an der Spitze
der Heere sich befanden, in so strenger Abhängigkeit gehalten,
dass er ihnen von Wien aus die Unternehmungen vorschrieb und
auf deren Ausführung auch dann noch bestand, wenn die Umstände
an Ort und Stelle sich völlig geändert hatten. Ebenso sei es ihnen
untersagt gewesen, auch von den günstigsten Verhältnissen Nutzen
zu ziehen und Entschlüsse zu verwirklichen, welche nicht zuvor
die Billigung des Hof-Kriegsrathes erhalten hätten. Natürlich sei
über die Anfrage und die Beantwortung derselben der günstige
Moment zur Unternehmung meistens versäumt worden Sieht
man jedoch näher zu, so ist es fast immer die Unschlüssigkeit
des Feldherrn und die Furcht, auf eigene Verantwortung
einen entscheidenden Schritt zu thun, wodurch die Anfrage
an den Hof-Kriegsrath veranlasst wird. Und fast immer erfolgt die
Antwort, dass man auf so weite Entfernung von Wien
keine bestimmten Befehle zu ertheilen vermöge imd es
lediglich dem Heerführer anheimstellen müsse, je nach der Lage
*) So ergieng am 15. December 1740 durch den Hof-Kriegsrath an Browne
nach Schlesien ein königliches Rescript, welches sich ausdrücklich dagegen
verwahrt, dem General etwas Bestimmtes vorschreiben zu wollen und es ihm
canz überlässt, wo er die Truppen zusammenziehen wolle und wie er sich
dem Feinde gegenüber verhalten solle. (Duncker, Die Invasion Schlesiens
1740. Mittheilungen des K. A., X. 1885, S. 37 ff.) Wer sich die Mühe nehmen
will, die erhaltenen Acten jener Zeit zu lesen, wird für Obiges hundert Beispiele
statt eines finden.
Digitized by
Google
825
der Dinge auf dem Exiegs-Sohauplatze selbst seine Entschlüsse zu
fassen." ')
Der Einfluss also, den der Wiener Hof-Kriegsrath thatsächlich
übte, kann wohl nur selten über das nothwendige Mass hinaus-
gegangen sein und war nicht minder berechtigt, als der analoger
Institutionen in anderen Staaten. Wenn aber der, nach allem
bisher Gesagten ganz legale Einfluss nicht immer den er-
wünschten Erfolg erzielte, so theilt der Hof-Kriegsrath darin nur
das Schicksal aller menschlichen Einrichtungen; er konnte irren
xind hat geirrt. *)
Für den schriftlicTien Dienstverkehr des Feldherm oder Armee-
Commandanten mit dem Kaiser und dem Hof-Eoiegsrathe war
jedem grösseren Armeekörper eine „Eeld-Kriegs-Expedition'' (auch
„Feld - Kriegs - Kanzlei") beigegeben , die häufig einen eigenen
Kanzlei-Director, gewöhnlich aber nur einen Feld-K!riegs-Secretär
an ihrer Spitze hatte und sonst aus sechs bis fünfeehn Individuen
bestand. Die Reformvorschläge für den Hof-Kriegsrath aus den
Jahren 1740 und 1741 fordern, dass der letztere nur Leute in sich
aufnehme, welche in den Feld-Kriegs-Kanzleien mit Erfolg practisch
gedient hätten. Die Kosten der im Felde gestandenen kaiserlichen
Feld-Kriegs-Expedition wurden flir das Jahr 1739 mit 33.579 Gulden
angegeben. ^
Zur normalen Verbindung der Armeen mit dem Hof-Kriegsrathe
war bei jedem selbstständigen Armeekörper im Felde ein „Feld-
Post- Amt" aufgestellt, bestehend aus wenigstens zwei Post-
officieren, mehreren Feld-Courieren und -Postillons, welche theils
den Anschluss an die „Orduiari-Post'' besorgten, theils auch selbst
nach Wien oder zu abgesonderten Armeetheilen giengen. Ihre
Linien wurden nach Erfordemiss militärisch gesichert. Auch wurden
zur Yerbiadung von Armeetheilen Ordonnanz-Linien aufgestellt,
z. B. im Juni 1745 zwischen der Haupt-Armee und den ungarischen
Insurgenten in Neustadt, Ziegenhals, Freiwaldau, Altstadt, Linsdorf,
Opocno und Jaromeh*)
*) A rn e t h, Maria Theresia, IE, 356.
*) Das preussische Generalstabswerk „Die Kriege Friedrich's des Grossen",
I, 176, exemplificiert zwar gerade an dem österreichischen Hof-Kriegsrathe die
Entstehung der Kriegspläne, sagt aber doch zum Schlüsse : „Nicht viel besser
gieng es damals in den anderen Staaten zu."
»» K. A., Memoiren, Vm, 12.
*) K. A., F. A. Sohlesien und Böhmen, 1746, VI, 62.
Digitized by
Google
326
General- und Festnngs-Commanden.
Zur Zeit der Entstehung des Hof-Kriegsrathes unterstand dem-
selben die gesammte Kriegsmacht des deutsch-habsburgischen Be-
sitzes. Mit der Theilung desselben unter den Söhnen Ferdinand I.
entstand auch ein eigener Hof-Kriegsrath in Graz und im Zusammen-
hange mit dem Landesvertheidigungswesen Tyrols eine eigene
Kriegs-Stelle zu Innsbruck ^) ; dem Wiener Hof-Kriegsrathe blieb also
nur der Einfluss auf Oesterreich unter und ob der Enns, die
böhmischen Länder und die nicht in fremdem Besitze befindlichen
Theile von Ungarn. Der unter Kaiser Rudolf ü. in Prag ent-
standene Hof-Kriegsrath hatte niu' eine vorübergehende Bedeutung.
Zur Einrichtung von General-Commanden lag also damals kein
Bedürfuiss vor. Nur die Commandanten der Grenzfestungen und
der Festungen im Innern des stets zu Aufinihr geneigten Ungarn
hatten eine auch über die Festung hinaus sich erstreckende Be-
deutung^), aber mehr im politischen, als im rein militärischen Sinne,
da die Truppen ja immer unmittelbar dem Hof-Kriegsrathe unter-
standen und mit ihm verkehrten.
Zuerst entwickelten sich auf Grund der durch das Brucker
Libell (1578) zwischen den innerösterreichischen Ständen und dem
croatischen und windischen Grenzvolke im Hinblicke auf die
Türkengefahr geschaflFenen Verhältnisse in den Grenzgegenden
nach und nach Organisationen, als deren Endergebniss sich nach
dem Frieden von Carlowitz (1699) das („croatische") Carl-
städter imd das („windische") "Warasdiner Generalat
vorfinden.
Mittlerweile waren unter Leopold I. wieder alle deutsch-
habsburgischen Länder vereinigt worden ; der Sohn imd Nachfolger
dieses Kaisers, Joseph I., fand es daher im Staatsinteresse gelegen,
den Kriegs-Stellen in Innsbruck und Graz ihre Unabhängigkeit zu
nehmen und sie 1705 als „ober- und vorderösterreichisches
Militär - Directorium", beziehungsweise als „inneröstor-
reichische Kriegs-Stolle" dem Hof-Kriegsrathe in Wien unterzu-
ordnen. Aber sowohl der neuen Innsbrucker, als der neuen Grazer
Stelle blieb noch ein Schein von Selbstständigkeit, der sich an ihren
Zusammenhang mit den an beiden Orten noch bestehenden Hof-
*) Ueber letztere siehe „Feldzüge des Prinzen Eugen", I, 434.
*) Insofeme von Alters her gewisse Plätze regelmässig nur von Generalen
commandiert wurden (z.B. Raab), spricht man schon frühzeitig von„Generalaten",
ohne dass sie solche im späteren "Wortsinne gewesen wären.
Digitized by
Google
327
kammem anleimte und welcher für das ober- und vorderöster-
reichische Mi 1 i tär-Dir eo torium sich in einem erhöhten Einflüsse auf
das Artillerie- und Zeugs-, Fortifications- und Verpflegswesen
äusserte. Für diesen Bereich bestand noch im Jahre 1740 ein
eigener Obrist-Land- und Haus-Zeugmeister (Q-raf Montrichier).
In diesem Jahre hatte Feldmarschall-Lieutenant Johann Gaudentius
Graf von Rost das ober- und vorderösterreichische Militär-Direc-
torium inne und bezog in dieser Stellung einien jährlichen Gehalt
von 5242 Gulden, i)
Seitdem die spanischen Niederlande in den Besitz der
österreichischen Herrscher übergegangen waren, machten die eigen-
artigen politischen Verhältnisse dieser Länder und ihre Entfernung
von Wien die Schaffung der Stelle eines commandierenden Generals
in Brüssel nothwendig, welcher einerseits wegen der Gelder für
die dortigen Truppen an die kaiserliche (königliche) Statthalterschaft,
anderseits in Bezug auf die Verwendung der im Lande stehenden
Militärmacht dem Wiener Hof-Kriegsrathe untergeordnet war. Um
das Jahr 1740 war Feldmarschall Leopold Herzog zu Aren-
berg commandierender General in den österreichischen Nieder-
landen.
Eine ähnliche Stellung wie dieser hatte um dieselbe Zeit ia
Bezug auf die Streitmacht in der Lombardie und den öster-
reichischen Po-Herzogthümem der mit dem Literims-Gubemium in
Mailand betraute Feldmarschall Otto Ferdinand Graf zu Abens-
perg-Traun; unter ihm commandierte Feldmarschall-Lieutenant
W^ achtendonck die in Toscana stehenden kaiserlichen B-egi-
menter.
Auch für Böhmen, Mähren, Schlesien und Sieben-
bürgen waren damals schon aus den Commandanten der wichtigsten
Festungen oder Städte des Landes zugleich commandierende
G-eiierale geworden, welche Aemter um das Jahr 1740 ia Prag
Feldzeugmeister Graf O'Gilvy, in Brunn (Spielberg) Feldmarschall-
Lieutenant Graf Sinzendorff, in Gross-Glogau Feldmarschall-
Jjieutenant Graf Wenzel Wallis, in Hermannstadt Feldmarschall
Fürst Lobkowitz uinehatten. Sie waren die Vertreter des Hof-
Kriegsrathes und der militärischen Literessen gegenüber den Land-
ständen und sollten zur Erhaltung einer guten Disciplin der
Soldaten in den Quartieren, zur Abstellung imd Untersuchung von
») Hofk. Arch., Hof-Finanz, 30. December 1741,
Digitized by
Google
328
Mehrforderungen und anderen Excessen der Truppen, sowie bei
der ßegelong der Verpflegung, Anordnung der Märsche und
Einquartierungen mitwirken, in welchen Fragen die Interessen der
Länder zunächst durch die Land-Kriegs-Commissäre gewahrt wurden.
Nach dem Verluste Schlesiens gehörte der bei Oesterreich ver-
bliebene Theil dieses Landes zum Bereiche des General-Commandos
in Brunn.
Von besonderer Bedeutung war der commandierende
G-eneral für Slavonien, dessen Würde an das Commando
der Festung Esseg geknüpft war. Seit 1733 hatte Feldmarschall
Gh'af Khevenhüller diese Stellung inne und wurde während
seiner vielfachen Abwesenheit auf den Kriegs-Schauplätzen in Italien,
in Serbien und an der oberen Donau durch den Feldmarschall-
Lieutenant Marchese G-uadagni vertreten. Das slavonische
Generalat war nicht blos wegen ' der G-renzvertheidigung gegen
die Türken, sondern auch wegen der, eben damals im Werden be-
griffenen Einrichtung der slavonisch-syrmischen Militär-Grenze von
grosser Wichtigkeit. *)
Aehnlich wie Slavonien seit dem Frieden von Carlowitz,
wurde auch das Banat von Temesvdr nach dem Frieden von Pas-
sarowitz nicht gleich Ungarn einverleibt, sondern auch daselbst
eine eigene von Wien dependierende Administration eingerichtet,
an deren Spitze seinerzeit Feldmarschall-Lieutenant Graf M e r c y
als commandierender General von Temesvdr eine segens-
reiche Thätigkeit entfaltet hatte. Nach dem Belgrader Friedens-
schlüsse übernahm Feldmarschall-Lieutenant Suckow die Leitung
des General-Commandos, welches zugleich mit dem Administrations-
Präsidium am 13. März 1741 ad iaterim „bis zur Benennung eines
wirklichen commandierenden Generals" dem Feldmarschall-Lieu-
tenant Freiherm v. Engelshofen übertragen wurde. „Damit
selber mit dem behörigen Splendor sich aufführen möge", wurden
ihm hiebei nebst seiner charaktermässigen Gage jährlich 3000 Gulden
zuerkannt. Zu seinem Stellvertreter wurde General-Feld- Wacht-
meister deScotti ernannt.*) Aehnlich wie im slavonischenGeneralate,
war auch hier die wichtigste militärische Aufgabe die bereits an-
gebahnte Einrichtung des Grenzerwesens.
Es bestanden also zur Zeit des Todes CarTs VI. in allen
habsburgischen Ländern, mit alleiniger Ausnahme von Ungarn, im
') VergL Feldzüge des Prinzen Eugen, I, 4B3.
«) K. A., H. K. K. 1741, März 547 Eeg. nnd Prot. Beg. Fol. BOO.
Digitized by
Google
329
engeren Sinne General-Commanden, wenn auch von ganz ungleicher
Stellung und Wichtigkeit. Eine der ersten Eegierungshandlungen
Maria Theresia's war es, dass sie den um ihr Haus als Krieger
und Staatsmann gleich verdienten Feldmarschall G-rafen Johann
Pilffy mittelst königlichen Rescriptes vom 24. October 1740 zum
commandierenden G-eneral von Ungarn ernannte und
alle daselbst liegenden regulären Truppen, Grenzer, Frei-Compag-
nien und National-Milizen, dann alle Festungen, Artillerie-, SchiflFs-
nnd Proviant- Vorräthe seiner Obhut unterstellte. *) Er sollte die
Truppen in gutem Stande erhalten, fiir ihre richtige Verpflegung,
dann für die Bildung eines unangreifbaren Verpflegsvorrathes
sorgen, Excesse verhüten oder bestrafen, überhaupt Mannszucht
und strenge Disciplin halten, die Besatzungen der Festungen,
besonders jener in Ober-Ungarn verstärken. Mit den comman-
dierenden Generalen von Siebenbürgen, Temesvdr, Slavonien, dann
mit der innerösterreichischen Kriegs-Stelle sollte er in stetem Ver-
kehre stehen, Nachrichten geben und empfangen, selbst aber nur
von der Königin und dem Hof-Kriegsrathe Befehle empfangen. Zur
Unterstützung wurden ihm auf seinen speciellen Wunsch der in
Ober-Ungarn besonders angesehene Feldmarschall Graf Alexander
KArolyi, weiters Feldmarschall -Lieutenant Römer und die
General-Feldwachtmeister Saint-Ignon und Philibert zu-
gewiesen. Auch eine kleine Feld-Kriegskanzlei wurde ihm bei-
gegeben (ein Secretär imd drei Kanzlisten).
Schon unter Garl VI. hatte der Feld-Zeugmeister Prinz zu
Sachsen - Hildburghausen sich mit Erfolg der Neu-
regelung der verworrenen Verhältnisse im Warasdiner Generalat
unterzogen. Nicht nur der Türkenkrieg, sondern auch starke
gegnerische Einflüsse Hessen die Resultate seiner Arbeit nicht
sogleich voll zu Tage treten. Die Gegnerschaft kam von den steye-
rischen Ständen und fand in der Grazer Kriegs-Stelle Stütze und
Ausdruck. *)
Die Warasdiner Grenz-Miliz war trotz alledem durch den
Prinzen „auf einen so vortrefi'lich regulierten Fuss gesetzet und
eingerichtet worden, dass seither in denen sowohl letzteren preussisch-,
als (1744) noch fürdauemden französischen und bayerischen Kriegen
so manchfältig Vortheile erfochten worden". In der Carlstädter
') K. A., H. K. K. 1740, October, 611 Eeg. — Vergl. Arneth, Maria
Theresia, I, 92.
«) Vaniöek, a. a. 0., I, 463 f.
Digitized by
Google
330
Grenze war dieselbe Arbeit noch zu leisten, liiebei aber ein ähn-
licher Widerstand der kämthnerischen und krainerischen Stände und
auch wieder der innerösterreichischen Kriegs-Stelle zu gewärtigen.
Da man jedoch auf eine Weiterbildung der Carlstädter Grenz-
verhältnisse zu Gunsten einer Stärkung der Kriegsmacht nicht mehr
verzichten mochte, so lag der Gedanke nicht ferne, den bereits
bewährten Prinzen einfach an die Stelle des Grazer Vice-Präsidenten
und seiner Eäthe zu setzen. Dadurch kam nicht nur eine grössere
Einheit und Energie in die militärische Leitung Inner-Oesterreichs,
sondern wurde auch das hinderhche Provinzial-Interesse bei Seite
geschoben durch einen Mann, der schon wegen seiner fürstlichen
Geburt, aber ebenso wegen seiner Tüchtigkeit als Heerführer und
Erfahrenheit als Organisator hohes Ansehen genoss und unbefan-
genen Blickes für das Gesammtwohl wirken konnte. So wurde denn
mit Ende des Jahres 1743 die innerösterreichische Kriegs-Stelle
aufgehoben und dafür der mittlerweile zum Feldmarschall ernannte
Prinz Sachsen-Hildburghausen Anfangs 1744 zum „Militär-Ober-
Director und commandierenden General in denen innerösterreichi-
schen Landen, wie auch beiden Warasdiner und Carlstädter Genera-
laten" ernannt.^) Er sollte in diesen Gebieten, zu welchen auch das
Litorale austriacum zählte, nach der Königin und dem Hof-Kriegs-
rathe allein zu befehlen haben und mit nur wenigen Beschrän-
kungen dieselbe Gewalt ausüben, wie vordem die Kriegs-Stelle. Alle
Truppen, militärischen Branchen, Commanden und Aemter des
Generalates sollten auch vom Hof-Kriegsrathe nur durch ihn Befehle
empfangen dürfen. Er selbst unterstand nur der Königin und dem
Hof-Kriegsrathe. Die im Warasdiner Grenz-Generalat bewährten Re-
formen sollte er auch im Carlstädter Generalatsgebiete „ehemöglichst
vor die Hand nehmen, die Einführung guter Kriegsdisciplin und
Ordnung, wie auch die Unterrichtung der Soldatesca in allen
Kriegsübungen (so, wie es bereits in dem Warasdiner Generalat
eingeführt . . .) sich äusserst angelegen sein lassen" imd es dahin
bringen, „dass nach dem Exempel des Warasdinischen (Generalats)
auch hierin eine, Unserem Dienst so vortheilhafte Consistenz ein-
geführt und beobachtet werde". Auch den Kundschafterdienst nach
(Jer Türkei sollte er einrichten und leiten. Sein besonderes Augen-
merk wurde auf die richtige imd volle Bezahlung der von der
steyerischen Landschaft an die Warasdiner und von Kärnthen und
Krain an die Carlstädter vertragsmässig zu leistenden Verpflegs-
») K. A., H. K. K. 1744, Mai 866 Exp.; Kanzlei- Archiv, VII, 283.
Digitized by
Google
331
gelder gelenkt. Das den inner österreichischen Ständen hinsichtlich
der Ernennung von Commandanten mit Stabsofficiersrang in den
Grenz-Generalaten zustehende Vorschlagsrecht blieb zwar bestehen,
liinsichtlich der Oberofiiciersposten aber wurde es abgestellt und
die Einholung der königlichen Entschliessung in jedem Falle an-
geordnet. Nur die Leitimg des früher der Kriegs-Stelle imterworfenen
Artillerie- imd Zeugswesens in Inner-Oesterreich und den Grenz-
Generalaten wurde dem Prinzen entzogen und gänzlich dem neuen
Land- und Haus-Zeugmeister Fürsten Wenzel Liechtenstein
untergeordnet, was jedoch den Gehorsam gegen das neue General-
Commando nicht ausschliessen sollte. Ausführliche Bestimmungen
über die Justizpflege in den Gh-enz-Generalaten regelten die Be-
rulüng an das Militär-Ober-Directorium als zweite, an den Hof-
Kriegsrath als dritte Listanz.
Die bisher der innerösterreichischen Regierung (,,die Unser
Hofmarschall-Amt daselbst vertreten thuet") untergeordnete inner-
österreichische Kriegs-Kanzlei wurde dem Einflüsse derselben gänzlich
entzogen und ausschliesslich dem Prinzen unterstellt.
An Gebiüiren wurden ihm nebst der Feldmarschalls-Gage
noch jährlich 10.000 Gulden zuerkannt. Wenigstens zwei Monate
im Jahre musste er sich in seinem Commando-Bereiche aufhalten;
in seiner Abwesenheit fungierte der auf seinen Antrag ernannte
Stellvertreter; aber selbst dieser durfte nur durch ihn mit dem
Hof-Kriegsrathe Verkehren, ausgenommen bei Gefahr im Verzuge.
Alle Dienst-Correspondenzen genossen die Portofreiheit bei den
königlichen Postämtern.
Nach dem Vorstehenden hatte von allen General-Commanden
das Grazer Militär-Ober-Directorium die am weitesten gehenden
Rechte und Pflichten, aber nur solange, als ihm Feldmarschall
Prinz Hildburghausen vorstand. Als er seine Hauptaufgabe
gelöst hatte und genügend befestigt glaubte, resignierte er 1749
sein schweres Amt, in welchem er sich viel Ehre, aber auch viele
Feinde erworben hatte und welches hierauf wieder neu organisiert
wurde.
Je nach der Wichtigkeit und dem Geschäfbsumfange eines
General - Commandos waren demselben ausser dem eventuellen
Stellvertreter und dem Personal- Adjutanten des commandierenden
Generals, verschiedene Organe zur Ausübung des administrativen
Dienstes und Verwaltung der Justiz-Angelegenheiten, öfter auch
zur Leitung des Artillerie- und Fortificationswesens beigegeben ; so
z. B. gab es für den innerösterreichischen Bereich in Graz einen
Digitized by
Google
332
Ober-Kriegs-Commissär , einen General - Auditor - Lieutenant , zwei
Zeuglieutenante, einen Ingenieur-Officier, einen Fortifications-Bau-
schreiber u. s. w.
Den schriftlichen Verkehr besorgten die Feld-Kriegs-
Kanzleien, deren Dienst auch zur Aufiiahme in den Hof-Kxiegs-
rath befähigte. Der Stand derselben war verschieden, je nach den
Dienstgeschäften des General-Commandos. Khevenhüller gibt
für Ende des Jahres 1739 die Kosten der „Feld-Kanzleien" von
Belgrad, Walachei (beide bald aufgelöst), Temesvir, Siebenbürgen,
Mailand, Mantua (Festungs-Commando), Toscana und den Nieder-
landen mit jährlich 52.906 Gulden an. ^)
Im Jahre 1745 wurde das Personale der Feld-Kriegs-Kanzleien
reduciert^) und gleichzeitig jene von Mantua aufgehoben, was schon
früher auch in Toscaaia erfolgt war:
Feld-Kriegs-Kanzlei in
§
O
03
Mailand ...
den Niederlanden
Siebenbürgen .
Temesvir . .
Esseg ....
Pressburg . .
Innsbruck . .
Jährliche Friedens-Gebühr in Gulden
2
2
1
1
1
2000 1 1000 700
4
3
2
3
2
3
2
500
In Festungen waren gewöhnlich eigene Officiere oder Generale
alsCommandanten angestellt und genossen die Gage ihres militärischen
Ranges. Theilweise waren sie nicht mehr zu Feldkriegsdiensten
tauglich; es lag also im Allgemeinen in der Verleihung eines
Festungs-Commandos eine Wohlthat für verdiente Militärs, welche
*) K. A., Memoiren, VIU, 11. — In Böhmen, Mähren und Schlesien
gab es keine Feld-Kriegs-Kanzlei. Die commandierenden Generale dieser
Länder waren zugleich Festungs-Commandanten und solche mussten ihre
Correspondenz „selbst besorgen". Die innerösterreichische Kriegs-Kanzlei
wurde damals von den innerösterreichischen Ländern mit jährlich 9600 Gulden
unterhalten. (K. A.; H. K. R. 1744, m, 3.)
«) K. A ; H. K. R. 1745, Mai, 916 Exp., 479/3-8 Reg. und 489/1-3 Reg.
Digitized by
Google
333
sonst der Pensionierung verfallen wären. Gelegentlich der Be-
rathungen über die Armee-Reductions-Projecte tauchte wiederholt
der Vorschlag auf, die Institution eigener Festungs-Commandanten
faUen zu lassen und successive nach dem Absterben der schon er-
nannten keine neuen mehr anzustellen, sondern die Comman-
danten der Besatzungs - Truppen mit dem Festungs-Commando
zu betrauen. Der Vorschlag kam jedoch nur in Tyrol zur Durch-
fuhrung und zwar im Jahre 1745 zu Grünsten des Tyroler Land-
und Feld-Regiments.
Dem Festungs-Commandanten oblag die bauliche Instand-
haltung der Werke, wozu freilich die Gelder weder von der Hof-
kammer, noch von den dazu gewidmeten Mauthen und Gefällen
immer richtig und ausreichend einliefen. Insbesondere die nicht
nahe den Grenzen liegenden festen Plätze wurden in dieser Be-
ziehung von der Regierung häufig recht lange vernachlässigt und
so konnte es geschehen, dass beim Eintritte von Grenzver-
schiebungen nach unglücklichen Kriegen, die nahe der neuen
Grenze liegenden Plätze sich in gänzlich ungenügendem Bauzustand
befanden und nun eiligst verstärkt werden mussten. So war es mit
den Festungen in Slavonien, Sjrrmien und im Banat nach dem
Belgrader Frieden, so auch mit Komom, Leopoldstadt, Trencsin,
Brunn (Spielberg) und Olmütz nach dem Verluste von Schlesien
der Fall.
Die Commandanten der Festungen hatten den ganzen Festungs-
dienst zu leiten, über welchen es strenge und detaillierte Vor-
schriften gab, die in ihrer Wesenheit noch in den modernen
Reglements sich wiederfinden. Der Commandant sollte für die ihm
unterstellte Garnison alle mögliche Sorge tragen, die Officiere und
die Mannschaft nicht mit überflüssigen Commandierungen, Wachen,
Bereitschaften und Arbeiten abmüden, gute Mannszucht und
Ordnung halten, weder den Soldaten, noch den Bürger im eigenen
Interesse ausnützen, die Bürgerschaft ia Handel und Wandel nicht
stören, sich vielmehr bei ihr beliebt zu machen suchen; er sollte
besonders darauf achten, dass die Munitions- und Proviant-
Magazine immer genügenden Vorrath halten und sich von Zeit zu
Zeit selbst von dessen Vorhandensein überzeugen. Ohne seine Be-
willigung durfte kein Geschütz von oder auf die Wälle gebracht,
keiu Schuss, ja, nicht einmal ein fiir den Wachdienst nicht vor-
geschriebenes Trommelsignal gegeben werden. Wenn nöthig, konnte
er Standrecht anordnen; verhaftete Soldaten durfte er jedoch nur
innerhalb der ersten viermidzwanzig Stunden nach erfolgter
Digitized by
Google
334
Anhaltuiig strafen, sonst sollte er nicht gegen die ßegiments-Privi
legien haaideln.
Die Besatzungs-Truppen durften nur in halber Zahl zur Kirche
geführt werden; während des Gottesdienstes musste die andere
Hälfte in den Quartieren sein. Die Wachmannschaft hatte das
Gewehr scharf geladen und noch zwölf bis vierundzwanzig scharfe
Patronen bei sich. Auf den Wällen sollten im Frieden an jeder
Flanke zwei Geschütze scharf geladen sein, davon eines mit Kugeln,
das andere mit Kartätschen.
Der Platz-Maj or und der Platz-Lieuten an t waren
die Organe der Commandanten wichtigerer Festungen für die
Ausübung und Ueberwachung des gesammten Festungsdienstes.
Der Platz-Major sollte „weder gegen das Militare, noch Bürger-
schaft, eine Passion oder ohnzulässiges Interesse zeigen, sondern
vielmehr mit Gelindigkeit jeden zu seiner Schuldigkeit halten, damit
er von beiden ästimiert werde, woran in einer Garnison Vieles
gelegen ist".^)
Je nach der Wichtigkeit einer Festung wurden die Comman-
danten aus den Generals- oder höheren Officierschargen gewählt.
Nicht alle Plätze hatten auch eine Besatzung; von den vorder-
österreichischen Waldstädten wird dies gelegentUch ausdrücklich
constatiert.
Der Festungs-Stab von Wien wurde Ende 1743 neu
geregelt. ^) Damach sollte der gegenwärtige Festungs-Commandant
Feldmarschall Graf Khevenhüller (mit königlicher Resolution
vom 12. April 1743 hiezu ernannt) als solcher jährlich 10.000 Gulden,
dessen Nachfolger 12.000 Gulden, wenn er aber ein Regiment inne
hatte, nur 8000 Gulden Gehalt haben und dieses „eine beständige
Norma sein".^) Der Festungs-Stab bestand aus einem Platz-Major
mit jährlich 1000 Guldon, einem Kriegsgerichts-Schultheiss mit
jährlich 1200 Gulden, einem Ea*iegsgerichts-Schreiber mit jährlich
500 Gulden, einem Gerichtswebel mit jährlich 200 Gulden, einem
Profossen mit jährlich 300 Gulden, einem Profoss-Lieutenant mit
*) „Regulament und Ordnung" für die kaiserliche Infanterie vom Jahre
1737 (letztes Gapitel).
*) Hof k. Arch., Hof-Finanz, 15. Januar 1744 (Hof-Kriegs rath, 28, November
1743, an die Hof kämm er).
*) Trotzdem musste der nach dem Tode Khevenhüller's zum
Festungs-Commandanten von Wien ßmannte Feldmarschall Graf Königsegg
sich mit seinem bisher genossenen Gehalt (ohne eigene Commandanten-
Gage) begnügen. (Hofk. Arch., Hof-Finanz, 1. September 1744.)
Digitized by
Google
335
j&hrlich 200 Gulden, einigen Thorsclireibem, einem Ober-Ingenieur
mit jährlich 1200 Gulden, einem Unter - Ingenieur mit jährlich
600 Gulden.
Das General-Eriegs-Commissarlats-Amt.
Dem seit dem Jahre 1650 bestehenden General - Kriegs-
Commissariats-Amte wurde im Jahre 1726 Graf Nesselrode als
„General-Kriegs-Commissaiius" vorgesetzt. Die bei dieser Gelegen-
heit erlassene Instruction vom 11. Juli 1726^) fuhrt aus, dass das
gesammte Kriegswesen „nach uralter Verfassung und beständigem
Herkommen" nach der militärischen Seite einzig und allein dem
Hof-Kriegsrathe, nach der öconomischen Seite einzig und allein von
der Hofkammer abhänge imd diese beiden „Hofmitter* allein die
bezüglichen kaiserlichen EntSchliessungen einzuholen hätten. AVenn
es sich aber um die Ausführung der ertheilten Befehle handle, so
könnten die genannten Hofstellen, besonders ausserhalb ihres Stand-
ortes und vornehmlich bei den Armeen im Felde, „nicht anders, als
per commissiones et commissarios operieren". Zur Oberaufsicht
über diese in grosser Zahl nöthigen Commissäre und um sie ein-
heitlich zu leiten und zu verhindern, dass sie weder durch Un-
thätigkeit, noch durch eigenmächtiges Ueberschreiten ihrer Sphäre
dem allgemeinen Besten Schaden zufügen, weiters, um einerseits
alle Commissäre durch Subordination zu disciplinierter Thätigkeit
verhalten zu können, um anderseits ein Organ zu haben, welches
für ihr Thun und Lassen nach oben verantwortlich sei, habe der Kaiser
den Grafen Nesselrode zum General -Kriegs-Commissarius ernannt,
als welcher er Weisungen nur vom Hof-Kriegsrath und der Hof-
kammer zu erhalten habe, auch nur diesen Bericht erstatten und
von ihnen allein dependieren solle".
Trotz der hier ausdrücklich festgesetzten Abhängigkeit des
Kriegs-Commissariats von Hof-Kriegsrath und Hofkammer lag in
dem grossen Wirkungskreise des ersteren und seiner Wichtigkeit,
besonders im Felde, der stete Anreiz zum Streben nach voller
') K. A., Kanzloi- Archiv, III, 7. Die Behauptung, dass das Commissariat
schon von Leopold I. zu einer Hofstelle erhoben und dem Hof-Kriegsrath co-
ordiniert worden sei, ist nach der ausdrücklichen Feststellung desHof-Kriegsraths-
Präsidenten im Jahre 1746 irrig; doch strebten die General-Kriegs-Commissäre
schon lange darnach, z. B. Feldmarschall Caraffa im Jahre 1689, ohne in-
dessen zu reüssieren. (Vortrag des Grafen Harr ach vom 5. November 1746,
H. K. R. 1747, Januar, 626 Exp.) Es geschah dies erst 1747.
Digitized by
Google
336
Unabhängigkeit. Als sich mit dem zunehmenden Alter und dem
Tode des Prinzen Eugen ein wachsender Zerfall im Staats-, wie
im Militärwesen einstellte, erstreckte sieh derselbe auch auf das
Kriegs-Commissariat und sein Verhältniss zu den ihm vorgesetzten
„Hofmitteln" und zu den Truppen, Die Zwietracht und die Eifer-
süchteleien zwischen dem Hof-Kriegsrathe und dem Commissariate,
worüber Maria Theresia sich wiederholt unzufrieden äusserte, waren
armeebekannt und beeinträchtigten sehr das Ansehen des ersteren.
Aber auch die Hofkammer fand oft Anlass, sich über den Mangel an
Unterordnung seitens des Commissariats zu beklagen. Es bewies das
Vorhandensein einer argen Verletzung ihres Rechtskreises, wenn sie im
Jahre 1746 tadelnd constatieren musste, dass bei ihr schon seit drei
Jahren fast gar keine Correspondenz des Commissariats eingelaufen sei
und dass sie auch ebensolange von den Militär-Repartitionen nichts
mehr wisse. ^) War so das Kriegs-Commissariat nach oben unbotmässig,
so fand es auch seinerseits bei den Truppen activen und passiven
Widerstand, indem sich dieselben nicht mustern Hessen und „nichts
weniger als verlässliche' ^ Standestabellen einsendeten. ^) Das Amt
sah sich daher ausser Stande, seiner eigentlichen Thätigkeit nach-
zugehen und die Folge war, dass es Ende 1742 ohne Widerspruch
in einer Ministerial-Deputations-Sitzung behaupten konnte, es ver-
liere sich alle Disciplin, Jeder thue, was er wolle, die Truppen
litten bei solchen Zuständen Mangel oder sie bedrückten die Länder.
Maria Theresia fand sich damals veranlasst, zu resolvieren :
„Vor Allem ist dem Verfalle der Militär-Disciplin . . . ernstlich zu
steuern, des Commissariats Autorität herzustellen, nicht allein, um
bessere Wirthschaft [zu erzielen], sondern um die Gebrechen all-
sogleich anzuzeigen und zur Remedur zu bringen."
Uebrigens war das Kriegs-Commissariat an den wenig er-
freulichen Verhältnissen nicht schuldlos. Es ist „in der That
allgemein bekannt," sagte der Hof-Ej:iegsraths-Präsident in einem
Vortrage vom 28. April 1745 an die Königin^), „wie es nicht
minder Graf Nesselrode und der Oberst-Kriegs-Commissarius
Graf Salaburg selbst bekennen, dass sonderheitlich die auswärtigen
amtlichen Verrichtungen so unrichtig schlecht und langsam bisher
*) Ebendaselbst, Hof-Finanz, 30. November 1746.
«) K. A., F. A. Böhmen und Ober-Rhein 1744, XHI, 26 c. Die Weisungen,
den schuldtragenden Commeuidanten die Gagen jener Monate einzustellen,
von welchen die Eingaben ausblieben, scheinen nicht befolgt worden zu sein
oder sie haben nichts gefruchtet.
») K. A., H. K. R. 1745, Mai, 912 Exp.
Digitized by
Google
337
versorgt worden, dass auch in minderen Sachen das hiesige General-
Kriegs-Commissariats-Amt ans Mangel der Acten und Informationen
nicht fortkonmien könne,, die von hier aus ergangenen Verordnungen
gar nicht, oder nicht gebührend vollzögen werden".
Um die Verwirrung zu vermehren, kam es, wie der eben er-
wähnte Vortrag ausfuhrt, häufig vor, dass die einzelnen Länder
über die den Truppen gewährten Leistungen an Einquartierung,
Etapen, Vorspann u. s. w. keine Rechnungen einsendeten, sich
dieselben aber von ihrem Contributionale selbst abrechneten. Ver-
fasste nun das Conmiissariat blos auf Grund der gestellten Landtags-
Postulate und ohne Kenntniss solcher Leistungen die Militär-
Repartition, so ergab sich dann oft, dass die für die Zukunft zu
bestimmten Verwendungen au%etheilten Contributionen nicht mehr
verfügbar waren. Personen und Truppen, welche mit ihren Gebühren
inskünftig an die Contributionen bestimmter Länder verwiesen
waren, giengen nun zunächst leer aus und mussten anderswoher
versorgt werden.
So wuchs nicht nur die Geldnoth, sondern es wussten schliess-
lich der Hof-Kriegsrath, die Hofkammer und das Commissariat
nicht mehr, was sie von den Ländern noch zu fordern und was sie
der Armee noch zu zahlen hatten.
Das Ansehen und die Macht, die jedem controlierenden
Organe naturgemäss zukommen, verleiteten die Organe des Com-
missariates häufig zu Eigenmächtigkeiten und Uebergrifien gegen-
über den Truppen und Branchen des Heeres, ja selbst gegenüber
den Literessen der Länder und ihrer Organe, so dass deis Commis-
sariat sich nach allen Seiten hin der weitestgehenden Unbeliebtheit
zu erfreuen hatte, was seiner Amtsthätigkeit in jeder Richtung sehr
hinderlich wurde. Zu alledem kam, dass die Organe des Commis-
sariates, in erster Linie berufen, die ehrliche Gebahrung überall zu
controllieren und zu erzwingen, selbst nicht immer reine Hände
bewahrten und ihr natürliches Uebergewicht in eigennütziger Weise
missbrauchten. Eine Eingabe der böhmischen Stände in Angelegen-
heit der ständischen Recrutierung aus dem Jahre 1746 behandelt
die grobe Bestechlichkeit der assentierenden Kriegs-Commissäre als
eine keines Beweises bedürftige und allgemein gekannte Thatsache ^)
und auch dasjenige, was die Protomedici Doctor Brady im Jahre
1744 und Doctor Engel im Jahre 1746 über die kostspielige Ge-
bahrung mit dem Sanitätsmateriale und über die Behandlung der
») K. A., F. A. Marsch der k. k. Truppen in die Niederlande 1746, XI, 3.
Oesterreichischer Erbfolgekrieg. I. Bd. 22
Digitized by
Google
338
Feldspitäler und des ärztlichen Standes durcli die Commissariats-
beamten vorbrachten^), lässt die letzteren in einem sehr bedenk-
lichen Lichte erscheinen.
Eine Eeform war daher auf alle Fälle eine dringende Noth-
wendigkeit und wurde von dem, nach Nesselrode's Resignation
(Ende 1745) zum General- Kriegs -Commissär ernannten Grafen
Salaburg durch die Selbstständigmachung des Commissariats ein-
geleitet, wozu er gegen die eindringlichste Einsprache des Hof-
Kriegsrathes und der Hofkammer die Beistimmung Maria There-
8 i a's erlangte. Ein Eescript der Kaiserin-Königin vom 6. Januar
1747 erhob das General-Kriegs-Oommissariat zum Eange einer un-
mittelbaren Hofetelle (Ministerium) ^ ; die für dasselbe ausgearbeitete
Instruction vom 28. December 1746*) hatte indessen nur noch auf
das letzte Jahr des Krieges Einfluss.
Insoweit sich die "Wirksamkeit des Kriegs-Commissariates auf ,
die Ueberwachung der Oeconomie einschliesslich der Standesver-
hältnisse der Regimenter bezog, ist dieselbe aus der, in jeder Be-
ziehung sehr illustrativen Musterungs-Instruction vom Jahre 1748
zu ersehen.*) Musterungen waren jährlich zwei, im Frühjahr und im
Herbste oder vor und nach einer Campagne vorzunehmen. Das
Commisaariat war jedoch auch verpflichtet, die Truppen oderTheile
derselben ausser den Musterungs-Terminen unvermuthet zu inspicieren,
wofür der technische Ausdruck „Revision" in Gebrauch war. Ueber
jede Musterung oder Revision war eine Relation zu erstatten und
durch dieselbe die Behebung der vorgefundenen Uebelstände an-
zuregen.
Sonst oblag dem Commissariate noch die Verfassung der
,,Militär-Repartition" (Budgetierung), die Ueberwachung der Schlag-
fertigkeit der Armee, also auch die Ueberwachung der Müitär-
Cassen, des Proviant-Stabes und der Proviant-Magazine, sowie endlich
der Kranken- Anstalten und Apotheken, jedoch bis Ende 1746 im
Einvernehmen und unter verantwortlicher Leitung der Hofkammer
und des Hof-Kriegsrathes. Zur Geldanweisung bei den Militär-
Gassen war es nur ausnahmsweise mit besonderer Bevollmächtigung
seitens der Hofkammer, nie aber an deren Amtssitze und immer
') Siehe unten „Sanitätswesen".
^ K. A., H. K. R 1747, Januar, 626 Exp.
*) Hofk. Arch., Hoffinanz, 1. Januar, 30. November und 28. December
1746. — K. A., Kanzlei- Archiv, DI, 8 ; H. K. E. 1746, December, 612 Exp.
und 1747 Januar 626 Exp.
*) Anhang Nr. 9.
Digitized by
Google
339
nur auf begrenzte Zeit berechtigt; auch dann durfte es für
seine eigenen Individuen sonst nichts, als die normale Besoldung
anweisen.
Im Felde war jeder selbstständigen Armee, bei der nicht der
General- oder Oberst-Kriegs-Commissär selbst anwesend war, eine
„Oeneral-Kriegs-Commissariats- Amts-Feld-Substitution" beigegeben,
welche unter Leitung eines Ober-Kjiegs-Commissärs stand und
Kriegs-Commissäre und Amts-Officiere nach Erfordemiss zugewiesen
erhielt.
Der Dienstverkehr des Kriegs-Commissariats concentrierte sich
in dessen „Amts-Kanzlei" in Wien, mit welcher eine Buchhalterei
(Controlstelle) verbunden war. An der Spitze derselben stand der
Amts-Kanzlei-Director, unter demselben im Jahre 1740 vier Amts-
Secretäre, ein Amts-Registrator und -Expeditor mit einem Ad-
juncten, zwei Buchhaltern, fünf Concipisten, femer, in den Ländern
zerstreut, sechsundzwanzig Kanzlisten und eilf Accessisten als Kanzlei-
Personale der einzelnen Amtsdistricte. ^)
An Q-ebtihren bezog Graf Nesselrode als General -
Kriegs - Conunissär jährlich 18.000 Gulden, Graf Salaburg
als Oberst - Kriegs - Commissär 10.800 Gulden, überdies jeder
die Gage der von ihm bekleideten Generals - Charge (General
der Cavallerie, respective Feldmarschall -Lieutenant), der Amts-
Kanzlei-Director von der Mark 2736 Gulden, ein Amts - Secretär
2160 Gulden, u. s. w.
Den eigentlichen Dienst bei den Truppen in den Ländern
und im Felde versahen die Ober-Kriegs-Commissäre, die Kriegs-
Commissäre und die Amts-Officiere. Ober-Kriegs-Commissäre waren
schon seit Jahren für folgende Districte normiert: Italien, Nieder-
lande, Böhmen, Mähren, Schlesien, Nieder-Oesterreich, Ober-Oester-
reich, Inner-Oesterreich, Siebenbürgen, Banat, Slavonien, Pressbiirg,
Oedenburg, Ofen, Kaschau, Grosswardein imd Neusohl; auch für
das „Feld-Artülerie-Haupt-Corpo" war ein Ober-Kriegs-Commissär
festgesetzt. Im Anfang des Jahres 1745 gab es deren jedoch nur
dreizehn (mit einem Jahresgehalte von je 1584 Gulden), von welchen
nach Nesselrode's eigener Angabe nur fünf feldkriegsdienst-
tauglich waren, femer sechsundvierzig Kriegs-Commissäre (mit je
1200 Gulden) und zweiundzwanzig Amts-Officiere (mit je 540
Gulden). Im Laufe desselben Jahres erhöhte Maria Theresia
dön Stand der Ober-Kriegs-Commissäre auf achtzehn, den der Kriegs-
*) Staats-Kalender oder Hof-Schematismus 1740.
22*
Digitized by
Google
340
Commissäre auf dreiundfünfeig und setzte jenen der Amts-Officiere
auf zwanzig herab. ^)
Die Kosten für das Kriegs - Commissariat ausserhalb der
Niederlande und Italiens betrugen für das Jahr 1739 die Summe von
141.972 Gulden. 2)
Nicht zu verwechseln mit dem (Feld-)Kriegs-Commis8ariate
sind die Land-Kriegs-Commissariate, welche in jedem
Kronlande bestanden. Sie gehörten nicht dem Kriegsstaate an,
müssen aber hier erwähnt werden, weil sie oft in Verbindung mit
Truppen genannt werden. Es erscheinen General-Land-Eüegs-Com-
missäre, Viertels- oder auch Führungs-Commissäre, in Ungarn Pro-
vincial-Commissäre u. s. w. Ihre Organisation war Sache jedes ein-
zelnen Landes; ihre Aufgabe war überall die gleiche: das Land
bei Gelegenheit von Truppendurchmärschen, von Transporten aller
Art, von längeren Cantonnierungen und von Recrutierungen vor
Schaden zu bewahren. Die krainerischen Stände fanden sich 1738
veranlasst, fiir ihre Land-Kriegs-Commissäre eine eigene Instruction
ausarbeiten zu lassen; sie hatten unter anderem auch gefunden,
dass die ihnen vom Küegs-Commissariate eingesendeten Marsch-
documente und Verpflegsentwürfe „öfters mancos und unzuver-
lässlich" seien. ^
Es kam vor, dass sich die Organe des Feld-Kriegs-Oommis-
sariats mit jenen der Land-Commissariate nicht vertrugen; so
wollten im Jahre 1741 in Böhmen beide sich einander nicht unter-
ordnen, beschimpften sich gegenseitig und tractierten sich sogar
mit Thätlichkeiten, hinderten die gegenseitigen Transports- und
andere Dispositionen, machten sich aus den beiderseitig verwalteten
Vorräthen ein Geheimniss, beschuldigten sich gegenseitig sogar
bezüglich der Qualität der eingelieferten Naturalien, dann boshafter
Schwierigkeitsmacherei. Und das Gleiche war der Fall zwischen
den Beamten des Feld-Proviant- Amtes imd jenem des Land-Proviant-
Amtes, so dass bestimmt werden musste, es seien sowohl die Feld-, als
die Land-Kriegs-Commissäre, sowohl die Feld-, als die Land-Proviant-
Organe „mit gleichen Würden und Ehrenbezeigungen anzusehen".*)
1) K. A., H. K. ß. 1745, Mai, 959 Exp. und 72 Reg.; auch H. K. R.
1745, IV, 3 a— e.
«) K. A., Memoiren, VIII, 12.
«) K. A., F. A., Böhmen und Schlesien 1740, VI, 6 (Instruction für die
Herren Land-Kriegs- Commissarien vom 27. Juni 1740).
*) Hofk. Arch., Hoffinanz, 29. Juli 1741.
Digitized by
Google
341
Kein Wunder, dass bei solchen Zuständen die Verpflegung der
Armee oftmals keine zureichende war.
Das Obrist-PrOTiant-Amt.
Das Obrist-(Feld-)Proviant-Amt war eigentlich ein Departement
der Hofkammer und das ausführende Organ der letzteren in
Bezug auf die Sicherstellung des für die Garnisonen (besonders
in Ungarn) und die Armee im Felde nothwendigen Proviant -
bedarfes, dessen Aufbringung, Vertheilung, Magazinierung, Con-
servierung und Verrechnung. In Folge dessen war ihm das Militär-
Fuhrwesen, sowie das Bäckerpersonale im Frieden und im Kjiege
untergeordnet.
Befehle vom Hof-Kriegsrathe konnte es nur durch Vermittlung
der Hofkammer erhalten. Dem Kriegs-Commissariate stand organi-
sationsgemäss die Controle seines Standes, seiner Thätigkeit und
der Proviantvorräthe zu. Im Felde waren die Organe des Proviant-
Amtes nächst dem Feldherm an die Commissariats - Beamten
gewiesen.
Sowohl das Obrist-Proviant-Amt in Wien, als auch meistens
die Proviant-Stäbe der Armeen im Felde waren mit einer Proviant-
Casse versehen, welche von der Hofkammer imd im Felde auch
oft von der Operations-Casse dotiert wurde.
In der Regel wurden die Personen des Proviant-Stabes, sowie des
Proviant-Fuhrwesens und der Bäcker-Compagnie nur auf Kriegsdauer
aufgenommen und im Frieden nur die Tauglichsten beibehalten,
insoweit es der Dienst beim Obrist-Proviant-Amte, bei Magazinen in
den Ländern und wichtigeren Festungen unbedingt erforderte.
Daher musste nach dem preussischen Einfalle in Schlesien erst an
die Aufstellung des Feld-Proviant-Stabes und seiner Dependenzen
geschritten werden. ^)
Die Stärke eines solchen Feld -Proviant- Stabes war nach
der Stärke der Armee verschieden.
An der Spitze des Obrist-Proviant-Amtes stand der „Obrist-
Proviant-Amts-Obristlieutenant". Im Jahre 1740 hatte der schon
im spanischen Successions - Kriege vielverwendete Hofkammer-
Eath Georg Freiherr von Harrucker diese Stelle inne; nach
seinem bald erfolgten Tode trat 1742 der bisherige Pro viant-Ober-
Commissär Ferdinand Bosch an seinen Platz.
*) Hofk.-Arch., Reichs- A., Fase. 165, Conferenz-Protocoll vom 5. und
9. Januar 1741.
Digitized by
Google
342
Die Proviant-Amts-Kanzlei in "Wien bestand* aus folgenden
Personen ^) :
Im Jahre
1740 1747
Obrist-Proviant-Amts-Obristlieutenant .... 1 1
Ober-Proviant-Commissar . 1 1
Proviant-Oommissär und Amts-Cassier ... 1 1
Proviant-Amts-Buchlialter 1 1
Proviant- Verwalter 1 —
Obrist-Proviant-Amts-Kanzlei-Officiere ... 6 2
Obrist-Proviant-Amts-Buchhalterei-Ofificiere . . 3 1
Obrist-Proviant-Amts-Fourier 1 1
Während im letzten Türkenkriege die Organe des Obrist-
Proviant-Amtes im Allgemeinen gut ihren Dienst versahen und,
wo dieser doch zu wünschen übrig Uess, mehr die unzureichende
Zahl der Fuhrwerke und Tragthiere, sowie der trostlose Zustand
oder Mangel der Wege die Ursache waren, scheint dies in den
ersten Jahren des Erbfolgekrieges nicht immer der Fall gewesen
zu sein. Prinz Carl beschwerte sich im Spätherbste des Jahres
1743 persönlich gegenüber Maria Theresia über den schlechten
Stand des Proviantwesens. Die Königin erwiderte ihm mit
Eescript vom 18. October: „Noch vor Einlaufung dieser Note [des
Prinzen] habe jene Stellen, in welcher Sphaeram es einschlägt, sehr
nachdrucksam hierüber zur Rede gestellt, diese aber mit dem sich
entschuldigt, dass sie gar keine Kenntniss von des
Werks Manipulation hätten. Nun ist aber ganz wohl
begreiflich, dass, wann diese mangelt, einestheils sich von hier
aus nicht helfen lasse und andemtheils ohnmöglich falle, geringerer
Subalternen Eigennützigkeiten zu entdecken und abzustellen." ^
Auch herrschte oftmals Zwietracht und Eifersucht zwischen Beamten
des Commissariats und des Feld-Proviant-Amtes und wollten letz-
tere die von den ersteren mit Recht geforderte Subordination nicht
leisten. ^)
üeber die Standes- und die Gebühren- Verhältnisse des Proviant-
Stabes nach Abschluss des Dresdener Friedens gibt folgende Tabelle
Aufechluss :
^) Staats-Kalender oder Hof-Schematismus 1740 und 1747.
•) K. A., F. A. Bayern und Ober-Rhein, 1743, X, 35.
') Hofk. Arch., Hoffinanz, 7. Februar, 9. Mai 1742. An diesem Um-
stände scheint übrigens das Commissariat auch nicht schuldlos zu sein.
Digitized by
Google
343
Digitized by
Google
B44
Das Obrist-Land- und Haas-Zeng-Amt.
Die Leitung des Festungs- Artillerie- und des Zeugwesens war
Sache des Obrist-Land- und Haus-Zeug-Amtes, an dessen Spitze
der Obrist-Land- und Haus-Zeugmeister in Wien stand. Doch
waren seiner Amtswirksamkeit um das Jahr 1740 entzogen: Liner-
Oesterreich, wo das Artilleriewesen der innerösterreichischen Kriegs-
Stelle unterstand; Ober- und Vorder-Oesterreich, für welche Länder-
gruppe im Jahre 1740 ein eigener Functionär in der Person des
Feld-Zeugmeisters Grafen Montrichier in Innsbruck bestand imd
dem Militär-Directorium daselbst untergeordnet war ; endlich Italien
und die Niederlande, wo (neben Detachements der Feld-Artillerie)
noch eine eigene National-Artillerie unter der vom Monarchen
eingesetzten Landes-Regierung existierte. ^)
Eine solche vielköpfige Leitung konnte der Sache selbst nicht
zuträglich sein. Der Vorschlag, Feld-, Land- und Haus-Artillerie
unter einem Haupte zu vereinigen, wurde denn auch schon im
Jahre 1741 gemacht^, ohne indessen sogleich 'durchzudringen.
Die Instruction, welche am 7. August 1741 für den (an Stelle
des verstorbenen Feldmarschalls Grafen Wirich Dann) zum Obrist-
Land- und Haus-Zeugmeister ernannten Feldmarschall Grafen Lothar
Königsegg ausgefertigt wurde ^), weist demselben noch den eben
bezeichneten begrenzten Amtskreis zu. Er war, wie sein Vorgänger
und Amtsnachfolger, ganz an den Hof-Kriegsrath gewiesen und
durfte mit keiner anderen Hofstelle direct verkehren. Seiner Obhut
waren die in den Zeughäusern seines Bereiches befindlichen „grossen
und kleinen Artillerie-Sorten, Wehr und Waflfen mit allen Kriegs-
requisiten, wie solche immer Namen haben mögen", anvertraut.
Von ihm wurde die Nothwendigkeit der Nachschaffungen dem
Hof-Kriegsrathe begründet, ohne dessen Bewilligung er die Vorraths-
ziffer der einzelnen Zeughäuser (gewöhnlich in Festungen) nicht
ändern durfte. Ueber das ihm unterstellte Haus-Artillerie- und
Zeugs-Personale übte er das Disciplinar-Stxafrecht aus; schwere
Justiz-Fälle hatte er dem Hof-Kriegsrathe zu melden. Die Anstellung
beim Haus-Artillerie- und Zeugswesen erfolgte auf seinen gut-
achtlichen Antrag gleichfalls von dieser Centralstelle. Besondere
*) Oberst und Commandant des mailändischen National-Artillerie-Corps
war seit 1726 Graf Stampa; die Instruction für diesen (mittlerweile General-
Feld- Wachtmeister) vom Jahre 1730 im K. A., Kanzlei- Archiv, V, 62.
*) K. A., Memoiren, IX, 70 („Allerunterthänigste, treugehorsamste wohl-
meinende Gedanken" von einem unbekannten Verfasser).
•) K. A., Kanzlei-Archiv, V, 69.
Digitized by
Google
345
Vorsicht sollten er und seine Organe bei Zeugslieferungen auf-
wenden, damit das Aerar weder der Zahl, noch der Qualität nach
tibervortheilt werde; immer aber sollten bei Lieferungen die in-
ländischen Gewerkschaften, inländisches Material und die inländische
Industrie zuerst berücksichtigt werden. Die Anregung von Fort-
schritten und die Nutzbarmachung solcher auf dem Gebiete der
Geschützgiesserei war seine besondere Pflicht ; doch war ihm hiebei,
sowie in Bezug auf die Vorräthe der Zeughäuser die Geheimhaltung
auf das Strengste geboten. Damit im Zusammenhange stand die
Vorschrift, wenn möglich nur inländisches Personale römisoh-
kathoHscher Iteligion zu verwenden, womit jedoch erprobte Aus-
länder oder Akatholiken „ohne Nachtheil der ersteren keineswegs
ausgeschlossen" wurden. Die Lieferungs-Contracte wurden bei ihm
in Beisein von Organen des Hof-Kriegsrathes und der Hofkammer
berathen; die Ausfertigung derselben aber geschah von der Hof-
kammer allein. Derselben mussten auch alle Rechnungen jährlich
eingesendet werden, während die Zeugs-Erfordemiss-Aufsätze und
die monatliche Geldverwendung dem Hof-Kriegsrath nachzuweisen
waren. Dem Feldmarschall Königsegg wurde nebst einer
Naturalwohnimg neben dem Zeughause auf der Seilerstätte in Wien
und nebst den sich ergebenden „Liefergeldem" (Taggeldem) „die
gewöhnliche Besoldung mit jährlichen 1000 Gulden" zuerkannt.
Als derselbe durch seine Berufung nach den Niederlanden
dauernd von Wien abgehalten wurde, kam die Function des Obrist-
Land- und Haus-Zeugmeisters an den General der Cavallerie
Fürsten Joseph Wenzel Liechtenstein, dessen Name eine neue
und ruhmvolle Epoche im österreichischen Artilleriewesen einleitet.
Indessen trat die Wendung zum Bessern erst deutlich erkennbar
nach Wiederherstellung des Friedens ein und fällt daher nicht
mehr in den Rahmen dieser Darstellung. Bevor der bald zum
Feldmarschall beförderte Fürst ungestört an seine so erfolg-
reiche Umwandlung der österreichischen Artillerie gehen konnte,
war es ihm noch vergönnt, auf Italiens Schlachtfeldern den Lor-
beer des siegreichen Feldherm zu pflücken.
In der ihm ertheilten Instruction vom 3. Juni 1744^) kam
der schon berührte Gedanke der Unterordnung des ganzen Artillerie-
wesens unter ein Haupt fast vollständig zum Durchbruch, wie es
scheint, nicht ohne Widerstreben des Hof-Kriegsrathes. Mit der-
selben wurde ihm „die Absicht und Besorgung nicht nur Unserer
>) K. A.,F. A. Böhmen u. Ob.-Bhein, 1744, VI, 5 u. H.K. A. 1741, Mäi, 718 Eeg.
Digitized by
Google
346
gesammten Feld- Artillerie, sondern auch über alle Haupt- und Filial-
Zeughäuser in den hungarischen und böhmischen, wie auch ober-,
vorder-, dann inner- und unterösterreichischen Erb-Königreichen
und Landen inclusive der beiden Warasdiner und Carlstädter
Generalate, nebst der Lombardei anvertraut und aufgegeben". Seinem
Einflüsse bHeben also blos die Niederlande entzogen. Mit Aus-
nahme zweier Puncte über die Feld-Artillerie, welche auf dem
vom Feld-Zeugmeister Born er eingerichteten Fusse erhalten
werden soUte, ist die Instruction für Liechtenstein gleich
jener für Königsegg. In Folge des erweiterten Wirkungskreises
des Zeug- Amtes sollte es seit 1 745 auf Befehl Mari a^T h e r e s i a's
künftighin „Q-eneral-Feld- Land- und Haus- Artillerie-
Zeug- Amt'' heissen. ^)
Dessen unmittelbare Organe in Wien waren die Zeug-Amts-
Kanzlei, das Zeug-Zahlamt und der Zeug- Amts-Stab. Erstere bestand
aus sechs Individuen, dem Zeug-Amts-Secretär, dem Zeug- Am ts-
Expeditor und vier Zeug-Amts-Kanzlisten. *)
Dem Zeug-Zahlamte stand bis 1742 ein Zeug -Zahl-
meister vor. Ein Vorschlag, welcher im Jahre 1741 dem Hof-Kriegs-
rath wegen dieses Amtes gemacht wurde ^), erzählt, dass durch die
von verschiedenen aufeinandergefolgten Zahlmeis^m „theils began-
genen strjrfmässigen Cassa-Eingriffe, theils sonst bei ihnen erwach-
senen anderen namhaften Abgänge das . . . Aerarium in einen so
unersetzHchen Schaden von vielen Tausend Gulden verfallen sei''
und beantragt die Reform „dieses zu immerwährenden Unrichtig-
keiten gleichsam verhängten officii". Diese erfolgte auch zufolge
eines gemeinsamen Vortrages des Hof-Kriegsrathes und der Hof-
kammer am 8. Januar 1742 an die Königin*) dahin, dass die
Charge des mit jährlich 1325 Gulden besoldeten Zeugmeisters
aufgehoben und an dessen Stelle nur ein Zeug-Cassier mit jährUch
600 Gulden eingesetzt wurde ; derselbe sollte dem Hof-Kriegsrathe
unterstehen, aber nur das auszahlen dürfen, wofür er die Anweisung
des Obrist-Land- und Haus-Zeugmeisters hatte. Der wichtigste
*) Hofk. Arch., Hoffinanz, 9. November 1745 (Zuschrift des Hof-KÜegs-
rathes ddo. 30. October 1745).
«) K. A., H. K. E, 1746, August, 31 Exp., 736 Exp. und 7 Eeg.
») Hofk. Arch., Hoffinanz, 26. September 1741.
*) Ebenda, 30. Januar 1742. — Worin die Missstände im Zeug-Zahlamte
bestanden, wird aus dem Entwürfe einer Instruction für den Zeug-Zahlmeister
vom Jahre 1741 (K. A., Kanzlei- Archiv, V, 69/1} klar; dieser Entwurf kam in
Folge der Reform nicht zur Ausfertigung.
Digitized by
Google
347
Theil der Reform bestand jedoch darin, dass der jährliche Verlag
des Zeug-Zahlamtes von 60.000 auf 20.000 Gulden herabgesetzt und
die Bezahlung der in den Ländern zerstreuten Haus- Artillerie-Posten
an die ihnen nächstgelegenen Militär -Gassen überwiesen wurde.*)
^) Diese 60.000 Gulden stammten aus den Contiibutionen der Erbländer
und waren für die Haupt-Zeughäuser in Wien (56.000 Gulden) und Innsbruck
(4000 Gulden) bestimmt. Ein Bericht des ober- und vorderösterreichisch en
Militär - Directors Feldmarschall - Lieutenants Grafen v. Rost vom 17. Juni
1740 (Hofk. Arch., Ober-Oesterreich, 6. August 1740) klagt, dass die seit Jahren
für das Zeugwesen „Ober-Oesterreich" ausgeworfenen 4000 Gulden von dor
oberösterreichisohen Hofkammer zum Theile auf den Bau der verschiedenem
Achen und andeier Dinge verwendet worden seien, woher es komme, d&hs
die schon seit mehreren Jahren für Kufstein angetragenen sechs eiserne u
Mörser noch immer nicht beigestellt seien.
Die für Wien ausgeworfenen 56.000 Gulden erhielten 1740 und 1741
folgende D etail Widmungen :
1740 1741
Zur Gussfortsetzung in Wien und Ofen (eventuell Sieben-
bürgen) für Zinn aus Schlakenwalde und Kupfer
aus den Bergstädten fl. 1.830-— fl. 4.110-—
Für Artillerie-Fassung und andere Zeugarbeiten (Eisen
aus den Werken des Stiftes Admont) „ 6.584*30 „ 2.182*30
Für die Armaturs - Meisterschaft zu Wiener - Neustadt
„wegen Erzeugung der jährlichen 2000 Stück
Flinten neuer Art" & 4 fl „ S.OOO*-- „ 8.000- —
Für die Besoldung des Erzeugungspersonales daselbst . „ 392* — ,, 392* —
Für 2000 Eeiter-Cürasse mit Hinter- und Vordertheil
ohne Caskett (ä 15 fl. 5 kr.) „ 10.500-- „ —
Für 1000 solche Cürasse mit ,, gehöriger Weise auf Leder
gesetztem Caskett" (ä. 6 fl. 30 kr.) . . „ — „ -6.500-—
Für Siebenbürgen (Gewehr-Reparatur, Zeugs-Eisen und
Verlag) „ 1.200-— „ 1.200'-
„Bleiben an diesjährigem Fondo auf Giesserei, Verdienste,
Zeugs-Arbeit, Gebäu, Liefergelder (Diäten) und
andere Bestreitungen zum Verlag an die Zeug-
Zahlamts-Cassa" „28.493-30 „33,615-30
An Zeugholz war in beiden Jahren genügender Vorrath vorhanden.
Die Lieferung der Cürasse wurde dem königlichen Stuckhauptmann und
Ober-Feuerwerksmeister Anton Penzeneder „aus seiner zu Steyer im Lande
ob der Enns stehenden Fabrique", aus welcher er in den vorhergehenden
und nachfolgenden Jahren auch viele Tausende von Gewehren an das Aerar
lieferte, übertragen. (Hofk. Arch., Hoffinanz 11. Januar 1740 und 12. Juli 1731).
Din Vortrag des Hof-Kriegsrathes vom 2. December 1742 (K. A., H. K.
R.* 1742, December, 120 Exp.) fuhrt aus, diese 60.000 fl. seien in früheren
Jahren auch ausgezahlt und verwendet worden, sonst hätten die Vorräthe den
bisherigen Anforderungen gar nicht genügt. Aber seit drei Jahren seien sie
ganz ausgeblieben, was im Interesse des AUerTiöchsten Dienstes sehr zu be-
dauern sei, da „die Artillerie die Seele der Feld- Operationen ist".
Digitized by
Google
848
Das Haupt-Zeug -Amts-Stab in Wien bestand 1740
aus folgenden Personen *) : ein Zeug-Lieutenant, ein Stuckhauptmann
und Ober-Feuerwerksmeister (Penzeneder), ein Zeug- Amtsschreiber,
vier Zeugdiener, ein Stuckgiesser , ein Stuckverschneider, ein
Büchsenmeister-Corporal, fünfzehn Büchsenmeister, neim Zeughaus-
werkmeister und noch einige untergeordnete Individuen.
Das Fortiflcationsbau-Zahlamt
Dieses Amt wird in den gleichzeitigen Acten so selten erwähnt,
dass der Schluss nahe liegt, es habe seinen früheren Geschäftskreis
zur Zeit des Todes CarTs VI. nicht mehr innegehabt, sondern
nach und nach an andere Organe (Hofkammer, Commissariat,
Proviant- Amt, Ingenieure, Haus-Zeugamt) abtreten müssen und
seine Thätigkeit nur mehr auf Wien beschränkt. Seine frühere
Aufgabe war die Besorgung der administrativen und finanziellen
Angelegenheiten der auf Anordnung des Hof-Kriegsrathes durch
eigens delegierte Ingenieure auszuführenden oder von den Festungs-
Commandanten zu leitenden Festungsbauten, weiters die Beischaffung
des Schanzzeuges und sogar die Verproviantierung der festen Plätze,
insbesondere aber die Befestigung Wiens.
Der „Staats-Kalender oder Hof-Schematismus" für das Jahr
1740 führt beim Fortificationsbau-Zahlamte folgende Functionäre
an : ein Fortificationsbau-Zahlmeister, ein Fortificationsbau-Zahlamts-
Gegenhandler (Controlor), acht Sperr - Einlass - Nehmer, (welche
Chargen auch noch in der hofkriegsräthlichen Taxordnung vom
Jahre 1-745 genannt werden), vierzehn Supernumerarii, vier Schanz-
oder Wallknechte, ein Ober- und ein Unter-Ingenieur.
Das Obrist-Schiff-Amt
Das Obrist-Schifi*-Amt ^ war eine Behörde, welche nicht nur
militärischen Zwecken, sondern auch den Bedürfnissen des Hofes
(Fahrten nach Pressburg, Jagdfahrten u. a.) und fiscalischen An-
forderungen (Salztransporte auf der Donau und Theiss, Einhebung
der üeberfuhr- und Brückengelder) genügen und schliesslich selbst
den Strompolizei-Dienst versehen musste. Im Kriege wurde aus
seinen Beständen das Material für die Kjiegsbrücken zusammen-
gestellt. Zu all' diesen Aufgaben musste das Obrist-Schiff-Amt die
^) Staats-Kalender oder Hof- Schematismus v. J. 1740.
*) K. A., Memoiren, XV, 24 (ein Aufsatz des Bruckhauptmanns Eschen-
auer vom 20. Februar 1749).' — Vergl. Feldzüge des Prinzen Eugen, I,
200 ; auch den Staats-Kalender oder Hof- Schematismus vom Jahre 1740.
Digitized by
Google
349
nöfchigen Wassertransporfcmittel mit allem Zugehör, die erforderliche
Mannschaft und fiir den „Gegentrieb" (bei der Fahrt gegen den
Strom) die Zugthiere aiifbringen.
Der Dienst des Obrist-Schiff- Amtes in militärischer Besdehung
bestand nebst der Aufstellung von Feld-Kjiegsbrücken, dann stabiler
Schiffbrücken bei wichtigen Uebergangspuncten (z. B. Linz, Kxems
[Stein], Wieu, Pressburg, Pesth, Esseg, Szegedin) und zahlreicher
ständiger Ueberfahren, in der Verwahrung und Verwaltung des Materials
in bestimmten Stationen und in der Besorgung der Wassertransporte
von Mann, Kjiegsmaterial und Kjiegsbedürfaissen aller Art.
In den wichtigsten Stationen, besonders wo sich ständige
Schiffbrücken befanden, waren Bruck-Hauptleute oder Bruck-Lieute-
nants, in den minder wichtigen Schiffverwahrer oder Bruck-Ünter-
ofi&ciere als Aulsichtsorgane in Verwendung. Solcher Stationen
waren in Nieder-Oesterreich : Stein (bei Krems), Traismauer, Tulln,
Komeuburg, Klostemeuburg ; in Ungarn: Pressburg, Raab, Komom,
Gran (1745 aufgehoben), Pesth, Baja (1745 aufgehoben), Uj-Palanka,
Peterwardein, Pancsova, Esseg, Szegedin, Zenta, Titel, Temesvir. Dem
Ober-Bruokhauptmann in Pressburg oblag die Inspicierung der auf-
gezählten Schiffämter und Schiffverwahrungen in Ungarn. Im August
des Jahres 1740 befanden sich beim Obrist-Schiff- Amte in Wien und
in den ungarischen Schiff-Stationen (ausser den zweiunddreissig
blechernen Pontons zu Peterwardein) im Ganzen 842 Fahrzeuge, wovon
jedoch nur 614 nach entsprechenden Reparaturen als brauchbar,
228 hingegen als völlig unbrauchbar ausgewiesen wurden. Die Fahr-
zeuge hatten verschiedene Grössen und verschiedene Benennungen:
Klobzillen, Kehlheimerui,GamsziLlen, Arztzillen (Erzzillen?), Siebnerin
(ein Schiff, welches sieben Fuder Salz verfrachtete), Sechseria (analog
wie vorher), eichene Brackl-Schiffe, Stock-Plätten, Steuer-Plätten,
Rosenheimer-Plätten , Salzburger-Plätten. Mit den stärksten Vor-
räthen waren versehen: Wien, Komom, Pesth und Peterwardein.^)
Der in Philippsburg befindliche, ebenfalls dem Obrist- Schiff-
Amte in Wien untergeordnete Schiffbrückenstand wurde im
Jahre 1743 abgedankt und dessen 53 fast durchgehends reparaturs-
unfähige Schiffe verkauft. ^
•) Hofk. Arch., Hoffinanz, 16. November 1740. Das Schiff- Amt wurde
bis zum Jahre 1748 „alljährlich mit einer namhaften Anzahl neuer Siebnerin
und Sechserin aus dem Salzkammergut Gmunden versehen", in dem
genannten Jahre aber war darauf keine Hoffiaung zu machen und derVorrath
in Wien auf zwölf Stücke zurückgegangen. (Ebenda, 16. Juli 1748.)
«) Ebenda, 18. October 1743.
Digitized by
Google
3B0
Das Obrist-SchiflF-Amfc in der Leopoldstadt („am Tabor") zu
Wien und dessen Dependenzen standen seit dem Jahre 1730 unter
der Leitung des „Obrist- Schiff- Amts -Obristlieutenants" Claudius
Le Fort du Plessy, welcher jährlich 2.764 Gulden Gehalt bezog.
SeinPersonale bestand aus: einem Obrist-Schiff- Amts-Schreiber, einem
Obrist-Schiff- Amts- Verwalter, einem Obrist-Schiff- Amts- Officier,
einem Schuppenmeister, einem Stadel- (Schuppen-) Knecht und
einem Profossen. Das Amt kostete jährlich 4.175 Gulden 15 Kreuzer.
Seine Besoldungen und den Verlaig bezog es durch das Banco-
Bruckbau-Zahlamt, welches aus dem Bruckbau-Zahlmeister und dem
Bruckbau-Zahlamts-Controlor, dann noch drei Individuen bestand
und indirect von der Hofkammer dependierte.
Das Obrist-Schiff- Amt und die Schiff- Aemter unterstanden der
Controle des Kriegs-Commissariats. Die Erfordemiss-Aufsätze für
das gesammte Schiffs- und Pontonswesen wurden von Delegierten
des Hof-Kriegsrathes, der Hofkammer und des Commissariats unter
Beiziehung des Obrist-Schiff'-Amts-Obristlieutenants berathen.
Das Obrist-Schiff- Amt und die ungarischen Schiff- Aemter waren
im Jahre 1740 mit Schulden so überhäuft, dass Oberstlieutenant
Le Fort im August die Hofkammer dringend um eine Abschlags-
rate bitten musste, da er fast stündlich um Zahlungen angegangen
werde; das angerufene „Hofmittel" bewilligte hierauf 1000 Gulden.
Das General-Feld-Kriegs- Anditoriats-Amt ^)
Diese höchste militärische Justizbehörde wurde von dem
General-Feld-Kjriegs-Auditor (1740 von Summerau) geleitet, welcher
Referent der militärischen Centralstelle und selbst meist Hof-Kriegs-
rath war. Er fungierte in allen jenen criminal- und civilgerichtlichen
Fällen, über welche dem Hof kriegsrathe die Gerichtsbarkeit zustand.
Ihm war ein General-Auditor-Lieutenant, ein Feld-Gerichts-
schreiber und das sonst nöthige Kanzlei-Personale beigegeben.
General- Auditor-Lieutenants standen im Jahre 1740 auch in Graz,
Raab, Esseg, Hermannstadt, TemesvÄr, Szegedin, Mailand, Brüssel
und in Toscana; Landes- Auditore zu Ofen, Komom, Kaschau,
Peterwardein und Linsbruck.
Ln Felde befand sich bei jeder grö»seren Armee ein General-
Auditor-Lieutenant eilige theilt und besorgte jene Gerichtsfälle,
welche ausser der Competenz der mit dem , jus gladii" ausgestatteten
Truppenchefs lagen, also dem commandierenden General zufielen.
*) Feldzüge des Prinzen Eugen, I, 202. — Staats-Kaleuder etc. 1740.
Digitized by
Google
351
Dem General- Auditoriate wal* das kaiserliche Kjiegsgericlit und
Begiments-Schidtheissen-Amt in Wien untergeordnet. Dasselbe übte
die Gericlitsbarkeit über die im Bereiche von Wien befindlichen
Militärpersonen aus, soweit sie nicht der Gerichtsherrlichkeit eines
Regiments unterstanden; namentlich Schuldforderungen an höhere
Officiere, Klagen von Civil-Personen gegen das Militär, Bechnungs-
Processe und dergleichen wurden diesem Amte zugewiesen. Es
bestand um 1740 aus dem Kriegs-Gerichts- und Regiments-
Sohultheiss, dem Kriegs-Gerichts-Schreiber, vier Beisitzern, einem
Gerichtswebel, einem Profossen und einem Profoss-Lieutenant.
Die Oeneraliat.
Grosser und kleiner Generalstab.
In der österreichischen Armee gab es von altersher immer
nur einen General-Lieutenant als den Stellvertreter des obersten
Kriegsherrn. Nach dem Tode des Prinzen Eugen wurde diese
Charge im Jahre 1738 an den Gemahl Maria Theresia's, den
Grossherzog Franz Stephan, verliehen.
Die Zahl der Feldmarsohalle, Generale der Cavallerie und
Feld-Zeugmeister, dann Feldmarschall-Lieutenants und General-
Feldwachtmeister (General-Majore) war nicht beschränkt. Soweit
die in das Feld beorderten Generale nicht selbst Comman-
danten einer Armee oder abgesonderter Armeetheile waren, standen
sie zur Disposition des die Armee commandierenden Generals, welchem
sie je nach Erfordemiss und Wunsch zugewiesen wurden. Die
ursprüngliche Bedeutung der Generals-Chargen-Bezeiohnungen hatte
sich schon grösstentheils abgeschliffen ; aus der Benennung früherer
Functionen waren feste Generalsgrade geworden. Es gab jedoch
noch nicht ständige Armeekörper höherer Ordnung (tacbische und
strategische Einheiten) und desshalb wurden die Generale als
Trefien- und Flügel-Commandanten oder deren Gehilfen in die
Ordre de bataille eingetheilt. Obwohl das Wort „Brigade" schon
häufig angewendet wird und auch meistens einer Truppenstärke
von sechs bis zehn Bataillonen entsprach, so darf doch darunter immer
nur eine vorübergehend, auf bestimmte Zeit angeordnete Formation
verstanden werden. ^)
*) Die „Instruction für die, die Colonnen (in die "Winter-Quartiere)
fährenden Generale" ddo. Hochstädt am 18. October 1743 (K. A., F. A.
Bayern und Ober-Rhein 1743, X, 32) sagt: „Uebrigens dient hiermit zur
weiteren Richtschnur, dass, nachdem die in Bayern zurückkehrenden Truppen
Digitized by
Google
352
Die Gesammtheit der Generale einer Armee bildete deren
„grossen General st ab". Die Mitglieder desselben nalunen
Theil an dem Kriegsrath, welchen der Armee-Commandant in wich-
tigen Fällen zu berufen verpflichtet war, ohne an dessen Votum
gebunden zu sein.
Im Frieden oblag der Generalstabsdienst hauptsächlich dem
Hof-Küegsrathe, eventuell im Vereine mit mehreren von Fall zu
Fall zur Berathung berufenen höheren Generalen.
Da es noch keinen eigenen Generalstab im heutigen Sinne
gab, so fiel dessen Dienst im Felde ganz dem „grossen General-
stab*', den Generalen selbst zu. Doch hatte sich schon seit langer
Zeit zur Verrichtung des niederen Generalstabs-Dienstes eine
Gehilfenschaft der Generale herausgebildet, welche im Gegensatze
zum ,,grossen", der „kleine Generalstab" hiess. Die wichtigsten
Repräsentanten derselben waren die General- Adjutanten und der
General-Quartiermeister; zu ihm gehören femer der General-
Quartiermeister-Lieutenant, der Stal^s-Quartiermeister (eventuell
auch mit einem Lieutenant), der General- Wagenmeister, der
General-Wagenmeister-Lieutenant, der Capitaine des guides (Chef
der Wegweiser, Boten, Kundschafter), der General-Gewaltige
(oberste Feld-Polizei, im Dienste immer in Begleitung einer Eeiter-
bedeckung), der Stabs-Profoss (eventuell auch mit einem Lieutenant).
Der Dienst dieser Chargen liegt durchaus in ihrer Benennung aus-
gedrückt und erstreckte sich auf die Verhältnisse einer Armee und
des Hauptquartiers. Der General-Adjutant war also nicht das, was
wir heute darunter zu verstehen pflegen, sondern der. Gehilfe des
commandierenden Generals, dessen Befehle er vermittelt, sowohl
an den General-Quartiermeister und dessen Organe, als auch an
anheuer nicht, wie im vorigen Jahr, auf Postierung stehen, sondern ihre da-
selbst ausgezeichneten Winter- Quartiere in der Ruhe gemessen können, so un-
nöthig als überflüssig sei, die Regimenter an ihre bisherigen Brigadiers und
Generale angewiesen zu lassen, einf olglich die Intention dahin gehe, dass,
wann sie Herren Generals ihre dermalen unterstehenden Regimenter in
dem ihnen zuerkannten Quartiersnumero eingeführt haben, sie sich mit diesen
weiter nichts einmischen, sondern einem jedweden Regiments-Commandanten
die Sorge überlassen sollen, sowohl die eigentliche Dislocation seines unter-
habenden Regiments nach eigenem guten Befund zu veranstalten, als auch
sonst zu Abhinderung aller Excesse die diensam ermessenden Dispositionen
anzukehren, anerwogen auch selber hiervor zu repondieren haben wird, woraus
sich jedoch femers von selbst ergiebt, dass die gesammten Regimenter nur
allein an denjenigen General, so in ersagtem Bayern das Ober-Commando
führen wird, kriegsgebräuchigermassen assigniert (sind)".
Digitized by
Google
B63
die Generale und Truppen-Commandanten. Der General-Quartier-
meister hatte die Lager und Winter-Quartiere nach den allgemeinen
Weisungen des Feldherm auszumitteln und anzuweisen ; ihm fiel also
auch die Recognoscierung der Gegend in der angeordneten Marsch-
richtung in Bezug auf Verpflegung und Gangbarkeit des Terrains
zu. Der „kleine Q^neralstab" gieng daher unter entsprechender
Bedeckung der marschierenden Armee voraus, soweit es die für Unter-
kunft und Verpflegung zu treffenden Vorbereitungen erheischten.
„Die Mangelhaftigkeit, um nicht zu sagen Aermliohkeit
der Einrichtung des Q^neral-Quartiermeister-Amtes tritt auf den
ersten Blick hervor. Es waren eben nur die untergeordnetsten
Functionen, welche die Oberleitung am meisten beirrten, die der
Feldherr an besondere Ausführungs-Organe überliess. Die wichtigste
war wohl darunter die Recognoscierung ; allein auch diese hatte bei
Weitem nicht jene Bedeutung, die ihr heute zukommt. Bei dem
grossen Mangel an topographischen Behelfen und dem gänzlichen
Fehlen solcher, zum Gebrauche geeigneter, marschierte die Armee
im eigenen Lande mit nicht minderen Schwierigkeiten, als im
fremden; das eine war ihr nicht viel weniger unbekannt, als das
andere. Mühsam tastend suchte sie von Lager zu Lager ihren
Weg, von dessen Gangbarkeit, ja, oft sogar von dessen Vorhanden-
sein sie erst durch unmittelbar vorgenommene Eecognoscierungen
Kenntniss erhielt. Daher der heute oft unerklärlich langsam
scheinende Gang der Operationen, welcher rasche Märsche, uner-
wartetes Auftreten, zu den Seltenheiten machte. Die Recognoscierung
erhielt hiedurch allerdings einen nicht zu unterschätzenden Werth,
allein derselbe war nur relativ und stand bei den engen Grenzen,
die diesem Dienste factisch gezogen waren, nicht viel über jenem
der heutigen Quartiermacher." *)
Welche Bedeutimg man dem Dienste des „kleinen General-
Stabes" beimass, erhellt allein schon daraus, dass sich seine Standes-
ziffer nicht nach der Stärke des Heeres oder der Eigenthümlichkeit
des B[rieges, sondern nach dem socialen Rang und militärischen
Grad des commandierenden Generals richtete. Die Anforderungen
an das Personale waren nicht eben grosse; nur der General-
Wachtmeister und dessen Lieutenant sollten „in Etwas" die
Ligenieurwissenschaft verstehen.
*) Angeli, Zur Geschichte des k. k. General-Stabes. (Wien 1876), 9.
(Fusst für die Zeit des Erbfolgekrieges auf den Instructionen für das General-
Quartiermeister-Amt und die General-Adjutanten vom Jahre 1725, K. A.,
Memoiren, XI, 58 und 69.)
Oesterreiohisober Erbfolgekrieg. I. Bd. 23
Digitized by
Google
354
Da der Dienst des „kleinen Generalstabes" von den General-
Adjutanten geleitet wurde, zu welcher Stelle Manche oft in jungen
Jahren und nicht jedesmal mit Rücksicht auf ihre inteUectuelle
Eignung oder gewonnene Erfahrung durch die freie Wahl des
Feldherm berufen wurden, da weiters die General-Adjutanten nicht
stabil blieben, sondern mit der Person des commandierenden
Generals wechselten und da auch der General-Quartiermeister-Stab
erst unmittelbar vor jedem Kriege zusammengesetzt und nach dem-
selben wieder aufgelöst wurde, so ist schon allein aus diesen
Gründen eine hervorragende Leistung weder von der einen, noch
der anderen Seite zu erwarten. „Mochten sich auch im Laufe der
folgenden Jahrzehnte so manche Uebelstände abgeschliffen haben
und die Erfahrungen des Krieges nicht verloren gegangen sein, so
überzeugten doch schon die beiden schlesischen Kriege, dass gegen-
über der durch rasche Operationen ausgezeichneten Tactik
Friedrich des Grossen ein so schwerfälliger und ungenügender
Apparat, wie er dem kaiserlichen Oberbefehle zur Verfügung stand,
nicht aufkommen konnte."^) Aber es ist auch gerade in den
schlesischen Kriegen nicht zu verkeimen, dass unter den General-
Adjutanten mitunter ganz ausgezeichnete Kräfte sich fanden, wovon
z. B. der geniale Parteigänger General- Adjutant Franquini einen
Beweis liefert.
Häufig werden auch die übrigen Organe des Hauptquartiers
unter die Bezeichnung „kleiner Generalstab" subsummiert, als : Die
Stabs-Medici (immer Doctoren der Medicin), deren ältester als
Chef-Arzt der Armee ftmgierte, die Stabs-Chirurgen (Stabs-Feld-
scherer), die Beamten des Commissariats, des Proviant-Amts, der
Feld-Kriegs-Cassa, des Auditoriats, der Feld-Apotheke, der Feld-
post, einige Ligenieure und der Pater superior. ^
Sieht man genau zu, so gliederte sich der Dienst der Organe
des Hauptquartieres gerade so, wie jener des „kleinen Stabes" beim
Regimente und jener der „kleinen Prima-Plana" bei einer Compagnie,
von welch' letzterer (da sie noch Fähnlein hiess) die Organisation
ausgegangen ist. Folgende schematische Zusammenstellung macht
dies ersichtlich:
>) AngelL a. a. 0. 13.
•) Der erste Oberst-Hofkanzler Graf Sinzendorff erhielt 1741 von der
Bancalität 36 Scudi für ein päpstliches Breve, welches zu Eom „für Ihro
Königlichen Majestät Beichtvater, des Patris Kampmüller Hochwürden als
Christen Feld -Pater" ausgefertigt wurde. (Hofk. Arch., Hoffinanz,
22. Juli 1741.)
Digitized by
Google
355
Armee-Haup tquarüer
Begimeutsstab
CompagniA
General-Adjutant
Wachtmeister-Lieutenant
(Adjutant)
Feldwebel
General-Quartiermeister
oder dessen Lieutenant,
Stabs-Quartiermeister u.
Capitaine des guides
Eegiments-Quartier-
meister
Fourier
General-Kriegs-Commis-
sariats -Amts -Feld - Sub-
stitution
Derselbe als Eechnungs-
filhrer
Fourier
General-Auditor-Lieut.
Auditor
(Compagnie - Comman-
dant, berechtigt zu Dis-
ciplinarstrafen)
Feld-Kriegs-Expedition
Derselbe als Secretarius
bis 1740 Musterschreiber,
hernach Fourier
Pater superior
Caplan
(Einzebie Dienstesob-
liegenheiten des Fähn-
richs und Führers)
Proviantstab
Regiments-Proviant-
meister
Fourier
1
General - Wagenmeister
oder dessen Lieutenant
Regiments-Wagenmeister
(Zwei Mann zur Bagage-
Wache)
G-eneral-Gewaltiger und
Stabs-Profossen
Regiments-Profoss
1
(Corporal)
Stabs - Medicus, Stabs-
Chirurgus, Feld - Apo-
theker
Regiments - Feldscherer
mit dem „Medicamenten-
Kasten"
Feldscherer-Geselle mit 1
Verbandzeug
23*
Digitized by
Google
356
In dieser Zusammenstellung drückt sich zugleioli das Ver-
fligungsrecht der höheren über die niederen Organe des Regiments
und der Compagnie aus, wobei jedoch die Rechte des Regiments-
Commandanten nicht geschmälert werden durften.
Anfangs des Jahres 1740 waren auf die Contributionen der habs-
burgischen Länder, mit Ausnahme Italiens und der Niederlande, fol-
gende Generale mit den beigefiigten jährlichen Gagen angewiesen^):
General-Lieutenant . • 50.000 fl.,
„ Feldmarschälle k 11.804 „
„ Feldmarschall • 9.900 „
„ Feldmarschälle (Titulare) k . . . 9.144 „
„ Feldmarschall „ .... 7.920 „
„ der Cavallerie 9.144 „
(Titular) .... 5.664 „
„ „ ,, „ .... 4.^40 ,,
„ Feldzeugmeister 7.824 „
12 „ Feldmarschall-Lieutenants k . . 4.740 „
2 „ „ „ (Titulare) 4 3.960 „
34 „ Feldwachtmeister a 3.960 „
1 » ,7 4.320 „
Unter den Feldmarschällen befindet sich der Hof-Kriegsraths-
Präsident Graf Joseph Harr ach, welchem in dieser Eigenschaft
jährlich 18.000 Gulden und überdies die Gebühren des Oberst-
Inhabers zuflössen. Letzteres war auch bei allen anderen Generalen
der Fall, welche „wirkliche Oberste'' (Inhaber) waren.
Es war „althergebrachte Observanz", dass die Generale im
ersten Jahre nach ihrer Beförderung (im sogenannten „Carenz-
Jahre'') die Gage der zuletzt innegehabten Charge genossen, sonach
die General-Feldwachtmeister „allein die Obristens- imd Hauptmanns-
(Rittmeisters-) Gage". Maria Theresia bestätigte am 13. Mai
1744 diese Gepflogenheit, nur sollten die Obersten-Gagen der neuen
General-Feldwachtmeister künftig aus der Operations-Casse bezahlt
werden, „damit die Regimenter mit dem Gelde besser die Stabs-
Officiere bezahlen und die vacanten Compagnien an verdiente Offi-
eiere vergeben werden könnten, sonach nicht ohne wirkliche Haupt-
leute wären".
Auch die General- Adjutanten, gewöhnlich in einer der Chargen
vom Hauptmann (Rittmeister) bis zum Obersten stehend, sollten
») K. A., Memoiren, VIII, 12.
Digitized by
Google
857
Ton diesem Zeitpunote an bei den Regimentern auf ihre Comipag-
nien „resignieren" und ebenfalls aus der Operations-Casse die Gage
beziehen ^). Diese wird für das Jahr 1740 mit jährlichen 1824 Gulden
angegeben. Damals werden in den deutsch-böhmisch*ungarischen
Erblanden sieben General-Adjutanten mit dieser Gage angeführt.
Bei der Haupt- Armee des Prinzen Carl von Lothringen befanden
sich im Mai 1 744 allein deren fOnf^ bei BatthyÄny in Bayern zwei.
Der General-Quartiermeister-Lieutenant Grämlich bezog 1739
auf ein Jahr 1740 fl., der Stabs-Quartiermeister 416, der General-
"Wagenmeister 768, dessen Lieutenant 300, der Capitaine des guides
768, der General-Gewaltige 1080, der Stabsprofoss 800 Gxilden. «)
An Landes- Vorspann gebührten einem Feldmarschall fünf,
einem Feldzeugmeister oder General der Cavallerie vier, einem
Feldmarschall-Lieutenant drei xmd einem General-Feldwachtmeister
oder einem nicht mit seinem Regimente marschierenden Obersten
„im Herrendienste" zwei Wagen.
Die Truppen.
Redactionen seit dem Frieden Ton Fassarowitz 1718.
Zur Zeit als die kaiserlichen Truppen unter des Prinzen Eugen
von Savoyen genialer Führung in den Kämpfen von Peterwardein,
Temesv&r und Belgrad sich unvergänglichen Ruhm und dem Kaiser
das Temeser Banat, nebst Theilen von Serbien, Bosnien und der
Walachei erwarben, bestand die habsburgische Hausmacht aus
53 Infanterie-, 22Cüra8sier-, 17 Dragoner- und 5 Husaren-Regimentern.
Obwohl die dem Frieden von Passarowitz (Po2arevac) folgenden
fünfzehn Jahre durchaus nicht ohne Kämpfe abliefen, gestatteten die
Verhältnisse mehrfache Reductionen in der Zahl und Stärke der
Eegimenter, wobei die finanzielle Lage des habsburgischen Länder-
besitzes massgebend war. Mit Ende dieses Zeitraumes (1732) gab es
an kaiserlichen „immediaten" Truppen 47 Infanterie-, 20 Cürassier-,
12 Dragoner- und 3 Husaren-Regimenter. In den Kämpfen um
die polnische Thronfolge sah sich der Kaiser neuerdings zu
grossen Anstrengungen genöthigt und es entstanden daher in den
Jahren 1733 bis 1735 acht neue Infanterie - Eegimenter (wobei
das 1733 errichtete und schon im folgenden Jahre wieder aufgelöste
») K. A., H. K. R. 1744, Mai, 241 Reg.
«) K. A., Memoiren, VIU, 15.
Digitized by
Google
358
Regiment Mo Itke nicht mitgezählt wird), femer zwei Dragoner-
und sechs Husaren-Regimenter. Nach dem Frieden wurden drei
Infanterie-Regimenter (darunter die zwei neapolitanischen, Monte-
leone und Spinelli), dann zwei Cürassier-Regimenter reduciert. ')
Im Jahre 1733 bestand jedes Infanterie-Regiment aus fün&ehn
Musketier- (auch „Füsilier-" oder „Ofdinari-") Compagnien, ein-
getheiltin drei Bataillone imd aus zwei Grenadier-Compagnien. Eine
der letzteren zählte 100, eine Ordinari-Compagnie aber 140 Mann,
so dass also ein BataUlon 700, das ganze In£ajxterie-Regiment mit
dem „completen", d. h. dem vorgeschriebenen oder Sollstande
2300 Mann zählte. Jene Regimenter, welche im römischen Reiche
standen oder dahin bestiomit waren, erhielten Ende 1733 ein viertes
Bataillon, kamen sonach auf 3000 Mann.
Ein Cürassier-Regiment zählte auf dem Kriegsfiisse 1094 Mann,
eingetheilt in zwölf Ordinari-Compagnien k 83 und in eine Cara-
binier-Compagnie zu 98 Mann. Die Dragoner-Regimenter hatten
dieselbe Stärke und Eintheilung, nur hiess die dreizehnte Compagnie
die Grenadier-Compagnie. Ein Husaren-Regiment damaliger Zeit
hatte den Sollstand von 1000 Mann, welche in zehn Compagnien
von je 100 Mann abgetheilt wurden. Die Compagnie war die
administrative Unter- Abtheilung ; im Gefechte oder beim Exercitium
bildeten bei allen Reiter - Regimentern zwei Compagnien eine
Escadron. ^
Die zu Anfang des Jahres 1736 beabsichtigte Auflösung zweier
weiterer Infanterie-Regimenter und die Reduction jedes Infanterie-
Regiments auf 2000 Mann, der Cürassier- imd Dragoner-Regimenter
auf je 800 Mann und 440 Pferde, dann der Husaren-Regimenter
auf 600 Mann und 300 Pferde *) kam mit Rücksicht auf den heran-
rückenden Türkenkrieg nicht zur Durchführung. Noch vor dem
eigentlichen Beginn dieses Krieges erfloss jedoch am 18. October
1736 die kaiserliche Resolution, dass alle Infanterie-Regimenter
auf den „completen Stand" von 2300 Mann in drei Bataillonen und
zwei Grenadier-Compagnien zu setzen, demnach die vierten Batail-
lone, wo sie bestanden, mit 1. November 1736 zu reducieren seien *)
») Vergl. die Tabellen, Beilage 22 A und 22 B im 20. Bande der „Feld-
züge des Prinzen Eugen". Auf die gemietheten und Auxiliar-Truppen wird
hier und im Folgenden keine Rücksicht genommen. „Reduciert" bedeutet im
militärischen Sprachgebrauch jener Zeit „aufgelöst".
•) Feldzüge des Prinzen Eugen XIX, 101, 106. 110.
») K. A., H. K R., 1736, Prot Reg. foL 243 (Februar 22).
*) K. A., H. K. R., 1736, Prot Reg. fol. 1421, 1660.
Digitized by
Google
359
und weiters am 23. Febmar 1737 die Allerliöcliste EntscKliessmig,
die „Regimenter zu Pferd" (d. h.' Cürassiere und Dragoner) um
vierzig Mann, also auf 1054 Mann herabzusetzen ^). Es ist ver-
muthlich ein Ergebniss des unglücklichen Feldzuges von 1738 und
der finanziellen Erschöpfhng des Staates, dass man gegen Ende
dieses Jahres beschloss, die Ctirassier- und Dragoner-Regimenter
nur mehr auf 1000, die Husaren-Regimenter gar nur mehr auf 800
Mann imd Pferde ergänzen zu lassen. ^
Nachdem während des Ttirkenkrieges die Zahl der Regimenter
nur bei den Dragonern eine Aenderung erfuhr, indem der Kaiser
vom Hause Württemberg, laut Capitulation vom 5. October 1737
mit demselben, das Dragoner-Regiment Ludwig "Württemberg
übernahm^, so bestand die kaiserliche Hausmacht am Ende
dieses KjHieges aus 52 Infanterie-, 18 Cürassier-, 15 Dragoner-
und 9 Husaren - Regimentern. Diese repräsentierten nach dem
eben gütigen Sollstande eine Armee von 118.700 Mann In-
fanterie und 40.962 Reitern, somit im Ganzen von 159.662
Mann^), eine Zahl, die in Wirklichkeit in Folge der Verluste vor
dem ^ Feinde, der Anstrengungen auf Märschen und in Lagern, des
vielfach ungesunden Klimas imd oft sumpfigen Bodens, endlich
der an den Südgrenzen des Reiches damals nie ganz erlöschenden
Pest und anderen Krankheiten freilich nicht erreicht wurde. Eine
Standes-Tabelle der kaiserlichen Armee in Ungarn und Slavonien
vom 20. October 1739 weist fär 74 Bataillone und 56 Grenadier-
Compagnien der Infanterie einen Abgang von 20.508 Mann gegen
den „completen" Stand von 57.400 Mann auf ^), d. i. 35-7 Percent
oder mehr als ein Drittel.
') K. A., H. K. E., 1737, Prot. Eeg. foL 283.
*) Ebenda, fol. 1522, 1881. Auch General der Cavallerie Graf Alexander
Kdrolyi sollte (Ebenda, fol. 1949) bei seinem Hnsaren-Regimente die
bisherige eilfte Compagnie auf die anderen zehn anftheüen und das Eegiment
auf 800 Mann setzen ; das soheint aber nicht geschehen zu sein ; das Eegiment
K & r o 1 y i wird auch in den folgenden Jahren um eine Compagnie stärker
ausgewiesen, als die anderen Husaren-Eegimenter.
») K. A., H. K. E. 1740, März, 638, Reg,
*) Hiebei sind die in den Niederlanden befindlichen drei National-In-
fanterie-Eegimenter Los Eios, Pri6 und de Ligne mit je 2000 Mann, die in
Italien stehenden Gürassier-Eegimenter Miglio und Berlichingen, dcmn das
Dragoner-Eegiment Sachsen- Gotha mit je 1094 Mann, die ebendaselbst stehen-
den Husaren-Eegimenter Baranyay und Havor mit je lOOO, endlich das Husaren-
Eegiment K4rolyi mit 880 Mann angenommen; diese Eegimenter erscheinen
noch zur Zeit des Todes des Kaisers mit diesem vorgeschriebenen Stande.
*) K. A.; F. A. Türkenkrieg, 1739, X, 26.
Digitized by
Google
860
Die Bednctioiuiprojeete der Jahre 1789 und 1740.
Zahl und Stand der Regimenter beim Tode Carl VI.
Dislocations-Aendernng im Jahre 1740.
Nachdem am 18. September 1739 mit den Türken der Friede
von Belgrad abgeschlossen worden, richtete sich des Kaisers erste
Sorge darauf, die durch den unglücklichen Krieg seinen Ländern
geschlagenen Wunden wieder zu heilen, indem er anstrebte, die
Lasten seiner Unterthanen soweit, als es sich mit der politischen
und militärischen Ma,chtstellung seines Hauses vertrug, zu er-
leichtem.
Das nächstliegende Mittel hiezu lag scheinbar abermals in einer
Eeduction der Zahl und Stärke der kaiserlichen Regimenter. Diese
konnten vermöge der geltenden Grundsätze hinsichtlich ihrer Er-
gänzung, dann der Dienstzeit des gemeinen Mannes nicht derart
leicht ihren Stand vermindern, wie dies heutzutage geschieht.
Dazu bedurfte es einer ausdrücklichen und detaillierten kaiserlichen
EntSchliessung. Hervorragende Generale, wie z. B. der Feldzeug-
meister Joseph Prinz zu Sachsen-Hildburghausen waren
der Meinung, dass mit Rücksicht auf das geschwächte Heer imd
dessen im letzten Kriege untergrabenes Ansehen, dann aber auch
auf die ganze politische Lage eher eine Vermehrung als eine Vermin-
derung der Zahl der Regimenter platzgreifen solle; aber die Er-
kenntniss der stark herabgekommenen materiellen Leistungsfähig-
keit der Monarchie nöthigte ihn und auch Männer, wie den Feld-
marschall Khevenhüller, sich trotz allen Widerstrebens mit dem
Gedanken der Reduction vertraut zu machen. Als Vorbereitender
Schritt zu derselben ergieng am 3. und 24. October 1739 an sämmt-
liche Regimenter zu Fuss und zu Pferd die Vei*ordnung, dass die
schon vacanten oder noch offen werdenden Stabs-, Ober- und
Unterofficiers-Plätze bis auf weiteren Befehl nicht besetzt werden
dürften ^).
Die Berathung der finanziellen Lage ergab, dass zum künf-
tigen Unterhalt der Kriegsmacht jährlich nur auf acht Millionen
Gulden zu rechnen sei, wovon sechseinhalb Millionen für den
Unterhalt der Regimenter in den deutschen, böhmischen xmd
ungarischen Erblanden, der Rest für die übrigen Militär-Erforder-
nisse in Anschlag gebracht war^. Die Regimenter, welche nach
») K. A., H. K. K. 1739, Prot Keg. fol. 1872, 1992.
') Hofk. Arch., Eeichs- Archiv, Fascikel 165 Deputations-Protocoll, 6. No-
vember 1739 und Conferenz-Protocoll, 6. April 1740.
Digitized by
Google
361
Italien und in die Niederlande zu stehen kamen, sollten aus den
Einkünften dieser Provinzen erhalten werden. Der Hbf-Kriegsraths-
Präsident Feldmarschall Graf Joseph H a r r a c h meinte zwar in
einem Briefe vom 16. November 1739 an den Prinzen von Sachs en-
Hildburghausen^), mit dieser Suiome könne so wenig das Auslangen
gefunden werden, als sein Schneider aus den für ein Kleid aus-
reichenden sieben Ellen Tuch sechs ganze Kleider machen könne,
aber es blieb bei den trostlosen Umständen auch ihm nichts
anderes übrig, als auch seinerseits zur Lösung des Problems bei-
zutragen.
Die ersten Reductionsprojecte liefen schon im October 1739
von den Feldmarschällen Grafen Khevenhüller und S eck en-
do rff (damals in Graz interniert) ein. Dasjenige des Letzteren^
beschäftigte sich mehr mit der allgemeinen Lage als mit der con-
creten Frage und wurde daher, so beachtenswerth sonst sein Lihalt
auch war, damals nicht weiter in Betracht gezogen. Kheven-
hüller arbeitete seinen Entwurf wieder um und seine neue Arbeit
kam im Laufe der ersten Hälfte *des Jahres 1740 mit noch vier
anderen Entwürfen der Feldmarschälle Grafen Harr ach und
Königsegg, des Feldzeugmeisters Prinzen von Sachsen-
Hildburghausen und des Hof-Kriegsrathes von Koch zur
commissionellen Berathung.^)
Die Vorschläge dieser fünf Männer von Erfahrung sind
aus nachstehender Zusammenstellung zu entnehmen. Zu deren
Verständniss muss nur noch erwähnt werden, dass vom Kaiser
noch vor Beginn der Berathimgen die Auflösung des „illyrisch-
raizischen" Husaren-Regiments Cantacuzene und des Dragoner-
Regiments Ludwig Württemberg genehmigt wurde*), so dass
die Projecte nur mehr von der Anzahl von 52 Lifanterie-,
18 Oürassier-, 14 Dragoner- und 8 Husaren-Regimentern ausgehen
konnten.
K. A.; F. A. Türkenkrieg, 1739, XI, 5.
«) K. A., F. A. Türkenkrieg 1739, XHI, 20. Khe venhüller's Project
vom 14. October 1739 ebendaselbst, Memoiren, VIII, 12.
•) Die ftinf Projecte im K. A. in dem umfangreichen Acten-Convolut
H. K. K. 1740, Juni, 1002, Exp. Khevenhüller's Project in zweiter
Original- Ausfertigung auch in den .,M6moiren", VI ET, 9, 10 a— e. Vergl.
„Khe V einhülle r's Wehrsystem" in den „Mittheilungen des k. k. Kriegs-
Archivs", Jahrgang 1881.
♦) Hofk, Arch., Eeichs-A., Fascikel 165, Conferenz-ProtocoU 10. Sep-
tember 1789. — K. A., H. K. E. 1739, October, 271, Exp. amd 1740, März,
633, Eeg.
Digitized by
Google
362
B
o
'^
w
O:
s.
i
^
k
Ä
O
l
H,
g'
-!j
2
D-
w
o
?»
w
3.
ET •
<
O
g-
o
p
g-f.
OB O
CO
S
o
8
K ^
fei «»- 2 p-
Ol
CO
§
g CO
M
g; P-
ß P-
s s ^
a
S S
P o
i
o
s
s
s
o
I
s
i
s «^ ^
s
'S.
5
s
s s
CO
00
o
o
s
2
s
Od
8
►^
p
M
^
3 O
C5
o
Od
o
OD
o
o
o
GO
o
8
8
Infanterie
Mann stark
O
o
I
2 o
Q
s
o
Cürassiece
Mann
Pferde
O
o
o
3.S:
I
9
s-
5-»
Dragoner
Mann
Pferde
s?
OD
er
o
§
©
o
5
^3 '
S I
? I
Husaren
Mann
Pferde
OB
I
eiD^etfaeilt in Com-
pagnien
CO
03
to
CO
CD
Infanterie- , Lr
f.
Cürassier- J ^ ?
SJ2.2.
Dragoner-
Hasaren-
Digitized by
Google
363
Allen Projecten gemeinsam ist, dass sie die Zahl der Cürassier-
Regimenter unberührt lassen und höchstens zwei Dragoner-Regi-
menter zur Auflösung beantragen. Darin prägt sich nicht nur die
Schwierigkeit der Wiedererrichtung solcher Regimenter im Bedarfs-
falle, insbesondere bezüglich der Pferdebeschaffiing, sondern ebenso
stark auch die Werthschätzung aus, die sich die „deutschen" Caval-
lerie-Regimenter in den Kämpfen unter Prinz Eugen erworben
hatten. Weiters ist bei allen Reiter-Regimentern die Zahl der beizube-
haltenden Pferde weit geringer, ja bis zur Hälfte schwächer, als die
des projectierten Mannschaftsstandes entworfen; dies entsprach der
bisherigen Gepflogenheit. Abgesehen von dem Projecte Königs-
egg, handelte es sich also bei den anderen um die Auflassung
mehrerer Infanterie-Regimenter, weil schlechterdings gespart werden
musste und mehrerer Husaren-Regimenter, welche erfahrungsgemäss
am leichtesten wieder errichtet werden konnten.
Khevenhüller's Hauptaugenmerk war auf die Erreichung
eines möglichst hohen Feuergewehr-Standes, die thunlichste Ent-
lastung des Aerars und der Länder von den kostspieligen Regiments-
stäben und den „kleinen Prima-plana"- Parteien, dann die Ermög-
lichung einer raschen Mobilisierung gerichtet. Die Officiere der
aufzidösenden Regimenter sollten theils ganz abgedankt, theils mit
halber, theils mit ganzer Gage den verbleibenden Regimentern
zugetheilt, „aggregiert" werden, bis sich Aperturen ergäben. Die
Zahl der Chargen sollte vermindert, die Gemeinen und die „kleine
Primaplana", (d. h. die über dem Corporal stehenden Unteroffi-
ciers-Parteien der Oompagnien) der aufzulösenden zwölf Regimenter
als Gemeine in die verbleibenden vierzig Regimenter eingetheilt
werden. Trotz der um zwölf verminderten Zahl derselben würde
nach seinem Plane die kaiserliche Armee mehr Combattanten
haben, als bisher; durch sein System werde auch der gemeine Mann
mehr conserviert; „dieser kann zu Friedenszeiten ad exercitium
armorum et operis gebracht werden ; sofort ist bei hervorbrechendem
Krieg allezeit schon ein miles exercitatus vorhanden, da in con-
trario die schwache Mannschaft in Wachten und Diensten strapaziert
wird imd zu Grunde gehen muss". Im Ernstfälle könnten aus dem
starken Mannschaftsstande leicht wieder neue Bataillone geschaffen
werden mit einem starken Kern ausgebildeter Leute, unter welche
ohne Gefahr noch leicht Recruten gesteckt werden könnten. Den
Einwand, dass nach seinem Entwürfe in der Armee zu wenig
Officiere seien, während es deren z. B. in Frankreich sehr viele
gebe, liess er nicht gelten, „weil in Frankreich die Noblesse und
Digitized by
Google
864
Jugend zu dienen obligierfc, so aber bei uns nicht ist, dann unter
den kaiserlichen Truppen die meisten Offioiere AuslÄnder, auch die
Unteroffioiere und Gemeinen selbst in guter Anzahl Fremde sind".
Es sollten fernerhin nicht so oft fremde, zum Theil unerfiethrene
„Personalien" unter die Eegimenter gesteckt, sondern eher die mit
halber Q-age aggregierten Officiere eingebracht werden; auch in
der Generalität, in der Artillerie, bei den Ingenieuren, in den Kanz-
leien und beim Kriegs-Commissariat hätten „viel überflüssige, ohn-
nöthige und incapable Personen de praeterito zur Annehmung sich
zu insinuieren gewusst", nun sei aber dagegen keine Abhilfe
möglich, da „die Allerhöchst angestammte kaiserliche Clemenz und
Pietät nicht verstattet, dergleichen wieder abzuschaffen". Man
solle aber diese Leute doch entlassen, monatlich genaue Standes-
Tabellen führen lassen, fiir jedes Ressort so, wie bei den Kegi-
mentem, einen geschlossenen „Numerus der höchst
nöthigen Leute" fixieren und hienach nur den wirklichen
Abgang ersetzen; dann werde auch das Geld nach und nach
auslangen.
Während Feldmarschall Khevenhüller bei seinen Plänen
nur immer an den Erbfeind der Christenheit dachte, war der
Prinz von Sachsen-Hildburghausen der Meinung, dass
mit Rücksicht auf die überall offenen Grenzen und schlechten
Festungen, dann gefährlichen Nachbarn, die Armee immer in
Bereitschaft stehen müsse, „täglich und stündlich und da
man es vielleicht am allerwenigsten vermuthen
möchte, in die gefährlichsten und schärfsten Klriegs-Operationen
verwickelt zu werden". Sein Project legte das Hauptgewicht auf
die Erhaltung des Officiers- und Unterof&ciers-Cadres ; doch er-
kannte er, dass Khevenhüller's Vorsorge für einen möglichst
starken Mamischaftsstand eben nicht so unbegründet wäre imd
er suchte daher diesem Mangel seines Vorschlages dadurch ab*
zuhelfen, dass er für die Bildung von Eecruten - Reserven in
Ungarn eintrat. Er dachte sich dieselbe derart, dass bei den
ständigen Garnisonen in Raab, Komom und Ofen je 2000 und
in Siebenbürgen ebenfalls 2000 „Supemumeräre" unterhalten
würden, ohne grosse Montur und nur mit halbem Sold, von
wo sich die Regimenter leicht imd dabei billiger hätten ergänzen
können.
Das Project des Hof-Kriegsraths-Prä^identen, welches bei der
Infanterie nur die Auflösung zweier Regimenter und bei jedem
der verbleibenden noch die Reduction von je drei Compagnien
Digitized by
Google
365
forderte, ergab nach seiner DurchfÖhrung 2840 Mann zu Fuss
weniger als das Khevenhüller's und fast 2000 Mann mehr als
das Hildburghausen's und berührte auch nicht eine so grosse
Anzahl Ton Officieren,
Die beiden anderen Vorschläge hätten noch eine viel geringere
Anzahl von Fusssoldaten ergeben und wurden desshalb kaum
ernstlich in Betracht gezogen.
Wenn von den Bestrebungen Carl VI. um die Anerkennung
der pragmatischen Sanction die Bede ist, so verknüpft sich damit
immer die Vorstellung, als hätte der Kaiser allzusehr auf den
Werth von leicht zu brechenden Verträgen gebaut und die
Bedeutung einer zahlreichen und tüchtigen Armee nicht richtig
gewürdigt.
Aus der Begründung des Projectes des Prinzen von Sachsen-
Hildburghausen aber geht hervor, dass Carl VI. bei der vor-
zunehmenden Reorganisation nicht nur auf die Leistungsfähigkeit der
Länder und ihren hinreichenden Schutz, sondern gar wohl auch auf
die Eventualitäten gelegentlich der Erbfolge seiner Tochter und die
Rolle, welche dabei der Armee zufallen musste, gedacht habe. Dies
wird durch die Art und Weise, wie er sich zu der als unbedingt
nothwendig erkannten Heeres - Reduction verhielt, bestätigt. Zwar
hatte er zuerst mit Rücksicht auf die Finanzlage den Grafen
Harr ach wegen der Betreibung der Vorlage von Entwürfen so
sehr gedrängt, dass sich dieser in einem Briefe an den Prinzen
von Sachsen-Hildburghausen darüber beklagte*); als aber
die Berathungen endlich sich ihrem Ende näherten, da zögerte
er mit der Entscheidung und es kamen nicht einmal schon
beschlossene Verfugungen hinsichtlich der Reduction zur Aus-
fuhrung, obwohl die immer gleich trostlose Finanzlage und die
dringende Durchführung einer Aenderuiig in der Truppen-Dis-
location einen ebenso raschen, als festen Entschluss erheischt
hätten.
Nach dem Friedensschlüsse war nämlich die gegen die Türken
im Felde gestandene Armee in die Winterquartiere verlegt worden,
welche sich von Siebenbüi*gen bis nach Croatien und über ganz
Ungarn erstreckten. Nach damaligem Gebrauche war zu Friedens-
zeiten an einen längeren Marsch der Truppen im Winter zum
Zwecke der Gamisonsänderungen nicht zu denken. So verblieb denn
») K. A.; F. A. Türkeukrieg, 1739, XI, 5
.Google
Digitized by ^
366
die ganze Armee die kalte Jahreszeit hindurch in Ungarn und
dessen Nebenländem ; erst mit Eintritt des Frühjahres trat für diese
Provinzen eine kleine Erleichterung ein. Es marschierten nämlich
die bisher daselbst gestandenen Theile der „beiden Gamisons-Regi-
menter" O'Gilvy und Wenzel Wallis nach Böhmen, beziehxmgsweise
nach Schlesien; nach Vorder-Oesterreich, wo bisher nur zwei Ba-
taillone von Salm und Walsegg sich befanden, der Best des letz-
teren Regiments, dann Jung-Daun- und Damnitz-Infanterie ; nach
den Niederlanden, welche bisher von fünf Infanterie- und zwei
Dragoner-Regimentern beschützt wurden, noch drei ganze Infanterie-
Regimenter, Salm, O'Nelly und Heister ; endlich nach Italien Gyulay-
Infanterie.
Was sonst noch an Truppenverschiebungen im Sommer
des Jahres 1740 vorgenommen wurde, geschah hauptsächlich nur
zum Zwecke einer gleichmässigeren Vertheüung innerhalb Ungarns
imd seiner Nebenländer, aus Rücksicht auf leichtere Verpflegung
und um die durch die Ausmärsche entstandenen Lücken auszufüllen.
Es befand sich sonach Mitte 1740 immer noch mehr als die Hälfte
der gesammten Kriegsmacht in den ungarischen Ländern, darunter
jene acht Infanterie- und ein bis drei Dragoner-Regimenter, welche
noch in die deutsch-böhmischen Erblande verlegt werden sollten.
Trotz alles Drängens von Seite Ungarns verwahrte sich aber der
Hof-Kriegsrath gegen jede weitere Verschiebung, bis bestimmt sein
werde, wie viel und welche Regimenter reduciert würden, da sonst
ein zweckloses Hin- und Hermarschieren bei einigen Regimentern
imvermeidlich wäre. ^)
Der Kaiser hatte endlich in einer Resolution zum Conferenz-
ProtocoU vom 10. Juni *) sich für das Reductions-Project des Hof-
Kriegsraths-Präsidenten Feldmarschall Grafen Harrach entschieden,
aber zugleich bestimmt, dass drei Infanterie-Regimenter (statt zwei)
aufgelöst werden sollten. Hof-ICriegsrath v. Koch verständigte am
30. Juli den Feldmarschall-Lieutenant Grafen Walsegg von der
Allerhöchsten Resolution, drei Infanterie-, zwei Dragoner- imd
drei Husaren-Regimenter aufzulösen, welche aber noch nicht benannt
seien (sonach um ein Husaren-Regiment weniger als nach Harrach's
Project), ferner dass bei jedem Infanterxe-Regimente drei, bei jedem
Cavallerie-Regimente zwei Compagnien reduciert werden sollten,
^) Hof. K. Arch., Reichs- Acten, Fascikel 165, Deputations-Pro tocolle
27. Mai und 22. September 1740.
*) Erliegt bei den fünf Reductions-Projecten.
Digitized by
Google
367
fugte aber die Meinung bei, dass an dieser Resolution noch Aen-
derungen vorgenommen werden dürften. ^) Thatsäclüich war es noch
am 22. September zweifelhaft, ob nicht statt drei — sechs Infanterie-
Eegimenter reduciert werden sollten, in welchem Falle in die
böhmischen Erblande weniger als acht Fuss-Regimenter verlegt
worden wären *^). Aus KhevenhüUer's Project ist nämlich er-
sichtlich, dass der Grossherzog von Toscana seinerzeit ftir die
Auflösung von acht Infanterie-Regimentem gestimmt hatte ^); er
kam damit der Ansicht Khevenhüller's am nächsten. Bei dem
unzweifelhaften Einflüsse so gewichtiger Gegner des Projectes
Harr ach und bei der politisch ebenso gewichtigen Meinung
Hildburghausen's, man müsse die Armee eher vermehren,
als vermindern, ist es dem Kaiser gewiss sehr schwer geworden,
zu einem definitiven Entschlüsse zu gelangen und in der That war
eia solcher bis zum 16. October noch nicht an den Hof-Kriegsrath
herabgelangt *). "Wie aber aus den am 9. Juli an sämmtliche Regi-
menter in den deutsch-böhmisch-ungarischen Erblanden, am 8. Oc-
tober an jene in ItaHen und noch am 19. October an die in den
Niederlanden ergangenen Befehlen, den Stand einer Compagnie um
einen Corporal, zwei Gefreite und zwei Fourierschützen zu ver-
mindern *), hervorgeht, muss die Entscheidung nahe bevorgestanden
sein, sowohl hinsichtlich der Zahl, als der Auswahl der aufzxdösenden
Regimenter.
Nachdem schon im August und September die Regimenter
Botta-, Browne- und Harrach - Infanterie , dann Liechtenstein-
Dragoner, wohl in der sicheren Annahme, dass sie nicht in Reduction
verfallen würden, nach Schlesien und Mähren in Marsch gesetzt
worden, ergiengen endlich am 15. und 19. October, also nur einige
Tage vor dem Tode des Kaisers, die Befehle zu Dislocations-
Aenderungen ^, nach welchen die „General-Tabellen pro anno 1740"
des General-Eüegs-Oommissariates de dato 5. November 1740^
die zukünftige Vertheilimg der Regimenter, wie folgt, an-
geben :
J) K. A. ; F. A. Böhmen und Schlesien, 1740, VII, 1.
*) Hof. K. Arch., ßeichs-A. Fascikel 165, Conferenz-ProtocoU, 3. August
tind Deputationa-Protocoll, 22. September 1740.
») K. A.; Memoiren, Vm, 10 d.
*) K. A.; H. K. E. 1740, Prot. Seg. fol. 3286.
*) Ebenda, fol 1062, 8248, 3304.
») Ebenda, fol. 3279, 3282, 8268. 3801, 8802, 8806, 8308.
^ K. A.; F. A. Böhmen und Schlesien, 1740, XI, 1.
Digitized by
Google
368
Länder
Regimenter
I
I
ü
o
fl
3
Lombardei und Toscana
Niederlande
Ungarn, Croatien, Slavonien und Banat
Siebenbürgen
Böhmen
Mähren
Schlesien
Nieder-Oesterreich
Inner-Oesterreioh
Tyrol
Vorder-Oesterreich
In Summa
13
8
12
4
6
1
4
1
1
3
13
3
1
2
7
2
B
1
52
18
14
Die Abweichungen, welche sich durch diese Befehle vom
15. und 19. October gegen die bisherige Dislocation zur Zeit des
Todes Carl VI. ^) ergaben, bezogen sich blos auf die zusammen-
hängende Hauptgruppe der Erblande und bedurften zu ihrer Durch-
führung noch langer Zeit. Das Regiment Königsegg-Infanteri©
wiwde nach Tyrol beordert, wo es Mitte November eintraf, während
um dieselbe Zeit Alt-Daun-Infanterie in Steyermark einrückte.
Harrach-Infanterie betrat in der ersten Hälfte des November
Schlesien, ihm folgten erst im December die Infanterie-Regi-
menter Browne und Botta imd nahe um dieselbe Zeit die theils
nach Mähren, theils nach Sohlesien bestimmten Liechtenstein-
Dragoner. Da Grünne-Infanterie noch im November, Kolowrat-
und Carl-Lothringen-Infanterie im December in den böhmischen
Erblanden einlangten imd nur noch das Infanterie-Regiment Franz
Lothringen dahin im Marsch war, so zeigt die vorstehende Tabelle
zugleich annähernd die Truppen-Dislocation zur Zeit des preussischen
Angriffes (16. December), an dessen Bevorstehen man in Wien
so wenig glaubte, dass erst vom 10. December an neuerdings
Befehle an mehrere Regimenter in Ungarn zum eiligsten Marsche
nach Schlesien, Mähren imd Böhmen erflosaen.
*) Siehe Anhang Nr. 10. Dislocation der kaiserlichen Armee beim Tode
Carl VI., dann Taf. lU. sammt Legende.
Digitized by
Google
869
Es war also glücklicherweise noch keine Reduction der Zahl
der Regimenter wirklich durchgeführt. Der Tod Carl VI. am
20. October 1740 hatte die langen Berathungen vergeblich gemacht.
Die neue Herrscherin konnte in dem Bewusstsein, dass ihre Thron-
besteigung manchen Anfechtungen, insbesondere von bayerischer
Seite, ausgesetzt sein würde, nicht auf die alten Projecte zurück-
greifen und mochte froh sein, dass ihre Ausführung nicht in Angriff
genommen worden war. Hatte sich aber auch die Zahl der Regi-
menter nicht gemindert, so hatten doch die gutgemeinten Absichten
des Kaisers und der Projectanten durch die Umstände jetzt die
schädliche Folge, dass keine einheitliche Auffassung darüber bestand,
was fiirderhin als der „complete'* Stand gelten solle und diese
Schwankung machte sich auch der Armee fühlbar, gieng jedoch
ohne grösseren Schaden für dieselbe ab, weil wenigstens an der
bisher üblichen tactisehen Eintheilung der Regimenter noch fest-
gehalten worden war. Für die Darstellimg des Wehrwesens hat
diese Schwankung hinsichtlich der Sollstände aber insofeme Be-
deutung, als darnach in Frage kommt, ob der Standes-Abgang
aller Regimenter beim Regierungs- Antritte Maria Theresia's
wirklich so gross war, als bisher angegeben wurde, nämlich fast
50.000 Mann (31-3%) und 9421 Pferde (23-8%) gegenüber einem
angeblichen Sollstand von 157.000 Mann und 39.162 Pferden.^)
Diese Ziffern sind nun wohl richtig, wenn die „completen" Stände
der Regimenter vom Anfange des Jahres 1740 zur Grundlage der
Berechnung gemacht werden. Einzebie Standes-TabeUen auch vom
Ende des Jahres halten allerdings an diesen Ständen fest, weil
die Allerhöchste Entscheidung vom 10. Juni hinsichtlich der
Standes-Reductionen noch nicht öfficiell und allgemein verlautbart
war, sondern die Angelegenheit sich im Stadium der durch des
K^aisers Tod jäh unterbrochenen Durchführung befand. Doch hatte
Carl VI. schon im Juli die Ergänzung der in den Niederlanden
stehenden fünf deutschen Regimenter ausdrücklich auf nur je
2OO0 Mann angeordnet^ und auch für die drei in Vorder-Oester-
') Die Kriege Friedrichs des Grossen, I, 78 f. Vergl. Meynert, Gesch.
d. k. k. österr, Armee, IV, 39, wo für ein Infanterie-Begiment ein durch-
sclmittlicher Abgang von 720 Mann, fiir ein Cavallerie-Eegiment ein solcher
von 194 Mann tind 167 Pferden angegeben wird, was einem Gesammtabgang
von beiläufig 45.200 Mann imd 10.600 Pferden entspräche.
») K. A., H. K. R. 1740, Prot. Reg. fol. 1084; Prot. Exp. fol. 8292, 3498,
3Ö02» Die drei niederländischen National- Regimenter besassen schon diesen
Sollstand.
OesterraiohUoher Erbfolgekrieg. I. Bd. 24
Digitized by
Google
370
reich befindlichen ist der gleiche Befehl sicher ergangen. ^) Wenn
weiters im November acht in Ungarn und Slavonien liegende
Regimenter ihren Abgang auch nur auf die letztgenannte Zahl
nachwiesen^) und laut einer Weisung des Hof-Kriegsrathes vom
21. December, also bereits nach dem Einfall der Preussen in
Schlesien, mehrere dahin marschierende Regimenter sich ebenfalls
nur auf 2000 Mann ergänzen sollten^, so ist es zweifellos, dass
auch Maria Theresia an der Entschliessung ihres Vaters vom
10. Juni principiell festhielt. Dem entspricht auch die hofkriegs-
räthliche Circidar- Verordnung vom 31. December 1741 an sämmt-
liche für die Armee Neipperg's bestimmten Fuss- und Reiter-
Regimenter, kraft welcher den Inhabern die, seit mehr als einem
Jahre verbotene Ersetzung abgängiger Chargen nach Massgabe
des „dermaligen completen Standes von 2000 und respective 800
Köpf wieder gestattet wurde. ^) Also auch die Cürassier- und
Dragoner-Regimenter hatten gemäss der Resolution des verewigten
Kaisers ihren Stand nach dem Projecte Harrach's einzurichten
und die einzige Wirkung der Preussen-Invasion war also nur, dass
die Husaren nicht auf 600 Maim herabgesetzt wurden, sondern auf
ihrem bisherigen completen Stande verblieben.
Vollständige Klarheit erhält die Sachlage durch die nach-
träglich am 1. Februar 1741 erflossenen königlichen Resolutionen,
dass sämmtliche Infanterie-Regimenter in den ungarischen und
deutschen Erblanden ausser O'Gilvy und Wenzel Wallis „bei
*) Der Antrag hiezu erfolgte schon im April; der Abgang im November
wurde nur mehr für den SoUstand von 2000 Mann berechnet. (Ebenda, Prot,
Exp. fol. 1159, 3292; Prot. Eeg. fol. 3703.)
«} Ebenda, Prot. Exp. fol. 3132. (Wurmbrand-, Alt- Wolfenbüttel-, Bayreuth-^
Seckendorff-, Schmettau-, Göldy-, Thüngen- \md Moltke-Infanterie.)
») Ebenda, Prot. Reg. fol. 3637, 3648. (Baden-, Schmettau-, Thüngen-,
Carl Lothringen-Infanterie.)
*) Infanterie: Franz Lothringen, Alt-Daun, Harrach, Starhemberg, Cari
Lothringen, Hessen- Cassel, Schmettau, 0*Gilvy, Wenzel Wallis, Browne,
Thüngen, Botta, Kolowrat, Grünne, Baden; Cürassiere: Hohenzollem, Hohen-
ems, Lanthieri; Dragoner: Batthydny, Liechtenstein; Husaren: Csdky, Dessewffjr,
Spl6nyi. (K. A., H. K. R. 1740, December, 821 Reg.) Nach dem Conferenz-Proto-
coU vom 27. December 1740 (Hof k. Arch., Reichs-A., Fase. 165) soll die Gesammt-
stärke dieser Regimenter nach dem geltenden Soll - Stande bei 86.000 Mann
ausmachen, was bei der Infanter